Cover

1. Kapitel

Schneeschmelze und erste wärmende Sonnenstrahlen wecken auch im Wolfsrudel am Höhlenberg erneut unbändige Lebenslust.

Der Winter war hart und erstaunlich lang. Von Tag zu Tag wurde die Nahrungssuche schwieriger.

»Alegra, was schleppst du da schon wieder für eine seltsame Beute an? Die Welpen sind noch zu klein dafür, die müssen noch gesäugt werden!«

Nagro weiß manchmal nicht, was in seiner Alpha Wölfin vorgeht.

»Das hier ist doch gar keine Beute, nicht für die Welpen und auch keinen anderen!«

»Aber das Stück Fleisch bewegt sich, hat kein Fell und riecht nicht nach einem Tier.«

»... weil es kein Tier ist, Nagro. Ich habe es am Bachlauf in einem Gebüsch gefunden. Ich glaube, es ist ein Menschenwelpe und braucht Hilfe.«

»Und wie gedenkst du, ihm zu helfen?«

»Ich werde diesen Welpen säugen, wie meine anderen und dann werden wir weitersehen.«

 Nagro, der Alpha-Wolf des Rudels schüttelt sich, schaut seine Wölfin missbilligend an und weiß, wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat, gibt´s kein Halten mehr.

Das Rudel hat mitgekriegt, dass Alegra wieder ´mal aus der Reihe tanzt. Langsam, geduckt und unterwürfig schleichen sie näher.

»Darf ich ´mal sehen?«, fragt Sinja scheu aber wissbegierig. Diese Sinja wünscht sich nichts mehr, als einmal selbst Welpen haben zu dürfen. Dazu müsste sie jedoch zur Alpha-Wölfin aufsteigen, oder ein neues Rudel gründen und nach beiden Möglichkeiten sieht es im Moment nicht aus.

Alegra legt das wimmernde Bündel vorsichtig auf den Boden.

»Es hat kein Fell!«

»Eben, weil der Menschenwelpe nun ´mal kein Fell hat. Er ist eingewickelt in ... irgendwas, was ihn schützt.«

Alle schnuppern und stupsen an dem, was Alegra zwischen ihren Zähnen behutsam zum Lagerplatz des Wolfsrudels getragen hat.

Mit großen, staunenden Augen schaut das Baby die Wölfe, die sehr skeptisch blicken und auch leicht grollend knurren, an.

Immer unruhiger werden die Mitglieder der Wolfsfamilie. Kurz entschlossen packt Alegra mit ihren Zähnen das Jäckchen des Kindes und trägt es in den Bau, wo die eigenen Welpen bereits unruhig und hungrig auf die Rückkehr ihrer Mutter warten.

Sie legt das Menschlein zu den Wölfchen, sucht für sich selbst eine geeignete Stellung, stupst und dreht sich und das Kind so lange, bis das winzige Mündchen begreift und kräftig zu saugen beginnt.

Alegra ist überrascht, wie ausdauernd stark dieses kleine Wesen eine ihrer Zitzen bearbeitet.

 Bald sind alle Kleinen satt, zufrieden und schlafen, dicht zusammengedrängt, das Kind in ihrer Mitte, warm und sicher.

Die Alpha-Wölfin schleicht sich raus aus dem gemütlichen Bau, denn jetzt, wo sie ein weiteres Mäulchen zusätzlich füttern muss, braucht auch sie ausreichend Nahrung.

Die Mitglieder des Rudels haben die Aufgabe, sie, die Mutter der neuen Wolfsgeneration, mit zu versorgen.

Kappa, der Älteste der Familie, hat tatsächlich einen, zwar mageren, jedoch eben einen Hasen für sie gefangen.

Stolz, mit steil aufgestelltem Schwanz und leuchtenden Augen, legt er seiner Wölfin ersten Ranges diese Gabe vor die Pfoten.

Kappas Fell zeigt schon recht deutlich die Spuren seines Alters. Längs über den Rücken verläuft eine breite, graue Linie, die früher fast schwarz war. Und doch hat er nichts von seiner Kraft, Schnelligkeit und Finesse beim Jagen verloren. Nach wie vor ist er ein hochgeschätztes Mitglied im Rudel, sich seines Rangs, gleich hinter Nagro, dem Alpha-Wolf, sehr wohl bewusst.

