Cover


1. Am Anfang

„Nati ,wir kommen zu spät !“,rief meine Mutter ungeduldig. „Nathalie!“ „Ich hab`s gleich!“
Ich hastete die Treppe hinunter,zog mir meine Stiefel an, packte Putzbox, Weste und Gerte und lief zum Wagen, in dem meine Mum und meine Freundin Francesca bereits warteten. Franzi kommt immer mit zum Reiten, sie selbst reitet auf demselben Hof wie ich und viele unserer Freunde auch . Ungeduldig zappelte ich auf meinem Sitz herum. „Heute so nervös, so kennen wir dich ja gar nicht!“,kam es von hinten. „Moni hat gesagt, dass es jetzt langsam Zeit wird, mich auf die großen Pferde zu lassen. Ich bin so gespannt, wen ich heute habe, sonst war das ja immer klar, weil nur ich mit Tabal klar kam, aber jetzt habe ich seit einer Ewigkeit mal wieder ein anderes Pferd.....“ Die ersten Weiden konnte ich schon sehen. Als meine Mutter auf den Platz fuhr, riss ich die Tür auf und rannte zum Kofferraum, noch bevor sie halten konnte. Schnell nahm ich meine Sachen aus dem Kofferraum, Schlug die Tür zu und rannte den kleinen Hang hinunter. Francesca kam kaum hinterher. Nachdem ich alles abgestellt hatte, schaute ich auf den Reitplan :
15.00 Uhr-16.00 Uhr

Alessa -
Nicole Ronja
Chris Adieu Tanja
NATHAILE R. MOGLI
Jenny Amadeus
Lisa Loran

„Mogli ?!“,überlegte ich, „ Ach ja ,ich glaub den kenne ich !“ Sofort machten wir uns auf die Suche nach Mogli`s Stall. Ich begann leise zu pfeifen, da streckte der schöne Dunkelfuchs-Wallach seinen Kopf aus der Box und schaute mich mit aufmerksam nach vorne gerichteten Ohren neugierig an. „ Na du hübscher!?“ Er blies mir seinen warmen Atem ins Gesicht. Als ich die Boxentür öffnen wollte, sah ich auf seinem Namensschild, warum er mir so bekannt vorkam. „ Oh,das war das Pferd von Steffi !“ „ Ja, aber dann hat die Ziege ihn gegen ein anderes, jüngeres Pferd vom Hof eingetauscht. Eingetauscht, wie kann man so etwas mit einem Tier machen ?!“, meinte Franzi aufgebracht. Ich ging nicht weiter darauf ein und huschte in die angenehm warme Box von Mogli, denn Ende Januar war es hier draußen bei der Kälte und dem beißenden Wind nicht lange auszuhalten. Erstaunt darüber, dass Mogli still stehen blieb und ich ihn also nicht anzubinden brauchte, fing ich an, ihn zu striegeln. Neugierig drehte er seinen Kopf zu mir und beobachtete mich. „Ich schätze mal, du brauchst mich nicht. Ich bin dann mal bei Dorina“, machte Franzi sich bemerkbar. „ Jaja....“ Dorina ist eine weiße Ponystute, auf der Francesca seit kurzem reitet. Nachdem mein Pferd sauber war, machte ich mich auf sie Suche nach seinem Sattel, dem Zaumzeug, passenden Gamaschen und einer Decke. Das alles war natürlich am anderen Ende des Hofes. Voll bepackt machte ich mich auf den Rückweg und Franzi kam um mir zu helfen. Eigentlich wollte ich Mogli zum Satteln doch anbinden, doch meine Arme wurden unter dem Gewicht des Sattels lahm, weshalb ich ihn gleich auf den Rücken des Tieres schwingen musste. Und Mogli ließ es sich gefallen, was auf diesem Reiterhof bei den Pferden nicht selbstverständlich war. Danach noch die Gamaschen an die Beine und die Decke drüber. Dann kam das vermutlich Schwierigste: Die Trense. Die hatte am Mundstück nämlich links und rechts je einen Gummiring, der wenn man nicht aufpasste, leicht im Pferdemaul verschwand und dann musste man noch mal von vorne anfangen. Außerdem war Mogli so groß, dass er nur leicht den Kopf heben müsste, um sich vor dem Aufzäumen zu drücken. Doch Mogli ließ es sich ohne mit der Wimper zu zucken gefallen. Noch fünf Minuten bis zur Reitstunde.... Ich zog mir Handschuhe, Weste und Helm an, dann öffnete ich die Stalltür und führte das Pferd über den Platz bis vor den Eingang der Reithalle, wo schon ein paar der anderen warteten. „ Ihr könnt schon mal reinkommen!“, ertönte Monis Stimme von drinnen. Die große Tür schwang auf und wir riefen einen nach dem anderen : „Tür frei!“, bevor wir eintraten. Wie immer war alles mit Hindernissen vollgestellt, also hatten wir wenig Platz zum Ausweichen....In der Mitte der Halle blieb ich stehen und Franzi übernahm die Zügel. Ich stellte die Steigbügel ein und gurtete noch einmal nach. „Fertig ?“, fragte Francesca. „ Ja“, erwiderte ich nervös. „ Gut, dann halte ich aus der anderen Seite dagegen.“ Mit viel Schwung stieß ich mich vom Boden ab und saß im Sattel. Wie hoch mir alles vorkam und wie klein die anderen aussahen ! „ Passen die Bügel ?“ „ Ja, alles okay.“ „ Gut, dann geh ich und schau euch zu.“ Grinsend verließ Franzi die Halle und setzte sich auf die Tribüne. Leicht drückte ich meine Schenkel an Mogli, worauf er brav loslief. Von da an klappte alles ganz wunderbar und mir wurde klar, dass ich mich soeben verliebt hatte....

2.Mittendrin
Jetzt reite ich Mogli schon fast 1 ½ Jahre lang und bin so gut wie vierzehn Jahre alt. Mogli und ich sind ein allen bekanntes Dream-Team, er ist jetzt mein Pflegepferd und meine Freundinnen und ich verbringen fast jeden zweiten Tag Stunden im Reitstall. Seit ein paar Monaten spare ich wie verrückt und habe mittlerweile schon fast 500 ¤ zusammen, denn ich will meine Eltern überreden, Mogli zu kaufen. Ist doch gar nicht so abwegig, da ja meine Mutter, ihr Vater und dessen Vater auch schon geritten sind und meine Ur-Urgroßeltern eine Pferdezucht hatten.... Jedenfalls wollte ich auch meinen Großvater zum Kauf überreden, als er endlich mal wieder mit zum Reiten kam. Vergeblich. Aber eigentlich wusste ich das ja schon, ich meine, meine Mutter hat so ziemlich jede Allergie die man haben kann und was ist am schlimmsten: Pferdehaare und Heu. Natürlich. War ja klar. Außerdem bekommt sie einfach keinen Job mehr und zur Zeit geben meine Eltern immer wieder einen Haufen Geld für ihre kleine, „brave“ Lieblingstochter aus. Sie war drei Jahre jünger als ich und bekam Handy, Laptop und ähnliches so viel früher als ich. Vor allem das mit dem Laptop hat mich enttäuscht, meine Mom hat mich enttäuscht: Meine Schwester hatte meinen Archloch von Vater (er tut einfach alles für sie) schon dazu überredet, ihr einen Laptop zu kaufen, drei Jahre früher als ich einen bekommen hatte. Auch meine Mutter war nicht sonderlich begeistert davon, sie versprach mir, dass Muriel dieses Mal nicht so einfach davonkommen würde. Denkste. Wenige Wochen später musste ich zusehen, wie der kleine und der große Teufel einen Laptop bestellten, der am nächsten Morgen vor der Tür stand. Wow. Ich hatte damals Monate gebraucht meine Eltern zu überzeugen, mein PC ist besch-eiden (Totalschaden....) und es hat weitere DREI WOCHEN gebraucht, bis er endlich geliefert wurde. Und jetzt ging es auf einmal über Nacht. Na klar. Als ich Mom davon erzählte (und einen Aufstand erwartete), zuckte sie nur die Achseln und meinte: „ Sie hat jeden Tag genervt, mein Gott...“ Himmel, war ich sauer ! SIE, die Lügnerin, die falsche Schlange, bekam einfach alles !
Dann, kurz nach meinem 14. Geburtstag, waren endlich Ferien. Wie fast immer fuhren meine Schwester und ich zu meinen Großeltern und unseren anderen Verwandten. Und wie üblich kam auch mein Vater für kurze Zeit vorbei....
Meine Oma und ich saßen gerade am Küchentisch, als er hereinkam und sich dazu setzte. Und natürlich fing er wieder mit der Haustier-Geschichte an (wir wollen ja, aber Mom ist ja allergisch also...). Immer wenn man es sich gerade erst wieder aus dem Kopf geschlagen hat. „ Wieso eigentlich nicht?!“,meinte er. Ich entgegnete: „Das weißt du ganz genau.“ „ Überredet sie doch! Anscheinend will sie ja auch .Sie soll sich halt auf bestimmte Tiere testen lassen. Es gibt doch eine Pferderasse, die für Allergiker geeignet ist!“ „ Klar gibt es die, aber Mom ist auch gegen Heu , Pollen und was weiß ich noch alles allergisch! Es sind ja nicht nur die Haare! Und außerdem reagiert jeder Allergiker anders, manche kommen mit dieser bestimmten Rasse klar, andere reagieren auch auf sie allergisch.“ „Aber ein Pferd hält man ja nicht im Haus , also hat sie ja nicht viel damit zu tun.“ Das war damals auch eines meiner Argumente gewesen. „ Und das Geld? Ein Pferd kostet monatlich mehrere hundert Euro !“ „Das Geld ist nicht das Problem. Daran liegt es nicht.“ „ Ich dachte wir sollten zur Zeit etwas sparen, weil es in deiner Firma gerade nicht so gut läuft?!“ „So viel habe ich schon noch.“ Geenauu,und der muss sich ja immer den neuesten Elektronik-Kram kaufen! Depp..! Meine Oma starrte nur auf den Tisch und sagte gar nichts. Sie will einen immer trösten und es jedem recht machen, aber das auch durch Klartext reden oder einmischen in die Tat umzusetzen, das bekommt sie nicht hin.

