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Die Begegnung

„Der Tod ist nur ein weiterer Schritt

einer unvollendeten Reise.“

 

Als ich ihm in die Augen sah, sah ich ein verglühendes Licht vermischt mit dem Schimmer der Freude. Das Leuchten der Weisheit war kaum zu übersehen und doch wurde sein augenblickliches Äußerliches dem nicht gerecht. Das Piepen der Maschinen übertönte sein lautes Atmen, die letzten Atemzüge eines Mannes, dessen ehemals kraftvolle Augen so viel gesehen hatten. Ich begleitete ihn auf einer Reise ins Ungewisse. Ein trauriges Gefühl erfüllte mich, als ich ihm das letzte Mal begegnete und sein Begleiter ins Jenseits wurde. Ich weiß noch wie sein durchdringender Blick meine Seele erforschte und folgendes sagte: „Ich habe auf dich gewartet Khaled.“  Es mag sich zwar kitschig anhören, wie die letzten unbedacht ausgesprochenen Worte eines Menschen, dessen Geist nicht mehr klar war und mir sollte die Ernsthaftigkeit dieser drei unschuldig wirkenden Wörter erst viel später deutlich werden. Damals war ich auch nicht überrascht davon, dass er meinen Namen wusste. Ich ging davon aus, irgendeiner der Schwestern oder der Ärzte hatte ihm von mir erzählt. Doch wie ich später erfuhr, war dies nicht der Fall.

 

Am Anfang dachte ich, dies würde nur ein einfacher Auftrag als Recorder werden. Den letzten Wunsch eines sterbenden Mannes zu erfüllen und seine Lebensgeschichte auf Papier zu bringen. Ein weiterer langweiliger Job. Jeder Mensch hat zwar eine eigene Geschichte und jede ist auf ihre Art einzigartig. Doch wenn man diese Art Arbeit schon seit Jahren ausführt, wiederholt sich vieles. Aber bei dem alten Mann war es diesmal anders. Nachdem er mich  so weißsagend begrüßt hatte, bat er mich Platz zu nehmen und schaute mich erneut sehr lange und durchdringend an, während ich nebenbei meinen Laptop auspackte und die Sitzung vorbereitete. Einige Minuten vergingen und man spürte eine angespannte oder eher düstere Atmosphäre im Raum. Mir ging es durch den Kopf, dass er mich ansah wie ein Geist oder zumindest wie jemand, der er schon gesehen hätte. Mein Kunde ist mir aber noch nie aufgefallen, sonst wüsste ich es.

 

„Darf ich sie fragen, wieso Sie diesen Beruf ausüben?“ Diese Frage durchdrang die Stille wie ein Messer und traf sie mich merkwürdigerweise wie ein Schlag, denn  ich sie schon oft gestellt gekriegt. Äußerlich versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen und entgegnete, dass irgendjemand diese Tätigkeit ausführen muss. „Wenn nicht ich, wer dann?“, witzelte ich mit einem Grinsen im Gesicht.

 

„Irgendeinen Grund muss es doch geben, dass sich ein Mensch für die Lebensgeschichten völlig fremder Personen interessiert und diese sogar zu Papier bringt. In einer Welt der Gleichgültigkeit und Gier, wo der einzelne Mensch nicht mehr viel zählt, ist ihr Beruf doch etwas besonderes, sollte man meinen“, sagte der alte Mann mit ungewöhnlich gleichgültigem Unterton, während ich meinen Laptop hochfuhr, das Aufnahmegerät fertig machte und antwortete: „Mir wurde diese Frage schon sehr oft gestellt und ich muss zugeben, dass ich nie wirklich eine gute Antwort darauf geben konnte. Doch wenn ich so zurück denke, dann liegt es daran, dass mir als kleiner Junge immer von einem älteren Mann sehr spannende Geschichten erzählt wurden. Diese Erzählungen waren Teil seines Lebens und hatten immer eine Moral oder eine wichtige Pointe, leider kann ich mich nicht mehr genau an sie erinnern, denn ich hatte einen schweren Unfall und mir fehlen große Teile meines Gedächtnisses meiner Jugendzeit.“

 

 

Achselzuckend merkte ich an: “Ich hätte mir seine Erzählungen aufschreiben sollen aber damals war ich des Schreibens nicht mächtig, deswegen habe ich mir vorgenommen, dies nachzuholen. Denn jede Lebensgeschichte ist auf ihre Art und Weise interessant und faszinierend.“

 