»Danke Kappa.«

Bedankt Alegra sich und leckt dem Älteren das Maul zum Zeichen ihrer Anerkennung.

»Wie stellst du dir vor, wie ein Mensch in unser Rudel passen soll? Noch ist er klein und hilflos, aber er wird größer und stärker. Weißt du denn nicht, wie gefährlich diese Ungeheuer werden können? Verdammt, willst du den Untergang des Rudels heraufbeschwören? Ich verspreche dir, Alegra, wenn dieser Welpe ...«

»So, das reicht, Nokta. Ich gestatte dir nicht, auf solche Weise mit der Mutter meiner Welpen zu sprechen,« pflaumt Nagro den hitzköpfigen, aufbrausenden Jungwolf an und packt ihn warnend mit seinen scharfen Zähnen, bis Nokta den Schwanz einzieht und sich winselnd auf den Rücken wälzt. In dieser Stellung bietet er dem Anführer seinen ungeschützten Bauch.

Eine Unterwürfigkeitsgeste, die Nagro als Entschuldigung akzeptiert und von dem Heißsporn ablässt.

»Reiß dich zusammen, ich bin den ständigen Ärger mit dir langsam leid.«

»Aber Einbisschen hat Nokta doch auch recht, oder nicht?«, meldet Trea, Alegras Schwester, die schon lange scharf auf den Platz der Alpha-Wölfin ist, sich zu Wort.

»Was denkt Alegra sich dabei, so etwas Fremdes hier herzubringen? Wird dieser Menschenwelpe mit uns jagen können, unserem Rudel ein vollwertiges Mitglied sein?«

»Nun jammert und keift doch nicht so ´rum! Alegra wird das schon machen und sollte für uns eine Gefahr heranwachsen, wird sie auch damit umzugehen wissen. Ich achte gern auch auf dieses kleine Wesen«, nimmt Batu den Nörglern den Wind aus den Segeln.

Er ist oft, wenn die anderen schlafen oder umherstreifen derjenige, der bei den Welpen bleibt, mit ihnen spielt und dem Nachwuchs die Regeln des Rudels vermittelt.

»Noch steht nicht fest, ob das Kleine überhaupt eine Überlebenschance hat.«

Mit diesen Worten beendet Nagro den Disput, denn er duldet keine Unstimmigkeit im Rudel.

Als sich alle davongemacht haben, zu ihren Schlafplätzen getrottet oder zu einem Streifzug in die Umgebung aufgebrochen sind, raunt Nagro seiner Alpha-Wölfin leise, aber scharf zu:

»Du siehst, dass dein neuester Fund Unruhe stiftet. Sollten sich alle beruhigen, ist es gut. Dann unterstütze ich dich, wo immer es mir möglich ist. Hört der Ärger allerdings nicht auf, musst du dir ´was einfallen lassen, meine Liebe. Die Sicherheit im Rudel geht auf jeden Fall vor!«

»Danke Nagro. Wir werden sehen, wie sich alles entwickelt.«

Alegra leckt ihrem Wolf die Schnauze und reibt sich an ihm, womit sie ihm ihre Zuneigung zeigt.

Nach dieser kleinen Liebeszeremonie spürt sie, dass ihre Kleinen gesäugt werden müssen. Sie kriecht wieder in den Bau, der ihr jetzt, da noch jemand dazugekommen ist, etwas enger vorkommt.

Das Menschenkind ist zwar schon wesentlich größer als ihre Wölfchen, jedoch ist es nicht imstande, sich selbst irgendwie fortzubewegen.

Sie achtet darauf und hilft dem unbeholfenen kleinen Ding sich eine Zitze zu erobern, schließt die Augen und genießt die warme, herzliche Innigkeit mit all ihren Kindern und schläft ein.

Das Rudel gibt der Alpha-Wölfin Schutz und achtet ganz besonders auf sie, solange die Welpen gesäugt werden müssen. Diese Zeit der Geborgenheit genießt Alegra immer besonders.