3. Alles vorbei...?!

Wieder zu Hause, versuchte ich, dieses Gespräch zu vergessen. Naja, morgen würde ich Mogli endlich wieder sehen, ich hatte ihn schon vermisst. Obwohl wir nur eine Woche voneinander getrennt waren.
Am nächsten Morgen (oder eher Vormittag, ich stand erst um 11.30 Uhr auf, es waren ja noch Ferien...) aß ich noch schnell etwas und holte dann Francesca ab. Sie würde mir wie fast immer beim Reiten zusehen und sich nützlich machen. Auf dem Hof angekommen, rannten wir zum Reitplan, auf dem komischerweise „Picco“ statt „Mogli“ hinter meinem Namen stand. „Häh?!“, entfuhr es uns beiden. Dann wollten wir wenigstens nach ihm sehen, doch als ich mich vor seine Box stellte und seinen Namen rief, erwartend, dass er mir wie immer die Nüstern ans Gesicht hielt und wieherte, streckte ein Fuchs-Pony seine Kopf heraus. Franzi und ich schauten uns verwirrt an. Schnell suchten wir den ganzen Reitstall ab, fanden Mogli jedoch nirgends. „Wetten sie haben ihn verkauft?!“, meinte ich mit starrer, verbitterter Miene. „Ach was. Er war doch schon so alt und wurde mehrmals innerhalb des Hofes umgetauscht. Er gehört zwar trotz seines hohen Alters zu den Fittesten, aber...außerdem hätten sie dir das doch bestimmt gesagt! Oder gefragt, ob du ihn kaufen kannst bevor er ganz weg muss! Ich meine, du reitest ihn jetzt schon ewig, bei euch hat einfach alles gepasst...Nein, das kann und darf nicht sein!“ „Hoffentlich...“,entgegnete ich mit hängendem Kopf. Da sahen wir wie Nicole, eine der Angestellten hier, zwei Pferde von der Koppel brachte. „Hey Nici! Weißt du wo Mogli ist ?“ „Den haben wir an Privatleute von weiter weg verkauft.“ Ungläubig starrte ich ihr hinterher. Was?! Das...Nein, NEIN! Franzi sah mich mitleidig an und nahm mich in den Arm „Och Nati !“ Ich löste mich von ihr , ging zu Picco und wollte mein Gesicht in seiner Mähne vergraben, aber ich musste mich zusammenreißen. Jetzt bloß nicht vor allen heulen!, dachte ich, aber ich konnte nicht verhindern dass meine Augen feucht wurden. Später beim Reiten bekam ich einfach gar nichts mehr auf die Reihe, nicht einmal die einfachsten Dinge. Picco hatte so einen komplett anderen Takt als Mogli... Ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren und starrte alle fünf Minuten auf die Uhr. Und jedes Mal dachte ich mir dabei: Mann , wann ist das endlich vorbei ?!. Nach der schrecklichen Stunde stand ich immer noch total neben mir, auch als ich Picco absattelte und versorgte. Meine Freundin stand die ganze Zeit daneben, half mir hier und da, sagte jedoch nichts, wofür ich ihr sehr dankbar war. Als meine Mutter kam um uns abzuholen, setzten wir uns stumm ins Auto. „Was ist den mit euch los ? Ist was passiert?“ „ Ja“,antwortete ich kurz angebunden und mit bebender Stimme. Jetzt konnte ich die Tränen kaum noch zurückhalten. Mit verschleierter Sicht starrte ich aus dem Fenster. Niemand sagte etwas. „ Ist was mit Mogli ?“, fragte meine Mutter. „Ja“, antwortete ich wieder, dann rannen die Tränen über meine Wangen. Ich versuchte es ihr zu erzählen, aber jedes Mal musste ich tief Luft holen. Francesca übernahm für mich : „Die Drecksäcke haben Mogli verkauft!“ Wieder schniefte ich. Meine Freundin redete weiter: „Jetzt kann Nati ihn nicht mal mehr sehen, er ist nämlich an Privatleute verkauft worden.“ „Nein!“, hörte ich meine Mutter rufen. „D-...“, meine Stimme brach ab und ich atmete noch einmal ganz tief ein und aus, „Doch.“
Von da an sagte keiner mehr ein Wort, bis wir zu Hause waren. Als ich aus dem Auto stieg ,kamen meine Freunde (und Nachbarn,sie reiten auf demselben Hof) auf mich zu gerannt um mit mir zu sprechen, doch als sie mein Gesicht sahen, hielten sie plötzlich inne und starrten mich mit offenen Mündern an. Stumm holte ich meine Sachen aus dem Kofferraum, beachtete sie nicht und lief an ihnen vorbei zum Haus. Im Flur schmiss ich meine Sachen in die Ecke und eilte dann in mein Zimmer, in dem ich mich verbarrikadierte. Weinend ließ ich mich auf mein Bett fallen. So lag ich dann eine ganze Weile.... „Nati, Essen!“, rief meine Schwester von unten. „Ich hab keinen Hunger!“, schrie ich zurück. Dann hörte ich meine Mutter sagen : „Lass sie, der geht`s gerade nicht so gut.“

