Ein Liebesgott mischt sich ein
Aus lauter Langeweile?
Fast ein Krimi
Götter unter uns
Prolog
Immer wieder wird erzählt, die griechischen Götter lebten auf dem in die Wolken ragenden Berg Olympus, aber eigentlich versammelten sie sich dort nur zur Beratung, ansonsten wäre es hier oben auch viel zu langweilig! Auf den Flügeln des Windes können sie von dort zur Erde hinunter eilen. Und somit findet man heute im einundzwanzigsten Jahrhundert die griechischen Götter auch unter uns, auf diesem Planeten wohlgemerkt! Und fast alle Götter tragen natürlich einige ihrer Wunderwaffen unauffällig mit sich herum. Nur, wo genau sie auf der Erde herumschwirren, das bekommt man als Sterblicher, der nicht eingeweiht wird, so schnell nicht mit. Vermutet werden leer stehende Asylantenheime, unterirdische Verließe oder auch irgendwelche Höhlen. Und natürlich auch ihr Vorkommen und Wirken im Meer, zumindest, was Poseidon betrifft! Klar, jeder von uns, der an Götter denkt, stellt sich phantasievolle Erzählungen vor, in denen verspielte, dünkelhafte, teuflische Götter etwas zu ihrem Besten geben. Wahrscheinlich noch mit Hörnern und glitzernden Erscheinungen. In himmlischen Regionen, die man sich wundervoll vorstellt. Aber lest selbst, nur werdet ihr hier keine Beschreibungen von wunderschönen Erscheinungen finden. Es handelt sich viel eher um eine ganz alltägliche Geschichte, welche überall auf unserem Planeten stattfinden könnte. Und eine noch dazu sehr Aktuelle! Denn die Nachrichten, die Götterbote Hermes an Zeus weiterleitet, finden auch wir in den Tageszeitungen. Und somit nehmen auch Götter an unserem aktuellen Weltgeschehen teil und wirken manchmal sogar kräftig mit! Nur Zeus befindet sich nach wie vor über den Wolken, meistens jedenfalls. Und irgendwie bekommt der Gottesvater durch verschiedene Medien teilweise auch mit, was in der Welt der Sterblichen so abgeht. Zusätzlich hat er, wie schon erwähnt, noch Hermes, den Götterboten, der ihn mit den aktuellsten Nachrichten beliefert- vorausgesetzt er kommt regelmäßig zu Zeus. Am wenigsten erfährt der Oberste durch die Götter selbst. Was ihn nicht wundert, denn die geraten meistens in negative Schlagzeilen – falls sie überhaupt erwähnt werden. Aber es gibt so manch eine Story, die für die Sterblichen unlösbar bleibt. Zeus aber weiß- meistens jedenfalls - genau, wenn einer seiner Untertanen mitgemischt hatte.
1
Am frühen Morgen war es dem Göttervater Zeus über seiner Wolke wohl wieder einmal langweilig. Sein Volk war ausgeflogen. Nun, er könnte Hermes zu sich rufen, überlegte er sich. Und das geschah meistens mit diesem Ausruf: „Hermes, mein göttlicher Bote, eile herbei!“ So wie auch gerade eben. Es war ein süßlicher Duft zu verspüren sowie ein zischendes Geräusch. Kurz darauf stand der Götterbote vor Zeus. „Hermes, wie siehst du denn aus, schämst du dich nicht, mir in diesem Aufzug in das göttliche Feld zu treten?“ „Sorry, allumfassender Zeus, unten auf der Erde ist Dreckswetter, ich habe mich zu sehr beeilt und bin ausgerutscht!“ Zeus hörte sich das an und schüttelte nur den Kopf. „Warum, hast du mich, großer Zeus, eigentlich gerufen?“ „ Ich möchte Nachrichten von dir hören, was gibt es Neues auf dem Planeten Erde?“ Hermes holte eine Papyrusrolle aus seiner Umhängetasche, rollte sie auf und begann zu lesen: „Wir leben in einer Zeit der großen Krise. Die Wirtschaft ist am Boden, das Vertrauen in die Finanzwelt ist erschüttert…“ Stopp, stopp, stopp, das ist nichts Neues, das kenne ich schon. Ja, ja, Vertrauen, was für ein Begriff! Früher vertraute man wenigstens uns Göttern, selbst das ist hin.