Cover

1.

Disclaimer:  Gehört alles! Annie Proulx, ich leihe mir nur ihre Charaktere aus, verdiene damit kein Geld.(Überarbeitete Version)
Pairing: Ennis/Jack

Kapitelanzahl: 10 Kapitel


Story: Jack hat genug von Ennis defensiver Haltung und ergreift selbst die Initiative.   (Spielt nach dem letzten Treffen der beiden)
Rating: P16-Slash

 

 

 

            Der Abschied!

 

                                                                      

 

 

„Dann fahr doch los, Ennis, fahr doch zu deinem jämmerlichen Leben.“ Ennis war schon längst außer Sichtweite, als ich ihm viel zu spät hinterherschrie.

Aber dann, als ich mit meinen Gedanken an unser gemeinsames Lagerfeuer denken musste, spontan und unvorbereitet, da packte mich eine immense Wut. Ich wollte nicht schon wieder zu meinen Eltern fahren und anschließen mich von irgendeinem Mexikaner durchficken lassen. Ich wollte auch nicht Randall, wenn ich wieder zu Hause bei meiner Frau war. Ich wollte ihn. Ennis. Und wie ich ihn wollte.

Verdammte Scheiße.

Ich kickte mit dem Fuß einen Stein weg und setzte endlich meinen Hintern in Bewegung. Viel zu lange hatte ich diese Situation schon ausgehalten. Jetzt war ein für alle Mal Schluss damit.

Mit dieser Erkenntnis stieg ich endlich in meinen Wagen und donnerte was das Zeug hielt die Straße, in der Ennis verschwunden war, davon. Hoffentlich konnte ich ihn einholen. Mein Pickup war zum Glück doch besser als das von Ennis und das zahlte sich jetzt auch aus. Von Weitem sah ich schon seine Staubspur. Ich hupte.

Mir war völlig, egal ob uns jemand in dieser gottverlassenen Gegend sehen würde. Und äffte in Gedanken schon Ennis mahnende Worte nach: „Ich habe Angst, wir könnten entdeckt werden.“ Dummes Gerede ging mir so was am Arsch vorbei. Klar war unser Lebensstil gefährlich, aber ich war noch nicht tot und in mir steckte immer noch Leben. Wenigstens ein bisschen noch.

„Verdammter Hurensohn.“ Ich schlug aufs Lenkrad, hupte weiter. Ennis vor mir schien es zu ignorieren. Oder wollte es nicht hören.

„Ennis, halt an, du verdammter Hurenbock… Von wegen, November! Von wegen…… Du kannst mich mal. Scheiß Kälte“, lachte ich freudlos, und dachte wieder über seine Abfuhr nach. Im Nachhinein fand ich seine Worte nur noch Hohn. Genauso wie ich seinen Zusammenbruch lächerlich gefunden hatte. Im Nachhinein.

„Ich kann nicht mehr, Jack“, äffte ich ihn mit seiner Stimme nach. „Ja, scheiße, Ennis, ich kann auch nicht mehr.“

Ich hupte weiterhin, wie das Zeug hielt. Endlich fuhr er schließlich rechts ran. Stieg aus. War ziemlich sauer. Die Körperhaltung zeigte es. Aber das war mir so was von scheißegal. Wenigstens war er jetzt stehengeblieben. Immerhin etwas.

Ich hielt hinter Ennis an und stieg ebenfalls aus. Schmiss die Tür hinter mir geräuschvoll zu. Auch ich war jetzt geladen.

„Huh, hast du ein Rad ab? Was fällt dir ein, so zu hupen?“ Ennis verknautschtes Gesicht sprachen Bände, als er sich auf mich zubewegte.

„Und was fällt dir ein, so eine Nummer auf dem Parkplatz gerade eben abzuziehen, oder in meinen Armen zusammenzubrechen und zu sagen, du kannst nicht mehr? Und dann einzusteigen und davon zu brausen. Bist du bescheuert? Ist ne ganz miese Nummer von dir.“ Ich war so was von angepisst und spuckte in den Sand. Dabei blieb der halbe Speichel an meinem Schnurrbart hängen. Den beschissenen Schnauzer würde ich noch heute Abend abrasieren, der störte und machte mich nicht männlicher dadurch. Wem hatte ich was beweisen wollen. Mir? Ihm? Pah. Ich wollte ihn auch gar nicht. Denn seit ich den Schnauzer hatte, küsste mich Ennis nicht mehr. Ennis machte sowieso viel weniger, seit er von Alma geschieden wurde. Und ich dachte, es würde sich einiges ändern. Scheiße. Irgendwie lief hier sehr falsch und das musste ich ändern.

Ennis hatte mich aus den Augenwinkeln heraus beobachtet. Sein Zorn schien verraucht zu sein, denn er schaute mich eigenartig an. Ich hingegen strich mir relativ mit ruhiger Hand über meinen Schnauzer. „Du bist so ein verfickter Arsch, Ennis del Mar.“

„Hey Kumpel, ich sagte doch schon, dass es mir leidtut, aber ich muss jetzt wirklich los. Die Arbeit ruft.“ Ennis hatte seine Hände in die abgetragene braune Jacke gesteckt und den Kopf eingezogen. Seinen Hut tiefer in die Stirn gedrückt.

Der Mann machte mich noch wahnsinnig. Ging einfach wieder zur Tagesordnung über, als ob wir keinerlei Probleme hätten. Der konnte mir jetzt den Buckel herunterrutschen. Ich schüttelte den Kopf, fluchte.

„Ich muss jetzt los, also bis November.“ Und wollte sich schon umdrehen und in sein Auto steigen.

„Du gehst nirgendwo hin, Ennis del Mar. Du kommst jetzt zu meinen Eltern mit. Ich habe keinen Bock mehr immer sagen zu müssen, dass du irgendwann einmal vorbeikommen wirst.“ Auf meinen Alten hatte ich keinen Bock mehr.  Immer die Streitereien deswegen.

„Was?“ Er blieb stehen und drehte sich mit einem entsetzen Gesichtsausdruck zu mir. „Muss morgen früh arbeiten. Scheint dir wohl abhandengekommen zu sein. Hast zu viel Whiskey getankt, huh.“ Maulte mich Ennis an und wollte doch tatsächlich seinen Weg fortsetzen und war im Begriff in sein Wagen einzusteigen. Da packte ich ihn und stieß ihn ins Freie. Sein Hut fiel von seinem Kopf.

„Nix da, du kommst mit. Ich leihe dir das Geld für deine Kinder. Jetzt bist du mal für mich da. Hab lange genug auf dich warten müssen. Was meinst du, warum ich nur noch saufe? Wegen dir, du Arschloch.“

„Sag mal Jack, spinnst du? Ich glaube dir bekommt der Whiskey wirklich nicht mehr.“ Ennis versuchte, sich loszueisen. „Lass los.“ Ich merkte, wie bei Ennis langsam der Geduldsfaden riss.

„Nein ich spinne nicht. Ich bin mir nur jetzt ziemlich sicher, dass du mit mir kommen wirst. Sofort Ennis del Mar, sonst siehst du mich nie wieder, dann bin ich für dich Tod, ein für alle Mal.“ Ich ließ ihn los, trat einige Schritte zurück.

 

Schon oft hatte ich mir gedacht einfach seine Karten, die er mir sehr selten geschickt hatte, am Postamt verleugnen zu lassen. Oder mit einem „verstorben“ Stempel an ihn zurück zu schicken. Verdammt, das hätte ich tun sollen, um ihm die Augen zu öffnen.

Wir sahen uns lange an und wieder hatte Ennis diesen bitteren Ausdruck in seinen Augen. Er spuckte jetzt auch in den Sand und kam näher.

„Ich muss meine Unterhaltszahlungen machen, ich brauche den Job. Verdammt Jack. Ich dachte, das hätten wir gerade vorhin geklärt. Geh doch und amüsiere dich in Mexico, wenn ich dir nicht genüge. Dann beenden wir das eben, mir doch egal.“

Wie bitte, es war ihm egal? Die Worte trafen mich tief im Innern.

„Ennis willst du mich nicht verstehen oder kannst du nicht! Ich gehe jetzt nach Lightning Flat und du Hurenbock kommst mit. Ganz einfache Sache.“ Ich hatte meine Fäuste schon geballt und kaum das ich richtig nachdenken konnte, landeten sie auch schon mitten in Ennis Gesicht, sodass er überrascht von meinem Angriff, nach hinten umfiel. Er hatte noch nicht mal reagieren können und ich war selbst sehr erstaunt von der Wucht dieses Schlages. Ich hatte ihn k.o. geschlagen, und das mit einem einzigen Schlag. Wahnsinn. Warum nicht schon früher.

Meine Knöchel taten weh, als ich die Fäuste wieder öffnete. Aber was soll‘s. Jetzt oder nie. Das Schlimmste was mir jetzt passieren konnte war, dass er vorher wieder zu sich kommen würde, um mich ebenfalls niederzustrecken. Mich dann zurückzulassen, damit er zu seinem bescheuerten Arbeitgeber fahren konnte. Und zu dieser Cassie. Schlampe.

„Na, dann werden wir jetzt mal zu meinen Eltern fahren.“ Sagte ich mehr zu mir und sah auf die bewusstlose Gestalt hinunter. Ich nahm seinen Hut, der verwaist neben ihm lag, und klopfte den Staub raus.

Dann holte ich alles heraus, was ich noch im Auto hatte.  Lud somit alles in Ennis Wagen mit ein, danach schleifte ich Ennis auf den Nebensitz, was nicht einfach war. Denn dieser Kerl, der mir verdammt noch mal sehr viel bedeutete, wog für mich eine Tonne. Und ich war die Jahre über, durch meine Tätigkeit, sehr träge geworden. Das würde sich ändern, dachte ich zähneknirschend, als ich auf meinen Bauch schaute, der sich durch mein Hemd abzeichnete. Ich hatte meine Jacke nicht zugeknöpft und er wölbte sich heraus.

Du bist fett geworden, Jack. Richtig fett. Kein Wunder, dass Ennis das Interesse langsam an dir verliert, dachte ich zähneknirschend.

Ich nahm anschließend auch Ennis Gewehr an mich, denn ich wusste, wenn er wieder wach werden würde, dann würde er mich überrumpeln und dass wollte ich nicht. Daher stellte ich es neben mich, immer griffbereit. Für alle Fälle. Ich sah mir seine Verletzung an, es war nicht sehr schlimm. Er blutete ein bisschen aus der Nase, aber gebrochen war sie nicht. Und an der linken Wange zeichnete sich eine kleine Beule. Ein Ennis konnte das wegstecken, der war zäh wie Leder, dachte ich dennoch zärtlich und er konnte zudem unheimlich nett sein, wenn er wollte. Wenn!

Das wird schon, dachte ich mir und atmete tief durch. Die Steine auf der Straße knirschten unter meinen Stiefeln, als ich mich weiter an die Arbeit machte. Ich brauchte ein Seil und wusste durch Ennis Pferde, dass er immer welches auf Vorrat hatte. Die Pferde wurden unruhig und ich gab ihnen eine Karotte, klopfte ihnen auf den Hals und verschloss den Anhänger. Die würden auf jeden Fall nicht zurückbleiben, die konnten wir bei meinen Eltern sehr gut gebrauchen.

Ich nahm endlich das Seil an mich und musste mich sputen. Lange würde es nicht mehr dauern und Ennis würde wieder zu sich kommen.