Kurz sah ich auf den Bildschirm und überlegte ob ich weitererzählen sollte. Ich fand, man sollte ehrlich dem Gegenüber sein und führte weiter aus: „Zumindest dachte ich das damals, jung und motiviert. Im Laufe der Zeit merkte ich, dass die meisten Erzählungen sich ähnlich sind und jeder Mensch auf seine Weise bedacht ist, sich selber hervorzuheben und die schlechten Eigenschaften zu verschleiern. Doch ich mache meine Arbeit gut und ich werde gut dafür bezahlt, von irgendetwas muss man ja leben, “seufzte ich und spielte dabei mit meinen Kugelschreiber. „ So hart es auch klingt, Sie und ihre Lebensgeschichte oder was sie zumindest mir davon mitteilen, ist nur ein einfacher Auftrag für mich. Aber genug von mir, reden wir über sie Herr Chamuel. Ich hoffe es stört sie nicht wenn ich jetzt schon das Aufnahmegerät starte.“

 

Ich schaute ihn neugierig an und wartete auf seine Zustimmung. Er nickte unmerklich, hustete kurz und richtete sich auf dem Bett auf. Sein Blick war klar und seine Stimme war wie eine Meeresbrise. Ich war überrascht, denn selten war ein älterer Mensch wie er so zielgerichtet und sah auch nicht aus, als ob bald das Ende käme. Er machte mich selber neugierig, doch dies nur ansatzweise. Zumindest dürfte eine interessante Story dabei rauskommen. Ich schreckte aus meinen Gedanken als er sich räusperte und anfing zu reden.

 

„Khaled, du musst verstehen, mein Leben war sehr turbulent und recht chaotisch, vor allem zum Schluss. Aber es war mein Leben und ich bereue nichts was ich getan habe oder erlebt habe. Es hatte seine Höhen und Tiefen, doch man kann behaupten dass ich Dinge gesehen habe, die selten ein Mensch mit eigenen Augen erblickt hat. Manche Dinge, die ich dir erzählen werde, werden dir unwahrscheinlich vorkommen. Vermutlich wirst du mich für geistig beeinträchtig halten. Ich kann es dir nicht verübeln. Selbst ich kann es zum Teil nicht glauben, was ich alles erlebt habe. Doch ich kann dir versprechen, es ist alles wahr. Orte und Lebewesen sind mir auf meinen Reisen begegnet, die kannst du dir nicht vorstellen. Doch alles nacheinander.

 

In meiner Jugend war ich ein ganz normales Kind, ich wuchs in einer zerrütteten Familie auf. Meine Eltern stritten sich jeden Tag und ich konnte es nicht ertragen. Deswegen war ich viel unterwegs, meisten allein, denn ich hatte damals keine Freunde. Warum kann ich bis heute nicht sagen, aber ich war unbeliebt aus unbekannten Gründen. Naja wie dem auch sei, ich war viel in der Natur unterwegs und im Stadtpark traf ich immer zur selben Uhrzeit einen alten Mann, mit dem ich mich im Laufe der Zeit anfreundete. Er war immer sehr nett zu mir. Er saß immer am selben Schachtisch und spielte hauptsächlich gegen sich selber. Bis ich ihn fragte ob er es nicht langweilig fände, immer gegen sich selber Schach zu spielen. Er sagte zu mir, der größte Gegner des Menschen ist er selber und fragte mich dann, ob ich Lust hätte Schach zu spielen. Ich zögerte, denn Schach kam für mich öde und nervend vor, doch er überzeugte mich irgendwie. Ich sagte zu und so kam ich jeden Tag zu ihm. Er sah zwar nicht so aus, aber insgeheim freute er sich, dass ich ihn besuchte. Er wurde somit mehr oder weniger zu meinen einzigen und besten Freund.“

 

Etwas gelangweilt lausche ich Chamuel zu und notiere mir ein paar Einzelheiten. „Wie lange ging das vonstatten, wenn ich fragen darf? Trafen sie sich wirklich jeden Tag? Wussten ihre Eltern davon?!“, fragte ich neugierig. „ich habe jetzt die Tage nicht gezählt, aber es war auf jeden Fall eine längere Zeit. Eines Tages traf ich ihn nicht mehr und der Gärtner, der den Park betreute und ihn kannte, erzählte mir, dass er ins Krankenhaus geliefert wurde. Ich wartete jeden Tag auf ihn, doch er kam nie mehr wieder.“

Impressum

Texte: Hans W. Karpowski
Bildmaterialien: Gullfoss waterfall - Iceland/ O Palsson ,„Some rights reserved.“,„Quelle: www.piqs.de“
Tag der Veröffentlichung: 11.04.2014

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