4. Und jetzt ?!

„Willst du mich verarschen?“,fragte meine beste Freundin (und Nachbarin), als ich ich sie auf den neuesten Stand brachte. „Nein, leider nicht, schön wär`s....Außerdem macht man sich über so etwas nicht lustig, schon gar nicht ich.“ „Stimmt auch wieder....In dem Fall gehst du nächste Woche nicht zum Reiten, oder?“, fragte sie. „Nein. Ich kann und will die alle nicht sehen. Und außerdem bin ich gestern auf Picco geritten wie ein Total-Anfänger, nichts, aber auch gar nichts hab ich hin bekommen!“, antwortete ich ihr. „Ach was, du standest einfach nur unter Schock!“ „Wenn du meinst....“, murmelte ich. „Ja das meine ich “, entgegnete sie überzeugt.
Den ganzen Tag hatte ich die Geschichte erzählen müssen, jedem einzelnen, wieder und wieder. Als ich merkte, dass ich in der Vergangenheitsform von Mogli sprach, wurde mir ganz schwindelig. Auch mehrere Tage später konnte ich nicht darüber reden ohne in Tränen auszubrechen.
Doch dann, fast eine Woche nachdem ich davon erfahren hatte (also einen Tag bevor ich wieder Reiten hätte), hatte ich mich damit abgefunden und mir eingeredet, dass Mogli nun einen richtigen Besitzer hatte und nicht mehr im Schulbetrieb mitlaufen musste. Aber natürlich sollte uns auch das nicht vergönnt sein. Noch am selben Aben bekam ich die schreckliche SMS einer meiner Reiter-Freundinnen, die SMS die alles veränderte :
„Hi Nati! Gell, Mogli ist eingeschläfert worden! Lena“ Meine Augen weiteten sich und ich ließ vor Schreck mein Handy fallen .Als ich mich wieder etwas gefasst hatte, stürzte ich die Treppe hinunter, wo meine Mutter und meine Schwester saßen. „Muri, ruf deine Freundin Lena an!“, rief ich meine Schwester zu. „Wieso?“,fragten die beiden im Chor. „Ich...ich muss wissen, ob das hier stimmt.“ Ich hielt ihnen das Handy vor das Gesicht. Beide starrten ungläubig auf den Display, bis Muriel zum Telefon hechtete. Sie wählte und stellte auf Lautsprecher, damit wir alles mithören konnten. „Hallo?“, meldete sie sich.. „Hey Lena, sag mal stimmt das mit Mogli ? Und woher weißt du das?“, fragte Muriel ungeduldig. „Ja, leider. Meine Mom war heute morgen beim Reiten, da hat Moni ihr gesagt, dass seine neuen Besitzer ihn eingeschläfert haben. Keiner weiß so genau warum...“ Das reichte mir. Tränen schossen mir in die Augen und liefen über meine Wangen. Mitleidig schauten Mom und Muriel mich an. Ich drehte mich um, hetzte die Treppe hinauf und schloss mich in meinem Zimmer ein. Jämmerlich schluchzte ich, ich weiß nicht wie lange. Als ich mich wider einigermaßen gefasst hatte, rief ich Francesca an. Es war schon ziemlich spät und ich wollte schon wieder auflegen, als sie sich schließlich doch meldete: „Hallo ?“, fragte sie in den Hörer. Ich konnte nichts sagen, würde ich jetzt den Mund öffnen und versuchen zu reden, würde es wahrscheinlich gleich wieder losgehen. „Wer ist da? Nati?“, fragte sie verwirrt. „J-“, meine Stimme brach ab, „Ja.“ „Was ist los?“ Sie klang besorgt, natürlich war ihr mein seltsames Verhalten nicht entgangen .Wieder Stille. „Nati? Was ist los? Sag doch was! Ist es wegen Mogli?“ Nun wurde sie unruhig, als würde sie ahnen, dass noch etwas mit ihm geschehen war. Noch einmal gaanz tief durch atmen... Eine Träne stahl sich aus meinen Augenwinkeln. „Ja“, antwortete ich ihr endlich, „Ja, es geht um Mogli.“ Ich musste kurz aufhören zu sprechen, um nicht erneut in Tränen auszubrechen. Francesca wartete. „Mogli...“, na toll, schon wieder eine Träne und noch eine, „Mogli ist tot!“ Nun hielt ich es nicht länger aus, ich schluchzte hemmungslos. Nach kurzem Schweigen rief Franzi: „WAS?! Wie..? Wann..? Wieso..? Ich... komm nicht mehr mit...“ „ Ich doch auch nicht “, war alles was ich dazu sagen konnte. Wir sprachen noch eine ganze Weile darüber, immer wieder unangenehmes Schweigen. Irgendwann verabschiedeten wir uns voneinander und ich schrieb meinem Vater eine SMS: „Mogli ist tot.“ Wenige Sekunden später klingelte mein Handy. Als ich dran ging, meldete er sich und ich musste noch einmal alles erzählen was ich wusste. Eigentlich hatte ich gedacht, es wären keine Tränen mehr in mir, doch ich hatte mich getäuscht.

5. Irgendwie muss es ja weitergehen..

Am nächsten Morgen in der Schule drängte ich mich durch die Menge vorbei an meinen Freunden. „Hi Nati...“, setzte Julia an, doch ich ließ sie stehen. „Okaay... ähm, hab ich was verpasst?!“ Nun lief ich noch schneller, die anderen hinter mir her. Francesca stieß Julia in die Seite und warf ihr einen giftigen Blick zu. „Oh....“, entfuhr es Julia, „Sorry...“ Wir setzten uns hin und ich ließ mir die Haare über die Schultern fallen, um den mitleidigen Blicken der Klasse zu entfliehen.
Den ganzen Tag redete ich kein Wort. Viele versuchten mich am Handy zu erreichen, doch ich drückte sie weg. Jedoch ließen sie sich dadurch nicht abwimmeln, sie nervten mich hartnäckig, bis ich einen Anruf annahm und: „TSCHÜSS!“ in den Hörer schrie. Dann schaltete ich Telefon und Handy ab und zog den Stecker von PC und Laptop. Bloß kein Kontakt zur Außenwelt.
„ Nati, so geht das jetzt doch schon seit Tagen...“ Mein AB wahr inzwischen voll von solchen Nachrichten. Irgendwann (Miri und ich liefen mal wieder schweigend nebeneinander her nach Hause) als Miriam mich von der Seite aus beobachtete konnte sie sich nicht mehr beherrschen: „So kann das doch nicht weitergehen! Wie lange ist es her, dass du etwas richtiges gegessen hast ?Hast du in den letzten etwas anderes als ein paar Salzstangen gegessen?“ „Nein.“ „Oh du kannst also doch noch reden! Nathalie, seit der beschissenen Sache mit Mogli isst und schläfst du kaum noch!“ Jetzt brannte auch bei mir eine Sicherung durch: „Beschissene Sache?! Warum ich nicht esse?! Weil ich keinen Hunger habe, weil ich es verdammt noch mal nicht merke ob ich etwas essen muss oder nicht! Glaubst du etwa ich will das alles?! “ Tränen verschleierten mir die Sicht. Hier standen wir in unserer Straße und schrien uns an. „Halt den Mund, ich bin noch nicht fertig!“, brüllte ich, „Du willst wissen wieso ich nicht schlafe?! Weil ich dann Dinge höre und sehe, die ich nicht hören und sehen will! Weil ich jede Nacht schweißgebadet, tränennass und schreiend aufwache!“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und lief weg. Miriam rannte mir hinterher, packte mich an der Schulter und meinte kleinlaut: „Nati,das...“ Unsanft riss ich mich los und schrie: „Lass mich! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Ihr könnt mich alle mal kreuzweise!“ Inzwischen standen wir vor meiner Haustür, die ich ihr vor der Nase zuknallte, bevor sie etwas erwidern konnte. Als sie wegging und unsere kleinen Geschwister gaffen sah, brüllte sie: „Was glotzt ihr denn so blöd?! Steht auf unserer Stirn vielleicht Kino ?!“ Verdutzt starrten die Kleinen sie an. „Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe und haut ab“, murmelte sie, mehr zu sich selbst. Von da an kam ich nur noch aus dem Zimmer wenn ich zur Schule musste oder mir nachts Pizza machte. Immer darauf bedacht, niemandem über den Weg zu laufen.
Dieser bescheuerte Streit lag jetzt schon drei Tage zurück, doch ich konnte mich nicht dazu durchringen, mich bei Miriam zu melden. Sie hatte es mehrmals per Telefon versucht, doch ich hatte sie immer weggedrückt. Schließlich stand sie (ich hatte nichts gemerkt, da ich mich mal wieder mit ohrenbetäubend lauter Musik zugedröhnt hatte) in meinem Zimmer, schloss uns dort ein und zog den Stecker meiner Stereo-Anlage. „Hey!“,protestierte ich empört. „Würden Sie mir wohl fünf Minuten ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit schenken, Miss?“,fragte sie mich halb flehend. Als ich meinen Blick stur geradeaus richtete und nichts erwiderte, plapperte sie drauf los: „Sorry, ich hab da echt Mist gequasselt, ist mir so raus gerutscht, ich hab mir eben Sorgen um dich gemacht. Ich meine, du reagierst ja sogar körperlich darauf! Außerdem weiß ich, dass du kein „geheucheltes Mitleid“, wie du es nennst, willst. Ich... es tut mir wirklich Leid, okay?“ Als ich sie vorsichtig lächelnd ansah, breitete sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht aus. „Alles wieder in Ordnung?!“ „Alles wieder in Ordnung.“ Lachend setzte sie sich zu mir aufs Bett und klärte mich über alles auf, was ich verpasst hatte.