So band ich flink seine Hände und Füße mit einem Strick zusammen und verknotete sie an meinem Gürtel, als ich mich neben ihn setzte. Anschließend wischte ich ihm die Nase vorsichtig mit einem meiner Taschentücher sauber. Er war noch immer bewusstlos, was mich doch erstaunte, aber das war mir gerade recht so. Meinen Wagen ließ ich einfach am Straßenrand stehen, denn mir war Ennis viel wichtiger. Zu lange hatte ich gewartet, dass sich was ändern würde. Viel zu lange und jetzt nahm ich mein Schicksal selber in die Hand. Ich drehte den Schlüssel um, startete den alten Bock und hoffte, er würde es auch bis zu meinen Eltern schaffen. Den Gedanken, ich hätte ja mit meinem Wagen fahren können, viel mir erst viel zu spät ein. Ein Schnelldenker war auch ich nicht. Leider. Aber alles nochmals umzuladen, besonders den Anhänger, das war mir jetzt ein bisschen zu viel und würde zu lange dauern. Ich fuhr los.

Nach einer kurzen Zeit röchelte es endlich neben mir und dann, als ich mich zu ihm drehte, starrte ich auf ein paar sehr, sehr zornige braune Augen. Er ruckelte an seinen Fesseln, merkte, dass er sich so nicht befreien konnte.

„Was gibt das denn, wenn´s fertig ist? Bind mich los, sofort“, nuschelte und murrte er. Verzog schmerzhaft das Gesicht dabei.

„Na, Ennis, schon wieder wach.“ Ich versuchte so locker, wie es mir möglich war zu klingen. Schaute kurz auf ihn, um mich zu vergewissern, dass er ja nichts Dummes anstellen würde.

Er knurrte, das kannte ich schon von ihm. Ich steckte mir locker eine Zigarette an, zog daran, inhalierte den Rauch und steckte sie ihm anschließend gut gelaunt in den Mund. Er wollte sie schon ausspucken.

„Keine gute Idee, Ennis, wirklich keine gute Idee.“ Ich lächelte. Jetzt würden wir für eine Weile doch zusammenbleiben. Und ich würde verhindern, dass er mir abhauen konnte.

 

 

 

 

 

 

2.

 

                                                                  

 

Wie erwartet spuckte Ennis die Zigarette aus und schaute mürrisch weg. Ich konnte sie gerade noch abfangen. Die Asche lag auf meiner Jeans, die ich dann mit meiner Hand fahrig wegwischte.

Ich schaute Kopfschütteln zu Ennis, wie er an seine Fesseln zog und sich zu befreien versuchte. Vergeblich. Das, was ich wirklich gut konnte, und das lernte man auch beim Rodeo reiten, waren gute Knoten zu machen. Daran hätte Ennis denken können. Er müsste mich doch eigentlich soweit kennen.

„Jetzt sei mal ein Spielverderber“, meckerte ich und nahm die Zigarette wieder in den Mund, schmeckte Ennis herben Speichel. Manchmal konnte er mich einfach nur zur Weißglut bringen mit seiner abweisenden Art. Ich rauchte die Zigarette nicht zu Ende, sondern schnalzte sie mürrisch aus dem Fenster.

Eine Weile war es zwischen uns still geworden. Ab und an hörte ich ein verächtliches Schnauben. Aha, dachte ich mir, er fängt gleich zu sprechen an und zählte die innere Uhr auf e rückwärts. Zehn…Neun… Acht… Sieben… Sechs…. Bingo. Ich kannte doch meinen Ennis und schnalzte mit meiner Zunge gegen den Gaumen. Yeah!

„Was soll ich bei deinen Eltern, huh? Ich hab gesagt, dass keiner von uns wissen soll. Hab ich gesagt. Das ist eine Sache zwischen dir und mir, klar!“, raunzte er mich unfreundlich an.

Klar, Ennis, das hast du dir so ausgedacht, leck mich doch.

„Hast du gesagt, stimmt. Geht mir aber so was am Arsch vorbei.“ Immer ging es nur nach seinen Regeln, aber jetzt drehte ich den Spieß einfach mal herum.

Ich zeigte keinerlei Gefühlsregung. Mir taten seine Worte sogar nach Jahren ein bisschen weh. Klar konnten wir kein Liebespaar mimen. Das wollte ich gar nicht. Aber diese Beziehung so weiter laufen lassen wie bisher, das wollte ich auch auf keinen Fall mehr. Das hatten auch unsere letzten beiden Ausflüge gezeigt. Wir waren beide nicht mehr glücklich und ich fühlte mich schon lange nicht mehr wohl in meiner Haut.

Ich fuhr weiter. Der Weg wurde staubiger, steiniger und wir wurden in unseren Sitzen regelrecht durchgeschüttelt. Mein Blick fiel auf den Rückspiegel. Den Pferden schien das nichts auszumachen, sie verhielten sich ruhig. Wir waren schon Halber dort. Aber noch war genügend Zeit um Ennis vom Gegenteil zu überzeugen.

„Halt an, ich muss pinkeln!“, unterbrach er plötzlich unsere Stille.

Verdammt, daran hatte ich nicht gedacht. Könnte aber auch von ihm eine Taktik sein, um mich zu überrumpeln. Ich war auf der Hut. „Wir sind bald da.“ So leicht ließ ich mich nicht durchschauen.

„Ich muss aber.“ Er blieb beharrlich.

„Mir egal.“

„Sag mal, Jack, ist irgendwas an unserem Streit vorhin bei dir oben in der Birne was kaputtgegangen? Ich! Muss! Pissen!“

„Nein, eher hatte ich eine Erleuchtung und du kannst es aushalten.“ Wäre doch gelacht, wenn nicht.

„Aha, und die Erleuchtung besagt, dass ich nicht pinkeln darf. Wirklich sehr witzig, Twist.“  Er schaltete auf stur.

Ennis Motzerei ging selbst mir gehörig auf den Trichter. Ich konnte ja mitkommen, musste ich ja. „Ist ja gut, aber du bleibst gefesselt.“ Ich zeigte ein klein wenig Einsicht, wie immer und fuhr rechts an den Straßenrand.

„Hast du sie noch alle?“ Ich sah wie Ennis seinen Kopf schüttelte und seine Augen weit aufgerissen waren. „Wie soll ich da pinkeln? Durch die Hose etwa!“

Jetzt lag ein fieses Grinsen auf meinem Gesicht. Ich hatte nämlich Ennis Hände auf den Rücken gebunden.

Ich hielt an und schubste ihn einfach raus, was zur Folge hatte, dass er auf die Knie fiel. Da er an mich gefesselt war, musste ich etwas umständlich auf den Beifahrersitz rutschen und von dort aussteigen. Ennis rappelte sich auf und kam trotz Fesseln wieder auf die Beine, konnte aber dennoch nicht gehen - wegen der Stricke. Ich sah, wie er sich fast hüpfend von mir wegdrehte. Wollte Ennis etwa tatsächlich durch die Hose pinkeln?!

„Sturer Esel“, maulte ich, drehte ihn wieder zu mir um und schon hatte ich meine Hände an seinen Hosenbund.

Er fing an zu zappeln. „Lass das! Was machst du da?“ Unsicherheit lag in seiner Stimme.

„Ist nicht das erste Mal, das ich dich dort unten anfasse.“ Und machte mich an seinen Hosenschlitz ran, holte schließlich seinen absolut schlaffen Schwanz raus.

Er zuckte erst, aber was sollte er machen, er war auf mich angewiesen. Ich wusste er hasste mich dafür, dass ich ihm beim Pinkeln helfen würde. Was würde ich tatsächlich meinen Eltern sagen, und vor allem was würden sie sagen, warum Ennis gefesselt war. Verdammter Mist. Ich musste Ennis dazu bringen, nicht abzuhauen. Und ihn ohne Fesseln vorstellen.

„Was ist? Muss du jetzt, oder nicht?“

„Armleuchter“, bellte er ungehalten, aber schließlich entleerte er endlich seine Blase.

„Na geht doch“, blaffte ich genauso unfreundlich ihn an.

„Das war was anderes, du verdammter Mistkerl. Glaubst du ich lasse mich gerne so von dir befummeln?“

Ich gab´s auf, auf sein störrisches Benehmen gleich eine Antwort zu geben und ließ ihn eine Minute zappeln.

Seine braunen Augen waren zornig auf mich gerichtet.

„Wenn ich dich jetzt losbinden würde, was würdest du machen?“ Scheiße, ich musste aufpassen. Ennis Schwanz war schon immer der größere und er hätte mir fast auf die Hand gepinkelt. War ja eigentlich auch meine Schuld. Ich konnte ja aufpassen und musste ja nicht seinen ganzen Schwanz in die Hand nehmen. Aber er fühlte sich so gut in meiner Handinnenfläche an.

Als Ennis fertig uriniert hatte, schüttelte ich sein Teil ein bisschen und steckte seinen Penis in seine Hose zurück. Dann zog ich den Reißverschluss hoch.

„Also, was würdest du machen, wenn ich dich losbinden würde?“, wiederholte ich meine Frage, da er anscheinend vor lauter Zorn mir nicht zuhören wollte.

„Dir auf jeden Fall ein zweites blaues Auge verpassen. Dich mit dem Seil hier festbinden und anschließend deinen Hintern versohlen, bis er eine satte Farbe aufweist. Danach würde ich zurückfahren. Was hast du denn geglaubt was ich mache, huh? “

„Wow…Gut, dann bleibst du halt gefesselt, du sturer Bock.“ Ich ging voraus und zog ihn hinter mich her. Er hüpfte ungehalten und fluchte laut. Ich setzte mich wieder anschließend auf die Fahrerseite und beugte mich rüber zu ihm und machte die Beifahrertür zu und fuhr weiter.

„Ich bereue, dass ich überhaupt was mit dir habe“, maulte er weiter ungehalten an meiner Seite.

Ach ne, und das fällt dir jetzt nach 20 Jahren ein.

Ich trat auf die Bremse, sodass Ennis leicht nach vorne fiel. „Sag mal geht´s noch?“ Ich war fassungslos und sauer auf diese Bemerkung, die er gemacht hatte.

„Ist doch so! Mich interessieren überhaupt keine Männer.“ Er setzte sich wieder aufrecht hin.

Das war jetzt der absolute Gipfel.

„Was bin ich dann für dich? Eine Missgeburt? Oder besser noch, bin ich in deinen Augen etwa wie ein Schaf? Hast du mich deswegen gevögelt!“, mach so weiter und du wirst in deinen Fesseln verschimmeln.

Ennis brummelte neben mir und ich verstand ihn kaum noch.

„Ennis, mach deine Zähne auseinander, man versteht dich so gut wie überhaupt nicht.“

„Mia hegal, legg misch…“, brummte er undefinierbar.

„Ennis!“  Jetzt wurde ich laut.

„Was? Huh? Was erwartest du von mir? Du schleifst mich gegen meinen Willen zu deinen Eltern, die ich nicht kennenlernen möchte. Du fesselst mich, raubst mir meine Freiheit…“ Er zeigte demonstrativ seine Fesseln, „und meinen Hut hab ich auch nicht auf.“

Seinen Hut? Der Mann hat echt Sorgen!

Dennoch war ich amüsiert darüber. Das war mal eine ganz neue Variante der Unterhaltung, dachte ich. Aber was ich für ihn war, darauf war er nicht eingegangen, und stimmte mich ein wenig traurig.

„Soso, dein Hut. Ist das deine größte Sorge? Warte!“ Während ich weiterfuhr, griff ich mit der freien Hand etwas umständlich nach hinten auf den Rücksitz nach dem Hut und setzte ihn auf Ennis Kopf. „So, und, wird deine Laune jetzt dadurch besser?“ Ich hatte seinen Cowboyhut sehr tief in die Stirn gezogen, sodass er mich kaum noch ansehen konnte.

