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1. Kapitel

 


Auch im Winter scheint die Sonne

Ein Roman
Von Anuk Nikolai


1. Kapitel

 

 

Was ist hier eigentlich los?

Wieso rennen die alle so hektisch rum? Was sind das überhaupt für Leute?

Die Frau wollte fragen, was hier abgeht - es ging nicht. Warum konnte sie nicht sprechen?

Arme und Hände gehorchten Ihrem Willen nicht!

Das konnte doch nur ein blöder Albtraum sein.

Bestimmt wachte sie gleich wieder auf, wunderte sich und begann das Tagewerk, ließe das Leben wieder fließen.

Sie wollte noch zum Einkaufen.

Irgendwas war trotzdem komisch.

Die legten sie auf eine Trage - brachten sie weg, das mit dem Aufwachen klappte nicht, alles war so unheimlich.

»Wer hat die Frau denn gefunden?«

Was hieß hier gefunden?
Warum musste sie gefunden werden?

»Ich wohne ein Stück weiter die Straße runter. Meine Nachbarin ist immer viel alleine, da wollte ich ´mal nach ihr schauen. Die Haustür war offen, und als sie auf mein Klingeln nicht reagierte, bin ich einfach rein. Habe gerufen und da lag sie auf dem Sofa, kreidebleich. Erst sah es so aus, als sei sie ...! Oh mein Gott, der Schreck sitzt mir noch immer in den Knochen.«

»Lebt sie denn in diesem großen Haus ganz allein?«

»Tja, ihr Mann bewohnt den vorderen Teil, ist aber oft lange Zeit gar nicht da. Darum schaue ich hin und wieder vorbei.«

»Wie gut, dass sie uns so schnell gerufen haben. Vielleicht hat sie Glück und erholt sich wieder.«

›He - Hallo! Ich kann euch hören!‹

Schitt, das mit dem Sprechen ging immer noch nicht.

»Frau Sommer hören Sie mich? Ich bin Dr. Nebel. Sie haben einen Schlaganfall und Ihre Nachbarin hat Sie zum Glück gefunden. Wir bringen Sie nun in die Klinik.«

Ach du Scheiße!

Schlaganfall!

Wieso das denn?

Da lebte man bewusst und bio-gesund und hatte ´nen Schlaganfall.

Das ist doch Mega bekloppt!

Wenigstens Denken konnte sie wohl noch, immerhin etwas!

Mit dem Krankenwagen, Tatü-Tata und Blaulicht - das hatte sie noch nicht!

Natürlich ist ER ´mal wieder weg.

Das war eben der Mist, wenn man im Alter allein lebte, davor grauste es ihr immer.

Konnte ganz plötzlich ´was passieren, wie eben ein blöder Schlaganfall und dann liegste da, kannst dich nicht rühren, nicht ´mal schreien, musst der Dinge harren, die da kommen.

Wie oft waren schon Leute erst nach Wochen, wenn der Gestank die Nachbarn alarmierte, gefunden worden.

Auch nicht schön, da hatte sie wohl Glück.

Seit langem wollte sie sich schon um eine andere Wohnsituation kümmern - wollte!

Und hatte´s nicht gemacht.

Trägheit, Angst vor dem Fremden - Gewöhnung.

Ihr Haus, alles daran und darin war sie.

Jetzt wurde von anderer Seite für die Frau entschieden.

Ihr Leben wird wohl sehr anders werden!

Na gut - sich dagegen sperren wäre echt dämlich.

Kann in diesem vermaledeiten Zustand eh nichts machen. Ließ sich treiben und floss mit dem Geschehen mit.

Man kümmerte sich um sie - war ihr doch tatsächlich peinlich - war sie nicht gewohnt.

›Geh achtsam mit dir um‹, war immer ihr Motto gewesen. Hatte sich von allem und allen zurückgezogen - sich selbst ausgeschlossen.
War das achtsam?

Die Wäsche in der Maschine gammelte nun vor sich hin, wenn keiner sie aufhängte.

Wer sollte das auch tun?

Keiner wusste, wo ER war, wann der wiederkam!

Ha, dann waren seine Plünsen auch schimmlig!