“ „Ach ja, großer Zeus und.. ich lese weiter… hier steht noch etwas vom schlechten Arbeitsmarkt..“ „ Hör bloß auf damit! Der Menschheit ist nicht zu helfen. Neulich hat Athene, unsere Göttin der Weisheit versucht, einem Erdenbürger Arbeit zu verschaffen… vergebens, der wollte partout nichts arbeiten. Hast du nichts Aktuelleres?“ Hermes überflog die Überschriften. „ Ach ja, hier: brandaktuell: Pfarrer hatte offenbar Sex auf Kirchenbank.. „ lies bitte nicht weiter…wir armen Götter, das lastet auch schwer auf uns.. wie kann man überhaupt noch glauben, wenn die kleinen sterblichen Gottesbotschafter da unten auf der Erde solche Fehltritte tun? Hast du keine anständigeren Botschaften?“ „ Ja, gut, das Alltägliche: „Klimaanlage in der Bahn ausgefallen..“ das ist alter Hut, blätterst du gerade in einer Zeitung vom letzten Sommer?“ Hermes rollte die Papyrusrolle wieder zurück und suchte nach dem Datum. „Nein, großer Zeus…“ „Weiter..“ Zeus war schlecht gelaunt und ungeduldig. „Engpass bei Enteisungsmitteln, auch Nachrichten der Bahn..hm ..beziehungsweise Flugverkehr.“ „Hermes, bis jetzt hast du nur Verkehr im Kopf, was gibt es denn sonst noch?“ „Na ja, für den Verkehr bin ich ja auch zuständig und jeden Tag lese ich zur Zeit Schlagzeilen über das Chaos bei der Bahn, der Deutschen Bahn, wohlgemerkt.“ „Ach so, und sicher willst du das Blitz-Eis von letzter Woche den Wettergöttern zuschieben, oder hast du da auch was gedreht?“ Hermes wurde rot und lenkte ab. „Hier habe ich noch den Wetterbericht. Ein Tiefausläufer aus Karthago wird im Laufe des Tages den Olymp überqueren, er bringt feucht-kalte Meeresluft mit sich. Leichte Regenschauer sind nicht ausgeschlossen.“ Hermes pausierte und hob den Kopf. „Und die weiteren Aussichten, lass dir nicht alles einzeln rausziehen!“ „Ach so, Boss. In drei Tagen wird sich die Sonne wieder blicken lassen, nach Abzug der Wolkenfelder. Sonst noch Wünsche?“ Zeus hob seinen mit Honigwein gefüllten Kelch und setzte an. Pause. Ein Rülpsen. „Was sagtest du letztens über die Kirchen und Geld?“ Hermes dachte kurz nach. Da war so eine Schlagzeile, welche lautete: Wenn in Kirchen nur Kassen klingeln..“ Aha, dann hat die Kirche doch Gelder genug.“ „Sorry, nein, die Betonung liegt auf nur. Viele Städte haben mehr Touristen als Kirchgänger. So auch in Holland, wo ein Teil der Gotteshäuser umgewidmet wurden zu Hotels, Buchläden und irgendwelchen Clubs. Bezahlbare Verkaufsfläche - denke ich mal.“ Zeus schüttelte seinen Kopf und ihm fiel gerade wieder die Fläche der Kirchenbank ein, die dem Pfarrer aus dem heutigen Bericht zur Verfügung stand. Daraufhin setzte er wieder seinen Weinkelch an.“Also, ganz unabhängig davon müsste wieder einmal eine Versammlung stattfinden, könntest du bitte einige Götter - egal wie, lass dir was einfallen, Hermes - zusammentreiben?“ Hermes stand vor ihm und schwieg. “Hast du mich verstanden, dann mach dich an die Arbeit!” Hermes verabschiedete sich und zog ab. Wieder entstand eine Wolke mit extrem süßlichem Duft. Hermes musste jetzt erst einmal seinen göttlichen Verstand einschalten. Denn die vielen Götter und Göttinnen sind nicht nur in Griechenland zu finden, sondern in ganz Europa, hoffentlich nicht in noch anderen Kontinenten verteilt! Er hatte zwar irgendwo ein Handy, das er aus der Versenkung holen könnte, aber wusste er überhaupt seine PIN noch? Und wie viele der Unsterblichen würde er letztendlich erreichen?