„Nein, aber ich fühle mich dann nicht so. Ach was weiß ich“, nuschelte er wieder. „Und jetzt bind mich verdammt nochmal los, du Penner.“

„Nein“, schaltete ich sofort auf stur.

Ich bin also ein Penner in deinen Augen?

Das wurde ja immer besser mit uns beiden.

„Nein? Jack, wenn ich wütend werde, ist nicht gut mit mir Kirschen essen.“

War es doch nie!

„Ich werde dich nicht losbinden. Ich bin doch nicht völlig bescheuert. Du haust mir ja doch ein Veilchen. Hast du selbst eben gesagt, verdammte Scheiße. Nein mein Lieber, das kannst du so was von vergessen. Das damals auf dem Brokeback hat gereicht. Ich hab meinem Alten irgendeine Story auftischen müssen, nur weil ich vier Tage mit einem Blinker herumgelaufen war. Vergiss es.“ Das war damals wirklich nicht komisch, denn ich bekam von meinem Vater zusätzlich noch eine Tracht Prügel deswegen.

„Jack“, versuchte er es jetzt sachlich.

Ich horchte bei seiner leisen, aber gefährlich zischenden Stimme auf. Ich kannte Ennis dennoch durch und durch. Schließlich verbrachten wir immer fast eine ganze Woche im Jahr unsere Zeit miteinander. Das waren 24 Stunden am Tag. Rund um die Uhr also, und da kannte man die Macken des anderen ein wenig. Ennis war auf Lauerstellung und wollte mich einlullen.

„Was Jack? Du kannst mir noch nicht mal sagen, was ich für dich bin.“ Ich wollte wissen, was ich für ihn war. Ein Mann oder ein Schaf.

„Jetzt pass mal auf, Jack. Du bist mein Angelkumpel, klar. Was willst du denn sonst sein, huh? Vielleicht kann ich doch mit meinem Boss reden und den Sommer über frei...“

 „…Blödsinn!“, unterbrach ich ihn. Angelkumpel? Schieb dir das sonst wo hin. „Glaubst du, ich falle auf deine Lügerei wieder rein. Du hast gesagt, du würdest den Sommer über nicht freibekommen und im Gegenzug hast du dies hier freigekriegt. Deine Worte, Mann! Angelkumpel? Lächerlich! Nicht einen einzigen Fisch angeln wir. Blödsinn.“

Wir fuhren schweigend weiter. Noch etwa eine halbe Stunde hatten wir zu fahren, dann würden wir meinen elterlichen Hof erreichen.

Mist, die Zeit lief mir davon. Fahrig fuhr ich mir über meine Haare und setzte den Hut wieder richtig zurecht, der mir schier bei der Aktion heruntergerutscht war.

„Lass mich sofort gehen. Ich fahre dich auch zu deinem beschissenen Bock zurück, trete dir in den Hintern. Du kannst froh sein, wenn ich mit dir überhaupt noch mal was zu tun haben möchte.“

Ennis konnte es nicht sein lassen. Anstatt mit mir zu kooperieren, drifteten wir nur noch mehr auseinander. Zum Kotzen war das. Langsam fand ich meine Idee, ihn dahin zu verschleppen blöd. Aber zurückkehren wollte und konnte ich jetzt auch nicht mehr. Ich schwieg, so wie Ennis immer das gerne tat und fuhr mit einer mir selbst aufgezwungenen Seelenruhe weiter die Straße entlang.

„Bind mich los, du Wichser. Ich hau dir eins über die Rübe.“ Seine Stimme klang bereits wie die eines tollwütigen Kojoten. Er jaulte schon beinahe. Das war was Neues für mich.

Die künstlich erzeugte Ruhe hielt nicht lange an. Ich schnaubte vor Empörung. „Pah.“ Ich hatte es doch gewusst, dass er mir drohen würde. Ich hatte es gewusst. Alter Maulesel.

 

Ich hielt wieder an, aber dieses Mal blieb ich mitten auf der Straße stehen. Wir waren sowieso alleine. Kein weiteres Auto war weit und breit zu sehen oder zu hören. Wer wollte schon in so einer gottverlassenen Gegend wie die von meinen Eltern leben? Keiner!

Außer ich mit Ennis.

Scheiße, Ennis.

Wir hätten ein verdammt gutes Leben haben können.

Das machte mich innerlich so wütend, dass wir Jahre vergeudet hatten und nur, weil Ennis zu feige war. Ich schlug mit meiner rechten Faust aufs Lenkrad, sodass Ennis darauf hin kurz zusammenzuckte.

„Du wirst meine Eltern kennenlernen, ob es dir passt oder nicht. Du wirst ihnen helfen, da wir seit 20 verkackten Jahren dennoch so was wie zusammen sind. Du vögelst mich, also kannst du mir helfen, oder ich trete dir so in deinen ignoranten Arsch, dass du bis nach Wyoming fliegen wirst. Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Ennis Doofkopf del Mar.“ Meine Finger krallten sich um Ennis Lenkrad, als ob sie den Lenker nie mehr loslassen wollten. Ich spürte, wie Ennis plötzlich auf dem Beifahrersitz unruhig hin und her rutschte.

Die Botschaft hatte ihn also erreicht.

Ich wusste, es war keine leichte Situation, und vielleicht hatte ich durch diese Aktion Ennis für immer verloren. Aber hatte ich ihn jemals besessen? Also. Verdammt, war das eine scheiß Situation. Gerade jetzt musste ich an Randall denken.

Randall konnte Ennis nie das Wasser reichen und ich wollte mich auch mit diesem langweiligen Dudelsack nicht mehr treffen. Der angelte doch tatsächlich…

Einmal hatten wir gefickt, dabei stellte er sich dämlicher an als der dümmste Rancher in ganz Texas. Nein, ich wollte meinen Ennis wieder. Egal wie sauer er auf mich war. Ich bedeutete ihm trotzdem was, auch wenn er jetzt im Moment das Gegenteil von mir dachte. Schließlich lag ich immer in seinen Armen, wenn wir nachts schliefen und er küsste mich auf den Nacken, wenn er dachte, ich würde es nicht mehr mitbekommen.

Ich fuhr weiter, denn Ennis blieb ruhig. Zu ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm etwa?

Das Haus und die Scheune sah man bereits von Weitem. Wir waren fast da.

„Wir sind gleich da“, sagte ich überflüssigerweise, und Ennis trat nach mir aus.

„Mir egal, ich will mit dir nichts mehr zu tun haben“ ,knurrte es neben mir, während er versuchte sich freizumachen. Was natürlich immer noch zwecklos war.

Schon wieder versetzte seine Reaktion mir einen Stich. Immer noch kämpfte Ennis gegen mich an.

Ich stoppte den Wagen wieder und dieses Mal machte er ganz komische Geräusche.

„Hasten ihn jetzt ganz hin gemacht?“, knurrte er ziemlich unfreundlich.

Ich ging nicht darauf ein und drehte mich einfach zu ihm.

„Du kannst mich mal, Ennis del Mar. Ist es denn zu viel verlangt, dass ich dich meinen Eltern vorstellen möchte? Du bekommst ja deine Unterhaltszahlung für die nächsten drei Monate. Verdammt, Ennis. Wartet jemand auf dich, ist es das? Du tust wirklich so, als ob du es nicht erwarten kannst, mich nicht mehr zu sehen.“ Ich wollte nicht jämmerlich klingen, aber ich wusste, dass es sich so angehört hatte.

Er drehte sich zu mir, zog sein Kinn in die Länge. „Warum sind wir dann nicht gleich hingefahren? Huh? Wenn du schon so darauf bestehst, einen auf Familie zu machen.“

Er hatte mir schon wieder nicht richtig geantwortet, aber auch seine Stimme klang nicht mehr ganz so schroff.

„Ganz einfach, weil ich da noch nicht wusste, dass du erst wieder in 100 Jahren für mich Zeit haben würdest. November? Du hast sie nicht mehr alle. Und jetzt tu mir den Gefallen, auch wenn es wahrscheinlich der Letzte sein wird, und geh einfach mit.“ Betteln würde ich nicht, aber dennoch sah ich ihn eindringlich an.

An seinen Gesichtszügen merkte ich genau, wie meine Frage in ihm arbeitete.

„Jack, treib es nur nicht auf die Spitze. Tu das nicht.“ Sein Kiefer knirschte dabei verdächtig laut.

„Und du, Ennis, treib mich nicht in den Wahnsinn. Tu das bitte nicht!“ Meine Augen waren fest auf seine gerichtet.

Ich holte tief Luft, beugte mich vor, den Blickkontakt immer auf ihn gerichtet, löste ich schließlich seine Fesseln und wartete ab, was passieren würde.  Die Pferde hörte ich draußen wiehern. Na, das passte ja…

3.

 

                                                            

 

Ich sah ihm in die Augen, er sah mir in die Augen. Ich hatte die Fesseln immer noch in der Hand. Er hatte seine Hände immer noch bei sich. Alles schien ruhig und für diese Situation recht normal. Und, ich hatte noch kein blaues Auge. Und, Ennis war noch nicht ausgestiegen.

Gut.

Für mich war das ein sehr gutes und positives Zeichen.

„Können wir jetzt?“, fragte ich trotzdem vorsichtig nach und drehte meinen Oberkörper wieder in Fahrtrichtung. Ich atmete dabei tief durch und schielte absichtlich nicht zu ihm hin, sondern starrte stur auf das Lenkrad, wartete einfach seine Antwort ab.

„Ja, muss ja mit“, kam sein murren.

Ich löste meinen Blick von diesem Teil und schaute langsam und vorsichtig zu ihm rüber. Er hatte sich seinen Hut wieder zurechtgerückt und rieb seine Handgelenke, die von den Fesseln leicht gerötet waren. Er knotete sich jetzt die Fußfesseln auf und warf leicht verärgert den Strick auf meinen Schoss, worauf ich ihn kopfschüttelnd nach hinten schmiss.

„Tut mir leid“, sagte ich jetzt. Ich meinte es auch so. Denn mir hatte die Aktion, die ich gegen seinen Willen gestartet hatte, wirklich im Nachhinein leidgetan. Ich wollte ihm nicht absichtlich Schmerzen zufügen oder gar verletzen. Mein Bestreben war, es dieses Mal auch nicht so enden zu lassen. Außerdem hatte ich bei: ’ Wir sehen uns erst wieder im November‘, regelrecht Rot gesehen. Rationales denken war mir ab dem Zeitpunkt abhandengekommen.

„Was? Was tut dir leid! Dass du mich hierher verschleppt hast, und dich wie ein Arschloch aufführst, huh?“ Ennis war mehr als nur beleidigt.

Verständlich für ihn in seiner Situation - jedenfalls. Aber wäre ich an seiner Stelle nicht auch beleidigt? Ich wusste es nicht. Denn immer, wenn ich beleidigt war, wegen seiner ganzen Zurückweisungen und ich dann ihn so sah wie jetzt, oder wie bei unserer Verabschiedung - der Streit am See, dann machte mein Herz jedes Mal einen Hüpfer und ich gab immer hinterher nach.

 Aber heute war dem nicht mehr so. Heute wollte ich eisern bleiben und mein Plan umsetzen ihn endlich meinen Eltern vorzustellen. Ob er wollte oder nicht. Viel zu lange hatte ich gewartet. Viel zu lange war deswegen unnötige Zeit verstrichen.

„Ja, auch. Es tut mir schon leid, und dann irgendwie wiederum auch nicht “, sagte ich offen heraus. Warum ihn anlügen? Ich hatte ihn viel zu oft angelogen. Jetzt sollte Schluss damit sein.

