Wochenende. Mit der Fähre nach Föhr ließen viele das Festland zurück. Insulaner, die nach Hause wollten, Touristen, denen ein Urlaub bevorstand oder auch solche, die einfach einen Ausflug machten. Von der Fähre aus konnte man am Strand buntes Treiben beobachten. Seit der frühen Mittagszeit zeigte der Himmel nach vielen Tagen wieder einmal, dass er auch blau sein konnte und fähig war, den Menschen Sonnenstrahlen zu spenden. Doch gegen Abend erschien am nordwestlichen Horizont wieder eine leichte, braune Wolkendecke. Sie verbreitete sich rasch über das Blau des Himmels. Und dort, wo sich soeben noch Sonnenstrahlen in den Wattpfützen spiegelten, konnte man dunkle Wolkenballen erkennen. Weit aus dem Norden kam ein dumpfes Dröhnen, das beunruhigend zunahm.Wo vor einem Augenblick noch atemlose Stille war, erhob sich am Strand ein wütender, staub-beladener Wind. Es polterten Donnerschläge aus der Nähe, Blitze leuchteten am Horizont auf und große Tropfen platschten auf den Boden.
Glücklicherweise hatten zwei Jungen rechtzeitig eine der Strandbuden erreicht, wo sie Unterschlupf fanden. Sekunden später sah man nichts mehr außer gerade herab strömendes Wasser, vom Blitzlicht grell erfasst und man hörte mächtiges Rauschen, von schmetternden Donnerschlägen übertönt. ,,Was meinst du, wie lange wir hier noch ausharren müssen?“, fragte Pat seinen älteren Freund. „Meine Eltern warten bestimmt schon auf mich.“ Sven schaute durch ein kleines Fenster, sah aber nichts als Wassermassen, die gegen das Glas schlugen. „Warte noch ein Weilchen, die Wettervorhersage sprach von Schauern, zurzeit können wir unmöglich die Hütte verlassen.“ Mitunter jedoch hörte sich das Rauschen am Strand leiser an, dann wieder kräftiger, aber war das Rauschen nicht auch die ankommende Flut? Jetzt ging auch Pat zum Fenster und konnte einen hellblauen Streifen am Horizont erkennen, seine Konturen so klar wie abgeschnitten. Es schien, als wolle der Himmel darüber das graue Wolkenkleid zerfetzen. Sven und Pat schauten sich gegenseitig an und wussten, dass die Chance gekommen war, den ungemütlichen Unterschlupf zu verlassen und zum Ferienhaus zu gehen.
,,Nanu, ihr seid ja so trocken; wir befürchteten, zwei nasse Lappen vorzufinden“, war die Begrüßung von Svens Mutter, als beide Kinder eintraten. ,,Ja, wir fanden Unterschlupf in einer Strandbude.“ Sven konnte schon wieder Donnerschläge vernehmen, trotz allem war es draußen nicht mehr so bedrohlich wie vorher am Strand; nein, sogar hell, die Sonne bedeckte nun den Himmel mit vielen Gelbtönen, um sich vom Tag zu verabschieden. ,,In der Nacht noch einzelne Gewitter, im Laufe des Tages rasche Wolkenauflösung und Temperaturen bis fünfundzwanzig Grad. Die weiteren Aussichten: In den nächsten Tagen sonnig und sehr warm“, lautete es aus dem Radio. ,,Hurra“, ein Freudenschrei von Pat durchdrang den Raum, ,,endlich können wir einmal länger am Strand bleiben.“ ,,So, Pat, jetzt bringe ich dich heim, damit du gleich schlafen kannst und morgen auch fit bist“, rief Svens Vater und stand schon in der Tür. Gemächlich schlenderten Pat und Harry auf dem Deich entlang und konnten zum Meer schauen. Die graubraune Wattdecke war nun verschwunden, so, als wäre sie nie da gewesen. ,,Ist das nicht schön, Pat?“, fragte Svens Vater Harry. ,,Das Meer kommt und geht ganz regelmäßig. Bei Ebbe geht und bei Flut kommt es. Immer und immer wieder. Du kannst dich darauf verlassen.“ ,,Woher kommt das?“ wollte Pat wissen. ,,Das hat Gott so geschaffen, es hat etwas mit der Anziehungskraft des Mondes zu tun.“ Nun mussten die beiden den Deich verlassen, da Pats Eltern nicht direkt am Strand wohnten. Leider nicht.
Die beiden Familien verbrachten schon einmal ihren Urlaub gemeinsam. Aber diesmal hatten Pats Eltern zu lange mit der Buchung gezögert und somit waren alle Unterkünfte in Strandnähe ausgebucht. Endlich erreichten sie das Ferienhaus. Pats Mutter begrüßte sie herzlich. ,,Na, ihr beiden, habt ihr die regnerische Zeit am Strand verbracht?“ ,,Ja, Mama. Und wir sind überhaupt nicht nass geworden, aber weißt du Mama“, sprudelte es aus Pat, ,,morgen soll ganz tolles Wetter werden.“ ,,Na, dann kommt mal rein.“ Harry wechselte noch ein paar Worte mit Ines und verabschiedete sich dann von ihr.
Am nächsten Morgen wachte Pat munter auf. Es gab frühe Morgenstunden, in denen er gern zwischen Schlafen und Wachen schwebte wie ein Vogel in der Luft mit geschlossenen Augen in einem warmen, sanftem Wind, der ihn durch den offenen Fensterflügel streichelte. Und genau das tat er eine Zeitlang, nachdem die Sonne am Morgen aufgegangen war: er schwebte zwischen Nachtschlaf und Wachzustand und wartete darauf, von seiner Mutter begrüßt zu werden.
