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Der Gabentisch



Nicole Schröter



Ich sitze vor dem kleinen Holztischchen. Es ist ein Klapptischchen und hat links und rechts ein Seitenelement zum Ausklappen. Eigentlich ist so ein Klapptischchen dazu gedacht, ein liebevoll zubereitetes Frühstück ans Bett serviert zu bekommen. Vielleicht, weil man krank ist, oder auch einfach nur so, weil Sonntag ist und man geliebt wird.
Bei uns dagegen war er von Anfang an ein Geburtstagstisch. Und dazu gab es noch eine kleine geblümte Decke.
Es ist mein dreiundfünfzigster Geburtstag.
Ich stehe auf und gehe ins Schlafzimmer, um nach dem verblichenen geblümten Deckchen zu suchen. Im Wäscheschrank finde ich es. Unter den Bettlaken, rechts, da lag es schon immer.
So wussten auch die jüngsten Familienmitglieder, wo sie die Utensilien zum Aufbau unseres Gabentisches finden konnten.
Ich lege die Decke auf das Tischchen. Über Eck, so haben wir sie immer gelegt. In die Mitte eine Kerze.
Irgendwo stand immer eine Kerze herum. Die wurde dann genommen. Sie musste ja nur kurz brennen. Mein Geburtstags- tisch ist fertig.
Damals als Jan noch ein Baby war, da musste ich ihn einmal selbst für mich aufstellen. Und damals blieb er genauso leer wie heute. Nur gab es damals den kleinen Jan in meinen Armen, der mir mehr Wert
war als alle Geschenke der Welt.
Danach hatte jedes Jahr etwas neben der Kerze gelegen: ein selbst gemaltes Bild oder später die ersten Bastelarbeiten. Als Lotta zur Welt kam war Jan es gewesen, der ihr heimlich zeigte, wie man bei uns einen Geburtstagstisch gestaltet.
Von nun an bekam ich auch schon mal zwei Bilder oder ein Bild und eine Bastelarbeit. Später bekam ich dann auch schon mal zwei Bastelarbeiten.
Ich zünde die Kerze an und gucke mich an der Flamme fest.
In den ersten Jahren zündete ich meine Kerze selbst an, um sie schon wenige Minuten später wieder auszupusten. Jan sollte sich schließlich nicht verbrennen, an einem Tag wie diesem erst recht nicht.
Später zündeten wir sie dann gemeinsam an: Er hielt das Feuerzeug und ich ließ es aufflammen.
Als Jan schon in die Schule ging, durfte er sie zum ersten Mal selbst anzünden. Er war ja so stolz gewesen.
Als auch Lotta älter wurde, war Jan es, der ihr zeigte, wo sie das Feuerzeug mit festhalten konnte. Bis Jan allerdings die Zeit für gekommen hielt, dass auch Lotta die Kerze allein anzünden durfte, sollten noch einige Jahre vergehen. Bis dahin behielt er das Monopol.
Kerzen anzünden fiel für ihn in die Kategorie Männerarbeit, da es sich um eine sehr gefährliche und verantwortungsvolle Tätigkeit handelte.
Ich betrachte den leeren Tisch mit der kleinen Kerze.
An meinen Geburtstagen wirkte der Tisch schon immer übermäßig groß, während er an Jans oder Lottas Geburtstagen kaum mehr zu sehen war, so viele Geschenke mussten wir noch drum herum drapieren, weil obendrauf kein Platz mehr war.
Manchmal stand noch eine einzelne Blume neben meiner Kerze.
Wenn der Opa mit den Kindern zum Blumenladen ging, wo sie mir eine Blume aussuchen durften.
Ich stehe auf, gehe eine Vase aus der Küche holen und trete auf den Balkon hinaus, pflücke mir eine Blüte ab. Ich befülle die Vase mit Wasser und stecke die Blume hinein, stelle sie auf meinen Geburtstagstisch.
Lotta mochte Blumen so gern. Zu ihren Geburtstagen besorgten Jan und ich regelmäßig einen großen Strauß. Wir pflückten ihn auf einer Wiese. Wir machten einen richtigen Wettbewerb daraus.
Vor zwei Jahren hat Lotta geheiratet.
Nach dem Studium hatte sie sich für den Mann entschieden, der ihr die schönsten Blumen schenkte. Nun hat Lotta einen Mann, eine Tochter und viel Arbeit.
Jan schenkte mir, als er älter wurde, oft ein Buch. Er wusste, dass ich Bücher mag. Doch nun lebt Jan in Kanada. Ein Buch zu schicken, würde sich nicht lohnen.
Ich sitze vor meinem kleinen, klappbaren Geburtstagstisch.
Er sieht alt und mitgenommen aus, aber sein Anblick, jeder seiner Kratzer und Dellen, schenkt mir ein Stück Erinnerung.
Eine Träne löst sich aus meinem rechten Augenwinkel. Ich wische sie weg.
Es klingelt. Der Postbote bringt mir ein Paket. Ich packe es aus: zwei Bücher, eine Musik-CD, eine Bluse für den Sommer.
Ich freue mich über die schönen Dinge, die ich mir im Internet ausgesucht habe, und ordne sie kunstvoll auf meinem Geburtstagstisch an.
Es klingelt wieder. Meine Freundin Anja kommt strahlend die Treppe herauf. In der linken Hand schwenkt sie einen Briefumschlag. Auf der rechten Hand balanciert sie einen Kuchen.
»Hallo Geburtstagskind!«, ruft sie. »Gib zu, du hast geglaubt, keiner hätte heute an dich gedacht! Ist der Kaffee noch nicht fertig?«
Sie stellt den Kuchen auf die Anrichte, umarmt mich und reicht mir den Briefumschlag.
»So, erst mal essen wir jetzt ein großes Stück Kuchen. Und übermorgen, da werden wir zwei zu unserem allerersten Wellness-Wochenende aufbrechen. Wir haben schließlich lange genug darauf gewartet.
Aber nun ist die Zeit reif, dass wir uns auch mal etwas Gutes tun!«


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Texte: piepmatz Verlag ISBN: 978-3942786003
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2011

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