Schon bald herrscht wieder die Tagesroutine im Wolfsrudel am Höhlenberg.

Die Zeit vergeht wie immer viel zu schnell, die Wolfswelpen wachsen, und werden kriege.

Immer öfter wagen sie sich vor den Bau auf ihren noch unbeholfenen Pfoten.

Auch das Menschlein probiert sich aus, strampelt mit den Beinchen, greift die kleinen Füße und lutscht begierig daran.

Alegra zerrt die Kleine nach draußen, wo die Wölfchen ausgelassen spielen und rumtollen.

Sie leckt sie ausgiebig, ist immer wieder überrascht wegen ihres Geruchs, der so ganz anders ist, keinem Tier ähnelt und lächelt, als die kleinen Händchen sich in ihr Fell krallen und immer wieder nach den Ohren greifen.

Merkwürdige glucksende Töne von diesem kleinen Menschlein verwirren schon längst niemanden mehr.

Dieses Rudelmitglied ist eben anders, aber von fast allen als dazugehörig akzeptiert.

Nur Nokta grollt und grummelt hin und wieder streng und schaut die Kleine grimmig an.

Von diesem aufregenden Spiel ihrer Mutter mit der ›Schwester‹ angelockt, hüpfen und springen die süßen, kleinen Fellknäule herbei, um mitzumachen.

Nun werden alle gleichmäßig intensiv von Alegra geleckt und liebkost, keiner soll sich zurückgesetzt fühlen.

Und doch erkennt man schon einzelne unterschiedliche Charaktere beim Nachwuchs.

Pinta ist bereits deutlich größer und stärker, als seine Geschwister. Er lernt schnell und behauptet seinen ersten, dominierenden Platz im Wurf.

Er schaut vor allem seinem Vater häufig zu, wie der sich verhält und seinen Rang immer wieder allen anderen klar macht.

So will Pinta unbedingt auch werden und er ist bereit, hart daran zu arbeiten, auch zu kämpfen.

Nagro zeigt häufig Strenge und Unnachgiebigkeit, allerdings machen ihn auch Freundlichkeit und Verständnis aus.

Zu unterscheiden, was wann angebracht ist, ist auszeichbebd für einen guten Anführer.

Pinta spürt schon jetzt, dass dem Alpha das Wohl des Rudels über alles geht.

An aller erster Stelle allerdings steht Alegra, die Mutter und Partnerin. Die Liebe und Zuneigung zwischen den beiden ist immer und überall präsent.

Auch das möchte Pinta, einmal eine solche Wölfin, mit der er ein Rudel gründen kann. Aber dafür muss er dann das heimatliche Rudel am Höhlenberg verlassen.

Diese Vorstellung macht ihm Angst und bis dahin hat er noch viel, sehr viel zu lernen. Erst einmal ist er ein unselbständiger Welpe.

Oku bietet sich ständig als sein bester Kumpel und Freund an. Noch weiß keiner, dass er Pinta bewundert und ihm alles neidet; seine Stärke, seinen starken Charakter, auch dessen Zukunftspläne.

Insgeheim plant Oku, einmal besser als Pinta zu sein, und den Nebenbuhler vielleicht sogar zu vertreiben.

Er will nicht immer hinter seinem Bruder an zweiter Stelle stehen. Das macht ihn schon jetzt wütend und so beißt er beim Spielen auch oft ´mal etwas zu fest zu, wird dann sofort von einem der großen Wölfe gemaßregelt, meist von Baru, der zwar unauffällig bleibt, aber stets ein Auge auf die Welpen hat.

Batu hat diesen kleinen Burschen längst durchschaut und befürchtet, dass von ihm noch viel Ärger ausgehen wird.

»Oku braucht eine strenge Behandlung, um sich im Rudel einordnen zu können.«

»Ich weiß«, erwidert Alegra nur und trottet davon.

Matu, das kleine Welpenmädchen ist da ganz anders. Sie liegt gern auf einem großen Stein, schaut den Anderen zu, beobachtet ihre Umgebung, denkt darüber nach, woher die Wolken kommen und wohin sie ziehen.