6. Ich war nur der Anfang, es geht weiter...

Immer noch ging ich nur alle paar Wochen zum Reiten. Ich war einfach noch nicht so weit, vielleicht würde ich das nie sein. Und als Francesca mich unter Tränen anrief (ca. 3 Monate nachdem wir von Moglis Tod erfahren hatten), konnte ich mich kaum noch beherrschen. Sie erzählte mir, dass eine der jungen Mädchen des Reitstalls sie gefragt hatte, an wen ihr Lieblingspony Dorina verkauft wurde. Franzi schaltete lange nicht, bis ihr dämmerte, weshalb sie in der letzten Woche Picco reiten musste: Dorina war zu dem Zeitpunkt schon weg. Auch ich und Linda hatten beim ersten mal Picco statt Mogli, er war sozusagen das „Übergangspferd“. Anscheinend war Dorina jetzt auf irgendeinem Hof in Rente, als Beistellpferd für ein altes Pony. Hallo?! Die war doch im besten Alter und außerdem erfolgreiches Turnierpferd! Eines der besten Anfängerponys im Stall! Doch auch damit war es nicht vorbei. Außer der hübschen Schimmelstute sollten auch noch Tabal (mein Liebling unter den Ponys,was niemand verstehen konnte, da er vor allem im Stall bockte, schnappte und sogar stieg. Sobald ich jedoch dazu kam, stupste er mich an und stand ganz brav da, als wäre nie etwas gewesen.) und Gipsy (auch sie war eines der besten Ponys, wir alle mochten sie. Vor allem meine Freundin Jenny, die eigentlich sogar vorhatte, Gipsy noch diesen Sommer zu pachten.)
Sobald Franzi mit ihrem Bericht fertig war, sagte ich: „Oh mein Gott! Sieht ganz so aus, las würde der Hof untergehen...morgen ist da doch das Turnier für Kinder und Jugendliche. Tolles Timing, die haben doch gar kein gutes Pony mehr!“ „ Ja eben! Und kaufen tun sie die hyperaktiven, mageren Psychoponys! Ein Mädchen, das auf einem der neuen Tiere reiten musste, hat die halbe Stunde geheult! Ich hab Moni und die Angestellten belauscht: „Das neue Pferdchen hat ganz schön viel Energie. Mal gucken, ob das nach einer Woche Schulbetrieb immer noch so ist“, haben sie gesagt. Ist das zu fassen?! Geht`s noch?!“ So ging das Gespräch noch eine Weile, bis Francesca nach kurzem Schweigen meinte: „Jetzt weiß ich, wie das für dich ist. Nur dass Dorina wenigstens nicht tot ist, so wie Mogli. Bis heute konnte ich dich nicht so wirklich verstehen. Jetzt kann ich auch dein Verhalten nachvollziehen. Mann, muss ja echt übel sein, wenn man damit ganz alleine ist, wenn einen niemand verstehen kann, alle nur so tun, als könnten sie es.“ „Es ist übel, ja. Aber, hey! Irgendwann muss es ja irgendwie weitergehen,“ meinte ich traurig. „Hm...“, machte sie.
„Hey!“,kam es plötzlich laut und aufgeregt aus dem Hörer. „Wie du damals bei Mogli gesagt hast: Ich , wir, müssen sie finden! Ich muss unbedingt wissen wo mein Schatz jetzt ist! Du, Miri und jetzt auch ich, wir haben nun eh keine Lust mehr auf Reiten. Wir müssen alles tun , um die Ponys zu finden und Moglis mysteriösen Tod aufzuklären und zu rächen!“ „Also ich bin dabei!“, rief ich begeistert. „Sehr gut, dann setz dich doch noch mit Miri und deinen befreundeten Nachbarzwillingen in Verbindung....wie hießen die noch mal?“ „Anja und Lena. Mach ich. Bis Montag in der Schule!“ Lächelnd legte ich auf.