„Fahr endlich damit ich es hinter mich bringen kann, du sturer Esel“, knurrte er zwar gefährlich, mehr aber nicht. Jetzt war ich doch etwas überrascht, dass ich keine von ihm übergebraten bekommen hatte oder dass wir miteinander kämpfen, oder er mich aus dem Auto rausschmeißen würde. Nichts. Nur ein Knurren.  Ennis schien es zu akzeptieren und ich bekam jetzt doch irgendwie leichtes Herzklopfen. Er würde meine Eltern kennenlernen. Diese Tatsache hinterließ bei mir ein eigenartiges Glücksgefühl und ich wurde nervös. Meine Hände waren feucht geworden und ich versuchte mir, meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

 „Okay.“ So startete ich dann zum letzten Mal das Auto und atmete erleichtert tief durch. Schließlich parkte ich unweit vor dem Haus meiner Eltern und wir stiegen aus.

„Was ist mit den Pferden, Jack?“ Ennis hatte sein Blick auf seine Pferde gerichtet. Seine Pferde waren ihm sehr wichtig, das wusste ich.

„Um die kümmern wir uns später“, versuchte ich ruhig zu bleiben.

„Mhm“, meinte er nicht gerade überzeugend. Ennis konnte man nie überzeugen oder gar beruhigen.

Meine Mutter musste uns bemerkt haben, denn die Haustür öffnete sich. Ihre Augen leuchteten, als sie mich kommen sah. Ich konnte ihre Freude regelrecht fühlen und zugleich wurde ich ein wenig betrübt, als ich ihre Aufmachung sah. Wie immer empfing sie mich in einem schlichten alten Kleid und der einzigen Strickjacke, die sie überhaupt besaß. Wie ich mein Vater hasste, dass er sie so ärmlich hielt und schenken durfte ich ihr auch nichts. Der Ärger hinterher war immer zu groß gewesen. Auch die ganze Inneneinrichtung von meinem elterlichen Haus war verarmt. Alles war in einem Weiß gehalten und baufällig so weit das Auge reichte - zum Kotzen war das. Und ich war auch nicht wirklich reich, da Lureen die Vollmacht über unsere Finanzen hatte und ich nur ein schlichter Verkäufer von Landmaschinen war.

Was wohl Ennis denken wird?

Erst jetzt machte ich mir richtig Gedanken darüber was Ennis zu dem Zustand des Hauses und der Einrichtung wohl denken würde. Irgendwie schämte ich mich gerade jetzt in diesem Augenblick für das hier. Aber ich schämte mich nicht für meine Mutter. Meine Mutter war eine Seele von Mensch. Was man von meinem herrischen Vater nicht sagen konnte. Seit meiner Beschneidung und da kämpfte ich heute noch mit den Folgen, hasste ich ihn abgrundtief. Aber er war nun mein Vater und mit meiner Mutter verheiratet. Ich würde meine Mutter jetzt nicht nach Vater fragen, der bestimmt in seiner Scheune war und vor sich hin brummelte.

 „Jack! Mein, Jack, schön, dass du da bist“, sagte sie in ihrer weichen Stimme. Sie kam auf mich zu und ich umarmte sie herzlich.

„Ma“, sagte ich nur und drückte sie ebenfalls an mich. Wie ich mich freute, sie zu umarmen, ihren Geruch der Geborgenheit zu riechen und zu fühlen. Ich liebte meine Mutter, da konnte komme was wolle.

Meine Mutter löste sich jetzt von mir und blickte dann ziemlich neugierig zu Ennis, der die ganze Zeit über mit verlegenem Gesichtsausdruck auf der Innenseite seiner Wange herumkaute. Er hatte die Hände in seine Hosentasche gesteckt und den Blick dabei gesenkt.

Typisch für Ennis, dachte ich belustigt. Die Haltung passiv, aber im Bett ein Tier.

„Jack, du bist nicht alleine? Du hast jemand mitgebracht?“ Sie musterte Ennis nun genauer, der sich dabei immer unbehaglicher fühlte, sah auf seine abgetragenen Sachen, die Stiefel, die er seit über 15 Jahren anhatte. Es wunderte mich überhaupt, wie Ennis mit so wenig Klamotten Sommer wie Winter durchkam. Aber was machte ich mir Gedanken darüber, denn meine Mutter hatte ebenfalls kaum Kleider zum Wechseln.

„Ja, Ma, das ist Ennis.“ Ich stockte kurz. „Der Ennis, von dem ich dir und Pa immer erzähle.“ Ich war jetzt richtig nervös und gespannt, wie beide wohl aufeinander reagieren würden. Wie Ennis auf meine Mutter reagieren würde?

„Aha, das ist also Ennis. Der berühmte Ennis del Mar“, sprach sie ihre Worte bedächtig aus und betrachtete Ennis weiterhin, der langsam seinen Kopf anhob und sie ebenfalls musterte. Meine Blicke, die zwischen den beiden nur so hin und her ging, ignorierte er wissentlich.

„Ma 'm.“ Seine Stimme klang leicht rau und ich erschauderte leicht dabei. Wie liebte ich diese raue aber doch samtweiche Stimme.

„Jack hat schon so viel über Sie gesprochen. Sie sind sein Angelkumpel und waren mit ihm auf diesen Berg… Wie hieß er noch gleich?“ Ich sah, wie sie ihm die Hand entgegenstreckte und als Ennis nicht reagierte, gab ich ihm einen leichten Tritt ans Schienbein. Ennis schüttelte nur den Kopf.

Maulesel, du weißt genau, was für einen Berg sie meint.

„Ma, Brokeback heißt der Berg. Okay.“ Ich war schon verärgert genug. Außerdem wusste sie genau wie der Berg hieß, denn ich erwähnte ihn immer und wollte sogar dort oben beerdigt werden. Die Asche sollte von mir verstreut werden.

„Schön, dass Sie uns besuchen kommen“, überhörte sie meine Reizbarkeit.

„Ja Ma ' m… also... das ist so nicht ganz richtig…“, räusperte sich Ennis ein wenig.

Was nicht richtig, ich habe mich wohl verhört? Ich sendete ihm sofort giftige Blicke zu, und musste mich zurückhalten es nicht zu verschlimmern.

„Jack, was hat das zu bedeuten?“ Sie hob ihr Kinn an.

Verlegener wie jetzt konnte ich nicht mehr schauen, wobei Ennis auch nicht viel besser dreinblickte, sodass meine Mutter dann auch ernst auf ihn und danach wieder mich anblickte und ihre nun saure Miene eher mehr mir galt, als Ennis.

Scheiße, ich wusste genau was jetzt kommen würde. Eine Moralpredigt der besonderen Art.

„Wo ist mein Vater?“ Jetzt fragte ich doch nach ihm, obwohl ich es eigentlich nicht vorgehabt hatte. Ich wollte die Sache hier entschärfen und auf ein anderes Thema lenken. Und das sofort. Egal wie.

„Hinten im Stall, wo er doch immer ist, Jack.“ Ihre Stimme klang ernst und die Blicke von ihr waren eindeutig.

„Ja, ähm klar.“ Ich kratzte mich leicht verlegen, und unwohl in meiner Haut, am Kinn.

„Auf ein Wort. Ich will mit dir reden, alleine Jack.“ Meine Mutter schaute auf Ennis und er kniff seine Augen zusammen.  „Mister del Mar, stört es Sie sehr, wenn ich mit meinem Sohn ganz kurz unter vier Augen reden möchte und wir Sie dadurch einen Augenblick alleine lassen?“

„Sie können mich Ennis nennen“, nuschelte er vor sich hin und kramte schließlich nach einer Zigarette. „Stört nicht, wollte eh eine rauchen.“ Und schon steckte er sich die Kippe zwischen die Lippen.

„Schön, Ennis, ich heiße Martha.“ Sie sah zu Ennis, der daraufhin ihr zunickte und sich die Zigarette nebenbei mit einem Streichholz anmachte.

Die hätte ich jetzt auch gut gebrauchen können, so nervös, wie ich war. Aber Ennis machte keinerlei Ambitionen in dieser Richtung, mir eine zu reichen, oder gar anzubieten. Meine Schachtel war leergeraucht, das war das eigentliche Problem. Scheiße, und ich wollte Ennis jetzt nicht alleine lassen, was war, wenn er augenblicklich einfach so verschwinden würde? Auch wenn er meiner Mutter eben gestattet hatte, ihn bei seinem Vornamen anzusprechen, wusste ich nicht wirklich, was in ihm vorging. Ich sah zu ihm rüber, und als er sah, dass ich ihn beobachtete, schaute er weg, blies den Rauch in die Luft. Na Klasse, Ennis.

Meine Mutter und ich gingen ein Stück schweigend nebeneinander her. Ein paar Mal drehte ich mich aber zu ihm um. Ennis rührte sich keinen Meter, sah uns aber mit stechenden Augen hinterher.

„So, Jack, erkläre mir mal was das Ganze hier soll?“, fragte mich meine Mutter geradeaus, als wir stehengeblieben waren und wir somit aus Ennis Hörweite waren.

„Was soll was?“ Ich fragte bewusst nach, wollte mich um diese Frage drücken und stellte mich absichtlich dumm.

„Du weißt genau, was ich meine. Dieser Mann ist nicht freiwillig hier, das sieht ein Blinder.“

Ich scharrte mit der Fußspitze und malte eine Mondsichel in den Sand, blieb aber stumm dabei.

„Willst du mir nicht sagen, was zwischen dir und Ennis vorgefallen ist und warum er jetzt hier ist? Und das erst nach so vielen Jahren überhaupt, tauchst du auf einmal mit ihm auf. Wobei er nicht freiwillig hier ist. Du erzählst mir doch auch immer alles.“

Ich schluckte. Wie recht sie hatte. Meine Mutter war bei Ennis immer der rettende Anker gewesen, wenn ich wieder mal niedergeschlagen von der Angeltour hergefahren war und mich im Anschluss nur besoffen hatte, weil der Schmerz über die Liebe zu diesem Mann mich immer mehr zerrissen hatte.

Doch jetzt waren meine Lippen wie versiegelt, zu arg war die Wunde, die ich dieses Mal wegen Ennis hatte.

„Was ist? Hm, immerhin seht ihr beide unversehrt aus und du bist nüchtern.“ Sie versuchte ein klein wenig zu lächeln, und mich damit aus der Reserve zu locken. „Was ist zwischen euch vorgefallen, dass du ihn jetzt nach all den Jahren hierher gebracht hast? “

 „Ach Ma, du hast keine Ahnung“, platzte es aus mir heraus. Ich zuckte schuldbewusst mit den Schultern und verkroch mich regelrecht in meinen Parker, der mir jetzt als äußere Schutzhülle hinhalten musste. Getrunken hatte ich wirklich heute noch nicht. Gestern mit Ennis und das war es auch schon gewesen.

„Na, so schlimm wird´s wohl nicht sein.“ Sie gab nicht auf und meine Schutzmauer brach vor ihr zusammen.

„Du weißt nicht wie schlimm.“ Ich seufzte schwer und begann dann mit meiner Erzählung. Am Anfang stockend und dann befreite es mich irgendwie. Ich redete mir alles von der Seele und verlor dabei jegliches Zeitgefühl. Natürlich zwar in der Kurzversion, aber dennoch verstrich die Zeit. Das mit den Bergficks und mit Mexico ließ ich aus. Davon wusste nicht einmal meine Mutter.

Sie hörte mir einfach nur schweigend zu und ein sanfter Ausdruck in ihrem Gesicht und in ihren Augen war dann zu sehen, als ich mit meiner Geschichte zu Ende gekommen war.