Ja - ja, seine blöden Unterhosen hatte sie dumme Kuh immer noch mitgewaschen.

›Wer blöd ist, den bestraft das Leben!‹

Scheiß egal, war jetzt grad nicht wichtig.

Sie war einfach nur hundemüde.

Die Augen konnte sie auf- und zumachen, den Kopf bewegen auch.

Gut, etwas funktionierte also noch.
Augen zu - schlafen.

 

2. Kapitel


2. Kapitel

 

 

Komisch, aber sie liebte schon immer Krankenhausbetten. Wie lange lag sie hier eigentlich mittlerweile?

Immer wieder fiel sie einfach in tiefe Schlafzustände.

Hatte keine Schmerzen, konnte ganz gut und klar denken. Trotz aller Schläuche und Spritzen hatte sich nichts weiter getan.

»Guten Morgen Frau Sommer! Haben Sie gut geschlafen?«

Sie nickte ein kleines bisschen, was die Schwester nicht registrierte, die Frage war wohl rein rhetorisch.

Hetze - Hetze, rein - raus, der Nächste wartete, Personalmangel.

»Wir haben herrliches Wetter, die Sonne scheint und tiefblauer Himmel spiegelt die Farbe Ihrer Augen. Ist das nicht toll? Außerdem haben Sie heute Geburtstag. Gleich kommt auch der Doktor mit ihrem Mann. Dann wird besprochen, wie´s weitergehen soll. Alles Gute zum Geburtstag.«

Ach du liebe Zeit, dann hing sie hier aber schon ´ne ganze Weile rum.

Die Tür ging auf und Satzfragmente wehten zu ihr.

›Meine Ohren funktionieren tadellos, ihr Blödmänner!‹

»... hat sich nichts getan, keine Veränderung. Jetzt steht die Frage im Raum, wie´s mit Ihrer Frau weitergehen soll. Die eine Möglichkeit wäre, sie kommt zu Ihnen nach Hause. Gemeinsam mit dem ambulanten Pflegedienst könnten Sie es schaffen. Vielleicht

wären die Kinder Ihrer Frau ja auch bereit mitzuhelfen.«

»Welche Kinder? Die lassen sich doch schon lange nicht mehr blicken. Wie lautet Plan B?«, das war SEINE markante, tiefe, einst sexy Stimme.

»Nun ja, hier im Ort bietet sich im Pflegeheim erst einmal die Kurzzeitpflege an.«

»Kurzzeit? Um welchen Zeitraum geht es da?«

»Die Möglichkeit steht ab sofort ganz spontan zur Verfügung. Sobald wieder ein Platz frei wird, kann daraus ein Daueraufenthalt werden.«

»Das hört sich sehr vielversprechend an. Ich denke, diese Variante ist für alle die Beste. Leiten Sie die nötigen Formalitäten in die Wege, oder soll ich mich kümmern?«

»Nein, nein, wir haben schon einen Platz angefragt. Ihre Frau kann noch heute wechseln.«

»Super! Dann machen wir es so. Ich schließe mich mit der Verwaltung der Einrichtung kurz und regele das Formelle.«

»Ihre Frau ist momentan Pflegestufe fünf. Das wurde von der Klinik so bescheinigt. Haben die Kinder ein Mitspracherecht?«

»Nein, wir haben eine Patientenverfügung und auch eine Vorsorgevollmacht. Ich bin der einzige Bevollmächtigte.«

»Na wunderbar, dann ist ja alles perfekt geregelt.«

Die Tür schloss sich wieder, das Intermezzo war vorbei.

Stille!

Nur in ihrem Kopf dröhnte es.

Kein - ach wie schade, hat sie Hoffnung auf Gesundung?

Kein - ich überlege es mir noch.

Zack - zack - zack!

Die Alte kommt dauerhaft aufs Abstellgleis.
Über eine derartige Kaltschnäuzigkeit war sie bis ins Mark getroffen!

Noch heute wurden Türen hinter ihr zugehen, endgültig.

Patientenverfügung - Vorsorgevollmacht!

Schlaganfall - aus vorbei.

Ha - sobald ich wieder selbst agieren kann, wird sich diesbezüglich einiges ändern!

Vollmacht!