7. Mission : Rache!

Seit einigen Tagen hingen wir fünf (Franzi, Miri, Anja, Lena und ich) also jeden Tag stundenlang am Telefon, während jeder an seinem Computer Informationen über „unsere“ Pferde suchte. Von Dorina hatte niemand von uns ein Bild, von Mogli hatte ich wenigstens fünf verschwommene Handybilder. Wir suchten und suchten, doch alles was wir im Internet fanden, waren alte Turnierlisten. . „Hat einer von euch schon was?! Nati, schau mal, ob eines der Ponys im Internet zum Verkauf steht!“, riefen die Zwillinge aufgeregt. „Jaja, mach ich, aber bis jetzt hab ich noch nichts und glaubt mir, ich hab schon hunderte Internetseiten durchsucht...“, gab ich mit wenig Begeisterung zurück. „Leute, meine Mom ruft, ich muss gehen...“, meinte Miri zerknirscht. „Ich auch, bis morgen Nati!“, verabschiedete Franzi sich. Jetzt waren nur noch die Zwillinge und ich übrig. Na toll, wie verlockend...
„Hey Jenny!“, rief ich einer meiner älteren „Reit-Freundinnen“ zu .Sie winkte mich zu sich. „Ich komm gleich, muss nur noch mein Tablett abräumen.“ (Meine Freunde und ich waren gerade in der Mensa, Mittagschule...) „Das von Gypsi hast du ja wahrscheinlich schon gehört, oder?!“, fragte ich Jenny. „Hä...wie...was soll ich schon gehört haben?“, fragte sie mich misstrauisch, mein Unterton war ihr nicht entgangen. „Also, was ist jetzt mit Gipsy?“ „Na....“, druckste ich herum, „ also wir haben mitgekriegt dass Dorina auch verkauft wurde und dass Tabal auch bald wegkommt....naja....anscheinend wird auch Gipsy bald verkauft....“ Jenny fiel die Kinnlade runter. „Moni ist so eine miese, linke F***e!“, entfuhr es ihr so laut, dass alle zu uns herüber starrten, vor allem die Lehrer waren geschockt. „Kommst du am Donnerstag überhaupt zum Reiten ?“, fragte sie mich. „Keine Ahnung, irgendwie hab ich keine Lust.....ich weiß noch nicht...“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „OK, dann vielleicht bis Donnerstag!“, verabschiedete Jenny sich. Schnell rannte ich meinen Freunden hinterher auf den Schulhof. „Hey, wartet doch mal!“, keuchte ich.
„Was gab's denn so wichtiges?“, fragte Juli mich leicht eingeschnappt. „Ich hab's ihr erzählt.“ Franzi nickte abwesend. „Sag mal, wie viel Uhr haben wir eigentlich?“, fragte Caro in die Stille. Vanessa holte ihr Handy raus und rief erschrocken: „Verdammt, noch zwei Minuten!“ Tatsächlich, außer uns war keiner mehr hier draußen. Mit weit aufgerissenen Augen starrten wir uns an und rannten los. Gerade noch rechtzeitig, denn wenige Sekunden nachdem wir ins Klassenzimmer geschlüpft waren, kam auch schon unser EWG-Lehrer herein. Heute waren wir noch unkonzentrierter als sonst. „Könnten die Damen ihr Kaffee-Kränzchen vielleicht etwas verschieben ?!“, rief der Lehrer durch das ganze Zimmer. Ertappt drehten wir uns um. Von allen Seiten hörten wir Kichern und dämliche Kommentare. Doch das hielt uns nur kurz auf. Franzi schnellte mit einem lauten Aufschrei hoch, als Herr Reischl mit der Faust auf unseren Tisch schlug (das macht er gern....echt, das hört sich an, als würde er einen Tisch umschmeißen!). „So, jede Zweite von euch setzt sich zwischen zwei Jungs!“, herrschte er uns an. „Bitte nicht, wir sind auch ruhig!“, versuchte Juli ihr Glück. Vergeblich. „Keine Widerrede! Und wehe ihr schreibt jetzt diese lächerlichen Zettelchen!“ Damit war der Rest der Stunde für uns gelaufen.....
Wir haben eine Spur. Vielleicht. Alle haben wir auf dem Reithof nachgehakt und nicht lockergelassen (natürlich hinter dem Rücken von Moni, ich will gar nicht wissen was die dazu sagen würde....). Also haben wir alle unsere alten „Reitkollegen“ befragt und sogar etwas herausgefunden: Anscheinend gibt es eine Website, auf der auch einige der Käufe, Verkäufe und Angebote unseres Hofes zu finden sind. Folglich machten wir uns schnellstens auf die Suche und waren schon kurz davor aufzugeben, als ich plötzlich „Dorina/Dobelmühle“ las. „OH.MEIN.GOTT!!!! Mädels, ich glaub, ich hab was!“, rief ich in den Hörer (wir hingen mal wieder alle an der Strippe). „Wo? Was?“, kam es aufgeregt von den anderen. „Seite 135. Es geht um Dorina, also für dich Franzi“, antwortete ich. Ich konnte Francesca tief einatmen hören. „OK, dann mal los...“ Fünf Minuten später hatten wir den Beitrag alle gelesen. „Gut, jetzt haben wir einen Namen. Anja, Lena, Franzi, schaut mal, ob ihr Adresse und Telefonnummer von diesen „Hofer's“ rausfindet. Es muss hier in der Nähe sein. Bestimmt nicht schwer, die haben ja einen kleinen Hof, irgendjemand muss ja was von denen wissen“, bestimmte ich. „Also dann, wir fangen an, bis spätestens morgen!“, verabschiedeten sich die Zwillinge. Schon bald waren nur noch Jenny, Francesca und ich am Telefon. „Ich hab übrigens bei so einem Tierschutzverband angerufen, wegen Gipsy “, fing Jenny an ,“ die schauen sich das ganze an und nehmen Gipsy dann wahrscheinlich in Zahlung. Dann bekomme ich die Patenschaft und kann sie nach und nach abbezahlen.“ „Hey, cool, hört sich ja gut an! Hoffentlich klappt's!“, erwiderte ich. Nun verabschiedete sich auch Jenny, sie stand kurz vor ihrem Abschluss und hatte immer viel Stress. Also nur noch Franzi und ich. „Du, Nati? Glaubst du ,wir finden Dorina?“, fragte sie leise. „Ich kann nichts versprechen und auch wenn das klappt, gehört sie immer noch Familie Hofer... Aber irgendwie kriegen wir das schon hin, wir können sie ja wenigstens besuchen. Mindestens.“ „Nati, ich bin nervös“,meinte sie aufgeregt. „Ich auch Franzi. Ich auch.“
„Ich kann's schon sehen!“, schrie Franzi plötzlich neben mir. Wir waren gerade auf dem Weg zu Hofer's. Die Zwillinge hatten sie nach wenigen Tagen ausfindig gemacht, worauf wir alle bei Francesca in der Küche standen und bei der Familie anriefen. Der Lautsprecher war eingestellt, es tutete laut. Franzi lief die ganze Zeit im Kreis. Nachdem es schon zehn mal getutet hatte, lagen ihre Nerven blank: „Scheiße mann! Oh mein Gott, ich glaub mir wird schlecht!“ Damit verließ sie schnell den Raum. Alle schauten wir ihr nach, als sich plötzlich jemand meldete: „Hallo? Wer ist da?“ Völlig perplex starrten wir das Display an. Ich fasste mich als erste: „Ähm, hallo, spreche ich mit Frau Hofer vom Sonnenhof?“ „Äh, ja, aber wer bist du?“ „Tut mir leid, ich heiße Nathalie. Meine Freundinnen und ich rufen Sie wegen ihres Ponys Dorina an. Sie haben sie doch vor kurzem von Maurer's gekauft, oder?“ „Ja, das haben wir. Was ist damit?“, fragte sie verwirrt. „Also, das sollten wir vielleicht lieber persönlich besprechen, es ist wirklich sehr wichtig.“
Und nun waren wir auf dem Weg dorthin. Nun konnten wir auch deutlich eine Frau mit Kindern (wahrscheinlich die Hofer's) auf dem Hof warten sehen. Franzi war hin- und hergerissen: sollte sie wie verrückt rausspringen und ihr Pony suchen, oder doch eher zurückhaltend und geduldig alles andere klären? Die Entscheidung nahm ich ihr ab: „Ganz ruhig Franzi. Wir müssen erst mit den Besitzern reden, die wissen doch noch gar nicht genau, weshalb wir hier sind. Also immer schön freundlich bleiben, vielleicht erhöht das ja unsere Chancen. Und hey: Nicht zickig werden, nur weil sie deine Dorina gekauft haben. So wie es am Telefon angehört hat, haben die keine Ahnung.“ „Jaja...“, murmelte sie. „Gut, dann mal los...“ Langsam stiegen wir aus und bewegten uns auf die Familie zu. Als wir nur noch zwei Meter von ihnen entfernt waren, schubsten mich die Mädchen nach vorne und stießen mich in die Seite. Suuper. Ich musste das Reden mal wieder übernehmen, war ja klar. „Hallo, ich bin Nathalie und das sind meine Freundinnen. Wir hatten telefoniert.