„Ich verstehe. Aber, Jack, Ennis wird dir so nie gehören. Und schon gar nicht, wenn du ihn zwingst, mit hierher zu kommen. Außerdem, ihr könnt nicht in dieser Art zusammenleben, wie du das gerne hättest. Wie stellst du dir das vor? Es geht einfach nicht. Und Ennis, er steht noch nicht mal zu dir. Das sehe und spüre ich an seiner Körpersprache, an seiner Haltung dir gegenüber. Weiß seine Familie, oder Lureen überhaupt von Euch?“

 „Ma“, unterbrach ich sie. „Können wir von was anderem reden?“ Ich wollte nicht schon wieder das leidige Lureen -Thema mit ihr diskutieren. Ich blinzelte mit den Augen, schnaufte tief durch. „Ist das jetzt wichtig, hm?“

„Also weiß sie davon?“, hakte sie nach.

„Ja, nein. Sie denkt, er wäre nur mein Angelkumpel und so. “ Insgeheim wusste Lureen bestimmt, dass an Ennis und mir was faul war. Blöd war meine Frau ja nicht.

„Ja was nun? Du sprichst in Rätseln.“ Sie blieb stur wie ein Esel. Hatte ich das von ihr?

„Scheiße, Ma, ich will nicht darüber reden.“

„Doch wir müssen. Und lass bitte diesen Ausdruck.“ Sie schaute mich eindringlich an. „Was ist mit seiner Familie? Du hast mir erzählt er hat zwei Töchter?“

Nicht schon wieder, dachte ich leicht stöhnend. Es war schon schwer genug für mich, da musste sie nicht auch noch von Ennis Kindern in meiner Wunde herumbohren.

Hilfesuchend wandte ich mich um und wollte schon zu Ennis schauen, da verfinsterte sich mein Blick. Er war nicht mehr da und ich starrte auf einen leeren Platz, wo noch vor wenigen Minuten er gestanden hatte.

 

 

 

 

 

4.

„Wo ist Ennis?“, rief ich voller Panik mehr zu mir als zu meiner Mum, die mich jetzt seltsam zu mustern schien. „Ich muss ihn suchen, verdammt, wir verschieben das Gespräch auf später“, wand ich mich wieder an sie.

Sie machte nur eine hilflose Geste in meine Richtung, schüttelte den Kopf, aber ich war mit meinen Augen bereits ganz wo anders, um davon großartig Notiz zu nehmen.

Verdammt, ich wusste es. Warum hatte ich Trottel nicht einfach mich durchgesetzt und ihn an dem Gespräch mit meiner Mutter beteiligen lassen?

So eine Scheiße ...

„Ennis ist noch nicht weg, wenn du das meinst“, meinte meine Mutter jetzt. „Der Wagen steht noch da.“ Sie zeigte in eine Richtung.

Wie jetzt? Hätte ich ja gleich darauf kommen können. Oh man, Ennis, du schaffst mich.

Schnell schaute ich nach dem Auto. Es stand wirklich noch am selben Platz, nur sah ich keinen Ennis sitzen. Der Wagen schien leer zu sein, bis auf die Pferde, die im Hänger unruhig wurden.

Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer nach oben. Er war also noch hier, denn Ennis würde niemals ohne seine Pferde gehen. Ob ich aber erleichtert war, warum er nicht auf mich gewartet hatte, stand auf dem anderen Blatt Papier. Und als ich sah, wie Ennis mit meinem Vater aus der Scheune kam, überkam mich ein seltsames Gefühl.

Sie schritten auf den Pferdeanhänger zu und brachten die Pferde schließlich in den Stall. Die ganze Zeit über sagte ich nichts und sah ihnen nur stumm hinterher, viel zu perplex war ich. Meiner Mutter sah ich an, dass sie leicht lächelte, als die beiden dann im Anschluss auf uns zu kamen.

Witzig, wirklich witzig.  Ich machte einen zerknirschten Gesichtsausdruck.

Zudem sah mein Vater irgendwie locker aus. Zu locker für meinen Geschmack und Ennis war nicht kalkweiß im Gesicht, wie ich im ersten Moment eventuell befürchtet hatte.

Eigenartig. Keine blauen Flecke, kein Geschrei - nichts.

War das ein gutes Zeichen?

Ich wusste es nicht.

Ich wusste auch nicht, was ich von der ganzen Sache halten sollte. Meine Mutter hatte immer noch die ganze Zeit über kein Wort mehr gesagt und musterte Ennis nur. Sie schien zu frieren, denn sie hüllte sich enger in ihre Strickweste. Ich blickte zu ihr runter und sie zuckte mit ihrer Schulter und schüttelte nur den Kopf. Da verfluchte ich wieder innerlich meinen Vater, der meine Mutter keine richtigen Klamotten kaufte.

„Geh rein, du frierst“, sagte ich streng, sah aber milde zu ihr. Sie zog ihre Augenbrauen nach oben und ihr Blick verfinsterte sich augenblicklich.

„Wir sprechen uns später noch, Sohn, und wehe du weichst meinen Antworten aus“, sagte sie stattdessen.

Mütter und ihre Verbohrtheit. In diesem Fall, war sie wie Lureen – damals war meine Frau auf jeden Fall noch so, jetzt war ich ihr so ziemlich egal.

Ich rollte mit den Augen als ich die abstruse Situation zwischen Ennis und meinem Vater weiter beobachtete. Das konnte ja heiter werden.

„Jack, warum hast du mir Ennis nur solange vorenthalten?“, drang die schimpfende Stimme meines Vaters ans Ohr.

Ich hatte für einen kurzen Augenblick ganz galant verdrängt gehabt, dass mein Vater fragen könnte, warum Ennis jetzt hier war. Vielleicht bekam ich gleich noch eine Moralpredigt von meinem Alten zu hören.

Shit!

Das würde mitunter Stunden dauern. Bitte nicht!

„Ja, ich… Also.“ Scheiße, was sollte ich jetzt meinem alten Herrn nur antworten? Dann fiel mir doch eine Gegenfrage ein: „Wie wäre es einfach mal mit einem:' Hallo Sohn', Dad?“ Ich funkelte ihn böse an.

„Dass du immer gleich so frech werden musst. Ich zeig...“

Da schritt Ennis urplötzlich dazwischen. „Jack wollte, dass ich Sie… ähm, kennenlerne. Nicht wahr, Jack? Jack?“ Ich spürte seine bohrenden braunen Augen auf mir.

„G-Genau.“ Ich nahm meinen Hut vom Kopf kratzte mich verlegen dort.

Mein Vater schien milder gestimmt, denn er sagte kein weiteres Wort mehr dazu.

Mein Alter kratzte sich jetzt ebenfalls am Kopf, sodass man seine Schuppen auf sein dunkles abgewetztes Hemd fallen sah.

Widerlich.

„Na los, Martha, mach für uns einen Kaffee und stell Gebäck dazu“, sprach er dann zu meiner Mutter.

„Ja, John.“ Sie hakte sich brav bei ihrem Mann unter und wir wurden schließlich alleine gelassen.

Ich getraute mich kaum, zu Ennis zu schauen. Wusste ich doch, wie er mich musterte, mit seinen eindringlichen Blicken mich durchbohrte wie von einer Pfeilspitze. Dabei spürte ich im Gegenzug, wie meine fahlen Wangen röter wurden, als er zischend die Luft zwischen seinen Zähnen ausstieß.

 „Das zahle ich dir heim, Jack, du Mistkerl Twist. Irgendwie zahle ich dir den ganzen Mist hier heim“, knurrte er und rammte mich im Anschluss dann noch leicht mit seinem Ellenbogen seitlich an meine rechte Schulter. Dann ging er an mir vorbei und ins Haus, wo meine Mutter schon auf ihn wartete. Ich verzog leicht das Gesicht, rieb mir währenddessen die schmerzende Stelle und schluckte schwer, als ich auf seinen Rücken starrte und auf den typisch schlurfenden Gang von ihm.

So eine Reaktion hatte ich nicht ganz von ihm erwartet, sondern vielmehr das eines Höllenfeuers. Nun ja, ich entdeckte neue Seite an ihm.

Ich ging dann auch ins Haus. Drinnen angekommen, Ennis hatte auf mich gewartet, zogen wir unsere Jacken und Hüte aus und hängten sie ordentlich an die Garderobe, die ich Ennis vorher     gezeigt hatte.

Immer mal wieder schmiss mir Ennis undefinierbare Blicke zu, die ich versuchte zu ignorieren. Wir nahmen schließlich in der Küche Platz und ich setzte mich gegenüber von Ennis hin.  Mein Vater saß, wie immer als Familienoberhaupt, am anderen Tischende und starrte erst auf mich und dann auf Ennis. Abwechselnd.

Was kommt jetzt du alter Esel?, dachte ich schon leicht genervt, weil mir seine Musterung ziemlich gegen den Strich ging.

„Also, Ennis“, fing er auch schon an und ich zählte innerlich die Schafe. „…erzählen Sie mal was von sich. Sie sind sehr wortkarg und ich konnte auch im Stall nicht viel aus Ihnen herausbekommen, außer, dass Sie Pferde mögen. Also, wie stehen Sie zu meinem Sohn?“

Scheiße, ich wusste, dass mein Vater das fragen würde. Ich hatte es befürchtet.

Ich konnte mein Vater verfluchen, weil er mich in einem Atemzug zusammen mit Ennis Pferden erwähnt hatte. Bin ich ein Zuchtbulle? Frechheit.

Ennis rutschte indessen unruhig auf seinem Stuhl hin und her und wieder schaute er dabei in meine Richtung. Sein Blick verdunkelte sich zunehmend. Aber schließlich räusperte er sich und sah zu meinem Vater, der immer noch mehr oder weniger geduldig auf seine Antwort wartete.

Meine Mutter hatte inzwischen den Kaffee fertig und schenkte jeden von uns ein, reichte Gebäck dazu. Ennis nahm sich höflich einen Keks und bedankte sich. Ich wollte schon erleichtert aufatmen, aber da erhielt ich einen vernichtenden Blick von ihm.

Mein Vater trippelte in der Zwischenzeit ungeduldig mit seinen Fingern auf dem Holztisch und ich sah ihm an, dass er auf Ennis Antwort immer ungeduldiger wartete.

Das bemerkte schließlich auch Ennis, der sich jetzt daraufhin räusperte und sich schier an dem viel zu trockenen Keks verschluckt hätte. Ich fragte lieber nicht nach, was für einem Jahr diese Dinger stammten.

Meine Mutter setzte sich schließlich zu uns und blickte mich an, während sie ihre Brauen leicht dabei hochzog. Das tat sie immer, wenn ich was ausgefressen hatte. Und es stimmte ja auch. Hatte ich ja im gewissen Sinne. Ich lenkte meinen Blick auf die Kaffeetasse und umschloss sie krampfhaft mit meinen Fingern.

„Also ich…“, begann er schließlich und alle Augenpaare - meine mit eingeschlossen - starrten regelrecht auf ihn „…bin geschieden und habe zwei Töchter und zurzeit eine Freundin.“

 Freundin? Na ganz Klasse! Das will jeder wissen, knurrte ich innerlich. Wirklich sehr interessant. Mein Vater interessiert es unheimlich, dass du mit dieser Cassie vögelst, dabei sind deine Gedanken eh bei mir. Scheiße.

Ich zwirbelte missmutig an meinem Schnauzer und versuchte nicht eifersüchtig zu wirken.

Ennis war wieder verstummt und trank viel zu hastig an seinem Kaffee, worauf er hustete. „Verzeihung“, murmelte er betreten, als er anscheinend wieder richtig Luft bekam.

„Aha.“ War die Reaktion meines Vaters und er nahm sich eines von den ausgetrockneten Keksen und knabberte überlaut an den Dingern herum und schlürfte nebenbei ebenso laut an seinem Kaffee. So laut, dass es mir sogar vor Ennis und meiner Mutter peinlich wurde, so einen Vater mit diesen Tischmanieren zu haben.