Bereits eine Stunde später waren alle am Strand. Die Kinder warfen sich in den Sand und betrachteten das Wasser. Der Strand war sehr flach und bestand aus feinem, fast weißem Sand. ,,Komm, wir bauen eine Sandburg“, rief Sven gleich, als er am Strand angekommen war. ,,Nicht so schnell, mein Junge, erst einmal suchen wir uns einen Liegeplatz, damit ihr auch wisst, wo ihr uns finden könnt, wenn etwas sein sollte. Und ihr Zwei bleibt schön zusammen, sag' das bitte auch Pat“, ermahnte Svens Mutter Caren ihren Sohn. Den letzten Satz musste sie brüllen, da Sven schon auf dem Weg zum Wasser war. Sven überlegte scharf. Man sah es seinem Gesicht an, er hatte große Pläne. ,,Wir können doch noch einen Graben um die Burg herum ziehen und einen Kanal legen, welcher bis ans Meer reicht! Pat, ich brauche deine Hilfe, hole mal bitte noch eine zweite Schaufel.“ Pat rannte zu seinen Eltern, holte eine zweite, lange Plastikschaufel und begann, einen Kanal zu graben, während Sven die Sandburg baute. Puuh, das war ganz schön anstrengend, den Sand wegzuschaufeln. Pat kam dabei enorm ins Schwitzen! Als Sven sein Stöhnen hörte, bot er ihm an, die Rollen zu tauschen. ,,Du baust die Burg weiter und ich werde mich mit den Zuläufen befassen.“ Das ließ Pat sich nicht zwei Mal sagen. Er lief zur Burg und stellte fest, dass er den Sand noch befeuchten musste, damit die Spitze hielt. Mit ein paar Handgriffen war die Arbeit erledigt und Pat machte sich auf die Suche nach einer Burgfahne.Beide schlenderten am Strand entlang und fanden alte Dosen, einen zerfetzten Schuh und viele, viele schöne Muscheln. Sven fand noch einen Ast und hob ihn auf. Plötzlich kitzelte etwas an Pats Fuß: eine Feder, eine grauweiße Vogelfeder, wahrscheinlich von einer Möwe. ,,Au ja, das ist es, das wird unsere Fahne!“ Schnell rannten die Jungen zu ihren Vätern, und vor allem Arthur, der ihnen bisher noch nicht zugeschaut hatte, sollte jetzt ihre Burg begutachten. ,,Schau Papa!“, rief Pat stolz, ,,jetzt müssen wir nur noch einen Graben anlegen, den wir dann an den Kanal anschließen. Und dann wollen wir noch einen Damm bauen, damit das Wasser nicht wieder zurückfließt.“ ,,Dann habt ihr ja noch viel vor, da will ich euch aber nicht stören.“ ,,Komm Papa, jetzt erst recht, du kannst uns ja helfen.“ ,,Na gut, aber Harry soll auch kommen, die Frauen liegen mal wieder nur auf der faulen Haut und quasseln und quasseln“, dachte Arthur laut. Aber er zeigte den Kindern nicht, dass er nicht viel vom Burgbauen hielt, sondern machte gleich einen konkreten Vorschlag: ,,Jetzt sammeln wir erst einmal ganz viele Muscheln und verzieren damit unsere Burg.“ Das war eine tolle Idee. Zum Schluss schrieben sie in Muschelschrift ,,Meeresburg“ darauf. Pat hatte noch Bonbonpapier in seiner Hosentasche. Er musste wohl kürzlich wieder einmal vergessen haben, seine Taschen auszuleeren, doch jetzt konnte er es gut gebrauchen. Er streifte es etwas glatt, faltete es zu einem Dreieck, steckte es in einen kleinen Stock und bastelte mit Hilfe eines gefundenen Korkenteilchens ein Segelboot daraus, welches sie später auf dem Kanal schwimmen ließen.
Am Abend waren beide Jungen richtig müde vom Bauen und Spielen am Strand. Bevor sich beide Familien trennten, sprachen Sven und Pat noch von ihren Plänen am darauffolgenden Tag. ,,Morgen bauen wir weiter. Eine ganze Stadt wollen wir bauen“, berichtete Pat begeistert. Sein Vater war nachdenklich. Wer weiß, was morgen noch von der schönen Burg zu sehen sein würde, dachte er bei sich.