“ Lächelnd gab Frau Hofer mir die Hand. „OK, würdet ihr mich bitte endlich aufklären, ich weiß bis jetzt nur, dass es um Dorina geht“, meinte sie. „Ja genau. Meine Freundin Francesca (sie machte schüchtern einen Schritt nach vorne) ist auf dem Hof der Maurer's jedes Mal Dorina geritten, über ein Jahr lang. Bis sie vor ein paar Wochen plötzlich nicht mehr da war“, erklärte ich ihr. Zwischendrin schalteten sich auch die anderen eifrig ein, und so erzählten wir die ganze Geschichte von Anfang an. Auch von meinem Mogli, den Ponys der anderen, wie wir es erfahren hatten und natürlich auch von der nicht vorhandenen Reaktion der Stallbesitzer. Dass Dorina laut Maurer's in Rente war(klar, ein gutes Turnierpony im besten Alter und Anfängerpony in Rente). Frau Hofer, ihr Sohn (ich schätzte ihn auf ungefähr fünfzehn) und ihre Tochter (sie war vielleicht ein Jahr jünger als wir, also so um die dreizehn) hörten geduldig zu. Als wir schließlich am Ende unserer Geschichte waren, führten sie uns auf eine Koppel hinterm Haus. Miri, Jenny und die Zwillinge schauten sich verwundert an. Nur Franzi und ich kapierten es, kletterten über den Zaun liefen ein Stück, schlossen die Augen und fingen an zu pfeifen. Hinter uns konnten wir die anderen ratlos tuscheln hören. Doch wir ließen uns nicht ablenken, bis wir plötzlich donnernde Hufen auf uns zukommen hörten. Wir öffneten die Augen. Tatsächlich: Dorina kam wie verrückt auf uns zugestürmt. Wenige Meter vor uns, legte sie eine Vollbremsung hin und kam zum Stehen. Sie wieherte, sie hatte uns sofort erkannt. Lächelnd gingen Franzi und ich zu ihr um sie zu streicheln mit ihr zu sprechen. Uns beiden liefen die Tränen über die Wangen, aber es war uns egal. Nach ein paar Minuten rissen wir uns zusammen und liefen zum Gatter zurück. Dorina folgte uns Schritt auf Tritt. Je näher wir kamen, umso besser konnten wir erkenne, dass allen am Zaum die Münder offenstanden. Darüber mussten Francesca und ich so lachen, dass wir fast zusammenbrachen. Nach und nach fielen auch die anderen in unser Gelächter ein. „Ich muss noch kurz was erledigen, aber ihr könnt ja mit Leon weiterreden. Ich brauch nicht lange“, sagte Frau Hofer und verschwand im Haus. „Holt Dorina doch einfach mal raus, dann könnt ihr sie vorne auf dem Hof putzen“, meinte Leon. Franzi strahlte. Während sie also mit der kleinen Schimmelstute beschäftigt war, zeigte Leon uns restlichen das Grundstück. „Hier gibt es gute Wege zum Ausreiten, man ist stundenlang unterwegs, ohne jemandem zu begegnen. Alles ist voll von Wiesen, Feldern und Wäldern. Vor allem am Fluss macht es im Sommer richtig Spaß“, grinste Leon. Kurz schien er zu überlegen, dann meinte er: „Wollt ihr vielleicht reiten? Ich könnte euch alles zeigen, dann seht ihr, wo Dorina jetzt immer läuft.“ Die Mädels kicherten und grinsten sich an. „Klar, wenn deine Mutter nichts dagegen hat“, antwortete ich gut gelaunt. Er lächelte:„Bestimmt nicht, ich frag sie schnell.“ Kaum war er außer Sicht, ging es auch schon los: „UHH!!!“, riefen die anderen im Chor. „Wisst ihr was: Haltet doch einfach die Schnauze. Wir sind schon lange nicht mehr geritten, geschweige denn ausgeritten. Und außerdem tu ich das für Franzi. So hat sie noch etwas Zeit mit ihrer Dorina“, entgegnete ich. „Aber meinst du nicht, dann wird der Abschied noch schmerzlicher? Einen Abschied wird es nämlich geben, das ist unausweichlich“, gab Miri zu bedenken. „Ich weiß ja, aber es wird so oder so schwer. Auf diese Weise kann sie noch etwas mitnehmen und wir könnten uns mit den Kindern anfreunden, damit wir wieder kommen können. Und außerdem will keiner von uns derjenige sein, der die beiden vorzeitig trennt, oder?“, gab ich zurück. Sie seufzte: „Stimmt auch wieder.“ Als wir Hufe klappern hörten blickten wir alle auf und sahen, wie Leon zwei wunderschöne Friesen neben Dorina anband. Er rief uns zu ihm. „Du wirst ihn reiten. Er ist ein Zehnjähriger Hengst und sehr temperamentvoll, aber nach dem was Francesca mir gerade erzählt hat, genau das richtige für dich. Er heißt Romeo.“ Damit reichte mir den Strick für den größeren der beiden Pferde. Ungläubig starrte ich erst ihn, dann Francesca an, die mir grinsend zuzwinkerte. Schnell nahm ich den Strick an mich, worauf Leon im Stall verschwand. „Oha!“, riefen „meine Hühner“. Ich beachtete sie nicht und machte mich daran, Romeo zu richten und mit ihm zu plaudern. Er war wirklich ein Bild von einem Friesen, mit seiner langen, gewellten Mähne und dem glänzenden Schweif, seinem eleganten, zierlichen Kopf mit den riesigen , aufmerksamen Augen und dem perfekt geformten, muskulösen Körper. Leon brachte nun auch Ponys für die anderen. Franzi und ich waren als erste fertig. Romeo's und Casanova's (wie sich herausstellte, war Casanova der andere Friese und gehörte Leon) schwarzes Fell glänzte wie Seide. „Also, auf geht’s!“, meinte Leon , der sich auf den Rücken seines Pferdes schwang. „Ähm...wir haben gar keine Sättel...?“, erwiderte Anja leicht verunsichert. „Ist das ein Problem?“, fragte er. „Nein, nein, überhaupt nicht!“, antwortete ich schnell für sie.Drei Sekunden später saß auch ich auf meinem Pferd. Nur noch die Zwillinge fehlten, die sich mit so viel Schwung abstießen, dass sie sich alle beide auf der anderen Seite ihres Ponys festklammern mussten, um nicht im Dreck zu landen. Das sah so dämlich aus, dass Miri, Jenny, Franzi, Leon und ich einen Lachkrampf bekamen. Doch schließlich saßen auch Anja und Lena sicher auf dem Rücken ihrer Tiere und es konnte losgehen. Leon zeigte uns ihr ganzes Anwesen, was nicht gerade wenig war. Es gab mehrere Koppeln, auf denen ganze Herden grasten. Besonders die Fohlenkoppel gefiel uns, auf der etliche Jungtiere herumtollten. Als wir auf dem Rückweg den kleinen Wald durchquert hatten, meinte Leon plötzlich: „Seht ihr den Hof schon? Wer als letzter dort ankommt, muss ausmisten!“ Er preschte mit Casanova los, ich mit meinem Romeo hinterher. Hinter uns hörte ich das Anfeuern der anderen, doch ich drehte mich nicht um. Ich war voll in meinem Element. Wie ich das vermisst hatte, das Pferd einfach laufen lassen, den Wind pfeifen hören, in den Haaren spüren. Die Mädels lagen weit hinter uns und es dauerte nicht lange, bis ich auch Leon abgehängt hatte. Mit einem wilden Schrei ließ ich die Zügel los, streckte die Arme zur Seite aus und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Genoss das Hier und Jetzt, fühlte nur das Pferd und mich, alles andere hatte ich ausgeblendet.Folglich kam ich jubelnd als erste an, knapp gefolgt von Leon, wenig später Franzi, Miri und Jenny, und die Zwillinge lieferten sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem wir sie alle lautstark anspornten. Keuchend kamen sie vor uns zum stehen und sahen uns fragend an. „Also, ich würde ja mal sagen, Lena hatte die Schnauze kaum merklich vorne....“, sagte Miri. „NEEIIN!!!“, stöhnte Anja auf. „DOOCH!!!“, riefen die Mädchen und ich zurück, worauf wir wieder anfingen zu lachen. Nachdem wir die Tiere versorgt hatten, sahen wir Anja also noch beim Ausmisten zu. Als sie meinte fertig zu sein, lief sie die Stallgasse zufrieden ab und kam dann auf uns zu. Grinsend sagte ich zu ihr: „Du hast da was vergessen!“ Ich deutete auf die Box eines kleinen, gescheckten Shetties, und als sie sich umdrehte stöhnte sie genervt auf: „Och nee!“ (Das kleine Biest hatte es doch tatsächlich geschafft, innerhalb weniger Minuten wieder alles zu verdrecken!)„Och doch!“, kam es wieder von uns. Anja streckte uns beleidigt die Zunge raus und machte sich wieder an die Arbeit. Genervt drückte sie das Mini-Pony zur Seite und giftete es an: „Jetzt grins doch nicht auch noch so frech!“ Wir prusteten los, als das Pony ihr für ihren Spruch in den Rücken zwickte. „AUU!“, schrie sie erschrocken auf, „du blödes, mieses, feiges, kleines Aas!“ Ich musste so lachen, dass ich kaum noch Luft bekam und mir alles weh tat. Das würde wieder Muskelkater am Bauch geben.....
Sobald ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, sah ich auf die Uhr: „Oh verdammt, schon so spät! Leute, wir müssen los!“ „Jetzt schon!“, fragte Francesca wenig begeistert. „Wir können auch hier bleiben, nur bekommen wir dann Hausarrest und was weiß ich, und ich glaube, das kann sich im Moment keiner von uns leisten.“ „Ok, ok, ist ja gut...“, brummte sie. Leon sah mich hoffnungsvoll an: „Ihr könnt ja bald wiederkommen, Dorina freut sich bestimmt. Außerdem sind bald wieder Ferien.“ „So wie's aussieht, freut sich dann nicht nur Dorina!“, flüsterte Miri den anderen zu, worauf die anfingen, hysterisch zu kichern.Wir sagten zu, tauschten Nummern aus und verabschiedeten uns voneinander.
Auf der Rückfahrt sah ich aus dem Fenster und dachte an Mogli. Heute hatte ich zum ersten Mal nach „der Sache“ wieder richtig Spaß. Beim Reiten. Auf einem fremden Pferd. Im Nachhinein kam es mir wie Betrug vor. Als hätte ich meinen über alles geliebten Mogli betrogen. Weil ich Spaß hatte, ohne ihn. Weil ich fast den ganzen Tag nicht an ihn gedacht hatte. Weil ich auf einem anderen Pferd geritten bin, einem richtigen Traumpferd. So als hätte ich ihn einfach vergessen. Aber das stimmte natürlich nicht. Wie könnte ich ihn vergessen? Ihn, der so lange mein bester Freund war. „Nati?“, riss Miri mich plötzlich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich zu ihr. „Hey, was ist denn los?“, fragte sie mich besorgt. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich geweint hatte. „Gar nichts. Nichts wichtiges“, erwiderte ich knapp und wandte mich wieder etwas ab. Sie schien zu spüren, dass sie mich besser in Ruhe ließ, war jedoch alles andere als beruhigt. Gerade als ich anfing, erneut meinen Gedanken nachzuhängen, sagte Jenny: „Wir sind da.“