2
Aphrodite verhielt sich unauffällig in der Menschenmasse auf dem Bahnhof irgendwo in Deutschland. Und ihr Sohn Eros musste wohl auch in der Nähe sein. Sie spürte es. Wahrscheinlich hockte er wieder mit Pfeil und Bogen in einer Ecke und suchte vor lauter Langeweile Opfer, die er beschießen konnte. Überall war es ihr zu kalt. Wie gerne wäre sie in den Süden geflogen, aber auf den Flughäfen war katastrophaler winterlicher Zustand. Sie lief zu irgendeinem Gleis, nahm auf einer kühlen Metallbank Platz und beobachtete das Menschentreiben. Rechts neben ihr saß eine junge Dame mit einem dicken, aufgeschlagenen Wälzer in der Hand. Aphrodite musterte sie. Blonde Haare, rotes Stirnband, dunkle, kurze Lederjacke, einen schwarzen Minirock sowie enge, dunkle Stiefel mit hohen Absätzen. Ob dieses Schuhwerk warm hielt? Sie bezweifelte es. Ihre Augen wanderten die Beine der Fremden hinauf. Netzstrümpfe, das sagte alles, das musste eine Tussi sein! Was sie wohl für ein Buch in der Hand hielt? Aphrodite hätte es gar zu gerne gewusst. Vielleicht würde die junge Dame es demnächst zuklappen. Aphrodite drehte ihren Kopf in sämtliche andere Richtungen. Beobachtete von Neuem ankommende Züge, bepackte Menschen und wieder ertappte sie sich, nach rechts unten zu schauen. Sie begann vor sich her zu pfeifen, erst leise, dann lauter werdend. Und: sie hatte Glück. Diese Tussi schaute von ihrem Buch auf, klappte den Wälzer etwas zu..und Aphrodite erwischte einen Teil des Titels. Mein Leben als Single. Oha, dachte sie bei sich, da könnte sie mitwirken, hm, eventuell nachhelfen. Sicher war diese junge Frau neben ihr eine momentan einsame Dame. Wo war nun Eros? Sie versuchte, ihn per sms zu orten. Und tippte in ihr Handy. Eros, wo bist du, habe einen Auftrag für dich bei Gleis zwölf, hast du deine Pfeile dabei? Dann auf Senden. Eros verhielt sich unauffällig im DB-Reisecenter, kalt war ihm. Sein Handy war vorsichtshalber auf stumm gestellt, aber plötzlich vibrierte es. Eros nahm es unauffällig aus seiner Jackentasche und las Aphrodites Botschaft. Dann blickte er zu den Gleisen. Und seine Augen wanderten zu den Schildern mit den Gleisnummern. Ah ja, Gleis zwölf war gerade schräg links gegenüber. Wo war sie bloß? Wenn Götter Götter suchen, dann gehen bestimmte Gerüche durch die Luft und ziehen ihre Bahnen zu dem gesuchten Punkt. Eros verließ das Gebäude und ging gemächlich den ausstrahlenden Düften entlang. Er stoppte, nachdem er sie erblickt hatte. Da war sie, die wunderschöne Aphrodite und neben ihr auf der Bank eine junge Dame! Sicher handelte es sich um diese, was den Auftrag beträfe. Eros war sich geradezu dessen sicher und lief nun zum gegenüberliegenden Bahnsteig. Mit Absicht. Er könnte besser beobachten und zielen! Ein Zug fuhr ein, vor seiner Nase. Mist! Ach so, Götter fluchen ja nicht. Na, dann müsste er eben einen Moment warten. Langsam fuhr der sichtversperrende Zug kurz darauf wieder davon, genauso langsam öffnete Eros nun den Reißverschluss seiner Tasche, nahm den langen Bogen und den Köcher mit seinen Pfeilen heraus, die nur er sehen konnte. Es gab doch gar nichts auszusetzen an der Liebe dachte er bei sich. Gott ist die Liebe, so heißt es doch immer! Was er, der große Liebesgott Eros, jetzt vorhatte, das konnte doch keine Sünde sein! Eros spannte den Bogen an und ließ - perfekt gezielt - einen Pfeil mit goldener