Vom Kind, das auf den Mond wollte und auf einen Stern fiel
Ein Märchen für Kinder und Erwachsene
Barbara Avato
Es war einmal ein kleines Mädchen, das den ebenso seltenen wie schönen Namen Celestina trug und dessen größter Wunsch es war, auf den Mond zu gelangen. Wenn es nur gewusst hätte, wie.
»Der Mond ist mein bester Freund«, pflegte Celestina zu sagen, und jedes Mal, wenn sie es sagte und dabei sehnsüchtig gen Himmel blickte, spürte sie förmlich, wie der Mond sich freute und wie auch er sie gern hatte. Eines Tages hörte sie ihn gar ihren Namen rufen: »Celestina! Celestina! Celestina!«
Dreimal rief sie der Mond. Dann raunte er ihr zu: »Komm herauf zu mir. Siehst du die Himmelsleiter dort drüben? Hab Mut und besteige sie!«
Ganz deutlich hatte Celestina die Worte vernommen. Allein die Himmelsleiter konnte sie nirgends entdecken. Sie mochte ihre Augen anstrengen wie sie wollte und sich noch so oft nach allen Richtungen drehen und wenden, es war alles vergeblich.
Deshalb fragte Celestina fortan jeden, dem sie begegnete, ob er wisse, wo die Leiter steht, die in den Himmel führt.
»Träum nur Kind, solange du noch träumen kannst«, meinte der Erste nachsichtig lächelnd. Die Wirklichkeit würde Celestina schon noch früh genug einholen, dachte er wehmütig und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge.
»Himmelsleitern gibt es nicht«, sagte der Zweite entschieden, »Je früher du zu phantasieren aufhörst, desto besser«, belehrte er sie, und der Dritte fügte hinzu: »Am besten ist es, du fängst erst gar nicht damit an.«
Ein weiterer murmelte nur ärgerlich etwas von einem dummen Ding
und ging seines Weges, ohne das Mädchen auch nur eines Blickes zu würdigen. Eine wirkliche Antwort bekam es von keinem.
Celestina ließ sich indes nicht beirren.
»Wenn es die Leute hier nicht wissen, versuche ich mein Glück eben anderswo«, verkündete sie und lud ihre Freundinnen ein, mit ihr zu ziehen, die Himmelsleiter zu suchen. Aber die eine entgegnete, sie habe so viele Spielsachen, die sie unmöglich alle mitnehmen könne, und da sie sie auch nicht einfach zurücklassen wolle, bleibe sie lieber, wo sie sei. Die andere hätte gern Genaueres gewusst, und weil Celestina es ihr nicht sagen konnte, schlussfolgerte sie, dass das Abenteuer sich wahrscheinlich gar nicht lohne. Die nächste fand Himmelsleitern so oder so langweilig, und die übernächste vermochte an nichts anderes zu denken, als an den blauen Prinzen.
»Er wird bestimmt bald ins Städtchen kommen«, schwärmte sie und kicherte ein wenig, »Wenn ich ihn habe, brauche ich sonst nichts mehr.«
Blaue Prinzen aber interessierten wiederum Celestina nicht, und nachdem sie von den Mädchen keines für ihr Vorhaben hatte gewinnen können, wandte sie sich an die Jungen, bei denen es ihr allerdings nicht besser erging. Der erste winkte schon ab, ehe Celestina zu Ende gesprochen hatte. Er wolle zunächst studieren und ein gelehrter Mann werden, prahlte er und ohne Doktorhut, das habe er sich geschworen, gehe er nirgendwo hin. Der zweite hatte gerade angefangen, viel Geld zu verdienen, damit wollte er erst einmal ein Haus bauen und dann weitersehen.
Der dritte konnte sich einfach nicht entscheiden, der vierte hatte dies vor, der fünfte jenes und so weiter. So geschah es, dass Celestina sich schließlich allein auf den Weg machte.