Schrecklich.

Mir reichte es allmählich. Die Situation war mir unangenehm und zu grotesk und außerdem wollte ich mit Ennis alleine sein und ergriff schließlich die Initiative.

„Ennis, ich möchte dir mein Zimmer zeigen“, sagte ich dann überlaut.

Er schaute mich ein wenig dämlich an. „Was? Wozu?“

Hohlbirne, um mit dir zu reden, natürlich.

Diese Antwort hatte ich mir schon gedacht und ich hätte ihn dafür ohrfeigen können.

Aber anstatt ihn jetzt zu verfluchen, antwortete ich stattdessen: „Einfach so.“ Damit konnte Ennis nichts anfangen.

„Gute Idee“, funkte auf einmal meine Mutter dazwischen. Und hatte irgendwie für mich die Situation gerettet, denn mein Vater spuckte angewidert in seine halbvolle Tasse.

Widerlich.

„Da kann ich das Abendbrot vorbereiten, nicht wahr, John?“ Sie schaute fragend ihren Mann an.

„Mhm“, brummelte er nur und hob den Kopf, sah er erst zu mir und dann zu Ennis. Musterte uns beide abschätzend. „Aber Morgen packt ihr beide an. Wir müssen das Dach reparieren. Eigentlich alles hier.“

„Ja, Sir.“ Ennis stand auf.

„Geht klar.“ Blöder Saftsack. Ich schnaufte tief durch, erhob mich und zog Ennis einfach mit mir mit. Wir stiegen schweigend die völlig veralteten knarrenden Holzstufen nach oben. Ennis war mir zu ruhig und ich spürte, wie es unter seiner Oberfläche brodelte. Ich kannte ihn viel zu gut.

Und ich hatte recht behalten, denn oben angekommen, wurde ich am Kragen gepackt und gegen die geschlossene Tür meines Zimmers geschleudert, dass es nur so polterte. Ich wollte schon kurz aufheulen, da legte er seine raue Hand über meinen Mund und erstickte mein Laut darin. Der Stoß hatte es in sich gehabt, denn mir tat augenblicklich der Rücken weh und der Schmerz zog sich bis hinunter in meine Leistengegend.

„Jack, Ennis, alles in Ordnung bei euch?“, rief meine Mutter von der Küche aus zu uns nach oben.

„Alles in Ordnung, Ma´am“, antwortete stattdessen Ennis für mich, da ich nicht reden konnte.

„Ich heiße Martha, Ennis“, tadelte meine Mutter ihn daraufhin.

„Ja, ähm, Martha, Jack ist nur über seine eigenen Füße gestolpert“, erklärte er nach unten rufend und hielt mir immer noch den Mund zu, während er mich mit seinen Blicken durchbohrte. Ich aber grinste in der Zwischenzeit in seine Hand hinein, als mir klar wurde, wie dreist Ennis doch meine Mutter gerade anlogen hatte. Darum wehrte ich mich auch nicht, mir gefiel diese Nähe, die ich mit jeder Faser spürte und mein Schwanz, nun ja, der wollte ihn auch irgendwie.

Ennis schob mich dann wenige Sekunden später, nachdem er die Tür geöffnet hatte, weiter in das Zimmer, knallte sie schließlich laut und hörbar hinter sich zu. Da das Haus aus Papierwänden bestand, würde meine Mutter sowieso alles hören können. Ein Wunder, dass sie nicht wieder was herauf geschrien hatte. Mütter und ihre Instinkte.

„Willkommen in meinem bescheidenen Zimmer“, meinte ich immer noch leicht grinsend mit einer Prise an Sarkasmus, als ich wieder im Besitz meines Mundes gekommen war und somit wieder frei sprechen konnte.

„Ich prügle dir gleich ein 'Willkommen' aus dir heraus“, knirschte er verdächtig mit seinen Zähnen. „Was zur Hölle soll ich eigentlich in deinem Zimmer , wo sogar noch Spielzeug von dir herumliegt?“ Er schnappte sich meine Holzfigur, die auf dem Schreibtisch stand. Begutachtete den Reiter auf seinem Pferd und stellte es wutschnaubend an ihren Platz zurück.

„Weiß nicht, reden vielleicht?“  Spielzeug, von wegen, das ist mein kleines Maskottchen.

„Ich und reden? Klar, Jack und am Ende nehmen wir gleich noch deine Eltern mit dazu und setzen uns hier um deinen dämlichen Tisch herum und führen unser Kaffeekränzchen fort. Anschließend nehmen uns alle in die Arme, weil wir uns alle so liebhaben und machen als krönenden Abschluss eine auf heile Welt“, spie er die Worte förmlich hinaus.

„Wow, soviel hast du nicht mehr seit der Brokebackzeit gesprochen. Warum nicht?“, versuchte ich zu witzeln, weil ich merkte, wie Ennis Laune zunehmend schlechter wurde. Als Gegenreaktion wurde ich abermals von ihm unsanft gegen eine Wand gedrückt. Dieses Mal war die andere Seite dran und mein Rücken schrie: „Halleluja.“

Eine Wand hätte ich noch zur Auswahl, dachte ich amüsiert und kniff kurz die Augen zusammen, da ich jeden Augenblick damit rechnen musste von ihm eine gescheuert zu bekommen. Aber stattdessen legten sich warme Lippen auf meinen Mund. Überrascht schlug ich meine Augen auf. Er küsste mich kurz, dann ließ er von mir ab, schaute mir dabei ernst in die Augen und wanderte dann zu meinem Mund und wieder zurück und runzelte die Stirn nebenbei.

„Jack“, sagte er jetzt rau.

„Ja?“, krächzte ich mühselig heraus.

Was kam jetzt? Dieser verschrobene Kerl schaffte mich in allen Lagen. Ich wusste nie wirklich, woran ich bei ihm war.

„Rasiere dir den scheiß Schnauzer ab, der stört mich gewaltig. Auch beim Küssen. Sieht im Übrigen dämlich aus. Wollte dir das eigentlich schon mal sagen … früher und so.“

Ich wollte gerade etwas darauf erwidern, da dröhnte in diesem Augenblick, durch die Tür, die Stimme meiner Mutter. „Jack… Jaaack … Kommst du mal.“

Was für ein Timing, dachte ich mir. Mütter und ihre Instinkte. Wir haben ja nicht gevögelt.

„Meine Mum … ähm Ennis ...“ Ich war noch immer verwirrt über diesen Gefühlsakt von ihm, da er mich schon eine ganze Weile nicht mehr geküsst hatte und ich wurde doch tatsächlich vor seinen Augen rot im Gesicht, als ich seine Augen zusätzlich gefährlich aufblitzen sah. Peinlich!

Ich huschte an ihm vorbei, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten und eilte die alten Stufen – die für mich überlaut knarrten - nach unten. Das Haus war mehr als renovierungsbedürftig und Ennis und ich hatte alle Hände voll zu tun, um es wieder startklar zu bekommen. Und das Dach war dabei das kleinste Problem.

Meine Mutter stand mit dem Rücken zu mir und bearbeitete mit ihren zierlichen Händen einen Hefeteig. Es gab selbstgemachtes Brot. Mmh, wie ich das liebte.

„Ma, was gibt´s?“ Ich sah mich um. Mein Vater war nicht mehr hier.

Sie drehte sich um und sah in mein immer noch erhitztes Gesicht. Ihre Miene verfinsterte sich. Verflucht, warum musste mich Ennis küssen, sieht man mir das an?

„Wo soll Ennis eigentlich schlafen?“, fragte sie mich in einem ernsten Mutter-Sohn Tonfall, bei dem ich sofort wusste, dass ich gleich was zu hören bekommen würde. Und wo Ennis übernachten würde, darüber hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht. Ich hatte ja das Zelt noch hinten im Auto. Aber das würde ich meiner Mutter nicht sagen. Und ohne Zelt würde es in der Scheune mit dem wenigen Stroh zwischen den Pferden für Ennis zu kalt werden, grübelte ich sofort weiter.

„Ähm, ja“ Ja was? Soll er in meinem Bett schlafen, in dem ich selbst kaum noch Platz hatte? Gut gemacht, Jack, bist ein richtiger Rodeodenker. Erst dein Freund entführen und dann nicht wissen wohin mit ihm. Scheiße.

„Jack, du weißt …“, begann sie vorsichtig und leise zu reden. „mir missfällt dein Lebensstil schon, auch wenn du nach außen hin mit Lureen verheiratet bist. Im Übrigen habe ich Bobby immer noch nicht gesehen“, murrte sie ein wenig beleidigt.

Die alte Leier, aber ich konnte meine Mutter durchaus verstehen. Meine blöde Kuh an Frau und Hamsterbacke, so nenne ich sie seit Neuestem, wegen ihrer übertriebenen künstlichen Haare und der Schminke, hatte für meine Familie nur Verachtung übrig. Ich mochte sie immer weniger. An "Thanksgiving", da war die Welt noch einigermaßen in Ordnung gewesen und wurde durch den Farmer Randall … Ach vergessen wir diesen Wichser … Ausflug, Angeln, Blödsinn … Er wollte mich nur ficken und anschließend zu seiner Frau zurückkehren. Scheiße. Und wie ich mich habe ficken lassen und dabei immer nur an Ennis gedacht.

Ich musste total in Gedanken versunken gewesen sein, als mich meine Mutter regelrecht herausriss.

Sogar für kurze Zeit hatte ich vergessen, dass ich mich in der Küche meiner Mutter befand und eigentlich wir ein ernstes Gespräch führten.

„Jack, träum nicht. Jetzt sag schon, warum sehe ich nie meinen Enkel?“, hakte sie energisch nach.

Ich fuhr mir angestrengt übers Gesicht und schüttelte die restlichen Erinnerungen somit weg. Scheiße, ich war wirklich in meinen Gedanken abgedriftet gewesen.

„Beim nächsten Mal nehme ich ihn mit, versprochen.“ Was eigentlich nie passieren wird, da Bobby von meiner Frau und meinem kürzlich verstorbenen Schwiegervater - dem ich übrigens keine Träne nachgetrauert hatte - verzogen wurde. Bobby war gemein und war ein Außenseiter in der Schule, hatte kaum Freunde und wurde von Lureen deswegen nur noch mehr verwöhnt, anstatt ihn wirklich zu erziehen. Und auf mich hörte er schon lange nicht mehr.

„Ja? Du versprichst es immer nur. Bobby ist schon zwölf. Erzähl mir nichts Jack.“ Sie glaubte mir kein Wort und sie hatte ja recht.

„Nicht die Leier, Ma.“ Ich wollte wirklich nicht über Lureen oder meinem Sohn reden.

„So schnell gebe ich nicht auf … um wieder auf das Thema zu kommen, es ist immer noch nicht geklärt, wo Ennis übernachten wird.“

„Weiß nicht, bei mir vielleicht!“ Habe ich das gerade von mir gelassen? Einfach so und das im Haus meines Vaters, in der Küche meiner Mutter. Scheiße.

„Bei dir?“ Sie knetete an dem Teig, als ob der jetzt an allem Schuld hätte.

„Ma“, sagte ich jetzt in einem milden Tonfall, als ich ihren aufkommenden Zorn zu spüren bekam, da sie jetzt leise zwischen ihren Lippen zu fluchen angefangen hatte.

„Was?“ Sie klang mehr als verärgert.

„Der Teig kann nichts dafür, außerdem habe ich Hunger, und wenn du so weiter machst, wird das nichts.“ Mein Magen knurrte demonstrativ und an richtiger Stelle.

„Du hast doch immer Hunger. Schau dich an, schau auf deinen immer mehr wachsenden Bauchansatz, hm?“ Sie schien sich schnell wieder gefangen zu haben und schaute missbilligend auf meinen Bauch.

Bedrückt sah ich auf meine Figur. Ich war tatsächlich etwas fülliger geworden und hatte mich erst gestern Nacht, als Ennis geschlafen hatte, neidisch auf seinen Bauch geschaut, der schön flach und sehnig war. Überhaupt hatte sich Ennis kaum in dieser Zeit verändert. Er war für mich ein Cowboy durch und durch - mein Elcherschießer. So hatte ich ihn schon damals heimlich genannt. Ich war überhaupt beeindruckt von seinen Schießkünsten.

Ich errötete schon wieder, als ich zurückdenken musste. Nein, ich wollte diesen Mann mit Haut und Haaren. Genug hatte ich deswegen gelitten. Immerhin war er mir heute nicht davongelaufen, was ich als gutes Zeichen deuten konnte. Und, er hatte mich geküsst. Einfach so. Ennis war ein Buch mit sieben Siegeln, je mehr ich über ihn nach dachte.

„Ma, er schläft in meinem Zimmer … a-auf dem Boden, keine Widerrede.“ Und bevor sie was erwidern konnte, war ich schon aus der Küche verschwunden. Ich hörte hinter mir, wie sie leise über diese Situation schimpfte. Mal wieder war ich einem klärenden Gespräch ausgewichen. Oben angekommen, öffnete ich leise die Tür und war gerade im Begriff einzutreten da erstarrte ich buchstäblich.

 Scheiße …

 

 

 

 

 

5.

 

                                                          

 

 Was ich sah, raubte mir den Atem und gleichzeitig den Verstand. Ennis stand immer noch in meinem Zimmer, was an sich nichts Außergewöhnliches war, wenn man die Tatsache abtat, dass er überhaupt hier war. Was mich in Aufruhr versetzte, war die Tatsache, dass er zwei Hemden in seinen Händen hielt, die ich übereinander gestülpt auf einen Bügel hinter meinem Schrank in einer Nische aufgehängt hatte. Heimlich, damit sie keiner finden würde. Mein Versteck, mein Geheimnis.  Aber er hatte nun mein Geheimnis gefunden. Unsere Hemden vom Brokeback.  Er hatte, als er alleine in meinem Zimmer war, sich meine Sachen gründlich angesehen und dabei war er auf die Hemden gestoßen, von denen noch nicht einmal meine Mutter wusste oder entdeckt hatte.

Meine Wangen wurden einen Tick wärmer, alleine nur von dieser Vorstellung und ich schalt mich schon beinahe einen Narren, weil ich solche Gefühle für ihn hatte.

Die Hemden, sie waren die einzigen Erinnerungsstücke damals auf dem Brokeback gewesen. Ich hatte das Hemd von Ennis heimlich geklaut, als er mich alleine gelassen hatte. Er war weggegangen, saß am Ufer eine Zeitlang, weil er wohl mir gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Zu Recht wie ich fand, denn mein blaues Auge tat noch Tage später weh.  Auf jeden Fall aber, war das genau der Zeitpunkt, in dem ich mich entschlossen hatte, sein Oberteil an mich zu nehmen. Genau dieses Hemd, als wir unsere ernsthafte Rangelei hatten, weil wir frühzeitig die Zelte hatten, abbrechen müssen, und ich dabei ausversehen mit meinem Ellenbogen an seine Nase kam und er zu bluten anfing - und wie er blutete. Im Gegenzug verpasste er mir ein blaues Auge. Das Blut klebte an unseren Hemden. Und genau diese Hemden, hielt Ennis nun in den Händen. Die blutige Auseinandersetzung von vor langer Zeit, klebte noch immer bräunlich verfärbt und verkrustet daran. Nicht einmal mir kam der Gedanke, es waschen zu lassen. Es war meine persönliche Erinnerung an ihn - an uns. Wehmütig dachte ich an alte Zeiten. Zeiten, in denen wir zusammen waren.

Die Tränen standen mir in den Augen, als ich Ennis weiterhin betrachtete, während ich fast geräuschlos die Tür hinter mir schloss. Ennis stand andächtig da und hatte sein Gesicht in die Hemden gedrückt, hauchte irgendwas in den Stoff hinein, was ich leider nicht verstehen konnte. Noch nie hatte ich so einen gefühlvollen Moment von Ennis erlebt und das erschütterte mich zutiefst. Es ging mir durch Mark und Bein. Es offenbarte mir hier eine Seite an ihm, die ich nicht kannte; einen völlig fremden Ennis. Konnte es sein, dass ich für ihn doch mehr, als nur ein Angelkumpel, war? Hatte mein Wunsch, dass er nur mich liebte, endlich Anklang gefunden? Waren es wirklich nur die gesellschaftlichen Zwänge, die ihn davon abhielten, einzugestehen auch einen Mann lieben zu können? Ich mochte mir den Gedanken nicht weiter ausmalen. Aber alles deutete darauf hin.

 Immer noch hatte mich Ennis nicht bemerkt, der so vertieft war, sodass ich mich schließlich räuspern musste, obwohl ich mich von diesem Anblick nicht sattsehen konnte.

„Ich wollte damals eine Erinnerung von uns beiden haben“, sagte ich schließlich in einem rauen Tonfall.

Ennis war bei meiner Stimme zusammengezuckt. Ich merkte regelrecht, dass er was erwidern wollte, aber kein Ton kam von seinen Lippen. Er nahm die Hemden weg von seinem Gesicht und hängte sie fast ehrfürchtig in ihr Versteck zurück. Nie zuvor dachte ich daran, dass Ennis sie mal finden würde. Dass er hier sein würde. Und immer mehr kam ich zu der Annahme, richtig gehandelt zu haben.

Eine leichte Röte überzog seine sonst so braun gegerbten Wangen, was ihn unwiderstehlich erscheinen ließ, als er sich zu mir wandte. Für mich war es auf jeden Fall so. Ich war einer der Männer - wenigen Männer - die wirklich so etwas, wie Schamgefühl oder auch kleinere Schwächen an einem Mann toll fanden.

Ennis sagte immer noch nichts, also redete ich vollen Mutes für uns beide weiter.

„Ich dachte damals tatsächlich, ich sehe dich niemals mehr wieder, darum tat ich das.“ Ich ging einen Schritt auf Ennis zu, der mich die ganze Zeit über anstarrte. Als sich mein Blick auf ihn intensivierte, schaute er zu meinem Bedauern weg und verschloss sich somit mir gegenüber. Seine Hände waren in seinen Hosentaschen vergraben und der Blick stur nach unten gerichtet. Was er in diesem Moment dachte, wusste ich nicht, aber ich konnte es erahnen. Immerhin kannte ich ihn lange genug, auch wenn ich nicht alles von ihm wusste.

Leicht berührte ich ihn an der Schulter. Da fasste ich den Mut und ging noch einen weiteren Schritt auf ihn zu. Einen halben Meter Distanz wurde dabei überwunden und unsere Körper berührten sich endlich. Da hob er endlich seinen Kopf und unsere Blicke trafen sich und verschmolzen miteinander. Ich konnte seinen Atem spüren. Ich konnte seine Wärme spüren - ihn riechen. Und ich sah Tränen, die sich in seinen Augen angesammelt hatten und bereit waren, den Weg zu verlassen. Für mich war es der kostbarste Augenblick, seit ich ihn kannte, weil ich nun spürte, dass er nicht wütend auf mich war, sondern genauso gerührt von dieser Situation, wie ich.

Meine Hände verselbständigten sich von alleine und so nahm ich ihn in die Arme. Berührte ihn. Sanft und ohne Gegenwehr ließ er diese Geste zu. Dabei schaute er abermals auf den Boden. Eine Träne bahnte sich langsam den Weg nach unten. Beschämt wischte er sie vor mir weg.

Die Bilder auf dem Parkplatz schossen mir durch den Kopf, wie er in meinen Armen zusammengebrochen war. Soviel war passiert. 

Ich wollte sein Gesicht berühren, aber da legte er seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Er schob seine Arme durch mich hindurch und zog mich ebenfalls an sich. Drückte sich regelrecht an mich. Und unsere Leiber wurden eins.  Alles an ihm spürte ich in einer Intensität.

Wieder überraschte mich Ennis Gefühle, denn ich wusste auch, dass er dies unter normalen Umständen niemals machen würde. Nicht in dieser Form, sondern immer nur rau und ruppig.  Außerdem umarmte er mich nie gerne von vorne. Eigentlich, wenn er mich umarmte, dann nur von hinten, weil ihm da bewusst wurde, einen Mann im Arm zu halten und so sah er mich nun mal, wie ich war - ein Mann.

Seine Hände lagen warm und fest auf meinen Rücken gebettet.  „Die verdammten Hemden“, flüsterte er jetzt tränenerstickt.

Ich antwortete ihm nicht sondern genoss einfach unser Nahes beieinander, bis eine Stimme unsere Harmonie zerriss.

Es war die Stimme meines Vaters. Er rief uns von unten aus der Küche und ich verfluchte nicht zum ersten Mal die hellhörigen Wände. Musste er uns gerade jetzt in diesem Augenblick stören?, dachte ich wehmütig. 

Ennis hob seinen Kopf als Erster, meiner war noch in seiner Halsbeuge gebettet. Dann sah ich ebenfalls auf und blickte in seine warmen sanften Augen.  Er streichelte mir über die Wange - wieder ganz gegen seine Art. Und ich genoss für einen kurzen Augenblick seine rauen Finger auf meiner Haut.

 Ich hatte meinem Vater noch nicht geantwortet, hörte aber auch keine Schritte, die nach oben gingen.

„Wir sollten deinen alten Herrn nicht warten lassen, huh? Sonst kommt er womöglich noch rauf“, unterbrach unsere stille und äußerst private Zweisamkeit.

Ich konnte nur nicken, zu groß war der Kloß im Hals, der sich gebildet hatte. Er hatte ja recht.

Ennis Gesicht näherte sich meinem und dann küsste er mich. Es war das zweite Mal an diesem Tag, dass er das machte. Das zweite Mal, dass er so viel Zärtlichkeit aufbrachte, was mich völlig aus der Fassung brachte. Ich erwiderte seinen Kuss, der weder stürmisch oder rau war, sondern eher zärtlich. Eben ganz anders.  Unwillkürlich begann ich leicht in den Kuss hinein zu zittern und er bemerkte es. Er schob mich sanft von sich, sah mich direkt an.

Dann legte sich seine Stirn in Falten. „Solltest du mich nochmals beklauen, dann bekommen deine beiden Augen ein Veilchen verpasst, dass das klar ist. Das war mein Lieblingshemd gewesen“, antwortete mir Ennis in seiner altbekannten Tonlage und schaute grimmig.  Der alte Ennis war wieder da und ich bedauerte es irgendwie. Aber es gab mir auch Hoffnung, dass ich wohl doch noch mehr Seiten an ihm erleben durfte. Mir war klar, dass dies nur hier stattfinden konnte. Wo wir fast unter uns waren.

Ich berührte mit meinen Fingern eher unbewusst meine Lippen, spürte noch immer den Abdruck seiner Lippen und musste leicht grinsen. Die Situation war wirklich absurd, aber schön. 

„Mach ich“, antwortete ich nun. „Aber versprechen werde ich dir nichts“, und zwinkerte ihm zu, was er mit einem mürrischen Kopfschütteln abtat.

Wir gingen zurück zu meinen Eltern. Leider wünschte ich mir gerade in solch kostbaren Augenblicken, wir wären völlig alleine gewesen. So wie gestern, oder die Tage davor. Ich seufzte, weil Ennis sich wieder vor allen verschloss und er mit starrem Gesichtsausdruck geradeaus schaute.