Am nächsten Morgen wachte Sven schon sehr früh auf. Da alles im Haus noch still war, öffnete er in seinem Zimmer das Fenster und schaute hinaus. Tief holte er Luft, um das Salz des Meeres um sich zu spüren, ja zu genießen. Hier an der Nordsee gefiel es ihm, hier würde er am Liebsten für immer bleiben. Er dachte an die tolle Sandburg, die sie am Vortag gebaut hatten. Er stieg aus dem Bett, zog sich an und ging hinunter in die Küche. Das Duschen könne er ausfallen lassen, dachte er sich. Er ist eh jeden Tag im Wasser! Seine Mutter war schon auf und bereitete das Frühstück vor. Sven half ihr und als beide fertig waren, rief er seinen Vater. Harry begrüßte die beiden und setzte sich an den schön gedeckten Frühstückstisch . ,,Heute bauen wir um die Sandburg eine ganze Stadt, ja Papa?“, fragte Sven. Seine Eltern schauten sich an, niemand von ihnen stimmte sofort zu. ,,Wir wollen mal sehen, wie es heute am Strand aussieht.“, meinte Caren. Plötzlich klopfte es an der Haustür und Pat meldete sich. ,,Hallo, seid ihr noch da?“ ,,Moment, wir öffnen“, gab Sven zurück. Kurz darauf saß Pat bei ihnen am Tisch und erzählte: „Meine Ma liegt noch im Bett und Pa will bei ihr bleiben, darf ich mit euch zum Strand?“, sprudelte es aus ihm hervor. ,,Selbstverständlich, wir sind gleich soweit“, erwiderte Harry, ,,ihr könnt schon mal die Strandsachen holen." Sven und Pat hörten gar nicht zu, irgendwas tuschelten sie. Daraufhin bettelte Pat: ,, Gell, wir bauen doch heute noch Häuser um unsere Burg“, wollte er wissen. ,,Natürlich können wir heute wieder bauen“, betonte Caren ganz vorsichtig, um nichts Falsches zu sagen. ,,Auf jetzt“, lenkte sie die Kinder vom Thema ab, ,,wir wollen gehen.“
Als sie den Strand erreichten, suchte Sven die Stelle, wo am Vortag ihr Liegeplatz war. Weil er wusste, wie er von dort aus zu seiner Burg finden konnte. ,,Wo ist unsere Burg?“, fragte der Ältere seinen Vater. ,,Sven, du wirst eure Burg nicht mehr finden.“ ,,Wieso, wer hat sie denn kaputt gemacht? Wenn ich den erwische, dann...“ ,,Du kannst ihn nicht erwischen!“, unterbrach ihn sein Vater. ,,Die Flut hat unsere Burg zerstört. Das auflaufende Wasser hat sie weggeschwemmt. So ist das nun mal. Wisst ihr, es gibt viele Dinge, die man lieb hat und trotzdem nicht festhalten kann, auch wenn man das noch so gerne möchte. Aber ihr müsst nicht traurig sein, wir können doch eine neue Burg bauen.“ ,,Puh, wenn ich an die Schufterei von gestern denke, und jetzt sollen wir wieder von vorn anfangen?“ ,,Tja, so ist das mit allem, was du hier vorne baust. Die Flut wird kommen und alles zerstören. Und selbst dann, wenn wir weiter hinten unsere Kunstwerke herstellen, wo die Flut im Normalfall nicht hinkommt, dann ist es der Wind, der den Sand fortträgt. Das ist eben die Natur“, gab Harry den Kindern zu bedenken. ,,Wollt ihr jetzt den ganzen Tag eure Köpfe hängen lassen oder wollen wir nicht doch noch einmal eine Burg bauen?“ ,,Na gut, bauen ja, aber eine Stadt, so wie wir es vorhatten. Und nicht schon wieder einen Kanal.“
Dann legten die beiden los. Sie hatten viel Spaß miteinander und die Sandstadt war auch bald fertig, mit einer kleinen Burg, vielen kleinen Häusern, ja, sogar einer Schule. Sie bauten Straßen, auf denen sie mit ihren Matchboxautos fahren konnten. Vor allem hatten sie viel Zeit, weil das Wasser noch soo weit weg war. Nur Caren war es etwas langweilig. Warum Pats Eltern wohl nicht mitgekommen waren? War Ines etwa krank? Das beunruhigte sie etwas. Doch dann freute sie sich wieder, als sie den Kindern zuschaute. Pat und Sven kannten sich bereits von der buntgemischten Kindergruppe ihrer Stadt und spielten schon immer gern zusammen. Auch wenn Pat vier Jahre jünger war und Sven lieber mit Klassenkameraden spielen wollte, so war Pat doch immer bei Tiemanns ein willkommener Gast. An diesem Tag spielten die beiden bis zum frühen Nachmittag, bis Harry dazwischenrief: ,,So ihr beiden, ich denke, wir machen uns auf den Heimweg.“ ,,Wieso?“, ärgerte sich Pat. ,,Wir spielen doch gerade so schön, lass uns noch etwas weitermachen, bitte, Papa“, bettelte jetzt auch Sven. ,,Das geht nicht“, entgegnete Caren, ,,überlegt mal, was euch Harry
heute morgen erklärt hat.“ Das Wasser ist wahrscheinlich bereits wieder am Kommen, auch wenn es noch weit weg ist.“ Zornig schrie Sven: ,,Ich will aber nicht, dass die Flut unsere Stadt kaputt macht! Wir können sie doch vor dem Wasser schützen!“ ,,Nein, das können wir nicht!“ Pat stand wie angewurzelt da und hörte sich alles mit an. ,,Die Flut ist ganz schön doof, ich will nie wieder hierher.“ Auch Sven war total aufgebracht. Caren nahm ihren Sohn in den Arm und tröstete ihn: „Ob du es willst oder nicht, Sven, die Flut tut es einfach. Du kannst ja auch nicht ändern, dass nach dem Tag die Nacht kommt und umgekehrt. Aber höre mal, die Flut nimmt nicht nur was weg, sie bringt auch Sachen aus dem Meer und schwemmt sie an den Strand. Wir werden heute Abend dort spazieren gehen, wenn wieder Ebbe ist, und dann schauen wir mal, was wir alles finden werden. Einverstanden?“ Sven verzog sein Gesicht, meinte dann aber ,,Na gut.“