Wo sie auch hinkam, hörte Celestina niemals auf, sich bei allen und jedem nach der Himmelsleiter zu erkundigen. Sie fragte sowohl die Menschen, als auch die Tiere, die des Festlandes ebenso wie die durch die Lüfte fliegenden, ja nicht einmal die Fische im Wasser ließ sie aus. Aber niemand konnte ihr helfen. Endlich gelangte sie zu einer weisen Frau. Diese stützte den Kopf in die Hände, schloss die Augen und dachte lange nach. Als sie nach geraumer Zeit zu sprechen begann, klang ihre Stimme wie von weit her. Das Wissen um die Himmelsleiter, sagte sie, sei schon längst verloren gegangen. Einer ihrer Ahnen sei der letzte gewesen, der die Stelle kannte, an der die Leiter steht. Auch dass es überaus beschwerlich und anstrengend, ja äußerst mühselig und peinvoll sei, sie zu besteigen, habe er gewusst, weshalb bald immer weniger Menschen bereit gewesen seien, es zu versuchen und das Interesse für die Himmelsleiter immer mehr geschwunden sei.
»Bis kam, was kommen musste, und die Menschen zuerst vergaßen, wo sie steht und dann auch noch zu zweifeln begannen, ob es sie überhaupt gibt«, schloss die Frau und setzte hinzu:
»Aber dass es sie gibt, mein Kind, das kann ich dir versichern.«
Versprachen die Worte der Alten auch nicht gerade viel, schöpfte Celestina doch neue Hoffnung daraus und setzte ihre Suche fort, bis sie eines Tages für ihre Geduld und Ausdauer belohnt wurde und sich unversehens am Fuße einer hohen Leiter befand, deren Sprossen sich in den Wolken verloren. Froh, die Himmelsleiter endlich gefunden zu haben, beschloss sie, unverzüglich mit dem Aufstieg zu beginnen. Aber leider ließen die unsäglichen Schwierigkeiten, von denen die weise Frau gesprochen hatte, nicht auf sich warten, denn es wollte und wollte Celestina nicht gelingen, auch nur einen Fuß auf die erste Sprosse der Leiter zu setzen, geschweige denn, einen festen Stand darauf zu erreichen. Wie auch immer sie es anstellte, trat sie doch jedes Mal auf unerklärliche Weise ins Leere. Völlig außer Atem und am Ende ihrer Kräfte war sie bereits nahe daran, aufzugeben, wagte dann aber doch noch einen Versuch – und siehe da, mit einem Male vermochte sie, die Leiter mit den Zehenspitzen zu erspüren, zuerst ganz zaghaft und dann mit wachsender Sicherheit, um wenig später mit beiden Beinen auf der ersten Sprosse zum Stehen zu kommen. Erschöpft, aber glücklich rastete sie ein Weilchen und setzte, nachdem sie sich etwas erholt hatte, erneut an, um nunmehr die zweite Sprosse zu erklimmen. Wieder wollte sie beinahe verzweifeln, und wieder kam sie erst, als sie es schon nicht mehr erwartete, ans Ziel. Es dauerte lange, ehe Celestina herausfand, wie sie vorzugehen hatte, dann aber war es soweit, dass sie die riesige Himmelsleiter Sprosse um Sprosse hinaufklettern konnte. Anfangs kam sie nur langsam vorwärts, mit der Zeit aber ging es immer zügiger und immer müheloser, weiter und weiter hinauf in schwindelnde Höhen. Nach unten wagte sie schon bald nicht mehr zu blicken, aber von oben her leuchtete ihr der Mond unablässig Mut zu, und das war gut so.
Sie verlor auch nicht den Mut, schließlich aber doch das Gleichgewicht.
Sie strauchelte und glitt aus, fand keinen Halt mehr und fiel bewusstlos seitab. Es war aber alles nicht so schlimm, denn ihr Schutzengel stand schon bereit, fing sie mit seinen starken Armen auf und legte sie sanft auf einen Stern.
Als Celestina wieder zu sich kam, beschattete sie ihre Augen mit der Hand, um die Entfernung abzuschätzen, die sie noch immer vom Ziel ihrer Sehnsucht trennte, und um voller Genugtuung festzustellen, dass sie ihm ein Stück näher gekommen war. Kein allzu großes zwar, aber immerhin.