Allerdings konnte sie durch diese Reglung wenigstens nicht unter Fremdbetreuung gestellt werden.

Oh ja, ihr Leben würde sich ändern, das versprach sie sich jetzt und hier, schenkte sie sich selbst zum Geburtstag.

Sie würde euch allen schon zeigen, wozu sie in der Lage war.

Die vielen Möglichkeiten mit dem Geist die Realität zu verändern, hatte sie nicht umsonst gelernt.

Zeit und Ruhe genug würde sie ja nun haben.

Ihr werdet euch alle noch wundern!

 

 

3. Kapitel


3. Kapitel

 

 

Gewühl und Gemache - Krankentransport - Rumgehieve und Geschiebe.

Keiner sagte was, die Alte kriegte ja eh nichts mehr mit.

Welch tragischer Irrtum.

Sie hat Angst, Panik drohte aufzusteigen.

Die Ärzte hatten sie aufgegeben.

Da war leider nichts mehr zu machen.

Ach was!

Augen schließen, in das scheiß Gefühl gehen, schauen, wo es herkommt.

Abhängigkeit - Kontrollverlust - Ausgeliefertsein.

War es das, was sie maßlos quälte?
Konnte wohl sein.

Na gut.

Wenigstens das Denken blieb ihr und damit eine unendliche Fülle an Möglichkeiten, die sie sich vorstellen konnte.

Visualisieren nennen sie es in Seminaren.

Schauen wir ´mal, wie´s funktioniert.

»Herzlich willkommen Frau Sommer. Wie ich sehe, können Sie ja Ihre Augen bewegen. Das ist doch super. Wir könnten uns damit auf einen Code einigen. Antworten Sie doch bitte bei einer Bestätigung mit einem Augenzwinkern. Zweimal Zwinkern wäre demnach ein Nein. Sind Sie damit einverstanden? Es ist eine Möglichkeit sich zu verständigen.«

Sie war so unendlich müde und nicht mehr gewohnt, dass man tatsächlich ernsthaft mit ihr sprach.

Wieder eine Krankenschwester - Pflegepersonal.

Auf die Idee mit den Augen war bisher noch niemand gekommen.

Du kannst nicht sprechen, dich nicht bewegen; ist gleichbedeutend mit: Die kriegt nichts mehr mit.

Diese Dame, die auf meiner Bettkante hockte, schien anders zu sein.

Noch recht jung war sie, stämmig und ein wenig grobschlächtig wirkte sie eher maskulin und wenig einfühlsam. Doch ihre Augen sprachen eine andere Sprache.

Blaugrün und strahlend drückten sie eine Intensität in allem, was Bedeutung hatte aus.

Sie registrierten jede noch so kleine Winzigkeit, lächelten selbst dann, wenn das Gesicht der Frau ausdruckslos zu sein schien.

Augen sprachen eben ihre eigene Sprache!

Wie wunderbar!

Auf diese Weise konnte Marie Sommer wieder mit wem reden!

Ihre Augen gehorchten und zwinkerten einmal.

Ja!

»Wunderbar!«, trällerte das Gegenüber.

Sie griff nach ihrer Hand, hielt sie in der ihren - die Frau fühlte nichts.

»Haben Sie einen Wunsch, den ich in der Lage bin, Ihnen zu erfüllen?«

Zweimal zwinkern - nein.

Ihre Wünsche waren in diesem Moment nichts mehr als Utopie.

»Ich werde mich um Sie kümmern und Ihr Mann hat auf mein Anraten sogar tägliche Physiotherapie bewilligt und bezahlt. Dadurch können wir verhindern, dass sich die Muskeln zu sehr zurückbilden. Mit achtundsechzig Jahren sind Sie noch zu jung, um aufgegeben zu werden. In Ihren Augen sehe ich doch das Leben blitzen!«

Ein Engel saß ihr gegenüber!

Es gab doch einen Gott und der schien´s gut mit ihr zu meinen.

So unendlich dankbar und glücklich, einen Menschen an ihrer Seite zu haben, für den sie nicht nur ein lebloses Stück Fleisch war, das bis jetzt auf keine Therapie angesprochen hatte.

Ein Mensch - gegenüber - Auge in Auge!

