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Kapitel 1


Liebende Herzen
Ein Roman von

Uta Dierkes

 

 

1. Kapitel

 

 

Der Nachthimmel war sternenklar und von einem samtigen Schwarz, doch aller Sternenglanz verblasste vor dem Silberlicht des Vollmondes.

So windstill war die Nacht, dass es schien, als hielte die Welt den Atem an.

William Mitchell saß, obwohl durch seine Ausrüstung beengt, seit Stunden entspannt und scheinbar ganz gelassen neben dem Piloten, einem rothaarigen, kantigen Texaner namens Emil.

William rauchte, trotz das streng verboten war, und ab und zu legte er die Hand fast zärtlich auf das dunkelglänzende Schnellfeuer-Gewehr, das quer über seinen Knien lag, eine amerikanische M-16.

Emil identifizierte aus zweitausend Fuß Höhe den kleinen Flugplatz inmitten der undurchdringlichen tropischen Sumpfwälder Boliviens, nickte William vielsagend und mit kalten Augen zu.

»Okay«, murmelte William und nickte zurück.

Er war nie sehr gesprächig, wenn er sich im Einsatz befand.

Und das hier war nun ein besonders gefährlicher Einsatz, denn er kannte noch nicht einmal seinen Partner, der dort unten auf ihn wartete...

 

Der junge Mann lehnte sich aufseufzend zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Durch die weit geöffneten Fenster strömte ein frühlingsfrischer Duft in die schmale Mansarde mit den schrägen Wänden.

Der junge Bursche mit dem wirren dunklen Haar und diesen unwahrscheinlich blauen Augen beugte sich seufzend über die Tastatur, kontrollierte, was er geschrieben hatte.

Mühsam fand er aus dem bolivianischen Urwald zurück in die Wirklichkeit.

Er trank einen Schluck kalt gewordenen Kaffee aus seinem henkellosen Becher und saß eine Weile nachdenklich vor dem überladenen Schreibtisch, der einmal ein Schülerpult gewesen war.

Spatzengesindel lärmte in der Dachrinne.

Die Sonne schien voll in die Mansarde.

Sie brachte den Duft von Stiefmütterchen und Hyazinthen mit, erinnerte den jungen Kerl daran, dass es Mai war, und malte fröhliche Kringel auf den Stapel weißen Papiers.

Jascha musste seine kleinen grauen Zellen ganz schön strapazieren, um die vielen William-Mitchel-Fans nicht zu enttäuschen.

Den knallharten Reißer sollte er bis spätestens Ende Mai abliefern, weil der neue Agentenkrimi im Herbst, pünktlich zur großen Buchmesse, erscheinen sollte.

Die Wohnungstürglocke schrillte unangenehm laut bis in die Mansarde herauf und zerriss die friedvolle, ein wenig träge, sonnenwarme Stimmung, die sich hier oben an jedem Nachmittag einstellte.

Der schlaksige junge Mann warf einen raschen Blick zur Kirchturmuhr, dann beeilte er sich, die gewendelte Treppe hinunterzuspringen, um die Wohnungstür zu öffnen.

»Oh Pauline!«, rief er überrascht und wie üblich mit einem Hauch von schlechtem Gewissen.

Warum er ihr gegenüber immer so etwas wie Gewissensbisse verspürte, vermochte er nicht einmal zu sagen.

Es lag wohl an der etwas strengen Art, mit der sie ihn zu mustern pflegte.

Vielleicht auch an ihrem harten Profil.

Pauline von Meisner, eine kaum mehr als mittelgroße Dame von fünfundzwanzig Jahren, die sich jedoch so gerade hielt, dass sie viel größer wirkte, verbreitete Respekt.

Sie sah aus, wie ein Gemälde in Schwarz und Weiß, besaß einen sahnehellen Teint und volles Haar, das schwarz und glänzend war ähnlich eines Rabengefieders.

Dieses Haar trug sie straff aus dem Gesicht gebürstet, perfekt zu einem Nackenknoten geschlungen.

