2. KAPITEL
Ich glaub, ich muss kotzen
Verzweifelt seine Trainingstasche suchend, irrt Marco durchs Haus. Von der Küche in den Keller, vom Schlafzimmer ins Gästezimmer, vom Kinderzimmer in die Abstellkammer – nichts zu finden.
»Mann, Schatz, wo zum Teufel ist denn meine Tasche? Heute geht doch das Training wieder los und du weißt, Wolle hasst Unpünktlichkeit.«
Steffi, die im Jogginganzug auf dem Sofa sitzt und Sascha füttert, spielt die Ahnungslose.
»Die habe ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen, aber guck doch mal draußen im Schuppen!«
Auf dem Weg zum Schuppen beschleicht Marco eine dunkle Erinnerung: Nach der Saisonabschlussfeier hat er, sternhagelvoll wie er war, die Tasche hinter die Tischtennisplatte gestellt – leider ist das schon mehr als fünf Wochen her. Marco ahnt
Schlimmes. Der obligatorische Streit mit Steffi, dem er wegen der furchtbar stinkenden Klamotten damals aus dem Weg gehen wollte, steht ihm nun um ein Vielfaches heftiger bevor.
Vorsichtig kramt Marco die Tasche hinter der Tischtennisplatte hervor und öffnet ängstlich den Reißverschluss. Seine schlimmsten Erwartungen werden noch übertroffen: Die Schuhe riechen bestialisch, das Duschgel ist komplett ausgelaufen, die Schienbeinschoner sind total verdreckt, das Handtuch zeigt erste Anzeichen von Schimmel und aus der Seitentasche kommen kleine Fliegen gekrabbelt. Scheiße, die Banane! So ein Albtraum!,
schießt es ihm durch den Kopf. Panisch fasst Marco einen Entschluss und versenkt die Sporttasche samt Inhalt in der Mülltonne.
Leise schleicht er die Treppen hoch und verschanzt sich im Schlafzimmer. Dort kramt er nervös Steffis rote Aerobictasche aus ihrer Seite vom Schrank und fängt an, fürs Training zu packen.
Frische Unterhose und Socken, sein komplettes Werder-Bremen- Trainingsoutfit, die Ersatzschuhe, Handtuch, Kulturtasche, Badelatschen – nur die Schienbeinschützer fehlen, die mussten ja leider in die Tonne. Was soll´s? Dann fahr ich vor dem Training noch kurz bei Hafer-Sport vorbei und kauf mir neue. Siggi macht mir bestimmt einen guten Preis
, denkt er sich. Von seiner Frau unbemerkt schafft er es aus dem Haus. Doch zu früh gefreut: Steffi, die gerade den Müll weggebracht hat, wartet mit Marcos heimlich entsorgter Sporttasche vor dem Auto.
»Kannst du mir das mal bitte erklären?«, will sie von ihrem Mann wissen.
Als sie erkennt, dass Marco ihre neue Aerobictasche geschultert hat, wird sie zur Furie.
»Ich glaube, du tickst nicht mehr ganz sauber! Du bist ein richtiges Dreckschwein! Hast du gedacht, ich merke das nicht? Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Deine Tasche verschimmeln lassen und jetzt auch noch meine einsauen, jetzt schlägt‘s ja wohl dreizehn!«
Genervt und unter Zeitdruck schiebt Marco Steffi beiseite, pfeffert ihre Tasche auf den Beifahrersitz, steigt ins Auto und ruft ihr aus dem heruntergekurbelten Fenster zu: »Jetzt krieg
dich mal wieder ein und zick hier nicht so rum. Ich kauf dir bei Siggi eine neue Tasche, wir haben‘s ja so dicke!«
Wütend braust er davon und lässt eine fassungslose Steffi zurück.
Mit zehn Minuten Verspätung trifft Marco am Platz ein. Dort findet er allerdings nur noch Platzwart Toni vor.
»Na Marco, auch schon da? Die anderen sind längst zur Sandkuhle. Gib mal Gas!«, heizt der Portugiese den Nachzügler an.
Hastig zieht Marco seine Trainingsklamotten an und joggt zur Sandkuhle. Dort trifft er eine keuchende und nach Luft schnappende Mannschaft an, die gerade bei 32 Grad im Schatten fünf Mal die Sandkuhle hoch und runter gerannt ist und sich jetzt um Wolle versammelt hat.