8. Jetzt ist es so weit, ich verliere völlig den Verstand
Ich stand mitten auf einem mir unbekannten Hof. Außer mir waren noch drei Männer hier. 'Wo war ich hier? Was sollte das? ' Plötzlich hörte ich ganz in der Nähe ein ohrenbetäubendes Wiehern, einen Hilfeschrei. Dieser Schrei zerriss mir das Herz, er kam mir schmerzlich bekannt vor. ZU bekannt. Und ich sollte Recht behalten: Zwei weitere Männer zerrten an Mogli, der sich mit den Hufen in den Boden stemmte und den Kopf hoch warf, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Wieder schrie er, wurde gepeitscht, bis er schließlich in der Mitte des Platzes Stand. Mit offenem Mund stand ich starr vor Schock da uns sah aus dem Augenwinkel, wie Gestalt neben mir die Arme hob. Als ich genauer hinsah, erkannte ich das Gewehr, dass er auf Mogli richtete. Ich stürzte mich schreiend auf ihn, versuchte ihm die Waffe zu entreißen.Vergebens. Es war, als wäre ich gar nicht da. Als wäre ich nur ein Beobachter dieser Szene. Wieder schrie ich, doch niemand schien mich zu sehen oder zu hören. Noch ein jämmerlicher, klagender Schrei meines Pferdes. Mogli stieg, wusste, was gleich passieren würde. Und ich stand einfach nur da und sah zu! Und dann wurde die Dunkelheit von einem ohrenbetäubenden Schuss zerrissen. Dieser Drecksack hatte wirklich abgedrückt! Mogli sah mich vorwurfsvoll an, wieherte hell auf, ein letztes Mal. Dann brach er vor meinen Augen zusammen, Blut bespritzte mich überall. Mit einem lauten Schrei fiel ich auf die Knie und heulte.
Und mit diesem Schrei wachte ich schweißgebadet und verheult auf, das klägliche letzte Wiehern meines Pferdes noch in den Ohren, seinen leblosen Körper und seinen vorwurfsvollen Blick vor Augen.
Von da an konnte ich nicht mehr schlafen, denn sobald ich meine Augen schloss, wiederholte sich alles. Vorerst erzählte ich niemandem etwas davon, doch als sich dieser Albtraum immer wiederholte, hielt ich es nicht mehr aus, ich musste einfach mit meinen Freunden darüber reden. „Mach dich nicht verrückt, das war nur ein Traum!“, versuchte Miri mich zu beruhigen. „Nur ein sehr realer Traum! Einer, der sich andauernd wiederholt!“, erwiderte ich. Aber wir hatten wirklich wichtigeres zu tun, zum Beispiel die vielen Klassenarbeiten, Tests und sonstigen Benotungen. Es war wirklich zum Haare raufen, irgendwie wurden die meisten von uns immer schlechter. Und Jenny war im letzten Jahr, sie konnte sich keine miesen Klausuren mehr leisten. So wurden es also zwei sehr lange Wochen so kurz vor den Ferien für uns....
Am ersten Ferienwochenende klingelte es Sturm bei mir. Miri und die Zwillinge standen vor der Tür. „Hey, wir wissen jetzt, wo Tabal ist!“, fingen sie alle gleichzeitig an. Dann sprachen sie durcheinander, bis laut pfiff Miriam bat, mir alles zu erzählen. „Also, Laura hat ja ihr Pony bei Maurer's stehen, und gestern hab ich sie seit Ewigkeiten wieder in der Stadt getroffen. Sie hat mir gesagt, dass Tabal jetzt auf einem Ferienhof für Kinder steht, in der Nähe von Konstanz, da wohnen doch Verwandte von dir“, sagte sie. „Und jetzt soll ich die anstiften, da Spione für uns zu spielen?“, fragte ich sarkastisch. „Ja, so was in der Art“, meldete Lena sich zu Wort. Ich war nicht sehr überzeugt von der Idee, gab mich aber nach einigen Überredungsversuchen geschlagen. „Ok, ok. Ich kann ja mal fagen“, sagte ich lahm. „Sehr gut!“, meinte Lena strahlend. Auch Anja grinste. „Aber freut euch nicht zu früh! Ich kann euch nichts versprechen! Bei meinen Verwandten dort habe ich mich schon lange nicht mehr sehen lassen und mich kaum gemeldet. Und ehrlich gesagt hätte ich das auch gerne so gelassen, aber anscheinend habe ich keine Wahl, mir bleibt wohl nichts anderes übrig...“, gab ich zu Bedenken. Ich senkte den Blick und wusste, dass nur Miri das verstand. Sie war auch die einzige der drei, die ruhig blieb und mich einfach nur mit starrer Miene ansah, während die zwei anderen jubelnd abzogen. Lange sah ich ihnen nach, es war ihnen ja nicht zu Verdenken, schließlich ging es dieses Mal um ihr Lieblingspony. Miri umarmte mich und ging dann auch. Sie hatte gesagt, sie würde es den anderen mitteilen, so dass ich noch eine Weile meine Ruhe hatte.
Ich ritt ein fremdes Pferd, auf einem fremden Platz, mit fremden Leuten um mich herum. Na ja , fast. Meine Freundinnen waren auch da und sahen mir zu. Sie hatten mir die Sache auch eingebrockt. Gestern hatten sie behauptet, ich bräuchte unbedingt ein eigenes Pferd. Und sie hätten auch schon einen Termin zum Probereiten, gleich am nächsten Tag. Natürlich hatte ich da mal wieder nichts zu sagen. Hier war ich also. Saß auf einem eigentlich sehr guten Pferd und fühlte mich dennoch fehl am Platz. Es fühlte sich einfach verkehrt an. Das Tier spürte meine Stimmung und verhielt sich auch dementsprechend. Fast wollte ich schon aufgeben, absteigen und das Pferd einfach so stehen lassen. Doch dann stellte Miri sich in die Mitte und befahl: „Jetzt galoppier ihn mal an und spring über eins der Hindernisse. Sonst helfe ich auch gerne mit der Gerte nach!“ „Na toll“, dachte ich, galoppierte aber dennoch an, sprang über das Hindernis und fing an zu lächeln. Auch meine Freunde grinsten und ich genoss den Augenblick. „Der galoppiert irgendwie ein bisschen wie Mogli“, sagte ich. Als ich jedoch wenige Minuten später vor Miriam zum Stehen kam, war dieses tolle Gefühl verschwunden. Miri sah es mir an und fragte: „Was ist?“ „Das...das ist....das ist einfach nicht...“, begann ich zu stottern. „Einfach nicht Mogli“, beendete sie mein Gestammel. „Ja“, sagte ich, „Die sind alle nicht Mogli.“Sie atmete hörbar aus und meinte: „Gut. Aber Mogli wird nicht mehr kommen, er ist nun mal tot, so leid es mir tut.“ Diese Worte versetzten mir einen Stich ins Herz. „Sorry. Ich denke, du bist einfach noch nicht so weit“, beeilte sie sich zu sagen, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. Nickend ließ ich mich langsam vom Rücken des Pferdes gleiten. Nachdem das Tier versorgt in seiner Box stand, machten wir uns schweigend auf den Heimweg.