Spitze fliegen, der sich in die Brust dieser jungen Dame senkte. Wen auch immer die von den Liebespfeilen getroffene Dame jetzt anschaute, diese Person würde auf der Stelle das Opfer ihrer Liebe… Aphrodite blickte sich um. Nach links, nach rechts, nach vorne. Vor ihr fuhr gerade ein Zug ab und machte den Blick auf den gegenüberliegenden Bahnsteig frei. Dann entdeckte sie Eros. Sie versuchte, ihm ein Winkzeichen zu geben. Aber er schaute gerade unter sich und öffnete seine Jacke. Menschenmassen liefen vor ihren Augen vorbei und versperrten die Sicht zu ihm. Ein älterer Herr blieb vor ihrer Bank stehen, schaute kurz zu ihr, anschließend zur Tussi rechts neben ihr und setzte sich dann neben diese bestiefelte Dame. Aphrodite erwischte eine Sichtlücke und sah gerade, wie ihr Sohn Eros die Armbewegung eines Bogenspanners machte. Sie beobachtete ihn noch eine kurze Weile und holte ihr Handy wieder heraus.
3
Nachdem Eros seine Liebesutensilien eingepackt hatte, schlenderte er zur Geschäftszeile innerhalb des Sackbahnhofes und versuchte, zumindest Aphrodite zu ergattern. Ob sie immer noch am Gleis stand? Sollte er noch einmal sein Handy herausholen? Während er überlegte, kam ihm ein händchenhaltendes Pärchen entgegen. „Oh la la“ murmelte Eros so vor sich hin, als er die junge Dame erkannte, die den Liebespfeil abbekommen hatte. An ihrer Hand ein älterer Herr mit abgetragenen Klamotten. Was für ein Gegensatz! Na, das wirkte ja wieder einmal! Dass solch junge Damen überhaupt einen Blick für ältere Herren haben! Eros entschied sich, nicht länger hier zu bleiben und wieder irgendwo unterzutauchen. Vielleicht hätte er auf dem Rückweg weitere Gelegenheiten, seine Pfeile noch einmal auszupacken. Er pfiff wieder vor sich hin, als ihm folgende Phrasen einfielen: Liebe ist eine Kunst, durch die das Leben groß und weit wird. So groß und so weit, dass das ganze Schicksal eines anderen Menschen Raum findet. Aphrodite hingegen blieb noch eine Weile auf der Bank sitzen, nachdem diese junge Tussi ihr Buch eingepackt hatte und mit einem älteren Mann den Bahnsteig verließ. Sie schaute ihnen kurz nach und hatte sogar den Eindruck, dass sich diese Beiden mit einem Male an der Hand berührten. Hunger hatte sie, also müsste sie sich - zumindest demnächst- erheben und sich etwas Essbares zukommen lassen. Es wurde Abend. Dionysos` Nachtbar befand sich in einem Untergeschoss einer schlecht beleuchteten Gasse. Das Gebäude war in einem abstoßenden Grün gestrichen und es roch nach kaltem Rauch. Aphrodite hätte es niemals hierher gezogen, aber es gab ja genug andere, welche den Weg hierher fanden, sowohl Götter als auch Sterbliche. Ein Anziehungspunkt war gewiss der gute Wein des Dionysos, aber auch die kleine unscheinbare, durch einen violetten Vorhang abgetrennte Bühne für Varieté-Vorstellungen. Selbst Eros ließ sich ab und zu in dieser Absteige blicken, so wie auch an diesem Abend. Eigentlich nur um guten Wein zu trinken, abzuschalten und den besonderen Flair in dieser Bar zu genießen. Stundenlang könnte er auf seinem Barhocker sitzen und die Menschen um sich herum beobachten. So wie auch zu dieser mittlerweile späten Abendstunde. Ohne dass Dionysos darum gebeten worden war, entkorkte er eine Weinflasche, füllte ein großes Glas und schob es Eros zu. „Danke, mein Freund“, erwiderte Eros, als er mit einem Male hörte, wie sich die