Eine Frisur, die längst aus der Mode gekommen war, jedoch wundervoll zu Pauline passte.

Sie lachte selten, denn sie fand, dass das Leben kaum Anlass zur Heiterkeit gab.

Pauline stand über den Dingen, sie war kühl, überlegen, mit einem äußerst kultivierten Lebensstil.

Jascha wunderte sich nach wie vor, was Pauline, so perfekt in jeder Beziehung, nur an ihm fand.

Seit gut einem Jahr war man miteinander befreundet, galt als fast verlobt, und doch war ihm noch immer nicht klar geworden, warum die schöne, gebildete, so überaus vornehme Pauline aus feinster Familie gerade ihm den Vorzug gegeben hatte.

Er starrte sie an.

Pauline trug ein hochgeschlossenes, apfelgrünes Kleid aus leichter Wolle mit tiefangesetzter Taille, langen Ärmeln und weit schwingendem Rock.

Jascha schluckte.

Die Kehle wurde ihm eng vor lauter Bewunderung.

Dieses Mädchen war schön wie eine Statur.

Aber warum musste sie so unzugänglich sein?

Sie küsste ihn flüchtig auf die Wange und lächelte.

Er schaute auf ihre schlanken Beine.

Nie hatte er mehr von ihnen zu Gesicht bekommen, als diese göttlichen Knie.

Wenn er geglaubt hatte, dass sie ihm jemals gestattete, mehr von diesen Beinen zu sehen, beispielsweise wo sie endeten, dann hatte er sich verrechnet.

Pauline war durchdrungen von Moral, die zu einem großen Teil nach der Vorstellung ihrer Mama ging.

Ach Pauline!

Jascha folgte ihr in die Wohnung.

»Mama lässt dir übrigens beste Grüße ausrichten«, sagte sie.

»Danke schön«, antwortete er und überlegte, ob sie ihm wohl diesmal erlaubte, sie zu küssen.

Er sehnte sich danach, vor allem reizte es ihn, herauszufinden, ob sich diese kühle Marmorgöttin nicht in eine warmherzige Frau aus Fleisch und Blut verwandeln konnte.

Bisher war es ihm nicht gelungen, mehr als ihren Mund zu erobern, und das war schon Schwerstarbeit gewesen.

In ihren Kreisen beschränkte man sich, während der Zeit vor der Ehe, auf Handküsse.

Das hatte sie ihm schon oft zu verstehen gegeben.

Insofern war sie äußerst freizügig, wenn sie ihm erlaubte, ihre Lippen mit seinem Mund zu berühren.

Pauline war eine junge Frau mit erstaunlich vielen Grundsätzen.

Und diese standen unsichtbar und doch solide zwischen ihnen beiden.

hre erstklassige Erziehung verbot ihr so ziemlich alles, was ihm Spaß gemacht hätte.

Pauline sah ihn prüfend an.

»Du siehst blass aus«, sagte sie mit ihrer klaren, dunklen Stimme.

»Ich denke, du arbeitest zu viel«, stellte sie dann fest und bemerkte unzufrieden, dass er wieder diesen alten blauen Pullover trug, den sie nicht leiden konnte.

Jascha hörte ihr zu und schwieg.

Sie meinte es so gut mit ihm, sie wollte ja nur sein Bestes.

Und er schämte sich ein bisschen, weil er ihren Wünschen so gar nicht entsprach.

Ihre Vollkommenheit schüchterte ihn ein.
Ihre elegante Erscheinung machte ihm klar, dass seine bequemen blauen Cordhosen schon ziemlich schäbig aussahen und der Pullover hoffnungslos abgewetzt war.

»Aber ich fühle mich so wohl in den alten Sachen«, verteidigte er sich und wollte sie in die Arme nehmen, seine distanzierte, kühle Pauline, er wollte sie küssen und versuchen, sie aus ihrer kultivierten Fassung zu bringen.

Und vielleicht erlaubte sie ihm dann auch, fünf oder sechs der zwanzig kleinen, stoffüberzogenen Knöpfe zu öffnen, um ihren Hals küssen zu können, ohne dass seine Lippen nur den Stoff berührten, kühner noch, um ´mal herauszufinden, wie sich ihr Busen anfühlte.

»Warum siehst du mich so merkwürdig an, Jascha?«, fragte sie und machte ihr High-Society-Gesicht, das die Raumtemperatur sogleich um einige Grade senkte.

»Pauline, ich ... Wir ... Hör zu, du ...«

Au Mann, und nun stammelte er auch noch, der bekannte Schriftsteller Jascha Runge, der einen Bestseller nach dem anderen verfasste.

Jascha Runge, der literarische Vater des schon legendären Agenten William Mitchell, des Meisters aller Disziplinen, der die unglaublichsten Abenteuer zu Wasser, an Land und in der Luft erlebte und auch bestand, selbstverständlich souverän; ganz zu schweigen von seinen legendären, amourösen Erfolgen in Boudoirs und Vorzimmern, Swimmingpools und Wintergärten, in Telefonzellen und Hubschraubern, auf Hausbooten und Umkleidekabinen, dieser wortgewaltige Jascha Runge also geriet ins Stottern, wenn Pauline ihn so ansah, wie in diesem Augenblick.

William Mitchell hätte sich von der schönen, kühlen Pauline niemals aus der Fassung bringen lassen:

»Da muss man kurzen Prozess machen, sie schnappen und einfach küssen. Und zwar so, dass es nachher sie gewesen wäre, die um mehr gebettelt hätte.«

Der Schriftsteller Jascha Runge jedoch, der Erfinder des tollen Super-Agenten William Mitchell, stand schüchtern vor seiner Fast-Verlobten und wagte nicht einmal, ihre Schulter, obwohl apfelgrün verhüllt, zu küssen.

»Oh Jascha, du träumst schon wieder!«, rief Pauline und warf einen tadelnden Blick auf den Kaffeebecher, den henkellosen, armseligen.

»Wo ist denn die schöne Meißentasse mit der Vogelmalerei, die ich dir kürzlich schenkte?«

Nachzutragen wäre, dass Pauline zusammen mit ihrer bereits erwähnten Mama, der ebenso stattlichen wie willensstarken Frau Thekla von Meisner, einer geborenen Komtesse von Conradius-LaRochelle, ein Antiquitätengeschäft betrieb.

Natürlich hatte Frau Thekla ihre einzige Tochter Pauline in dem vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäßen Bewusstsein aufgezogen, einer elitären Schicht anzugehören, nämlich dem Adel.

Und als sich die peinlich, aber unumgängliche Notwendigkeit ergeben hatte, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, da war nichts anderes für Thekla von Meisner in Frage gekommen, als der Verkauf von Antiquitäten.

Dies war für sie die am ehesten standesgemäße Beschäftigung, die sie sich denken konnte, nachdem Paulines Papa, Erhard von Meisner, das eigene stattliche Vermögen, sowie die millionenschwere Mitgift seiner Frau in beachtlichem Tempo durchgebracht hatte.

Papa Erhard hatte sich nach dem totalen Zusammenbruch der Familienfinanzen diskret, wenn auch recht elegant wie üblich, im rohseidenen Anzug und mit einem halben Dutzend exklusiver schweinslederner Koffer, entfernt, um im fernen Amerika noch einmal ganz von vorn anzufangen.

Mama Thekla hatte diese Lösung eher begrüßt und beschlossen, einfach dazu zu schweigen und wehmütig zu lächeln, wenn das Gespräch auf ihren leichtsinnigen Gatten kam.

Ihr wehmütiges Lächeln bekam allerdings etwas Verkniffenes, als sie erfuhr, von der besten Freundin natürlich, fast hätte man´s geahnt, dass Erhard nicht nur die Reste des schönen Familienschmucks mit auf die Reise genommen hatte, sondern auch noch eine Frau Sieglinde, das goldblonde Schmuckstück eines fragwürdigen Etablissements, das sich Frau Thekla zu kennen weigerte.

Verständlich daher der Groll auf alle männlichen Wesen, dieses beharrliche Misstrauen, das Frau Thekla auch ins Herz ihrer Tochter Pauline gepflanzt hatte, und zwar so tief, dass es bislang noch keinem Mann gelungen war, wie auch immer, Pauline vom Gegenteil zu überzeugen, davon nämlich, dass die Liebe etwas durchaus Erfreuliches sein konnte.

Jascha Runge überlegte wohl zum hundertsten Mal, wie er den Eispanzer um Paulines Herz zum Schmelzen bringen konnte.

Wie wäre es, wenn er es ´mal mit lodernder Liebesglut probierte?

»Jascha!«, sagte Pauline entrüstet, als er ihr einen Arm um die Schultern legte und sie an sich ziehen wollte.

»Ich war heute früh beim Friseur. Lass das bitte!«

»Ach Pauline«, murmelte Jascha, einmal mehr hingerissen vom sinnlichen Schwung ihrer Lippen, ihrem verführerisch-samtigen Teint, »spürst du denn nicht, wie sehr ich dich liebe?«

»Das freut mich ungemein, Jascha«, erwiderte sie.

»Aber ich kann es dir so recht nicht glauben. Das sagst du nur, um ... Nun ja, man kennt die Tricks der Männer ja. Jascha, was soll das? Lass mich sofort los, sonst - sonst sag ich´s meiner Mama!«

Jascha trat einen Schritt zurück.

Die Niederlage schmeckte bitter, zumal er sich überlegte, dass sein Held, der sagenhafte William Mitchell, sich nicht hätte abweisen lassen.

Pauline fuhr sich mit gekränkter Miene über die unbeschädigte Frisur und beugte sich über das erste Kapitel des neuen Romans.

»Darf ich ´mal sehen, was du geschrieben hast?«

Sie wartete seine Erlaubnis nicht erst ab, sondern überflog die ersten Seiten mit neugierigen Blicken.

»Pauline nicht! Ich würde an deiner Stelle ...«

Zu spät.

»Jascha!«, wischte sie seinen zaghaften Einwand empört beiseite.

»Du - du bist ja ein Unhold. Schlimm genug, dass du diese fürchterlichen Agentenstorys schreiben musst, jetzt wirst du auch noch unanständig.«

»Liebe Pauline, das verstehst du falsch, so etwas ist heutzutage völlig normal.«

»So. Normal nennst du das, diese widerwärtige Beschreibung bestimmter Dinge, die besser unerwähnt bleiben?! Hör ´mal, du bist auf ein Niveau gesunken, das wirklich zu denken gibt. Ist dir denn nicht klar, dass du an die niedrigsten Instinkte deiner Leser appellierst, diese womöglich erst weckst?«

»Pauline!«, sagte er hilflos.

Er konnte ihre Entrüstung nur mühsam verstehen.

Sein Verleger war begeistert von seiner Schreiberei und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, nannte ihn ›sein bestes Pferd im Stall‹.

Die William-Mitchell-Krimis verkauften sich fast von selbst, waren allesamt Bestseller geworden.

Und nun stand Pauline vor ihm, bebend vor moralischer Entrüstung, und beschuldigte ihn, ein Unhold zu sein.

Aber wie schön sie in ihrem Zorn war, wie ihre Lippen bebten, wie ihre sonst so kühlen Augen sprühten.

Jascha Runge entdeckte überrascht, dass seine Pauline durchaus leidenschaftlich reagieren konnte.

Ob es wohl möglich war, diese Leidenschaft in eine andere, für ihn günstigere Bahn zu lenken?

»Nein, fass mich nicht an!«, rief sie streng.

»Ich werde dir ´mal einen Absatz vorlesen, vielleicht kommt dir dann zu Bewusstsein, wie abscheulich das ist, Jascha ... Ich fange auf Seite fünf oben an, ja? Also ...