Immer noch brannte die Sonne erbarmungslos auf die Erde. Durch ihren jetzt tieferen Strand blendete sie etwas in den Augen der vier Spaziergänger, die nun gen Westen hinter dem Deich auf einem schmalen Pfad entlang gingen. ,,Lasst uns von hier aus zu Ines gehen“, schlug Caren vor. ,,Vielleicht kommen deine Eltern nachher mit uns zum Strand, was meinst du, Pat?“ ,,Klaro, dann gehen wir alle auf Schatzsuche.“ Pat war begeistert. Sie gingen nun an Schafen vorbei, die fast alle einen schattigen Platz bevorzugten. Die Spaziergänger genossen die Sicht auf das fruchtbare Gelände, auf dem saftige Weiden sowie Kornfelder miteinander abwechselten, gartenmäßig aufgeteilt durch die vielen Wälle. Harry zeigte den Buben die einzelnen Ackerstücke, welche durch tiefe Furchen voneinander getrennt waren und vereinzelte Bauernhöfe, die wie ausgestorben wirkten. Harry deutete auf die Häuser und begann zu erzählen. ,,Wie auch auf den anderen Inseln rundherum dominiert hier noch das friesische Landhaus mit dem schmalen Giebel, seht ihr?“ Das Haus ist durch eine Diele quer geteilt. Später, als die Insulaner merkten, dass Touristen kamen, bauten sie ihre Häuser an. Aber lacht nicht: Nicht die Touristen wohnten in den Anbauten, nein, sondern die Tiere. Und die Touristen wohnten in den früheren Ställen.“ „Iii“, war natürlich die Bemerkung der beiden Jungen. ,,Schaut mal, eine Kirche, und dahinter eine Windmühle“, rief Sven, der über eine schmale Treppe auf den Deich gestiegen war und dort entlanglief. ,,Ja Sven, die Nikolaikirche. Der Name kommt von St. Nikolaus, welcher der Schutzpatron der Seefahrer ist.“ Nach zehn Minuten erreichten sie das Haus, in dem Pat mit seinen Eltern wohnte. Es war alt, hatte ein graues Schieferdach mit einem dunkelroten Ziegelschornstein auf der einen Seite. Die große braune Holztür hatte in der Mitte einen Türklopfer aus Messing und unter den Fenstern wuchsen Rosensträucher. Pat hämmerte laut gegen die schwere, alte Holztür. Erwartungsvoll stand Sven mit seinen Eltern noch auf dem Bürgersteig. Nichts rührte sich. Caren und Harry schauten hinter das Haus, soweit es ihnen gestattet war – jeder von einer anderen Seite. Pat begann zu weinen. ,,Sie müssen doch da sein, sie haben mir heute Morgen nicht gesagt, dass sie weg gehen.“ Caren, die eine beruhigende Stimme hatte, lenkte ein. ,,Vielleicht sind sie jetzt auch am Strand oder einkaufen gegangen.“ Pat trommelte noch einmal gegen die schwere Tür. Stille! Er ärgerte sich darüber, dass das Haus keine Klingel hatte. ,,Hallo“, schrie er, ,,hallo!“ ,,Hallo“ hörte er, als wäre es weit entfernt. ,,Papa, Mama.“ ,,Ja-ha“, tönte es zurück. ,,Sie sind da!“, jubelte Pat. ,,Also“, beruhigte Harry, ,,nicht immer gleich so hitzig und ungeduldig sein, hm?“ Langsam öffnete sich die schwere Holztür und begrüßte die draußen Stehenden mit einem Quietschen. ,,Ach so, ja Pat, na klar, komm rein.“ Arthur war verschlafen, die anderen drei sah er erst später. ,,Was ist mit euch denn los, Ines wollte nicht aufstehen?“, fragte Caren und noch bevor Arthur zum Antworten kann, sprudelte es aus Pat: ,,Kommt ihr mit zum Strand? Wir wollen auf Schatzsuche.“ ,,Halt, halt, mal langsam, eines nach dem anderen, bitte. Also“, holte Arthur aus, der merkte, dass er den anderen eine Erklärung schuldig war, ,,Ines hatte Migräne und wollte heute auch nichts von der Sonne wissen. Wisst ihr, wenn tagelang schlechtes Wetter gewesen ist, und dann dieser Gegensatz kommt, dass die Sonne gnadenlos vom Himmel herunter brennt, das bekommt uns irgendwie nicht, da müssen wir langsam machen. Mehr war nicht mit uns los. War' s denn schön am Strand?“ ,,Na ja, die Kinder haben sich über die Flut geärgert, die alles kaputt macht.“ ,,Was, wieso?" Pats Eltern schienen für einen Moment auf dem Schlauch zu stehen. ,,Na, schaut mal, die Burg, die sie gebaut hatten, das war auch ein wirkliches Meisterwerk, das kann ich gut verstehen. Sven dachte natürlich, jemand anderes hätte sie kaputt gemacht, war wütend und aufgebracht“, erklärte Caren. ,,Ach so“, lachte Ines, die auch an die Tür gekommen war. ,,Und was habe ich gehört, die Kinder wollen auf Schatzsuche?“ ,,Ja, ich erklärte Sven und Pat, dass die Flut auch Sachen bringt und nicht nur zerstört, dass sie mitunter interessante Gegenstände zum Ufer schwemmt. Und jetzt wollen die beiden mal schauen, welche ,,Schätze“ da angeschwemmt werden“, fuhr Caren fort. ,,Ach so, na klar, da kommen wir gern mit, zumal es jetzt ja nicht mehr so heiß ist. Aber kommt ihr erst einmal rein und trinkt etwas“, lud Ines ein. ,,Komm Sven, trinkst du auch eine Brause, und was wollt ihr trinken? Hier könnt ihr euch hinsetzen, meine Ma sitzt nämlich immer dort“, organisierte Pat, indem er auf einen Eckplatz zeigte. Sie hatten eine gemütliche Sitzecke, in der auch Pat seinen Lieblingsplatz hatte, es aber nicht für angebracht hielt, diesen auch noch zu erwähnen. Ihre Unterkunft war klein, aber gemütlich. Das Wichtigste im Moment allerdings war, dass das Haus eine angenehme Kühle spendete und somit alle froh waren, der Hitze erst einmal entkommen zu sein. Zwanzig Minuten später drängten die Jungen zum Aufbruch. ,,Wir müssen erst noch zur Post“, fiel Ines ein. „Ich habe achtzehn Karten geschrieben, die heute noch in den Kasten sollen.“ ,,Deshalb müsst ihr doch nicht zur Post“, freute sich Pat, seine Eltern ertappt zu haben, ,,am Strand ist doch auch ein Briefkasten.“ ,,Ja, aber wir müssen Geld holen, mein Schatz.“ ,,Ooch, das ist ja ein wahnsinniger Umweg“, riefen beide Kids wie aus einem Mund. ,,Wir können doch mit den Kindern schon vorgehen“, schlug Harry vor. „Später treffen wir uns dann an der Strandpromenade.“ ,,Also gut, bis dann“, meinte Arthur noch, als die vier Urlauber schon an der Haustür standen.