Irgendwelche unterschwelligen Querelen bekommt sie nicht mit. Dafür ist sie viel zu freundlich und lieb, ohne Argwohn oder Hinterlist.

Sie liebt ihre Schwester, die nicht aussieht wie alle Wölfe, auch völlig anders riecht und so lustig auf dem Rücken liegt, mit allen Vieren strampelt und mit den Händchen nach ihr greifen kann.

Matu spielt gerne mit dem Kind, über dessen Andersartigkeit sie nachdenkt, nicht versteht, warum sich manch einer abweisend der kleinen Schwester gegenüber verhält.

Dati, ihre andere Schwester ähnelt in Vielem dem Bruder Pinta.

Ständig sucht sie die Nähe ihrer Mutter, ahmt diese, wann immer es geht, nach und hat nur ein Ziel:

Ich werde Alpha-Wölfin!

Das kleine Menschenkind kommt ihr gerade recht, denn das begreift nichts und man kann mit ihm machen, was man will.

An dieser Kleinen tobt Dati sich aus und versucht dessen Unterwürfigkeit zu erringen.

Manchmal allerdings fängt dieses Wesen an schlimme, laute und schrille Töne auszustoßen. Das hasst die kleine Wölfin wie die Pest, denn dann wird sie sofort getadelt und zurechtgewiesen.

In solchen Momenten fühlt Dati sich ungerecht behandelt und gibt diese Zurückweisung meist mit harten Gesten an Matu weiter, die nie weiß, was sie getan hat, um von ihrer Schwester so schroff behandelt zu werden.

Jetzt, im Spiel mit der Mutter, schnappt Dati wieder einmal nach den wedelnden Fingern dieses glucksenden Dings, etwas zu fest vielleicht, aber was stellt das sich denn auch so an!

Ist doch nur ein kleines bisschen Blut, das kommt doch beim Raufen ´mal vor.

Aber diese blöde Göre schlägt augenblicklich an und macht fürchterliche Töne.

Alle benehmen sich wie gestochen, Alegra fasst Dati unsanft im Nacken, bringt sie in den Bau und lässt sie dort allein.

Eine solche unbarmherzige Behandlung hat sie nur diesem blöden Menschenwelpen zu verdanken.

Der muss weg, der gehört hier nicht hin, ist kein richtiger Wolf, ich will den nicht!

Wieder, wie schon so oft machen sich diese Gedanken in Datis Kopf breit.

Sie sieht nicht, wie Oku schadenfroh und hinterlistig grinst.

»Alegra, dieses Verhalten macht mir Sorgen«, flüstert Batu der Wölfin zu.

»Mir auch. Ich schaue dieser Situation noch eine Weile zu. Vielleicht muss die Kleine leider doch wieder weg.«

Alegra denkt schon lange darüber nach, wie sie weiter mit dem Menschenjungen umgehen soll.

Die Wolfswelpen wachsen und entwickeln sich wesentlich schneller, als das Kind.

Die Kleine ist zwar etwa genauso groß wie ihre Wölfchen, aber immer noch überaus unbeholfen.

Auch über die weitere Ernährung macht Alegra sich Gedanken.

Das Menschlein hat erst zwei winzige, kleine Zähne, mit denen es niemals Fleisch aus einer Beute reißen und fressen kann.

Die Alpha-Wölfin leckt und beruhigt Manalu. Diesen Namen hat sie in eben diesem Moment für das felllose Kind gewählt.

Plötzlich greift die Kleine wieder kräftig in den Wolfspelz, zieht sich mit erstaunlich starken Ärmchen daran hoch und steht wackelig auf seinen zwei Hinterläufen.

Vergnügt gurrt und lacht sie, greift weiter nach rechts, hält sich wieder fest und geht so Schritt für Schritt weiter, bis sie vorn bei Alegras Schnauze ankommt.

Verwundert darüber, was gerade hier passiert, verharrt die Wolfsmutter völlig reglos.