Eingangstür knarrend aufschob. Seine Augen starrten das eintretende Pärchen an. Eros musste einen Pfiff ausstoßen, womit er die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf die beiden Neuankömmlinge zog. Das war doch diese junge Frau mit den Netzstrümpfen von heute Vormittag! Umarmt von einem älteren Herrn, der eine weiße Plastiktüte mit einem roten A darauf in der Hand hielt. Wer weiß, was sich dieser Herr auf seinem Weg hierher in einer der noch offenen Apotheken gekauft hatte, dachte Eros bei sich, der sich nun am liebsten verdrückt hätte. Er hatte das Gefühl, ertappt worden zu sein und dass man nun ihm nachlief! Oder wirkte er als Bogenschütze jetzt wie ein Magnet zu seinen Opfern? Nachdem der Liebesgott sich erholt hatte, sprang er von seinem Barhocker herunter und bot den beiden – zumindest einen - Sitzplatz an. Er wollte auf keinen Fall, dass dieses interessante Paar die Bar wegen mangelnder Sitzgelegenheiten wieder verlassen würde! „Dankeschön“ kam von der Dame, welche ihn freundlich anschaute und sich auch setzte, ihr Partner blieb lächelnd neben ihr stehen und umarmte sie. Dionysos musterte die Beiden kurz und wusste, was er zu tun hatte. Im Raum der Götter lag seit eben ein angenehmer Duft! Wieder nahm der Gott des Weines eine Flasche seines kostbaren Getränkes in die Hand und begann einzuschenken. „Entschuldige mich, Dion, ich gehe mal kurz hinter.“ Dionysos nickte. Mit „hinter“ meinte Eros wohl hinter den Vorhang, der momentan den Blick zur kleinen Bühne verdeckte. Dionysos wandte sich wieder dem Pärchen zu. „Der Wein geht auf’s Haus, weil Sie keinen Sitzplatz haben“ meinte der Barkeeper zu dem Herrn, der nun endlich einmal seine Kappe abgenommen hatte und sein graues Haar zum Besten gab. Der Gast nickte still. „Erwin, bedank‘ dich doch!“ schubste seine Freundin ihn an. Er gab Dionysos kurz ein freundliches Handzeichen und widmete sich dann wieder seiner Partnerin, hatte keine Scheu, sie vor allen Leuten zu küssen, nahm einen großen Schluck Wein und betrachtete sie strahlend. Was rund um ihn herum geschah und von wie vielen Gästen sie beobachtet wurden, das interessierte die Beiden nicht. So ging das noch eine ganze Weile und diesem Erwin schien nie zu aufzufallen, dass sein Weinglas immer gefüllt war. Und immer noch war in dieser Bar ein angenehmer, ja süßer Duft, der den unangenehmen Geruch nach kaltem Rauch überdeckte. Eros hingegen hatte hinter der Bühne zwischen Schlangenkostümen und glitzernden Perücken einen Kasten Mineralwasser gefunden, bediente sich und behielt somit einen klaren Kopf. Er setzte sich auf den Getränkekasten und versuchte, irgendetwas Interessantes akustisch noch mitzubekommen. Das gelang ihm aber nicht, weil zu viele Personen – sowohl Götter als auch Sterbliche – am reden waren. Nach einer dreiviertel Stunde war es Eros zu langweilig und er gab Dionysos ein Zeichen, dass er über den Hinterausgang an die frische Luft gehen würde. Er stieg über leere und mit Bühnendekoration gefüllte Pappkartons und bahnte sich somit einen Weg zur hinteren Tür. Endlich der komischen Raumluft zu entkommen, das tat gut! Er lief mutterseelenallein durch die engen Gassen der Stadt und atmete tief die ihm angebotene, nasskalte Luft ein. Wirklich, war er allein? An der nächsten Kreuzung entdeckte er jemanden, der zu den Unsterblichen gehörte, was wollte der Götterbote denn hier?