Die Strandpromenade bot ein Geschäft nach dem anderen und jedes hatte seine Souvenirs vor dem Laden aufgestellt. Ging man etwas weiter, wurden schon wieder die gleichen Artikel angepriesen, vor allem natürlich Bade- und Strandartikel. Pat hätte sich am liebsten auf den aufgeblasenen Dinosaurier gesetzt, während Sven lieber auf dem großen Krokodil geritten wäre. Als Caren die leuchtenden Augen der Buben sah, befahl sie gleich, nichts von den Sachen zu berühren, womit sie ja auch recht hatte. Sie selbst hätte am liebsten die Modeboutique aufgesucht, die schräg gegenüber ihren Platz hatte. Ihre Augen schweiften hinüber zu den ausgestellten Kleidern, aber sie hielt sich zurück. Sie war nun mal nicht allein, und die anderen würden sich furchtbar langweilen, zumal sie alle zum Strand wollten, auf den sie nun einen herrlichen Blick hatten, da die Strandpromenade etwas erhöht lag. Die vier Urlauber konnten auf das weite Wattenmeer schauen, wo sich in einigen Prielen und kleinen Pfützen die letzten Strahlen der Sonne und mitunter kleine Wolken spiegelten. Also war das Wasser schon wieder einige Zeit am Zurückgehen. Waren sie so lange bei Ines und Arthur im Ferienhaus? ,,Harry, darf ich bitte noch etwas trinken“, bettelte Pat, als er eine Bar entdeckte. ,,Du hast doch gerade zu Hause etwas getrunken.“ ,,Schon, aber ich habe wieder Durst.“ ,,Na, meinetwegen“, warf Harry ein..,,Kommt, lasst uns alle hier einkehren.“ Caren und Harry bestellten sich Bier, während Pat und Sven Cola wollten. ,,Schaut, ihr bekommt eure Getränke schon, unser Bier muss noch gezapft werden.“ Die Jungen tranken alles in einem Zug aus – so schnell, als veranstalteten sie ein Wett-Trinken. ,,Dürfen wir jetzt zum Strand?“, war das nächste Anliegen der beiden. ,, Ja, meinetwegen..und passt auf, dass euch kein Krebs zwickt“, fügte Svens Vater noch hinzu. ,,Wenn wir ausgetrunken haben, kommen wir auch!“
Sven rannte die Treppe hinunter, die zum Strand führte und Pat folgte ihm. Sie stapften durch den Sand. Irgendwann war der Sand nicht mehr so hoch und unter ihren Sohlen wurde es feucht. Beide entschlossen sich, ihre Sandalen an einer Buhne stehen zu lassen und dann ging es weiter durch Sand und Pfützen. Sie genossen es, mit ihren Füßen fest aufzustampfen, wobei kleine Wasser-Reste zu den Seiten spritzten. Sie spürten die kleinen Rillen, die das Watt unter ihren Füßen hinterließ und hatten ihre Augen fast nur nach unten gerichtet, um etwas Besonderes zu ent-decken. ,,Schau mal, ein Krebs“, rief Sven begeistert, „aber nichts anfassen!“ Pat hockte sich hin und beobachtete das Tier von allen Seiten und wartete auf eine Bewegung des Krebses. „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs“, zählte er. ,,Ich denke, ein Krebs hat acht Beine, das hab ich mal so gehört.“ ,,Ja, du hast vergessen, die Scheren mitzuzählen, das sind sozusagen die Vorderbeine“, erklärte Sven. ,,Ach so.“ Pat fand eine Feder und wollte den Krebs mit dem Schaft umdrehen. In diesem Moment bewegte der Krebs seine Scheren und Pats Hand wich zurück. Pat war so fasziniert, er wollte gar nicht mehr weitergehen. ,,Komm, wir suchen noch Muscheln“, warf Sven nun ein, der weiter wollte. Das konnte Pat überzeugen. Er hatte schon schöne Herzmuscheln in seiner Hand und war stolz auf seinen Fund von verschiedenen Schneckenarten, welche er mittlerweile gesammelt hatte. Um die Quallen, die überhaupt nicht einladend aussahen, machten sie einen großen Bogen. Plötzlich hielt Pat Svens Hand ganz fest. ,,Was hast du, Pat?“, fragte Sven, ,,hast du Angst?“ ,,Da!“, deutete Pat mit der Hand geradeaus. ,,Da Sven, da liegt ein Vogel!“ ,,Ja, tatsächlich, es ist eine Eismöwe, glaub` ich. „Sie ist tot“ erklärte Sven. ,,Warum ist sie denn gestorben?“, wollte Pat wissen. ,,Weiß ich doch nicht. Es gibt viele Gründe, warum sie gestorben sein könnte. Sie könnte krank gewesen sein. Vielleicht ist sie gegen irgendwas geflogen, was hier aber sehr unwahrscheinlich ist, oder sie hat Gift gefressen. Außer-dem muss alles, was lebt, auch mal sterben.“ ,,Tut der Möwe was weh?“, fragte Pat voller Mitleid. ,,Nein, jetzt nicht mehr, ihr Herz schlägt nicht mehr, es ist kein Leben mehr in ihr. Weißt du, sie kann nichts hören und nichts sehen. Sie fühlt auch nichts mehr und hat deshalb auch keine Schmerzen.“