»Sieh dich nur um«, lächelte der Mond, »Gut getroffen hast du es allemal.«
Nur zu gern gab Celestina ihrem Freund Recht und begann auch sogleich, sich häuslich auf ihrem Stern einzurichten. Sie bereitete sich ein weiches Lager aus Sternenmoos, schmückte die sie umgebenden Himmelsräume mit Kränzen, die sie aus Stern- blumen verwob und hängte überall, wo es möglich war, die hübschesten Sternbilder auf. Als sie alles nach ihrem Geschmack und zu ihrer Zufriedenheit ausgestattet hatte, badete sie, wann immer ihr danach war, im Sternenmeer, sonnte sich im Sternen- glanz oder traf das Sterntalermädchen und unternahm die herrlichsten Sternfahrten mit ihm. Manchmal spielte sie auch mit den Wolkenschäfchen, führte den kleinen Hund an der Leine spazieren oder zähmte den großen Bären, den sie allerlei Kunststücke lehrte und – sehr zur Freude der anderen Himmels- bewohner – vorführen ließ. Ein Englein brachte ihr jeden Tag ein Schälchen Götterspeise mit Vanillesoße zum Mittagessen und einen Paradiesapfel als Nachtisch. Als Getränk erhielt sie stets reichlich reinen Himmelstau und sonntags soviel frische Milch von der Milchstraße wie ihr Herz begehrte.
Und während ihre Kameradinnen und Kameraden drunten auf der Erde weiterhin Spielzeug sammelten, in Gelehrsamkeit sich übten, Geld verdienten, Häuser bauten oder auf blaue Prinzen warteten, besuchte Celestina unverhofft wirklich und wahrhaftig ein Prinz. Ein sehr berühmter sogar, denn es war der kleine Prinz mit den goldenen Haaren, der einmal vom Himmel gefallen war und den seither jeder kennt. Er erzählte Celestina von der Blume, die er liebte, vom Fuchs, der gesagt hatte, dass man nur mit dem Herzen gut sehe, weil das Wesentliche für die Augen unsichtbar sei und vieles mehr. Niemals wurde Celestina müde, dem kleinen Prinzen zuzuhören, und war der Abstand, der sie vom Mond trennte, auch immer noch sehr groß, fand sie das Leben auf ihrem Stern doch so wunder-wunderschön, dass sie sich kaum ein schöneres vorstellen konnte.
Bei all ihrem Wohlsein aber vergaß Celestina doch ihre früheren Freundinnen und Freunde nicht. Sie winkte ihnen, wann immer sie sie sah, rief sie beim Namen oder warf ihnen Sternschnuppen zu, damit sie sich etwas wünschen konnten, und ebenso wie sie diejenigen betrübten, die weder hörten noch sahen, weil sie niemals aufblickten, nie und nimmer vom Fleck sich rührten, freute sie sich über alle, die ihre Zeichen wahrnahmen oder gar ihren Gruß erwiderten. Denjenigen schließlich, die eines Tages doch noch bei der Himmelsleiter anlangten, half sie, so gut sie konnte, beim Hinaufsteigen, und zog sie, wenn sie ins Wanken geraten waren, zu sich auf ihren Stern, versetzte ihnen einen gezielten Schubs, sodass sie, anstatt in die Tiefe zu stürzen, auf einem benachbarten Stern landeten, oder stand ihnen auf sonst eine Weise zur Seite. Gerettete und Schutzengel dankten es ihr gleichermaßen, und bald verbreitete sich die Kunde von Celestinas segensreichem Wirken im gesamten Weltall.
Freilich gab es auch Menschen, die höher kamen als Celestina gekommen war, und natürlich erwachte, nachdem einige Jahre verstrichen waren, auch in Celestina das Verlangen, noch mehr Sprossen der Himmelsleiter zu bezwingen. Sie gab diesem Wunsch auch immer wieder nach und kam, obwohl sie jedes Mal von neuem zahllose Schwierigkeiten zu überwinden und viele Rückschläge hinzunehmen hatte, letzten Endes nicht nur ein ganzes Stück weiter, sondern lernte auf ihrem Weg nach oben auch noch viele andere Sterne kennen, von denen der eine immer schöner war als der andere. Und irgendwann, so heißt es, soll der Mond sich zu ihr hinübergebeugt, ihr die Hand gereicht und sie ganz zu sich hinaufgezogen haben.
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Pate gestanden für die Geschichte hat das folgende Sprichwort, auf welches man in der englischsprachigen Welt häufig trifft:
»Reach for the moon, land among the stars.«
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Celestina ist auf der Suche nach...
A. einem rießigen Teddybären
B. dem blauen Prinzen
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Texte: piepmatz Verlag
ISBN: 978-3942786027
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2011
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