Auch das übrige Rudel hat die gesamte Aufmerksamkeit auf diesen merkwürdigen Vorgang gelenkt.

Die dunklen Augen des Mädchens strahlen und schauen fröhlich direkt in Alegras gelben, bernsteinfarbenen Blick.

Einen Wolf offensiv anzusehen geht gar nicht, zeugt von Respektlosigkeit und wird eigentlich sofort geahndet.

Doch da grabschen die kleinen Händchen schon nach Alegras Maul und zaubern der ein Lächeln um die Lefzen.

Diese Kleine ist so unbedarft und ohne Arglist, da kann die Wölfin nicht anders.

Sie lässt das Kind gewähren, als dieses sich ganz langsam umdreht, erst eine Hand aus dem Fell löst, dann die andere und ... ein paar kleine, tapsige Schritte macht, den Halt verliert und auf das Hinterteil plumpst.

Alegra ist gleich wieder bei ihr, lässt erneut zu, dass kleine Finger sich in ihrem Pelz vergraben, geht langsam voran.

Die kleine Manalu setzt ihre Füßchen voreinander, hält sich mit einer Hand im Pelz fest und geht neben dem großen Wolf her.

Alegra führt sie zum Bau, denn es wird Zeit, die kleine Bande zu säugen.

Sie schüttelt sich am Eingang etwas, die Fingerchen lösen sich, Manalu macht wieder wenige Schritte und lässt sich auf Hände und Füße fallen, wie Wölfe es eben tun.

Schnell ist sie mit den anderen Welpen im Bau verschwunden.

»Das Menschlein wird niemals ein vollwertiger Wolf werden und sich unterordnen. In den anderen Rudeln lässt man sich schon sehr abfällig über uns aus«, knurrt Nokta ungehalten Nagro zu.

»Was sagen sie denn und wie kommst du an diese Information? Bist du etwa im Nachbarrevier gewesen und wenn ja, wozu?«

Nagro ist augenblicklich sehr misstrauisch, kennt er doch den hitzköpfigen und verschlagenen Nokta nur zu gut.

Er wird Batu mit der Aufgabe betreuen, diesen Ärger ausdünstenden Unruhestifter im Auge zu behalten.

»Na ja ... gestern ... ich bin da mal unsere Reviergrenzen abgelaufen. Beim Bachlauf ... ich lag auf dem großen Felsen ... da waren sie unter mir.

Sie sagten, das Rudel vom Höhlenberg sei zu Menschenfreunden geworden, eine Gefahr für alle.«

Nicht recht überzeugt von Noktas Gestammel nimmt Nagro sich doch vor, mit Alegra zu sprechen.

Die Unruhe lässt nicht nach und nun läuft der kleine Mensch auch noch auf zwei Beinen.

Obwohl er, der große graue Wolf dieses Wesen ins Herz geschlossen hat, gerne mit ihm spielt und seine glatte, weiche Haut liebt, muss seine Fürsorge doch hauptsächlich dem Rudel gelten.

»Alegra, es geht einfach nicht mehr so weiter. Manalu kann leider nicht bei uns bleiben.«

»Ich weiß, Liebster. Gib mir noch einen Mondwechsel. Dann bringe ich sie fort. Unten am Bachlauf, wo der Wald endet und eine Lichtung sich auftut, ist die Behausung von zwei Menschen. Da werde ich sie hinbringen.«

»Es tut mir leid, Alegra. Anders geht´s nicht.«

»Ist schon gut. Im Grunde wusste ich von Anfang an, dass es nicht von Dauer sein konnte. Noch einen Mondwechsel ... kannst Du das mittragen?«

»Das ist in Ordnung. Wir alle können dann in der Zwischenzeit bis dahin Abschied nehmen.«

»Nein, sag den Anderen noch nichts. Manalu soll nicht abgelehnt, wie ausgestoßen behandelt werden.«

»Gut. Vorerst bleibt diese Übereinkunft unser Geheimnis.«

»Ich werde dann, wenn´s soweit ist, ohne große Ankündigung mit ihr verschwinden. Es wird mir ein klein wenig das Herz brechen.«

Zärtlich kuschelt Nagro sich an seine Lebensgefährtin und weiß doch, dass sie traurig ist, es im Moment aber keinen Trost gibt.