Pat wandte seinen Blick von der Möwe ab. ,,Weißt du, was ich jetzt gerne sehen würde, Sven?“ ,,Nö, was denn?“, fragte sein größerer Freund überrascht. Pat schaute sich um. Er drehte sich einmal um sich selbst, hatte dabei ganz große Augen, die von Sekunde zu Sekunde immer ängstlicher dreinschauten. ,,Sven, wo sind wir? Ich möchte nach Hause.“ ,,Wir gehen gleich, Ma und Pa wollten doch nachkommen“, erwiderte Sven, immer noch auf den Wattboden schauend. ,,Aber siehst du noch unseren Strand?“ Pat war aufgeregt, Sven hingegen noch ruhig. ,,Nö.“ ,,Und in welche Richtung gehen wir jetzt?“, wollte Pat von seinem großen Freund wissen. ,,Eigentlich immer Richtung Leuchtturm. Jedenfalls hat mir mein Paps das neulich so erklärt, aber den rot-weißen Turm sehe ich im Moment auch nicht.“ „Und was willst du jetzt machen?“ Der Kleine schaute hilfesuchend Sven an und begann zu flennen. ,,Ist doch ganz logisch, einfach umdreh'n und zurückgeh'n, dann müssen wir doch zum Strand kommen.“ Aber so sicher war sich Sven da auch nicht, jedenfalls wollte er erst einmal Pat beruhigen. Schließlich sind wir bestimmt nicht immer in eine Richtung gegangen, dachte Sven bei sich. Er nahm Pat an die Hand und dann rannten sie, was sie konnten. Sven entschied sich, so zu laufen, dass sie die fast untergehende Sonne vor sich hatten, denn – so dachte er – als wir heute Morgen am Strand waren, war die Sonne hinter uns. Dort, wo sich der Aufgang zur Strandpromenade befand. Also gehen wir jetzt in diese Richtung zurück. Vielleicht war es aber auch nur der Grund, dahin zu gehen, wo es noch heller war, um mehr zu erkennen. ,,Aah, Hilfe“, schrie Pat plötzlich, ,,ich kann nicht mehr.“ ,,Was ist?“ Sven schaute sich um. Pat steckte fest. Im Schlick. Bis zu den Oberschenkeln. Irgendwie war hier eine ganz weiche Stelle. Sven versuchte, ihn herauszuziehen, hatte aber auch Angst, selbst einzusacken ,,Ich schaff' es nicht“, rief der eine. ,,Du musst“, der andere, ,,sonst sterben wir.“ Sven schaute sich abermals um.
Die Sonne war mittlerweile untergegangen und keine Menschenseele war zu sehen weit und breit, auch seine Eltern nicht, die doch auch kommen wollten. So lange waren Pat und er doch nicht draußen? Pat heulte. Sven schrie. Warum zum Donnerwetter hörte sie keiner? Warum kamen die Eltern nicht nach? ,,Halt mich, halt mich“, schrie Pat verzweifelt. ,,Ich kann dich nicht halten, ich rutsche auch“, war Svens Antwort. Nun versuchte er, Pat nicht nur nach oben, sondern auch etwas nach vorn zu ziehen, sozusagen zu schleifen. Aber das war ja noch anstrengender, weil er noch mehr von dem schlickartigen Zeug vertreiben musste. Diese verdammte, glitschige schwere Masse. Wie schön war es doch vorhin noch im Watt, wie genoss er es doch vorhin, dort herum zu waten. Also, noch ein Versuch, Pat wieder nach oben zu ziehen. Am besten unter seine Arme greifen. Plötzlich gab etwas nach und Sven kam bei seiner Rettungsaktion voran. Irgendwie ging es jetzt. Pat kam wieder als ganzer Kerl zum Vorschein und Sven war stolz auf seine Leistung. Aber wohin jetzt? Beide hatten Angst vor dem nächsten Schritt. Angst, wieder einzusacken. Sie spürten an ihren Beinen Wasser um sich im Glanz des noch etwas roten Himmels. Pats Knie war schon mit Wasser bedeckt. Sollte das etwa schon die ankommende Flut sein? Am Horizont sah Sven bedrohliche Wolkentürme und immer noch konnte man Silbermöwen im leichten Abendwind schreien hören. ,,Komm, fort von hier“, feuerte Sven seinen Freund an. „Wir müssen laufen, was wir können, damit wir gut vorwärts kommen, so lange wir nicht schwimmen müssen.“ ,,Bist du sicher, dass wir richtig laufen?“, versicherte sich Pat bei Sven. ,,Lass uns so laufen, wie ich dir vorhin erklärt habe“, kommentierte Sven und war sich seiner Sache auch nicht ganz sicher. Mit einem Fuß sackte Pat wieder ein, konnte sich aber mit Mühe und Svens Hilfe noch einmal heraushelfen. Nirgendwo war eine Wattdecke mehr zu sehen, und das verwirrte die Kinder. ,,Das Wasser muss doch irgendwo herkommen, es kommt doch nicht von allen Seiten“ , wunderte sich Pat. ,,Doch, irgend-wie schon, es kommt ja sogar von unten, glaub` ich, irgendwie auch aus dem Boden heraus.“ ,,Aber es kommt doch nicht von vorne“, dachte Pat logisch. ,,Wenn ich am Strand steh' und zum Meer schaue, dann kommt doch hinter mir kein Wasser angelaufen, und in diese Richtung müssen wir eben! Da, wo der Strand ist, da wird es doch flacher, das Wasser.“ ,,Ja, jetzt rede nicht so viel, gleich müssen wir schwimmen, wenn wir nicht mehr stehen können, da brauchst du viel Luft. Du hast doch schwimmen gelernt, oder?“ ,,Ja, aber...“ ,,Nichts aber, wir müssen uns anstrengen, also los!“Längst hatten irgendwo einige Touristen einem herrlichen Sonnenuntergang Applaus gegeben, längst hatte das gelbrote Etwas den Horizont verlassen. Noch konnten die beiden Verzweifelten genug sehen, nur Küste entdeckten sie keine....Sven wollte träumen:...von Küsten ...geheimnisvollen Küsten, die so mancher Seefahrer fand...Sven, wach auf, du bist nicht im Film!.. Wo bin ich, ich sehe nichts. Wo ist Licht? Er suchte Licht. Licht in der Finsternis, Hoffnung in der Verzweiflung. Leuchtturm in der Dunkelheit. ,,Sven! Warte doch, ich kann nicht so schnell schwimmen“, flehte Pat. Sven, der weiter vorne war, schwamm etwas zurück, zog Pat ein Stück vor, schwamm dann selbst wieder ein Stück und zog Pat wieder vor. Pat gefiel das Spiel, doch Svens Kräfte reichten nicht aus, das Spiel noch länger durchzuhalten, vor allem verloren sie wertvolle Zeit dabei. ,,Ich kann nicht mehr, versuche allein zu schwimmen, bitte Pat, wir kommen kaum voran, wenn ich dich ziehen muss“, jammerte Sven, dem auch schon Tränen in den Augen standen. Schiefergrau lag ein schwerer Himmel über dem dunklen Meer. Die Abenddämmerung zog über das Land – besser gesagt über das Meer – und irgendwo draußen schwammen zwei Kinder, ihre Bewegungen waren schnell und verkrampft, Wasser schluckten sie und es wurde so dunkel, dass sie sich gegenseitig nicht mehr sehen konnten. Pat konnte auch nicht mehr rufen, weil ihn das zu viel Kraft kostete und er sich jetzt voll und ganz auf das Schwimmen konzentrieren musste. Seinen Schwimmkurs hatte er erst letzten Herbst absolviert, und die längste Strecke, die er ohne Pause je geschwommen war, waren zwei Bahnen im großen Becken, jedenfalls erinnerte sich Pat so. Sven, der nun auch vor Müdigkeit nicht mehr so schnell schwamm, spürte plötzlich Boden unter seinen Füßen. War er nur auf einer Sandbank? Hoffentlich nicht! Hoffentlich hatte er die Küste erreicht, erkennen konnte er jedenfalls noch nichts in der bedrohlich dunklen Stille, die ihn umgab. Eine freie Sandküste wäre jetzt angebracht. Welche Wasser empfängt, einen Teil davon in sich aufnimmt, die Wellen wieder zurückstoßen lässt... Menschenfüße auf weichem Boden empfängt...Sven, nicht träumen! Eine innere Stimme ermahnte ihn. Hauptsache Land! Auch wenn es ganz woanders war, das wäre ihm jetzt egal. Erst einmal war er erleichtert, keine Schwimmbewegungen mehr machen zu müssen und ruhte sich aus. Aber nur einige Sekunden, das tat schon gut. Ein „Gott sei Dank“ flüsterte er gerade vor sich hin, eigentlich wollte er zu Gott schreien. Ihn anflehen und noch irgendwas zu ihm rufen...träume nicht! „Träume nicht!“ ermahnte er sich selbst noch einmal. Dann entschied er sich für' s Weiterschwimmen, denn irgendwie fror er auch, wenn er sich nicht bewegte. Ausharrte, still blieb. Weiter, als weter, nur nicht aufgeben! Mist, es wurde wieder tief! Nicht nachlassen! Hoffentlich ist Pat auch auf eine Sandbank gestoßen... Ach nein, er war ja noch hinter ihm, würde er diese Sandbank erreichen? Ein Ziel erreichen! Versuchten wir nicht ständig im Leben, Ziele zu erreichen? Sven rief seinen Freund, doch der Ruf verhallte. Er spürte wieder Boden unter seinen Füßen, diesmal war er weicher. Er entschied sich, zu laufen, was noch anstrengender war. Jeder Schritt ein Einsacken seines Fußes. Tief in den Meeresboden. Dann wieder ein Anheben. Er schob die Wellen geradezu vor sich her, hörte ein kräftiges Rauschen, welches in ein sanftes Ausklingen überging. Spürte das Flacherwerden des Wassers und dass von oben her immer mehr Luft an seinen Körper kam. Kälte umgab ihn an den freien Stellen. Eisige Kälte! Ein Frieren und Zittern in der salzhaltigen, stillen und pechschwarzen Luft. Jetzt waren nur noch seine Füße im Wasser, Füße, die neue Schritte wagten.
Sekunden später lief er auf Sand. Der Wind hatte deutlich zugenommen und der feine Sand peitschte sein Gesicht, während er sich mit zugekniffenem Mund und fast geschlossenen Augen durch die Dünen kämpfte. Ihm kam der beschwerliche Weg durch den Sand unendlich lang vor. Es pfiff durch den Strandhafer, der vom Winddruck flach an den Boden gepresst lag. Er blieb stehen, sah sich um. Irgendwo ein Licht! Das erhoffte er doch. Er starrte dieses Licht an, hielt es fest in seinen Augen, als wolle er es nie verlieren. Bis eben Dunkelheit um ihn herum, jetzt ein Ziel vor Augen. Aber wo war er? Er fror am ganzen Körper. Zitternd ging er durch den Sand. Näherte er sich einem Ferienhaus? Er dachte an Pat und rief laut seinen Namen. Stille. Kein Rückruf. Das beängstigende Dunkel hinter sich lassend rannte er los. Helfendes Licht...und wenn es nur eine Zwischenstation wäre! Zumindest ist es jetzt die Notlösung auf dem Weg zum Ziel! Links von ihm waren Liegen aufgestapelt, also musste es der Strand sein. Aber was tun? Jetzt? Er kam dem Licht greifbar nah. Sah ein bunt beleuchtetes Schild. Wahrscheinlich eine Kneipe. Das wäre seine Rettung! Jedenfalls für' s Erste, um sich abzutrocknen. Und Hilfe für Pat zu beschaffen. Mittlerweile lief er nicht mehr auf Sand. Hatte festen Untergrund. Halt auf dem Boden. Halt ....Suchten wir nicht alle Halt im Leben? Wieder fiel ihm Pat ein. Hilfe beschaffen. Ja, Hilfe. Er überlegte nicht lange, drückte die schwere Türklinke der hölzernen Eingangstür herunter und trat ein. Stand in einem kleinen Flur. Seltsame Gerüche umgaben ihn, Gemurmel von Einheimischen hörte er. Worte, die er nicht verstand. Worte - ja Worte - lagen wieder in der Luft. Worte wie Hoffnung. Worte wie Hilfe. Wollten ausgesprochen werden. In diesem einen Raum. Umgeben von Strandhafer, Sand und Wellen.
Unterdessen vergnügte man sich auf Föhr. ,,Hallo“, rief Harry und hob seinen Finger, als der Barkeeper für einen Moment in seine Richtung sah. ,,Unser Bier!“ ,,Ach so! Ja, sorry“, gab der dicke Bärtige zurück. ,,Wir warten schließlich schon eine Viertelstunde“, murrte Harry. ,,Ist ja gut, hier bitteschön“, konterte der Barkeeper, stellte mit einer Riesenwucht zwei Bierkrüge auf den Tresen und Svens Eltern waren erst einmal zufrieden. Harry nahm gleich einen großen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. ,,Aah, das tat gut.“ Die Bar war klein, aber urgemütlich. Alles in diesem Raum war aus dunklem Holz, der Boden, die Wandbekleidung, die Decke. Es roch etwas muffig, obwohl die Eingangstür offen stand.
Zur Zeit war es sehr voll in der Bar. Eine Gruppe von Einheimischen hatte sich mit ihren Bierkrügen schon draußen vor der Tür aufgestellt, um den Touristen die wenigen Plätze zu lassen, die der Raum anbot. Caren war etwas unruhig, weil sie schon so lange hier hockten. Und auch, weil Ines und Arthur nicht kamen. Harry, der mittlerweile sein Bier ausgetrunken hatte, unterhielt sich mit den Einheimischen, soweit er ihren Dialekt ver-stand. ,,Morgen soll es schon wieder Gewitter geben.“ ,,Ja, und vor allem Stürme, habt ihr schon gehört, Windstärke neun wird vorausgesagt.“ ,,Schauen Sie mal 'raus“, meinte der Fremde zu Harry und deutete aus einem der kleinen Fenster. Caren und Harry konnten die ballenden Wolkentürme nicht übersehen. ,,Lasst uns zum Strand gehen, die Kinder holen“, meinte Caren. ,,Ja, dann trink' mal aus, ich habe ja nur auf dich gewartet.“ ,,Hier... kannst du trinken, ich mag nicht mehr.“ Sie schob den Bierkrug ihrem Mann hin. Harry kippte ihren Rest herunter. Die beiden verabschiedeten sich und gingen hinaus. Erst einmal zur großen Terrasse, von wo aus sie einen herrlichen Überblick über den Strand hatten.Weiter links sah Caren eine Gruppe spielender Kinder ..da werden sie dabei sein, dachte sie. ,,Schau Harry, da gehen wir jetzt hin, die Kinder holen, sie können von hier aus unsere Rufe nicht hören.“
Plötzlich klopfte eine kräftige Hand auf Harrys Schulter. ,,Ach Arthur“, ,,ach nein“ . ,,Mensch, Anton, wo kommst du denn her?“ Harry war sichtlich überrascht. Anton war sein bester Schulfreund...ja, Kumpel. Seit Langem hatten sie sich nicht mehr gesehen, aber Harry erkannte ihn sofort. Sie umarmten sich und Harry stellte ihm seine Frau vor.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0454-1
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