4
Zeus wartete wieder auf Nachrichten. Seit zwei Tagen. Wahrscheinlich hatte sein Bote Probleme, so einigen Göttern da unten bei den Sterblichen etwas von ihm auszurichten! Na ja, er müsste Geduld haben, dann würde er sich eben wieder in seine Kammer zurückziehen und sich eine Flasche Wein gönnen. Vielleicht könnte seine Hera ihn ja etwas trösten. Plötzlich hörte Zeus etwas und ein süßer Duft drang in seine Nase. Oh, er könnte Besuch bekommen. Kurz darauf war wieder ein Zischen zu hören. Na, schau an, Hermes kam wieder. Allerdings ohne Begleitung. „Einen wunderschönen guten Tag, geehrter, allumfassender Zeus“ begann der Götterbote schwungvoll. „Na, Hermes, was führt dich heute zu mir? Nachdem du gestern nicht bei mir aufgetaucht bist?“ „Hm, ja, die Schlagzeilen, wie immer.“ „Also, schieß los, ich höre.“ Hermes entfaltete seine Papyrusrolle, verschaffte sich einen schnellen Überblick und begann zu lesen: „Tod durch Viagra…“ „So was doch nicht, was hat das mit uns Göttern denn zu tun? Die Menschheit erfindet manchmal Storys! Hast du nichts Anständigeres für mich?“ „Ich dachte nur, weil es ein Bericht aus der Stadt ist, in welcher sich Aphrodite und Eros gerade aufhalten.“ „Was willst du damit sagen, Heros? Du glaubst doch nicht etwa…“ „Ich glaube gar nichts, aber der Artikel hat wirklich sehr erstaunliche Inhalte.“ Zeus hob seinen Kelch und setzte zum Trinken an. „Dann bitte ich umgehend um eine Begründung“ meinte der oberste Gott. „Allumfassender Zeus, Ihr werter Auftrag, uns Götter zusammenzutrommeln, führte mich in die nächstgrößere Stadt.“ Hermes legte eine Pause ein und betrachtete seine Papyrusrolle genauestens. Zeus schaute ihn von der Seite an. „Und weiter, lass dir bitte nicht wieder alles aus der Nase ziehen! Heute ist seit langer Zeit schönes Wetter, kein Windhauch trübt die himmlische Götterruhe, ich hoffe, meine gute Laune bleibt.“ „Das liegt ganz an Ihnen, Oberster. Also, ich begegnete Eros auf dem Weg zu Dionysos‘ Bar, welcher gerade dort gewesen war. Wir begrüßten uns kurz und er begann von seinen Tageserlebnissen zu erzählen, weil ihm wohl zu später Abendstunde irgendwelche Auffälligkeiten seltsam vorkamen. Jedenfalls ist mir zu Ohr gekommen, dass die Person, die den Viagra-Tod erlitten hatte, vorgestern in dieser Bar war, und dass vorher Eros seine Hand im Spiel hatte.“ „Na und, was sagt das schon aus? Das musst du mir genauer erklären“ meinte Zeus etwas gelangweilt und hob seinen gefüllten Kelch. „Ich lese erst einmal den Bericht hier vor“ erklärte Hermes beschwichtigend, rollte von Neuem das Papier auf und seine Augen flogen über die Schlagzeilen, bis er die passende Überschrift gefunden hatte: Tod durch Viagra .Gestern Vormittag wurde ein älterer Herr von seiner Schwester tot aufgefunden. Wie weitere Untersuchungen ergaben, war Herr Erwin Mahler an Herzversagen gestorben. Die Schwester berichtete, dass er schon seit längerem ein Herzleiden hatte und auch regelmäßig Medikamente einnahm. Nach einer Hausdurchsuchung wurden sowohl seine Tabletten als auch eine neu begonnene Packung Viagra gefunden. Über letztere Tatsache wunderte sich seine Schwester, da ihr bisher nichts von seinen Viagra-Einnahmen bekannt war. Weitere Recherchen ergaben, dass die Packung Viagra erst am Vortag gekauft wurde, man fand in einer Plastiktüte mit dem typisch roten Apotheken-A noch den Kassenbon einer Bahnhofsapotheke.