2. Kapitel

 

Manalu ahmt immer mehr die Wölfe nach. Sie ist ja einer von ihnen, etwas anderes kennt sie nicht. Nur noch selten läuft sie auf zwei Beinen. Auf Füßen und Händen mit den anderen Welpen Schritt zu halten verfeinert sie jede Stunde und legt erstaunliche Wendig- und Geschwindigkeiten an den Tag.

Auf diese Weise rennt das kleine Menschenkind beachtliche Stecken mit dem Rudel, heult und knurrt, wie eben ein Wolf das so macht.

Bei den Rangeleien mit ihren Wolfsgeschwistern zieht sie grundsätzlich den Kürzeren, muss sich unterwerfen, denn sie hat weder Krallen noch die scharfen Zähne.

Auch an geballter Kraft fehlt es dem Mädchen, obwohl sie verglichen mit Altersgenossen ihrer Art schon jetzt über Fertigkeiten verfügt, die eigentlich undenkbar sind.

Manalu hat schon gelernt, auf Kommando mucksmäuschen still zu sein, sich nicht zu bewegen, noch nicht einmal die Augen, denn das könnte sie verraten.

Einem Kleinkind unter zwölf Monaten so etwas beizubringen ... unmöglich!

Doch Manalu ist verhaltenstechnisch mittlerweile mehr Wolf als Mensch. Diese Entwicklung verwundert sogar Nagro hin und wieder.

»Schau dir die Kleine an. Vielleicht können wir sie ja doch bei uns behalten. Ich liebe es, wie sie mir zur Begrüßung mit ihrer kleinen, zarten Zunge das Maul leckt, sich an mich schmiegt und erstaunlich weich und warm ist.«

»Ach Nagro, sie ist mir ans Herz gewachsen. Sie bemüht sich über die Maßen, es uns gleich zu tun.

Manchmal, wenn ich ihren Blick auffange, stellen sich alle meine Nackenhaare auf. Diese Augen sehen mehr, schauen wissend und mit einer Intelligenz, die mich schaudern lässt.

Aber Nokta hört allerdings nicht auf, sie zu drangsalieren, er verhöhnt das Kind ständig, zwickt und maßregelt es mit mehr Gewalt, als nötig wäre. Ich befürchte, das wird sich auch nicht ändern.«

»Gerade Nokta bedeutet mehr Gefahr für unser Rudel,

als das Menschlein. Batu hat seit längerem den Auftrag

diesen Nokta im Auge zu behalten. Der treibt sich häufig beim Nachbarrudel rum, unterwirft sich deren Alpha mit allen Gesten und plaudert unsere Geheimnisse aus.

Er zeigt ihnen die besten Jagdgründe, die sie dann abschirmen und wir nur noch spärliche Beute machen.

Mich stellt er als schlechten Rudelführer dar, der seine Wölfe nicht ordentlich versorgen kann.«

»Meinst du, Nokta will deinen Platz einnehmen?«

»Davon bin ich überzeugt. Er brachte Trea, deiner Schwester, gestern heimlich einen fetten Hasen, den sie auch ohne Aufsehen zu erregen, auf der Stelle verspeiste. Anschleißend leckte sie ihm die Schnauze und rieb sich wohlgefällig an seiner Flanke.«

»Aha - Trea! Sie war schon immer ganz wild auf den Rang einer Alpha Wölfin. Wenn die beiden nun Sinja auch noch versprechen, dass die einmal Welpen haben darf, wird sie mit auf ihrer Seite sein.«

»Aber Kappa und Batu werden zu uns stehen.«

»Das mag sein, doch bei einem solchen Kampf wird es Verluste geben und ich befürchte, Nokta könnte diese Situation ausnutzen und Manalu töten.«

»Noch zwei Monde, dann ist der Wechsel.«

»Ich weiß. Auch für das Kind wird die plötzliche Veränderung nicht einfach sein. Auf jeden Fall ist sie dann so weit und kann selbst mitlaufen, ohne dass ich sie den ganzen Weg tragen muss, was mir sehr schwer fallen würde.«