 

›Die Mittagshitze war etwas abgeklungen, aber nach Williams grober Schätzung mussten es noch über vierzig Grad sein. Am Strand war, außer ihnen kein Mensch zu sehen. Elena drehte sich um und lächelte ihm zu. Ein Lächeln, das alles versprach, wovon ein Mann träumte. Der Schatten des Mangobaums malte flirrende Schatten auf ihren goldbraunen Rücken. William folgte ihr, halb betäubt von der Glut der Sonnenstrahlen und dem schwülen Duft der tropischen Blüten. Als sie stehenblieb, blieb auch er stehen, berührte sie aber nicht. Elena hasste es, wenn man sie drängte, das wusste er. Vor ihnen lagen der weite, feine, reinweiße Sand, die schäumende Brandung und der tiefblaue, endlos weite Pazifik ...‹

 

Pauline sah ihn missbilligend über den Rand des Papierbogens an.

»Bis hierher ging es ja noch, obwohl das alles reichlich unnatürlich klingt, findest du nicht? Wer würde schon bei dieser Hitze an den Strand gehen? Mama und ich machen in südlichen Ländern immer eine ausgedehnte Siesta nach dem Mittagessen.«

Sie seufzte und las noch einige Zeilen des angeblich so anstößigen Textes vor:

 

›... Elena zog Sandalen, die Bermuda-Shorts und das weiße Top aus, warf alles achtlos auf den sonnendurchglühten Strand. Jetzt trug sie nur noch ihren winzigen Slip und kam mit ihrem atemberaubenden Lächeln auf ihn zu, die Sonne auf ihrem blauschwarzen Haar. Sie sah William in die Augen, war weder schüchtern noch schamlos oder gar berechnend. Sie war selbstbewusst und zeigte ihm, was sie wollte: Ihn. Sie streckte einladend beide Arme aus. Ihr Busen war sonnengebräunt, wie ihr übriger Körper, die Brustspitzen erhoben sich rosa, ein Kontrast, der William erregte. Er packte sie, presste ihren Körper an sich, küsste sie atemlos. Seine Hände gingen auf Entdeckungsreise, während Elena seinen Körper für sich beanspruchte, sich nahm, was sie sich wünschte, ohne vorzutäuschen, alles geschehe nur zu seinem Vergnügen ...«

 

Nach der kleinen Lesung setzte ein überwältigendes Schweigen ein.

Jascha lächelte ein wenig befangen, weil Pauline ihn hochmütig anstarrte.

»Pfui!«, sagte sie schließlich angewidert.

»Jascha Runge, das ist wirklich der Höhepunkt!«

»Nein Pauline«, verteidigte er sich matt, »der kommt später, unten auf der nächsten Seite, als Elena William ...«

Pauline warf die wenigen Manuskriptseiten wütend auf den Schreibtisch.

»Das will ich gar nicht wissen, Jascha. Ich bin enttäuscht von dir. Du hast mir hoch und heilig versprochen, endlich einmal etwas Vernünftiges zu schreiben, nicht immer diese billigen Reißer. Und nun auch noch so etwas.«

»Pauline, was ist denn so schlimm daran?«

Er sammelte die Papierbögen zusammen, schaute sie verwirrt an.

»Sieh ´mal, ich verstehe ja, dass du zu den zurückhaltenden Frauen gehörst. Das ist auch wunderbar, ich weiß es zu schätzen, aber dennoch, manchmal wünsche ich mir, du ...«

»Du versuchst jetzt doch hoffentlich nicht, mich zu diesen schmutzigen Dingen zu überreden? Mein lieber Jascha, du kannst froh sein, wenn ich Mama nichts davon erzähle.«

Sie seufzte und zog ihre Handschuhe wieder an.

»Aber so kann es nicht weitergehen, das wird ja allmählich krankhaft. Von der Meißentasse mit der Vogelmalerei will ich gar nicht reden. Die steht vermutlich unbenutzt in der Küche. Dabei handelt es sich um ein besonders seltenes Stück von außergewöhnlicher Qualität.«

Sie warf einen geringschätzigen Blick auf den henkellosen Kaffeebecher.