9. Tabal

„Jennifer ? Hier ist Nati, kennst du mich noch?“, meldete ich mich am Telefon.
„Hey, dich gibt es ja doch noch, große Cousine ! Wie geht’s dir?“, fragte sie aufgeregt. Genau deshalb habe ich bei meiner 12-jährigen Cousine angerufen: Sie war nicht nachtragend, hatte mich schon immer bewundert. „Gut und dir ?“, erwiderte ich. „Auch gut. Aber du hast sicher einen guten Grund hier anzurufen, wir haben alle schon ewig nichts mehr von dir gehört!“ Ich druckste herum : „Naja...ja, ich habe einen Grund, es ist sehr wichtig. Ich weiß, das kommt jetzt wahrscheinlich blöd, aber könntest du mir einen Gefallen tun?“ „Ähm, klar, was gibt’s ?“ „Also, es geht um folgendes...“ So erzählte ich ihr die Geschichte von Anfang an. Als ich geendet hatte, erklärte Jennifer sich einverstanden. „Ok, ich kümmere mich darum. Den Ferienhof kenne ich , da lässt sich bestimmt was machen.“ „Danke!“, atmete ich erleichtert auf. „Und Jennifer?“, fing ich noch einmal an. „Ja?“ „Bitte sag niemandem, dass ich angerufen habe. Ich weiß, irgendwann muss es sein, aber ich würde das gerne selbst tun, ich weiß nur noch nicht genau wie...“ „Geht klar“, meinte meine Cousine, und ich meinte,ich hätte ein Lächeln herausgehört.
Nur zwei Tage später rief Jennifer wieder an und sagte, sie hätte Tabal gefunden, wir könnten am nächsten Tag vorbeikommen und nach ihm sehen. Nachdem wir das geklärt hatten, bedankte ich mich bei ihr und überbrachte meinen Freundinnen die gute Nachricht. Selbstverständlich waren sie ganz aus dem Häuschen. „Aber morgen ist doch Freitag, da haben wir Schule“, gab Lena zögerlich zu bedenken. „Willst du Tabal nun wieder, oder nicht ? Vielleicht ist das unsere einzigste Chance!“, entgegnete ihre Zwillingsschwester. Lena gab klein bei: „Na gut, wenn ihr meint...“ „Und wie kommen wir dahin? Schätzungsweise werden unsere Eltern uns nicht beim Schwänzen helfen, oder ?!“, meinte Miriam.


Dann mal los...“, meinte ich wenig begeistert. Hier gab es zwei große Gebäude mit zig Ställen darin. Ein Unterschied wie Tag und Nacht: Das Linke sah reichlich mitgenommen, dunkel und verschmutzt aus, das Rechte hingegen war geräumiger, und sah aus, als wäre es gerade erst neu angestrichen worden. Wir entschieden uns dafür, zuerst das Rechte zu 'besichtigen'. Es sah einfach nicht so..naja...erbärmlich aus wie das andere.
Es war atemberaubend! Auf der linken wie der rechten Seite der Stallgasse befanden sich je fünfzehn Boxen, die Gasse selbst war komplett sauber. Als wir von den Bewohnern der Ställe bemerkt wurden, streckten einige von ihnen die Köpfe aus ihren Boxen, die Ohren neugierig nach vorne gerichtet. Sie begrüßten uns wiehernd und stubsten uns freundlich an, während wir von Pferd zu Pferd schlenderten. Doch dort fanden wir nicht wonach wir suchten.
„Leute, ich fürchte wir müssen in den anderen Stall“, stellte Miriam fest. Also verließen wir den hellen, gepflegten Stall und begaben uns in das 'Kaff' nebenan.
Wir standen davor und rümpften angewidert die Nasen. „Gott, das stinkt ja fürchterlich! Ich will da nicht rein!“, beklagte ich mich. „Kneifen gilt nicht, jetzt sind wir schon so weit gekommen, da ziehen wir das auch durch!“, bestimmte Anja und zog mich hinter sich her, in das Grauen hinein. Und ich sollte recht behalten: Es stank, war feucht, schmutzig, dunkel und die Tiere standen eingeengt und teilweise verängstigt in ihren Boxen. Miriam sah so aus als würde sie gleich schreiend flüchten, genau wie die anderen. Nur ich war plötzlich fest entschlossen. Ich pfiff und wie erwartet, schoss Tabals Kopf hervor. Er rief uns entgegen, klopfte mit den Hufen gegen die Wand und drehte sich aufgeregt im Kreis. Leise summend ging ich auf ihn zu, öffnete die Tür und trat zu ihm ein. Augenblicklich verharrte er auf der Stelle und reckte seinen Hals. Beruhigend sprach ich auf ihn ein: „Na mein Großer? Du bist ganz schön mager geworden. Aber keine Sorge. Wir holen dich hier raus.“ Meine Hand auf seiner Stirn, fing er an, sich zu entspannen und schloss leise schnaubend die Augen. Inzwischen standen Miri, Francesca und die Zwillinge in der offenen Tür und beobachteten uns. „Na los, Lenchen, Anja, jetzt seid ihr dran!“, meinte ich aufmunternd. Ein Strahlen erleuchtete ihre Gesichter, als sie mich ablösten. Ich gesellte mich zu den beiden anderen und sah stumm zu, wie das Pony an den Jacken der beiden Mädchen knabberte. Ein leises Seufzen entfuhr mir, doch meine zwei besten Freundinnen bemerkten es natürlich. Sie wussten, an was ich gerade denken musste. Verständnisvoll strich Franzi mir über den Arm.
Plötzlich hörten wir Stimmen direkt auf uns zukommen. Und schon standen zwei große Männer vor uns, ich schätzte sie auf Mitte vierzig. Entsetzt starrten sie uns an, bevor ein wütender Ausdruck auf ihren Gesichtern lag. „Was tut ihr hier?! So viel ich weiß, erwarten wir keine Neuen und ich habe euch hier noch nie gesehen! Ihr habt hier nichts verloren! Und jetzt raus, aber schnell!“, keifte einer der beiden. Eingeschüchtert schlichen wir uns an ihnen vorbei ins Freie. „Was war DAS denn bitte?!“, brach Franzi das Schweigen. In dem Moment sahen wir ein junges Mädchen in zerschlissenen Reithosen und Gummistiefeln über den Hof laufen.
„Hey, warte bitte!“, rief ich und trabte hinter ihr her, meine Freunde im Schlepptau.
Verunsichert blieb sie stehen und sah mich an. „Reitest du hier?“, fing ich an. „Ähm...ja, wieso?“ Ich entschied mich für eine Notlüge: „Naja, wir sind neu hier und haben da ein paar Fragen. Zum Beispiel, was es mit den beiden Stallgebäuden auf sich hat.“ Zögernd begann sie zu erzählen: „ Habt ihr die Ställe schon von innen gesehen?“ Alle nickten wir. „ Also: Der schöne Stall ist nur für die Privatpferde, die von diesen reichen Schnöseln. Im anderen stehen die Schulpferde des Hofes. Auf denen reiten wir dann. Aber ich muss jetzt wirklich los, wenn ich schon wieder zu spät komme, gibt's richtig Ärger! Tschüss!“ Damit verschwand sie in Richtung Reitplatz. Verdattert standen wir da und sahen uns an. Gerade als Lena den Mund öffnete, hörten wir ein Quieken aus dem Privatstall. Doch es kam nicht von einem Tier, keineswegs. Eine fluchende, blonde, gertenschlanke Frau komplett in weiß, stöckelte fluchend aus dem Stall. Hinter ihr kam ein ebenfalls blondes Mädchen mit einem wunderschönem Schimmel heraus. Ich musste kichern. „Schaut mal, da kommt Diva mit Barbie auf ihrem Prinzessinnenpferd!“, raunte ich. Auch die anderen begannen zu lachen.
„Sag mal, wie spät ist es eigentlich?“, fragte Miri, die sich vor Lachen immer noch den Bauch hielt. Nach Luft japsend zückte ich mein Handy. „Verdammt! Der nächste Bus kommt in drei Minuten!“ Erschrocken blickten wir uns an, bevor wir alle loshetzten.

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Tag der Veröffentlichung: 19.06.2010

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