Die Emotionen überwältigten sie - Tränen, heiß und lebendig schossen hervor.

Der Engel nahm ein Mulltuch und wischte sie fort.

Sie spürte das Tun der Schwester nicht - sah nur, was sie tat.

»Sie sind verzweifelt, was ich gut verstehen kann, aber ...«

Schnell klimperte sie zwei Mal - Nein.

Sie war überglücklich wieder aktiv und bewusst am Leben teilnehmen zu können.

Ihre Retterin lachte.

»Sie freuen sich?!«

Einmal klimpern, unterstützt mit, wie sie meinte, heftigem Kopfnicken - Ja.

»Weil wir auf diese Weise miteinander ›reden‹ können?!«

Einmal klimpern - Ja.

»Das heißt also, geistig sind Sie uneingeschränkt voll da?!«

Einmal klimpern - Ja.

»Ach Frau Sommer, das ist doch hervorragend, um nicht zu sagen toll!«

Einmal klimpern - Ja.

»Ich verspreche Ihnen, so oft es mir möglich ist, unterhalten wir uns. Leider ist auch hier bei uns im Heim personell reichlich ›Ebbe‹. Wir sind hoffnungslos unterbesetzt. Irgendwie werde ich mir die Zeit für Sie einfach schon stehlen. Das geht, wenn man nur will!«

Ja, das werden wir. Am Willen fehlte es ihr auf jeden Fall nicht.

Plötzlich war die Stille erdrückend, nachdem die Zimmertür sich geschlossen hatte und sie wieder allein blieb.

Gerne wäre sie in Gesellschaft, würde hören, was die Anderen sich erzählten, eben am Leben teilnehmen.

Sich selbst zur Ruhe und Geduld ermahnend lag sie einfach so da, versuchte nichts zu denken.

An der Wand gegenüber hing ein recht großes Gemälde.

Ein Getreidefeld mit knallroten Mohnblumen durchwirkt von blauen Tupfern, die sich als Kornblumen darstellten.

Ein friedliches Bild.

Gedanken ausschalten, nur noch dieses Gemälde wirken, sich aufnehmen, beherbergen, einlullen lassen.

Dass sie eingeschlafen war, entging ihr, der daraus sich ergebende Traum allerdings hing noch sehr präsent im Bewusstsein.

Wogende Getreidehalme so weit das Auge sehen konnte, erstreckten sich von einem Horizont zum anderen.

Ein Meer von Korn, alles gleich, kein Halm war etwas Besonderes, nur miteinander bildeten sie diese Gemeinschaft, versprachen dem Betrachter solche Fülle des Lebens, Ernte - Nahrung - Brot - Überleben.

Eines dieser Hälmchen war nun sie selbst.

Ein Anflug von Bedeutungslosigkeit wallte in ihr auf, einer zu sein von zig-tausenden, dieser eine hatte keinen Wert.

Doch alle anderen waren gleichfalls, jeder für sich, lediglich - einer.

Ohne jeden Einzelnen gab´s aber kein Kornfeld.

Jeder war so wichtig wie sein Nachbar, nicht mehr und nicht weniger.

Jeder hat für sich die Aufgabe, zu wachsen, zu reifen und am Rhythmus des Lebens teilzunehmen.

Unwichtig oder wichtiger als ... gab es nicht, erschien auch irrelevant.

War sowieso egal, nur alle zusammen bildeten ›das Leben‹.

Wenn es diese Frau so, wie sie hier lag, nicht geben würde, genau wie die anderen Bewohner dieser Senioren-Residenz, hätten all die Angestellten keinen Job, könnten sich nicht helfend einbringen, bekämen für ihren Einsatz keine Bezahlung, keine Anerkennung.

So hing jeder mit jedem, alles mit allem zusammen.

Trotzdem gefiel ihr diese unbewegliche Situation nicht.

Außer der Bewegung ihrer Augen spürte sie absolut nichts, merkte noch nicht einmal, ob sie pinkeln musste oder - Schlimmeres.

Da ihr das Kauen auch nicht gelang, wurde der Körper durch eine Magensonde ernährt, Speichel saugte ein kleiner Schlauch ab, sonst wäre andauerndes Gesabber angesagt.

Gerne möchte sie wieder ein Getreidehalm sein, diesen jetzigen Zustand ausblenden.

Da stellte sich die Frage: War es Fluch oder Segen, ihren Geist fit und aktiv zu wissen?

Der Segen erhielt ganz klar den Zuschlag, auch wenn sie erleben musste, was für Unannehmlichkeiten sie anderen bescherte.

Um aus diesen selbstmitleidigen Gedanken rauszukommen, schaute sie wieder in das Gemälde, erzählte sich selbst eine Geschichte, von Sonne und Sommer, dem Summen der Insekten, wie die bäuerliche Familie den Tag gestaltete.

Es macht Spaß diese fiktiven Protagonisten mit Klamotten auszustaffieren, ihnen Kinder und Freunde an die Seite zu stellen, sie lachen oder weinen zu lassen.

Und ohne, dass es ihr anfänglich wirklich bewusst war, schlich sich eine verbotene Liebelei mit ein.

Der widmete sich jetzt einfach ihr gesamtes Sein mit allen Emotionen, die sie am Leben teilhaben ließen, sie ausfüllten und froh machten.

Am vorläufigen Zwischenstopp der Handlungen wusste sie: ›Ich will leben!‹

Gesund, ausgestattet mit allen Möglichkeiten ein Dasein bewusst zu kreieren, so zu gestalten, dass Fülle in allem ganz von allein kommen konnte.

Hilf dir selbst!

Immer wieder entspannte sie sich.

Heilendes, lebendiges lichtvolles Fluidum visualisieren ... gut und schön, doch was tun, wenn die Gedanken unerlaubt eigene Wege gehen, sich auf Wanderschaft begeben?

Sie stellte sich vor, wie strahlendes, goldiges und streichelndes Licht durch ihren Körper floss, jede Zelle umspülte, eine Flut an Information von Gesundheit, Lebendigem und Freude transportierte, überall ablud, sich ausbreitete.

Und zack - erwischte sie sich dabei, wie dieser junge Physiotherapeut sie mit seinem schelmischen Blick musterte, Wünsche auslöste, Unmöglichkeiten suggerierte.

Dabei konnte er, so jung an Jahren, ihr Sohn sein.

Also ehrlich!

Reiß dich ´mal zusammen!

Konzentration war jetzt angesagt, sonst wurde das hier nichts!

Gestern, nachdem sie es geschafft hatte, lange und ausdauernd diese feinstoffliche Heilung aufrechtzuerhalten, spürte sie plötzlich ihre Fingerspitzen.

Als die Schwester das Fenster öffnete, war da ein kühler Luftzug, gefolgt von einem leichten Kribbeln, beschränkt lediglich auf die Fingerspitzen.

Immerhin!

Und heute war dieses Gefühl immer noch da!

Das mit dem Geist, der die Realität ändern kann, schien doch tatsächlich zu funktionieren.

Nur weigerten sich ihre Gedanken im Moment wieder diszipliniert dieses heilende Licht heraufzubeschwören.

Schitt, immer wieder drängten sich die schelmischen Augen des Therapeuten in den Vordergrund.

Au Mann, dachte doch immer, irgendwann liesse das Verlangen nach einem süßen Kerl nach, verschwindet, zollte der Realität des Alters den Preis des Abgestumpftseins.

Ja, ja - von wegen.

Verträumte Augen, ein sinnlicher Mund und kantige, maskuline Gesichtszüge umrahmt von einer Flut dunkler, wilder Locken lässt das Beuteschema wieder zuschnappen.

Egal ob des Alters, beweglich oder nicht.

Das Herz setzte kurz aus, holperte ein bisschen und Endorphine fluteten das Hirn mit allen dazugehörenden Reaktionen.

Gut, dass ich mich nicht wirklich sehen kann!

Im Geist fühlte sich alles prima an, gaukelte sich selbst vor, hübsch zu sein, liebenswert und funkelnd.

Na und, Hauptsache das Gefühl lässt das Blut sprudeln und tanzen!

Das war Leben pur!