»Gut so, Jungs, das waren die ersten fünf. Die 20 machen wir heute voll«, nimmt der Trainer sein Team ins Gebet. In diesem Moment erblicken einige der Spieler den heraneilenden Marco, was die Stimmung deutlich verbessert.
Natürlich ist es Steven, der den ersten Spruch Richtung Marco abfeuert: »Na Papi, kaum ist die Binde weg, schon ist es vorbei mit der Pünktlichkeit.«
Oliver Joost setzt nach: »Herrlich, Marco, da greift ja gleich der Strafenkatalog, ‘ne Viertelstunde zu spät, ich hoffe, du hast
die zehn Euro gleich dabei.«
Rui treibt das Ganze auf die Spitze: »Marco, du Stecher. Bist du wieder nicht rechtzeitig von deiner Alten runter gekommen?«
Marco stellt auf Durchzug und wendet sich direkt an seinen Coach.
»Sorry, Wolle. Stress zu Hause. Weißt ja, wie das ist. Wie auch immer, ich mach mich erst mal warm.«
Aber Wolle ist in Fahrt, immerhin ist es das erste Training seit sechs Wochen.
»Nix da, Marco. Reih dich mal gleich schön ein. Fünfzehn Durchgänge habt ihr noch vor euch.«
Die Spieler stellen sich wieder in zwei Reihen nebeneinander auf. Auf Wolles Kommando kämpfen sie sich die Steigung hoch, immer und immer wieder. Nach dem zehnten Durchgang, als Wolle seiner 1. Herren eine kleine Verschnaufpause gönnt, platzt dem frischgebackenen Kapitän Steven der Kragen. »Alter, Wolle, meinst du nicht, das reicht jetzt? Heute ist das erste Training nach der Sommerpause, da ist eigentlich immer nur ein lockeres Spielchen angesagt, und du quälst uns hier bei gleißender
Sonne den Berg hoch. Scheiße, wir schwitzen alle wie die Schweine und Holger hat nicht mal die Trinkflaschen mit.«
Ein Großteil der Mannschaft hängt schon arg in den Seilen und hat nicht einmal mehr die Puste, Steven beizupflichten.
Nur Maddin ist noch richtig fit: »Jetzt kackt mal nicht ab, ihr Flachpfeifen, wir können da ja wohl noch zehnmal hoch wetzen, oder was? Wie wollt ihr denn 90 Minuten Gas geben?«
Das ruft wütende Proteste auf den Plan und selbst Wolle muss sich eingestehen, dass er zu diesem Zeitpunkt der Vorbereitung etwas zu viel von seiner Mannschaft verlangt.
»Na gut, Männer, dann noch dreimal hoch, aber ordentlich. Maddin, du kannst danach ja noch fünf dranhängen, mit Marco zusammen, der muss eh nachsitzen. Also, aufstellen und ab.«
Für Rui, der sich in den letzen Minuten verdächtig ruhig verhalten hat, ist mitten im zwölften Durchgang Feierabend. Auf halber Strecke sinkt er auf die Knie und stammelt: »Ich glaube, ich muss kotzen. Wolle, ich hab einen Sonnenstich.«
Aus voller Kehle kotzt der kleine Portugiese in den Sand und wischt sich den Mund an seinem Benfica-Lissabon-Trikot ab. Etwas übereifrig und zu sehr aus der Puste, um selbst einzugreifen, japst Marco seinem Co-Trainer zu: »Mann Holle, Rui dehydriert uns hier. Geh doch mal hin da!«
Bevor Holger überhaupt kapiert, was Marco ihm eigentlich sagen will, ist Rui schon wieder auf dem Weg nach unten. Großkotzig spielt der Portugiese seinen Zusammenbruch runter:
»Sorry, Wolle! Ich habe mir vor dem Training noch schnell einen Döner reingezogen. Du weißt ja, normalerweise sind die zwanzig Sprints da hoch für mich kein Ding.«
Wolle verdreht die Augen. »Schon klar, Rui. So, wie die zwanzig Hütten, die du letzte Saison machen wolltest, auch kein Ding für dich waren.«
Die Spieler joggen für einen Abschlusskick zurück zum Platz, nur Holger, Marco, Maddin und Oli bleiben noch in der Kuhle.