 »Ich habe für heute geplant, wir nehmen bei Einbruch der Dunkelheit die Welpen mit zur Jagd. Sie sollen zuschauen und den Jagdablauf lernen. Was machen wir da mit Manalu?«

»Hier auf dem Lagerplatz kann sie auf keinen Fall allein zurücklassen werden.«

»Während der Jagd ist niemand in der Lage auf sie zu achten, alle sind dann im Einsatz. Wir müssen dringend ausreichend Beute machen.«

Im Zwielicht steht da plötzlich, wie aus dem Nichts aufgetaucht, unter den Kiefern, die weiße Wölfin. Viele Legenden berichten über diese überdurschnittlich große Erscheinung, mit schneeweißem Fell und wissenden, blauen Augen.

Eine unheimliche Stille legt sich über die Umgebung.

Die Bäume rauschen nicht mehr im Wind, kein Vogel zwitschert seinem Nachbarn Nachrichten zu, Bienen und Fliegen sind verstummt.

Nagro entdeckt die heilige Wölfin als Erster.

»Alegra schau doch!«, flüstert er ehrfürchtig und bewegt sich nicht mehr.

Nun hat auch der Rest des Rudels begriffen und erstarrt in Furcht. Was ist das für ein Omen?

Das haben wir nur diesem blöden Menschenwelpen zu verdanken. Wusste ich´s doch, das Ding bringt Unglück, denkt Nokta gehässig.

Er steht der Legende am nächsten.

 Die Weiße dreht leicht ihren Kopf in seine Richtung, zieht die Lefzen zurück, demonstriert ihre blitzenden, scharfen Reißzähne und unterstreicht ihre Abneigung diesem feigen, hinterlistigen Rudelmitglied mit einem dröhnenden, tiefen, gutturalen Knurren.

Nokta legt sich augenblicklich flach auf den Bauch, wagt es nicht mehr, die Wölfin anzuschauen, schämt und ärgert sich, von ihr durchschaut worden zu sein.

Was für eine Blamage gegenüber seinem Rudel!

Er, nur er wurde von der da abgestraft!

Heißer Zorn wächst in ihm und Nokta meint gleich in Flammen aufzugehen, so lodernd brennt es in seinem Herzen.

Das macht den Wolf von nun an unberechenbar und gefährlich für jeden, diese Demütigung kann er nicht vergessen, sie frisst und zerrt an seinem Inneren..

Den ihm angestammten Platz kennt und akzeptiert er nicht mehr, gliedert sich nicht wirklich ins Rudel ein, will nur noch der Anführer sein, dem niemand was zu sagen hat. Der Kampf steht unmittelbar bevor.

Auch Manalu bestaunt die so plötzlich aufgetauchte Wölfin. Im Gegensatz zu ihren Geschwistern verkriecht sie sich jedoch nicht winselnd im Bau.

Fasziniert und aufgeregt strahlt das Menschlein die Weiße an.

Komm zu mir Manalu!

Die Kleine quietscht vor Vergnügen und trabt leichtfüßig quer über den Lagerplatz des Wolfsrudels am Höhlenberg.

Nokta sieht wieder einmal Manalus glattes, weißes Hinterteil.

Sofort regt sich Begehren in seinen Lenden. Er will den Störenfried noch etwas älter werden lassen und sich dem Mädchen eines Tages heimlich nähern, sie bespringen und damit einen Triumph davontragen.

Sabber läuft über seine Lefzen. Der Gedanke erregt ihn und steigert noch seine Aggressivität.

Doch schon im nächsten Moment fährt ihm die Enttäuschung in die Knochen.

Die weiße Wölfin leckt Manalu durchs Gesicht, schaut Alegra mit diesen blauen, wissenden Augen sanft an, senkt leicht den Kopf und bedeutet dem Menschenwelpen mitzukommen.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Bildmaterial: ©Athenarius - https://pixabay.com/de/wolf-nacht-schnee-tannen-mond-1098252/ - pixabay
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4689-3

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /