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1. Kapitel


Eifersüchtige Herzen

Ein Roman von
Uta Dierkes

 


»Warum schaust du denn gar so finster drein, Luise? Ein junges Mädchen muss doch lachen an so einem Tag«

Stefan Moosbauer stieß seine ältere Tochter in die Seite.

Die Hochzeit des Bürgermeistersohnes mit einem reichen Mädchen aus dem Nachbarsdorf wurde groß gefeiert und der Moosbauer und seine beiden Töchter saßen mit am Ehrentisch.

Sie waren weitläufig verwandt mit dem Bräutigam und deswegen schon seit dem Morgen dabei gewesen.

Jetzt nahte das Ende des turbulenten Tages, das Brautpaar hatte sich zurückgezogen und bald würden sich auch die ersten Gäste erheben und auf den Heimweg machen.

Besonders die älteren unter ihnen gähnten verstohlen, während die Jungen sich noch nach den Klängen der Musikkapelle auf dem hölzernen Tanzboden drehten.

Luise gab dem Vater keine Antwort auf seine Frage.

Mit düsteren Blicken verfolgte sie ein Paar auf der Tanzfläche bei jedem seiner Schritte.

Und wenn das Lachen ihrer Schwester bis zu ihr herüberdrang, gab es ihr jedes Mal einen Stich.

Bis jetzt war es ihr noch gar nicht aufgefallen, dass der Lorenz sich für die Anne interessierte.

Aber heute tanzte er beinahe mehr mit der Schwester, als mit ihr und je weiter der Zeiger der Uhr vorrückte, desto enger hielt er sie in seinen Armen.

Und der Anne schien dies sehr zu gefallen.

Sie hatte rote Wangen und glänzende Augen bekommen und schien sich bestens zu amüsieren.

Die alte Gerda, von allen nur Gerdel genannt und schon seit Lebzeiten auf dem Moosbauerhof, strich Luise über das kurze, glatte Haar.

»Hübsch schaut sie aus, die Kleine, gell?«, sagte sie voll mütterlichem Stolz, und Luise lachte verächtlich.

Sie konnte leicht hübsch aussehen, die jüngere Schwester, die von allen verwöhnt und verhätschelt wurde.

Jede schwere Arbeit wurde, seit sie zurückdenken konnte, von der ferngehalten.

Auf sie hatte man nicht solche Rücksicht genommen, sie war groß und stark, ersetzte dem Vater sogar einen Knecht.

»Sie hat auch den ganzen Tag Zeit sich herzurichten«, sagte Luise böse und ließ das tanzende Paar nicht aus den Augen.

Sofort ergriff die alte Magd Annes Partei.

»So wie du manchmal daherredest, meint man, an deiner Schwester ist dir nicht viel gelegen! Die Anne arbeitet doch wie wir alle den ganzen Tag. Nur mit dem Unterschied, dass sie halt im Kaufhaus ist, dass die Arbeit auf dem Hof zu schwer für sie ist, das wissen eben alle. Sie ist halt nun einmal sehr zart und anfällig, das hat sie von eurer Mutter, Gott hab sie selig.«

Und bei dem Gedanken traten der Gerdel die Tränen in die Augen.

Luise machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Fang nicht damit an, Gerdel, das ist lange her. Mit deinem Geheule machst du die Mutter auch nicht wieder lebendig.«

Die Gerdel schnaubte beleidigt.

»Ein Jammer ist es, dass sie so früh hat gehen müssen. Manches wäre anders geworden auf dem Moosbauerhof.«

Die Luise antwortete nicht und sah zu, wie der Lorenz die Anne hinüber an die Bar führte.

Jetzt war es wirklich an der Zeit, dass sie dazwischen trat.

Die beiden schienen sie ja ganz vergessen zu haben.

Mit hochmütigem Blick erhob Luise sich und ging durch den Saal.

Die Gerdel saß nun allein am Tisch und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglas.

Das Zweite war es übrigens schon an diesem Abend, und sie war den Alkohol doch nicht gewohnt.

Aber der Bauer würde sie später sicher zurück auf den Hof bringen.

So schnell ergab sich für sie sicherlich nicht wieder eine Gelegenheit, auf eine Hochzeit zu gehen.

Sie schaute Luise nach, die sich zwischen ihren Bräutigam und die Schwester gestellt hatte.

Und sie sah auch, dass Anne bleich geworden war, die ältere Schwester ängstlich anschaute.

Wieder fühlte die Gerdel die Tränen aufsteigen.

Sonst hatte sie für gewöhnlich nicht so nah am Wasser gebaut, aber heute war die Trauung schon so rührend gewesen und jetzt der Wein ... Verstohlen suchte sie nach dem Taschentuch.

Die Anne hatte schon immer einen besonderen Platz in ihrem Herzen eingenommen, eben den des Lieblings.

Seit jener Stunde, in der die Moosbauerbäuerin ihr das winzige Bündel in den Arm gelegt hatte.

»Nimm dich ihrer an, ich kann es nicht mehr«, hatte die gehaucht, und am nächsten Tag war sie gestorben.

Die Anne, die eigentlich der ersehnte Junge hätte werden sollen, kämpfte lange um ihr bisschen Leben.

Sie blieb immer ein schwächliches, dünnes Kind.

Der Bauer hatte die Enttäuschung bald überwunden, dass kein Junge in der Wiege gelegen hatte, denn das kleine, hellblonde Mädchen verstand es, sein Herz zu gewinnen, glich es doch sehr der Mutter, seiner verstorbenen Frau, die er so sehr geliebt hatte.

Viel zu sehr, so dass nie wieder jemand ihren Platz in seinem Herzen und auf seinem Hof hatte einnehmen können.

Sie hatte die beiden Mädchen aufgezogen, die robuste, nicht auf den Mund gefallene Luise und die zarte, scheue Anne.

Luise war dem Vater bald schon eine vollwertige Arbeitskraft geworden, während Anne im Haus half und schließlich nach der Schule als Verkäuferin in den Kaufladen ging.

Die Arbeit machte ihr Spaß, alle Bäuerinnen ließen sich gern von ihr bedienen, schätzten ihren Sachverstand und ihre fürsorgliche Art.

Soweit wäre alles in Ordnung gewesen auf dem alten Hof, wenn sich die beiden Schwestern besser verstanden hätten.

Aber so sehr sich die Jüngere auch bemühte, Luise zu gewinnen, die Ältere hatte nicht viel für die kleine Schwester übrig.

Wie würde das nur werden, wenn der Bauer bald den Hof übergab und die Luise allein das Sagen und Walten haben würde?

Dann würde der Baldinger Lorenz als Bauer auf den Hof kommen, die beiden waren sich seit einem Jahr versprochen.

Der junge Mann passte gut zur Luise, war etwas derb, aber ein guter Kerl.

Und er war von zu Hause aus wohlbegütert, seinem Vater gehörte ein Fuhrunternehmen.

Sie würden bald Kinder haben, die beiden jungen Leute, nur was würde dann aus der Anne?

Es gab genügend Burschen, die sich für sie interessierten, aber das zarte Mädchen war als Bäuerin ganz und gar ungeeignet.

»Schau zu, dass du einen Arzt oder Apotheker heiratest«, sagte der Bauer immer scherzend zu ihr, »die Bauernarbeit ist nix für dich. So war´s auch schon bei deiner Mutter, Gott hab sie selig. Du kommst eben nach ihr.«

Und die Anne wurde dann verlegen und schüttelte den Kopf.

»Ich bleibe bei dir, Vater, ich lass dich doch nicht allein.«

Ja, so war sie, die Anne, ein herzensgutes Mädchen, immer bemüht, es allen recht zu machen.

Jetzt sah die Gerdel, wie die Kleine mit traurigem Gesicht auf den Tisch zukam und wie hinten die Luise lebhaft auf den Lorenz einsprach.

Jedoch lachte der nur auf ihre Vorwürfe.

»Setz dich her zu mir«, sagte Gerdel, »du bist ja ganz erhitzt vom Tanzen.«

Heftig schüttelte die Anne den Kopf.

Wunderschön sah sie aus in dem blauen Dirndl mit den weißen Margeriten und der gestickten Schürze.

Große blaue Augen standen in dem schmalen, fein geformten Gesicht, das umrahmt wurde von einer Flut langer, blonder Haare.

»Ich möchte heimgehen, Gerdel. Wollen wir zwei uns nicht jetzt auf den Weg machen?«

»Wenn du mich unterhakst, ich bin nimmer so ganz sicher auf den Beinen«, lachte die alte Magd und stand bereitwillig auf.

Sie sagten noch dem Bauern Bescheid, der versprach, mit der Luise bald nachzukommen.

»Hat es dir auf dem Fest gefallen?«, fragte der Vater noch, bog das Gesicht seiner Jüngsten zu sich und sah ihr in die Augen.

Das Mädchen nickte nur kurz, sagte aber nichts.

Der Mann hielt ihren Blick gefangen und sah sie fragend an.

»Es war sehr schön, Vater, aber jetzt bin ich müde.«

Draußen auf der Dorfstraße stand die Gerdel wirklich nicht mehr fest auf den Beinen und Anne musste sie tatsächlich unterhaken.

»Hat dich die Luise wieder ausgeschimpft? Sie hat wohl Angst, ihr Lorenz könnte dir zu lange in deine blauen Augen schauen?«

»Ich habe wirklich zu lange mit ihm getanzt«, sagte Anne und nahm die Schwester wieder einmal in Schutz, »Luise hat ja ganz recht gehabt.«

Die Gerdel seufzte.

Das Mädchen hatte es wieder einmal geduldet, dass die Schwester ihr Vorwürfe gemacht hatte und wie die alte Frau fand, ganz unberechtigte.

Der Lorenz würde ihr schon erhalten bleiben, er war gar nicht der Mann, an den ein Mädchen wie Anne ihr Herz verschenken könnte.

Anne hatte schwer an der alten Magd zu halten und war dann froh, als sie endlich den Hof erreicht hatten.

Sie wünschte der Gerdel noch eine gute Nacht und half ihr auch hinauf in ihre Kammer.

Dann ging sie in ihr eigenes Zimmer, setzte sich auf das Bett, dachte an den Tanzabend.

Sie machte sich eigentlich nicht viel aus der Tanzerei, aber heute hatte es ihr gefallen.

So gut sogar, dass sie vergessen hatte, dass sie der Luise den Lorenz zu lange weggenommen hatte, viel zu lange.
Morgen in aller Frühe würde sie sich bei der Schwester entschuldigen, heute war sie zu wütend gewesen.

 

 

 

Sie konnte sich vorstellen, wie die Schwester dem armen Vater zugesetzt haben musste, dass er nicht mehr aus noch ein wusste.

Die Verzweiflung sah sie ihm an seinem Gesicht an.

Und sie wollte ihm helfen.

»Ich gehe gern hinauf, Vater. Im Geschäft muss ich halt ein halbes Jahr lang kündigen. Vielleicht tut mir die Luft da oben richtig gut. Und mit dem Vieh werde ich schon fertig. Du wirst sehen, was für eine tüchtige Sennerin ich sein werde.«

Der Moosbauer atmete erleichtert auf.

Dass sich die Anne so widerstandslos fügen würde, hatte er nicht gedacht.

Er ahnte ja auch nicht, dass ihr der Gedanke an einen einsamen, langen Sommer dort oben weh tat, dass sie sich am liebsten an ihn gehängt und ihn gebeten hätte, sie bei ihm zu lassen.

Ihr wurde erst leichter zumute, als er sagte, dass die Gerdel darauf bestand, mit ihr zu gehen.

»Na siehst du, wir zwei werden das schon schaffen, die Gerdel und ich, und du wirst deine Kühe im Herbst nicht wiedererkennen«, sagte sie aufgesetzt scherzend.

»Hoffentlich finden die Luise und der Lorenz wieder zusammen«, meinte der Vater im Weitergehen, »ich sehe, dass sie keinen Ring mehr trägt, und er hat sich schon eine ganze Weile nicht mehr sehen lassen. Dabei gäb es noch so viel zu bereden. »

»Du meinst, sie haben sich ernstlich gestritten? Auch noch wegen mir? Ich werde zum Lorenz gehen und mit ihm reden. Die beiden haben anscheinend jeder einen gehörigen Dickkopf.«

Der Vater sah sie dankbar an.

»Luise spricht über so etwas nicht mit mir, ich kann es nur vermuten. Aber wenn du ihr helfen willst, dann wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn du zu ihm gehen würdest. Erfahren darf sie es freilich niemals.«

»Ich passe schon auf«, versprach Anne und nahm sich vor, schon bald hinaus zum Schriewerhaus zu gehen.

Im Dorf begann man schon darüber zu reden, dass noch gar keine Vorbereitungen zur Hochzeit der Moosbauertochter mit dem Baldinger Lorenz getroffen wurden.

Dabei war der Mai ins Land gezogen mit all seinen Farben und der Blütenpracht - gerade die richtige Zeit zum Hochzeit halten.

An einem dieser Tage machte sich die Anne auf den Weg. Luise war ihr aus dem Weg gegangen, wo sie nur konnte und sie litt unter dem Hass der Schwester.

Weder die Gerdel noch der Vater konnten sie zur Vernunft bringen.

Die Atmosphäre auf dem alten Hof war unerträglich geworden, und Anne war froh, wieder ins Geschäft gehen zu können.

So sah sie die Schwester nur morgens und abends.

Der Lorenz war nicht mehr gekommen und sie hatte gesehen, dass der Vater recht gehabt hatte.

Die Schwester trug nicht mehr den schmalen Goldreif.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie der Grund dafür sein sollte, aber sie wollte mit Lorenz reden.

Er war nicht da, und sie musste ein wenig warten.

Seine Mutter zeigte sich nicht gut aufgelegt und natürlich nahm sie ihren Sohn in Schutz.

»Diese Luise hätten wir ihm ausreden sollen. Die Zwei passen nicht zueinander, da nützt auch der schöne Hof nix. Wenn zwei vor der Hochzeit schon wie Hund und Katze sind, dann geht das nie und nimmer gut. Eine wie dich hätte er nehmen sollen. Geld hat er doch selber.«

Anne war rot geworden, und sie war froh, als der Wagen mit dem Lorenz kam.

In dem Moment, als er sie sah, ging ein breites Lachen über sein Gesicht, und er drückte ihr die Hand, dass sie leise aufschrie vor Schmerz.

»Anne, du!? Ich habe des Öfteren gewartet und wollte dich mitnehmen. Aber du warst verschwunden. Gehst du wegen mir einen anderen Weg, ist es dir nicht mehr recht, dass ich dich mitnehme?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

»Ich war lange krank und gehe erst seit dieser Woche wieder arbeiten. Aber da ist etwas anderes, warum ich gekommen bin. Es ist eben wegen der Luise.«

»Mach uns einen Tee«, blaffte der Lorenz seine Mutter an, und fragte dann die Anne, ob sie vor dem Haus sitzen bleiben sollten.

Es war ein warmer Maiabend und sie nickte.

»Ich möchte dich nicht lange aufhalten, Lorenz, sicher hast du noch etwas vor?«

Er streckte die Beine aus und machte ein verdrießliches Gesicht.

»Du weißt ja sicher Bescheid. Aus ist es zwischen deiner Schwester und mir. Sie hat mir ihren Ring zurückgegeben. Ich habe ihn nicht angerührt, er liegt immer noch auf meinem Schreibtisch.«

»Aber doch nicht wegen mir!?«, fragte sie entsetzt, und ihre blauen Augen wurden vor Schreck ganz groß.

»Anscheinend schon, Anne! Weiß der Teufel, was sie sich dabei gedacht hat, dass ich dich ein paarmal mitgenommen habe. Du bist doch ihre Schwester, ich verstehe das alles nicht.«

Er verbarg den Kopf in seinen Händen.

Viel Zeit zum Nachdenken hatte er gehabt in den letzten Wochen.

Er musste sich eingestehen, dass ihm die Luise schon fehlte, sie irgendwie allmählich doch zu seinem Leben gehört hatte, er sie vermisste.

Die Anne hatte ihm wohl gefallen, ja sie gefiel ihm immer noch.

Man musste sie einfach gernhaben mit ihrem hübschen Gesicht und der lieben Art.

Er war auch nur ein Mann.

Aber er hatte doch nie einen Versuch gemacht ihr näher zu kommen, oder gar zu nahe zu treten.

Aber wie hätte er das der Luise erklären sollen?

Die war doch einfach blind vor Eifersucht.

Da war er stur geblieben, obwohl es ihm längst leidtat, dass er sie hatte gehen lassen.

Jeden Tag hatte er aufs Neue mit sich gerungen, ob er nicht einfach hingehen sollte zu ihr, den Ring mitnehmen und wieder an den Finger stecken sollte, denn sie wusste doch genauso gut wie er, dass sie beiden zusammengehörten.

Doch ihm war auch klar, wenn er jetzt nachgab, dann tat er genau das, was alle machten: Nämlich ihr gehorchen.

Den Vater und die Schwester beherrschte sie schon immer, mit ihrem Ehemann würde sie wohl genauso umspringen.

Und das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Das war der einzige Grund, warum er immer noch darauf wartete, dass sie von sich aus zurückkam.

»Ja, ich bin ihre Schwester«, hörte er die Anne neben sich sagen.

Er hatte fast vergessen, dass sie da auf der Bank neben ihm saß und offensichtlich gekommen war, weil sie etwas auf dem Herzen hatte.

»Hat denn Luise dich hergeschickt?«, wollte er nun wissen.

Anne schüttelte den Kopf und sagte ihm, dass sie der Vater um diese Unterredung gebeten hatte.

Man beginne schon im Dorf zu reden über die beiden, deren Hochzeit doch längst hätte sein sollen.

Der Lorenz lachte bitter.

»Der Herr Pfarrer wird darauf warten, dass er das Aufgebot aushängen kann. Aber wenn es so weitergeht, dann ...«

Annes Hand legte sich wie von selbst auf seinen Arm.

»Bitte, Lorenz, mach doch du den Anfang. Ich weiß, dass die Luise dich sehr lieb hat. Wenn sie auch manchmal ihre Gefühle nicht so zeigen kann, wie andere. Aber du bedeutest ihr am meisten auf der Welt. Sie hat sich verändert, seitdem du nicht mehr kommst, und sie leidet darunter. Du weißt ja, wie stolz sie ist, und dass es ihr nicht leichtfällt, den ersten Schritt zu machen.«

»Du magst deine Schwester sehr gern, aber umgekehrt scheint es mir nicht so zu sein«, antwortete der junge Bursche unverblümt und betrachtete aufmerksam das schmale, schöne Profil ihres Gesichtes.

Er sah auch, dass die blauen Augen traurig schimmerten und Anne den Kopf senkte.

»Sie meint, dass ich zwischen euch stehe, Lorenz. Und deswegen will sie mich auch aus dem Haus haben. Wenn ihr Hochzeit haltet, werde ich nicht mit dabei sein. Der Vater schickt mich hinauf auf die Alm.«

»Wie bitte, du sollst auf die Alm gehen«, er schüttelte ungläubig den Kopf, »und das alles, weil die Luise sich etwas einbildet, was nicht wahr ist. Du machst mir doch nicht den Eindruck, als wenn du dich in mich verliebt hättest.«

Er nahm ihr Kinn in die Hand und sah sie lachend an.

Ihre Verlegenheit rührte ihn ein wenig.

Die kleine Anne hatte ihr Herz bestimmt noch keinem Mann geschenkt.

Sie lachte nicht, ihre Stimme war ernst.

»Ich bin noch keine zwanzig und kann warten, bis eines Tages derjenige kommt, auf den ich gewartet habe.«

»Du hast also schon jemandem im Sinn?«, wollte der junge Mann wissen.

Doch darauf gab das Mädchen ihm keine Antwort.

Ihre geheimen Träume gingen niemanden etwas an.

»Wir treiben das Vieh am Sonntag hinauf. Wirst du zur Luise gehen und mit ihr reden, wenn ich nicht mehr da bin? Ich bitte dich sehr darum«, sagte sie leise.

Der Lorenz zögerte noch.

»Du willst wirklich auf die Alm gehen, Anne? Als Sennerin kann ich mir dich nicht recht vorstellen.«

»Die Gerdel begleitet mich und vielleicht ist es wirklich gut, dass Luise einmal allein mit dem Vater ist. Dass sie mir unrecht tut, wird sie eines Tages schon einsehen. Aber dich darf sie nicht verlieren, du musst ihr helfen.«

Sie war jetzt aufgestanden.

Wenn sie sich nicht beeilte, würde die Schwester misstrauisch werden.

Gegen Abend verließ Anne für gewöhnlich kaum mehr das Haus.

Lorenz nahm ihre Hand in die Seine und hielt sie fest.

»Also gut, Anne, ich verspreche es dir, dass ich zur Luise gehe. Aber es ist das allerletzte Mal, dass ich nachgebe. Und das werde ich ihr auch genau so sagen.«

Anne atmete erleichtert auf.

»Ich danke dir recht schön, Lorenz, dann bin ich nicht umsonst gekommen.«

Als er ein Stück mit ihr gehen wollte, lehnte sie das resolut ab.

Man sollte sie nicht wieder zusammen sehen.

»Pass auf der Alm auf dich auf. Es soll wieder Wilderer geben und eine schöne Sennerin ist auch für die Burschen verlockend«, sagte er lachend und winkte ihr nach.

Lorenz war froh, dass die Anne den Weg zu ihm gefunden hatte.

Irgendwie erkannte er nun, dass er sich beinahe in dumme Gedanken verrannt hatte.

Nicht sie, sondern die Luise wollte er haben, und er nahm sich vor, gleich nach dem Almauftrieb auf den Moosbauerhof zu gehen und sich mit ihr auszusprechen.

An diesem Abend blieb Luises Ring nicht auf dem Schreibtisch liegen.

Lorenz steckte ihn ein und trug ihn in den nächsten Tagen immer mit sich herum.

Er war sich sicher, dass dieser goldene Reif bald wieder an Luises Hand glänzen würde.

Die Gerdel hatte mehrmals noch versucht, den Bauern davon abzubringen, die Anne hinauf auf die Alm zu schicken.

Die Sennerin vom letzten Jahr war enttäuscht, dass man sie nicht holte.

Sennerin auf der Moosbaueralm zu sein, war eine feine Sache, denn der alte Bauer zahlte einen guten Lohn.

Wie es sein würde, wenn erst die Luise die Bäuerin war, wusste man nicht.

Von ihr sagte man, dass sie das Geld zusammenhalten konnte.

Die Gerdel hatte ihre beste Tracht angezogen, aber die wollte gar nicht zu dem mürrischen Gesicht, das sie machte, passen.

Ungern hatte sie ihre Hausarbeit einer Frau aus dem Dorf überlassen, die bleiben würde, bis die alte Frau wieder von der Alm herunterkam.

»Willst du nicht doch lieber bleiben«, fragte die Anne vorsichtig, weil das Mädchen sich vorstellen konnte, was in der alten Magd vorging.

Doch tapfer schüttelte die Gerdel den Kopf.

»Deiner Mutter habe ich auf dem Sterbebett versprochen, dass ich dich nicht allein lasse. Und was ich einmal versprochen habe, das gilt.«

Sie nickte zur Bekräftigung so heftig mit dem Kopf, dass der Trachtenhut auf dem grauen Haarknoten ins Wanken geriet.

Der Moosbauer wollte die beiden Frauen zur Alm begleiten, der Anton vom Nachbarbauern hatte versprochen, gegen ein kleines Entgelt die Kühe anzutreiben.

Und der Benno sprang schwanzwedelnd um die Vier herum und wusste genau, wohin die Reise ging.

Die Hälfte seines Hundelebens hatte er oben auf der Alm verbracht.

Luise ließ sich zum Abschied nicht blicken, so sehr die Anne auch gehofft hatte, die Schwester möge sich von ihr verabschieden.

Aber sie dachte an den Lorenz, der ihr versprochen hatte, bald zu kommen, mit der Luise zu sprechen, und das erleichterte sie wieder.

Wenn der Sommer vorbei war, und Anne an die Rückkehr denken konnte, waren die beiden längst Mann und Frau und Luise hatte wohl ihre Eifersucht vergessen.

An diesem Tag schien die Sonne nicht vom Himmel, wie in den vergangenen Jahren.

Es regnete in Strömen, und ein kalter Wind wehte vom Talende her über die Wiesen und Höfe.

Etwas unsicher schaute die Gerdel im Gehen hinauf, wo hinter einem riesigen, dunklen Waldstück auf freier Wiese die Moosbaueralm lag.

Bedrohlich ragte heute unmittelbar hinter ihr der Gipfel des Berges aus den grauen Wolken.

»Es kann schon durchaus sein, dass da oben noch Schnee fällt«, sagte sie und erschauerte.

Anne legte den Arm um ihre Schultern.

»Wir zwei werden schon nicht erfrieren da oben. Holz ist genügend im Schuppen, und vielleicht lacht morgen bereits die Sonne schon wieder.«

Der Vater pflichtete ihr bei, in der Hoffnung, dass nicht im letzten Moment noch etwas schief ginge.

»Im Mai tut der Schnee nicht mehr viel. Selbst wenn er über Nacht fallen sollte, wenn die Sonne dann scheint, ist er schnell wieder verschwunden.«

So kamen sie gegen Mittag bei der Alm an.

Unter sich hörten sie das Gebimmel der Kuhglocken, der Anton würde mit den Tieren wohl bis zum Abend brauchen.

Es hatte aufgehört zu regnen, doch immer noch war der Himmel grau in grau.

Und der Wind blies hier oben um ein vieles kälter, als unten im Tal.

Er fegte über die Wiesen, heulend und brausend.

Die Gerdel hatte genug.

Müde vom Aufstieg und hungrig stapfte sie in die niedrige Almstube.

Während Anne erst einmal die Fenster aufmachte, das Tageslicht und die frische Luft hereinließ, packte die alte Magd die Essensvorräte, die der Bauer im Rucksack heraufgetragen hatte, aus.

»Wenn du einen Kaiserschmarren machst, geht es uns allen gleich besser«, schlug der Moosbauer vor.

Die alte Frau murmelte Unverständliches, stellte sich aber geduldig an den Herd.

Sogar den Hut abzunehmen, vergaß sie.

Anne hatte inzwischen die beiden Stuben begutachtet.

»Wenn der Staub erst weg ist, kann man es hier gut aushalten«, lachte sie und wollte dem Vater zeigen, dass sie schon zurechtkam hier oben.

Wenngleich es ihr in der niedrigen Hütte, um die der Wind heulte, nicht

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Uta Dierkes
Bildmaterialien: https://pixabay.com/de/sch%C3%B6nheit-frau-portr%C3%A4t-gesicht-1319951/
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9794-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen liebsten Sohn Janosch, der immer sofort wieder ein hübsches Cover erstellt, wenn ich es brauche!

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