»Willst du schon wieder gehen?«

»Glaubst du wirklich, ich bleibe auch nur noch eine Minute in diesem Sündenbabel von Büro, jetzt, wo ich weiß, wie schmutzig deine Gedanken sind? Nein, mein lieber Jascha, mich siehst du erst wieder, wenn du dich entschlossen hast, ein ordentlicher Schriftsteller zu werden.«

Pauline starrte ihn an.

»Oh!«

»Was hast du denn, mein Herzblatt?«, fragte er besorgt.

»Wieso weißt du eigentlich so gut Bescheid, Jascha?«

Sie musterte ihn mit schmalen Katzenaugen, in denen Argwohn glitzerte.

»Ich spreche von dieser widerwärtigen Szene am Strand. Das kann man doch nur beschreiben, wenn man es selbst erlebt hat, oder?!«

»Nein«, beteuerte er hastig.

»Glaub mir, Pauline, ich war noch nie in Bolivien. Eigentlich kenne ich nur ...«

»Wer ist diese Elena?«

»Die habe ich erfunden, mein Engel.«

»Und das soll ich dir glauben, Jascha? Ts! Du hältst mich wohl für sehr einfältig. Nun, wie du willst, aber diesmal bist du zu weit gegangen.«

Sie riss ihre Handtasche von der Anrichte und wandte sich stolz ab.

»Ich kann mein Leben unmöglich einem Mann anvertrauen, dessen Phantasie so schmutzig ist. Ein seriöser Schriftsteller hätte das nicht dermaßen widerlich beschrieben.«

»Und worüber soll ich deiner Meinung nach schreiben?«

Jascha folgte der schönen Pauline, die vor ihm die Wendeltreppe hoheitsvoll hinabstieg.
»Schreib zum Beispiel einen Roman über das Leben des Großen Kurfürsten. Mama kann dir wundervolle Geschichten erzählen. Du wirst sehen, die Leute werden begeistert sein, kein Mensch wird die ekeligen Abenteuer dieses William Mitchell noch lesen wollen.«
Jascha bezweifelte das ernsthaft, doch er hütete sich, Pauline noch mehr gegen sich aufzubringen.

»Liebling«, sagte er, »bleib doch auf ein Tässchen Kaffee. Ich verspreche dir, sehr brav zu sein.«

Ihre dunklen Brauen hoben sich.

»Ich kann dir nicht mehr vertrauen, Jascha«, sagte sie niedergeschlagen.

»Aber ich will versuchen, diese schändlichen Zeilen zu vergessen, wenn du dich ernsthaft bemühst, vernünftig zu schreiben. Adieu mein Lieber!«

»Pauline!«, rief er verzweifelt, doch da war sie schon entschwunden, seine schöne, unnahbare und strenge Pauline.

 

 

Kapitel 2

 


Die Türglocke schrillte.

War Pauline zurückgekommen?

Jascha Runge eilte nach unten, riss die Tür auf.

Doch nicht seine wunderhübsche Liebste stand vor ihm.
Mit Frau von Meisner hatte der gemütliche, behäbige, von fern an einen Bären erinnernde Moritz Bäumler so gar keine Ähnlichkeit.

Um es gleich zu sagen: Der konnte die vornehme Pauline nicht leiden, sie war ihm zu etepetete, zu zimperlich und viel zu eingebildet.

Vor allem erinnerte sie ihn an seine frühere Mathe Lehrerin, die hatte Moritz auch immer so herablassend angeschaut und ihm zu verstehen gegeben, dass sie ihn für einen hoffnungslosen Fall hielt, der es nie zu etwas Ordentlichem bringen würde.

Moritz Bäumler war ein ordentlicher Journalist geworden.
Sein Freund Johannes Liebknecht, der hinter ihm auftauchte, leicht gebeugt und schnaufend, weil ein Kasten Bier so sein Gewicht hatte, arbeitete zusammen mit Moritz in derselben Zeitungsredaktion, allerdings im Ressort

Kultur.

Er schrieb erstklassige Kritiken von zweitklassigen Theaterpremieren.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Uta Dierkes
Bildmaterialien: https://pixabay.com/de/mann-m%C3%A4nnlich-modell-person-jung-979980/ by Janosch
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9251-7

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