Sollte der junge, im Moment imaginäre, Kerl doch seine Hände über ihren Körper streichen lassen, eine Hitzespur auslösen, bis die Haut zu glühen schien und alles Gewebe von heißer, erotischer Wärme durchdrungen verjüngt aufjubelte.

Heilende Hände eben, die mit geistigem Licht und Liebe alles wieder in Ordnung brachten.

Was sollte sie im Augenblick davon abhalten, sich eine, ihre Realität zu erdenken?

Hauptsache, sie tat etwas und das wollte sie, auch für ihr Wohlbefinden sorgen.

Das konnte eh keiner für sie tun.

Wenn sie die jetzige Situation nicht annahm, sich dagegen wehrte, dagegen ankämpfte und verkrampfte, was brachte ihr das, außer Frust?!

Und das war sicherlich nicht heilend.

Außerdem konnte keiner ihre Gedanken und Vorstellungen sehen oder hören.

Da brauchte sie sich auch nicht zu schämen.

Wieder und wieder jubelte die Hitze durch Adern und Zellen und jagte sie zu einem nie erreichten Höhepunkt.

Zufrieden, erfüllt und schelmisch begeistert, von seliger Müdigkeit umhüllt ließ sie sich in einen willkommenen Schlaf fallen.

 

4. Kapitel


4. Kapitel

 

»Hallo Frau Sommer! Ich habe Feierabend, meine Schicht ist für heute vorbei. Es tut mir leid, dass ich nicht öfter vorbeischauen kann.

Doch jetzt setze ich mich erst einmal eine Zeitlang zu Ihnen. Wie geht´s denn wohl so? Verspüren Sie schon eine Veränderung?«

Einmal klimpern - Ja

»Echt? Super! Hm, wie frage ich weiter? Wo, in den Händen?«

Einmal klimpern - Ja.

»Fein! Können Sie die Finger bewegen?«

Zweimal klimpern - Nein

»Hm - vielleicht ein Kribbeln in den Fingerspitzen?`«

Einmal klimpern - Ja

»Na, bei solchen Fortschritten gibt es doch jeden Grund mit noch mehr zu rechnen. Tut Ihnen die Physiotherapie gut?«

Einmal klimpern - Ja

»Wunderbar, dann werde ich dem Herrn Reich mitteilen, dass er gut auf Sie achten und mit Elan an Ihrer Heilung weiterbasteln soll. Er ist ja auch ein ganz besonders hübsches Bürschchen, meinen Sie nicht auch?«

Einmal heftig klimpern - oh Ja!

Schwester Edith lachte laut und wunderbar.

Auch die Frau lachte, doch nur ihre Augen strahlten still diese Freude aus.

»Ich habe auch schon einige Male versucht, bei ihm zu landen, aber bisher zeigt er kein Interesse. Na ja, immer wenn ich ihn sehe, springt mein Herz vor Freude und ich bin gut drauf. Das ist doch viel mehr, als frustriert durch die Gegend zu laufen.«

Einmal klimpern - Ja

»Oh, liebe Frau Sommer! Wir verstehen uns! Aber leider muss ich jetzt doch gehen. Der Alltag ruft zu den anstehenden Pflichten. Machen Sie weiter so, ich freue mich auf unsere nächste Plauderei.«

Einmal klimpern - Ja

 

5. Kapitel


5. Kapitel

 

Tumult auf dem Flur.

Was war denn da wohl los.

Hier zu liegen, sich nicht rühren zu können, nichts mitzukriegen war absolut blöd!

Wenn die meinten, sie brauchte besonders viel Ruhe, hatten die sich gründlichst geirrt.

Sie brauchte Ansprache, wollte Leben erleben, gierte nach Leuten!

»... ich bin der neue Arzt, der ab jetzt diese Einrichtung betreut. Ergo habe ich das Sagen, welche Therapie welchem Patienten zugeteilt wird. Sie können mir sicherlich Ratschläge geben

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Anuk Nikolai
Bildmaterialien: https://pixabay.com/de/altes-paar-sitzen-gro%C3%9Feltern-bank-2313286/
Cover: Janosch Dierkes
Tag der Veröffentlichung: 12.11.2017
ISBN: 978-3-7438-4101-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Kinder: Janosch, Simon, Johanna und Pauline

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