Der Torwart der TuS, der Fitteste im Team, beteiligt sich freiwillig an der kleinen Extraeinheit. Als auch die Vier wieder an der Hafer Kampfbahn eintreffen, baut der Rest der Truppe bereits die Tore ab.
In den nächsten beiden Wochen erhöht Wolfgang das Trainingspensum stetig und bringt die 1. Herren langsam, aber sicher auf ein konditionell gutes Level.
Beim Training nach dem ersten Testspiel kommt es zum vorläufigen Höhepunkt der Vorbereitung. Der Lieblingsgegner aus Graupenhausen wird mit einem überzeugenden 6:0 nach Hause geschickt. Mit einem frühen Doppelpack eröffnet Steven den Torregen. Noch vor der Pause gelingen Rui ebenfalls zwei Buden.
Bevor Steven per Strafstoß zum Endstand einnetzt, sorgt Flügelflitzer Maddin für das Highlight des Tages: Wie einst Mario Basler zirkelt er einen Eckball direkt in den Kasten der Graupen- hausener.
Die Spieler sind sich sicher, dass Wolle nach dieser souveränen Vorstellung die Zügel etwas schleifen lässt – doch sie haben die Rechnung ohne ihren Trainer gemacht. An einem Mittwoch, an dem das Thermometer erneut über die Dreißiggradmarke
klettert, schwört er seine Mannschaft bei der zweiten Einheit in der Sandkuhle ein: »Jungs, eure Leistung am Sonntag war schon recht ansehnlich. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel. Wenn wir jetzt noch ‘ne Schippe drauflegen, dann wird das eine Bombensaison!«
Von der Sandkuhle zurück, treibt Wolle seine Mannen auf dem Platz an ihre Grenzen.
»Holle, hol schon mal zwei Medizinbälle aus dem Container. Der Rest läuft bis dahin drei schnelle Runden. Ich will niemanden quatschen hören! Die Luft braucht ihr heute noch.«
Während der zweiten Runde haben sich gerade die Mädels der Vereinstanzgruppe HaferDance vor der angrenzenden Turnhalle versammelt. Steven nutzt die Gunst der Stunde und verwickelt Neuzugang Daniel gleich mal in ein Gespräch, um ihn abzuchecken: »Guck mal, die geilen Schnallen da drüben. Die Blonde ist meine, aber den Rest kannst du haben. Nur bei der Brünetten wäre ich an deiner Stelle vorsichtig. Das ist Raquel, die Tochter vom Platzwart. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen.«
Daniel ist von Stevens Coolness beeindruckt und pflichtet ihm bei: »Hast Recht, da sind echt ein paar pralle Chicks dabei.«
»Warte mal ab bis Stevens Mutter kommt. Die leitet die Tanz- gruppe. Das ist die Geilste von allen. Die würde ich gerne mal knattern«, mischt sich Rui ein, der das Gespräch der beiden mit einem Ohr mitbekommen hat. Daniel ist von Ruis Aussage
schockiert, doch Steven ist von dem Portugiesen nichts anderes gewohnt.
»Halt die Fresse, Rui! Du bist so widerlich.«
Als die Jungs auf Höhe der Turnhalle sind, winkt Steven Julia zu. Doch außer Stevens blonder Freundin fühlt sich auch die rassige Portugiesin Raquel angesprochen und so winken beide zurück. Aus dem Augenwinkel sieht Steven gerade noch, wie Juli Raquel einen bitterbösen Blick zuwirft. Was Steven nicht mehr mitbekommt, ist der Spruch, den Raquel von Juli zu hören bekommt.
»Lass die Finger von meinem Freund. Steven gehört
mir. Merk dir das endlich!«
Die bildhübsche Portugiesin bleibt jedoch völlig entspannt.
»Wieso? Musst du dir Sorgen machen? Läuft es nicht so gut bei euch?«
Trainerin Martina unterbricht die Eifersüchteleien und bittet zum Tanz.
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Texte: Piepmatz Verlag
ISBN: 978-3942786034
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2011
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