“ Hermes unterbrach und holte erst einmal Luft. Er erinnerte sich an Eros‘ Erzählungen und konnte sich somit Einiges zusammenreimen. Aber konnte Zeus das auch? Und wäre es nicht besser, sich jetzt dumm zu stellen? Er hob langsam seinen Kopf und schaute auf. Zeus nahm wieder seinen Kelch und trank einen großen Schluck. Das könnte er jetzt auch gebrauchen. Zeus schaute von seinem Kelch auf und dachte so bei sich: Ich würde an seiner Stelle auch keinem erzählen, dass ich Viagra nehme! Er schaute nun zu Hermes und meinte: „Na, vielleicht hatte der Alte zu viel Viagra eingenommen. Außerdem, der Typ war in der Bar! Wer weiß, wie viele Stunden! Bestimmt hatte er nicht gerade wenig Alkohol zu sich genommen. Würd` ich mir keinen Kopf darüber machen. Hast du nicht noch andere Nachrichten für mich,Götterbote?“ Hermes war erleichtert. So kannte er Zeus nicht, dass er eine Nachricht wie solche so leicht abwinken würde, normalerweise kaute er jede Einzelheit genauestens durch und hakte nach. Ja, ja der Götterwein.. man konnte so schön abschalten und im siebten Himmel schweben und alle Sorgen waren wie weggeblasen. Dann würde er sich auch verabschieden, Eros aufsuchen und Entwarnung geben! „Hermes, träumst du, ich habe dich etwas gefragt?“ „Ach, ach so, ja, das Wetter habe ich noch, soll bestens werden, herrlicher Sonnenschein ist vorausgesagt! Darf ich jetzt wieder gehen, Zeus?“ „Meinetwegen und lass dir Zeit!“ rief der oberste Gott noch, nachdem er wieder seinen Kelch angesetzt hatte. Hermes war zufrieden. Erst einmal. Er musste Eros etwas aufheitern. Denn Hermes verstand nun die Zusammenhänge. Gut, Eros war derjenige, der den Liebes-Pfeil geschossen hatte, alles andere waren Zufälle. Die Begebenheit, dass die getroffene Dame den älteren Herrn gerade angeschaut hatte. Genauso wie die Tatsache, mit der niemand gerechnet hatte. Warum musste der Herr mit Viagra nachhelfen? Sicher wusste er selbst nicht, dass sein Medikament und Viagra zusammen eingenommen einen Herzstillstand auslösen können, so wie – lt. Zeitungsbericht - man bei genauem Durchlesen des Beipackzettels seiner Herztabletten einem kleingedruckten, fast unscheinbaren Hinweis im letzten Absatz darüber entnehmen konnte! Hermes machte sich auf den Weg zu Eros. Er musste ihn trösten, denn so schön wie Pfeile schießen vor lauter Langeweile auch war, um den Lebensweg von unwissenden Menschen zu beeinflussen, man wüsste nie, welche weitere Schritte das auslösen könnte und welche Konsequenzen das wiederum mit sich nachziehen würde! Trotz allem ertappte sich Hermes gerade dabei, wie er lächelte, als er an die vielleicht schönste und gleichzeitig letzte Liebesnacht des Verstorbenen dachte. Und in diesem Moment, als er in seinen Gedanken darin versunken war, baute sich eine süßlich riechende Duftwolke vor ihm auf, die ihn zu Eros, dem großen Gott der Liebe führte.
Tag der Veröffentlichung: 11.01.2011
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