„Was habt ihr oben nur gemacht?“, muffelte mein Vater sogleich schlecht gelaunt, dass ich am liebsten zu ihm gesagt hätte: „Gefickt, du blöder Wichser, was denn sonst!“

„Ich habe Ennis nur mein Zimmer gezeigt“, sagte ich stattdessen. Was war so schlimm dran? Mein Vater wusste doch eh, was los war und was ich war.

„Aha, als ob dein Zimmer was Besonderes ist.“

Ja ist es. Stell dir mal vor.

„Schönes Zimmer hat ihr Sohn“, schmeichelte Ennis meinem Alten, sodass ich schon fast Zuckerfäden aus seinem Arsch hätte herausziehen können.

Was sollte das jetzt? Super, jetzt war ich derjenige, der hier sprachlos wurde.

Erst hatte sich Ennis gesträubt mit mir zu gehen und jetzt steht er lammfromm meinem Vater gegenüber und machte einen auf heile Welt. Ließ Gefühle zu, die ich nie vermutet hätte. Das war sogar für meinen Geschmack zu viel, darum murrte ich leicht.

„Ist das Essen fertig, Ma?“, knurrte ich. Vergessen war das Hochgefühl, das ich noch eben in meinem Zimmer hatte. Scheiße. Ich kam mir vor als wäre ich ein pubertierender Teenager.

„Nein“, sagte sie, „Oder hast du schon mal erlebt, dass sich der Teig von ganz alleine bäckt. Ich brauche noch mindestens eine gute Stunde und dir schadet es nicht, wenn du mal nicht laufend was zu essen bekommst. Lureen könnte wirklich besser auf dich achtgeben.“ Sie deutete auf meinen Bauchansatz.

Komm mir nicht mit Lureen, dachte ich zähneknirschend. Das kommt von dem vielen Imbissfraß.

Ennis quittierte es mit einem schelmischen Blick und ich konnte ihn dafür erdolchen, dann aber wurde seine Blicke ernst und bekam sogar einen leicht seltsamen Ausdruck.

Das war für mich sozusagen ein warnendes Signal, das Ennis in sein komplett altes Schema zurückfallen könnte oder noch schlimmeres. Er plante etwas, das konnte ich förmlich spüren und sogar in der Luft riechen.

„Mister Twist“, fragte auf einmal Ennis meinen Vater und überraschte auch mich damit.

„John, nenne mich John, Ennis“, machte mein Vater sogleich den Vorschlag ihn bei seinem Vornamen anzureden.

Nenne mich John, Ennis, äffte ich in Gedanken angewidert ihm nach. Was sollte denn das jetzt? Seit wann war man Vater so freundlich!

Ich bewegte mich auf den Tisch zu und ließ mich unsanft auf eins der freien Stühle nieder. Er fing unter meinem Gewicht zu knarren an. Meine Ma hatte ja recht, ich war fett geworden. Meine Laune sank weiter und ich spürte nichts mehr von dem guten Gefühl, das ich im Zimmer noch hatte.

„Ähm, also, Sir … John“, verbesserte Ennis sich gleich. „Ich müsste mal dringen telefonieren und meiner Familie wenigstens Bescheid geben, dass ich hier bin und so“, verlegen trat er leicht von einem Fuß auf den anderen.  „Wo kann ich denn bei Ihnen anrufen?“

Wusste ich es doch. Verdammter Mist. Das war es also, was ich in seinem Gesicht deuten konnte. Er hatte sich doch tatsächlich einen Plan zurechtgemacht.

Nächstens hänge ich ihn mit samt den Hemden in mein Versteck auf und dort bleibt er auch für immer, dachte ich verärgert. Und meine Laune sank weiter und weiter und schien noch nicht unten angekommen zu sein.

„Im Ort, da gibt´s eine Telefonzelle Ennis.“

„Danke.“

Ich sah mit Argusaugen, wie sich Ennis Miene dabei erhellte, während ich von meinem Stuhl aus die beiden nur dumm angaffte.

Hab ich´s nicht gewusst?  Ich weiß, was du vorhast. Dass ich nicht lache, du willst abhauen, waren die Gefühle oben auf meinem Zimmer zu viel für dich, hä? Ziehst du wieder deinen Schwanz ein? Du bist ja ganz gerissen, was!, schimpfte ich in Gedanken mit ihm.

Ich kniff meine Augen zu kleine Schlitze zusammen, machte aber dann böse Miene zum guten Spiel. „Gute Idee“, sagte ich dann. „Ich muss auch Lureen Bescheid sagen, dass ich angekommen bin“, versuchte ich so belanglos wie möglich zu klingen. Innerlich knurrte ich aber, als ich von meinem Platz aufstand und an ihm vorbeiging an. Dabei stieß ich - natürlich völlig unabsichtlich versteht sich - ihn an der Schulter an.

„Was?“, zischte er leise, sodass meine Eltern es nicht mitbekommen sollten.

„Was?“, äffte ich ebenso im zischenden leisen Ton zurück.

Ich sah, wie sich sein Gesicht augenblicklich verdüsterte. Wenn du abhaust, dann nicht ohne mich, dachte ich säuerlich.

Meine Mutter quittierte unsere Blicke mit einem missbilligenden Schnauben.

Sie hatte es also mitbekommen.

„Ma, wir fahren ganz kurz in die Stadt zum Telefonieren, nicht wahr Ennis? Oder wolltest du alleine fahren, du kennst dich ja nicht aus.“ Ich grinste ihn an und drehte provokativ an meinem Schnurrbart. Zum Grinsen allerdings war mir keinesfalls zumute, aber was tat man nicht alles.

„Mhm. Gehen wir, Jack Twist.“ Ich sah, wie er sich beherrschen musste und seine Hände waren ein wenig zu verkrampft, wie ich fand und ich hörte noch so was ähnliches wie „Mistkerl“, konnte mich aber auch getäuscht haben. Sein Blick war nun der eines Killers. Meiner nicht minder.

Mein Vater schien unser innerer Krieg nicht im Geringsten gemerkt zu haben.

„Gute Idee, und Jack, besorge einen guten Brandy, wir haben einen Gast und bring noch Bohnen mit, die mit Tomatensoße und Speck.“ Mein Vater schien zufrieden zu sein.

Oh Gott, wie hasste ich doch Bohnen, konnte der alte Saftsack von denen nie genug bekommen.  Angewidert schüttelte ich den Kopf.

„Ja, Sir“, maulte ich und zog Ennis einfach hinter mich her. Wir zogen unsere Jacken über, dabei immer den Blickkontakt mit dem anderen haltend und setzten schweigend uns noch die Cowboyhüte auf den Kopf und verließen schließlich mein Elternhaus.

Schweigen war immer noch angesagt. Kein Wort war mehr zwischen uns gefallen seitdem. Aber in meinem Inneren drohte eine Bombe zu platzen. Seine sah bestimmt nicht besser aus, aber jetzt war ich am Zuge.

Als wir wieder im Auto saßen, brüllte ich auch schon los.

„Schön Arschloch, wolltest ja deinen so toll ausgedachten raffinierten Plan in die Tat umsetzen. Von wegen, ich will meine Familie anrufen … bla … bla … bla … Das wäre genauso, wie wenn ich gesagt hätte, ich habe noch einen Termin beim Rodeo… Blödmann. Hältst du mich total für unterbelichtet? Hat dir das da oben nichts bedeutet?“ Ich zeigte mit meinem Blick genau auf das Fenster von meinem Zimmer.

Er folgte mir.

„Nein, aber hältst du mich für total unterbelichtet, dass ich hier jetzt einen auf nett und lieb mache? Selber Blödmann, nur weil du das mit den Hemden gemacht hast, heißt das noch lange gar nichts“, muffelte er zurück.

„Ja, wenn ich gewusst hätte, was für ein Scheißkerl du bist, dann hätte ich sie gleich in den See versenken sollen und dich gleich mit dazu.“

„Hättest du, ja?“, schnaufte er verächtlich. „Dass ich nicht lache, du halbe Wurst, du hast ja damals noch nicht mal meinem Veilchen ausweichen können. Selbst zum Kojoten erschießen, warst du zu blöde.“

„Ich halbe Wurst?“, plusterte ich mich wie ein Gockel auf. „Sag mal, geht´s noch?“

„Was geht´s noch? Du weißt genau, dass ich kaum Hemden besitze und dann stiehlst du mir eins von meiner besten Sorte.“

„Dass inzwischen schon zwanzig Jahre alt ist und noch immer mit Blut besudelt. Hättest das scheiß Teil auch wegwerfen können, bekommt man eh nicht mehr sauber.“ Was für eine Logik.

„Ach ne, bist du jetzt zu einer Art Hausfrau mutiert. Ach ich vergaß ja, Lureen hat ja die Hosen bei euch an, stimmt ja. Hat sie auch so einen Scheiß Schnäuzer wie du, Jackilein?“

Jackilein? JACKILEIN!

„Halt dein blödes Maul. Noch ein Wort und du bekommst ein Veilchen von mir verpasst.“ Meine Hände hatten fest das Lenkrad umschlossen, nachdem ich mir meinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Weiß traten die Knöchel nun hervor. Ich musste mich beherrschen, um nicht nach hinten zu greifen, wo die Fesseln noch lagen und ihn komplett zu einem Paket zu verschnüren, um ihn anschließend tatsächlich den Geiern zum Fraß vorzuwerfen.

Aber verdammt nochmal, ich liebte diesen sturen Scheißkerl. Vielleicht gerade deswegen. Und wegen vorhin, weil mir der Ennis, der Gefühle dieser Art zugelassen hatte, auch gefiel, sehr sogar. Und, ich wollte nicht mehr in den Alkohol zurück. Zumindest jetzt nicht. Oder gar zu meiner Frau und meinem verwöhnten Sohn.

Obwohl meine Kehle regelrecht nach was Scharfem verlangte, gab ich meiner Sucht, nach was Alkoholischem, nicht nach.  Heute nicht. Sollte sich doch Ennis mit meinem Vater im Brandy ersaufen, noch besser, dann würde er nicht fliehen können.

 „Wehe du verdrückst dich.“ Ich hatte meinen Blick stur geradeaus gerichtet. Aber ich spürte seine Blicke überdeutlich.

 „Jetzt fahr schon los, ich hau dir schon nicht ab… Auf jeden Fall nicht so – hm, nicht gleich.“ Er drückte sich fester in den Sitz hinein und verschränkte beleidigt seine Arme vor die Brust.

 „Pah.“ Ich stieß einen verächtlichen Laut von mir. Das konnte ja noch heiter werden mit uns und daher beschloss ich sogleich für mich ihn in der Nacht an mich anzuketten, sollte er nochmals so was vorhaben.  Ich wusste was ich außer dem Brandy und den bescheuerten Bohnen noch besorgen würde - Handschellen.  An mein Bett würde ich ihn fesseln wie ein Hund. Genau. Er lag mir dann zu Füßen.

Mit diesem fiesen Gedankengang grinste ich zu ihm rüber - finster und gemein…

Das machte man mit einem Jack Twist nicht, der sein Leben seit heute umkrempelte nur, um diesem Mann zu zeigen, dass man auch ein anderes Leben führen konnte.  Dafür würde ich jetzt meinen Mann heraushängen. Denn Ennis dachte immer, ich wäre der Weichere - war ich auch - aber nicht hier. Hier war ich der Mann von uns beiden. Jawohl!

Ennis hob seinen Kopf an und sah unter seiner Hutkrempe hervor. Seine Augen, soweit man das bei ihm beurteilen konnte, weiteten sich vor Schreck, als er meine Blicke auf sich spürte. Aber dann versuchte er sich in einem Grinsen, das dämlicher nicht ausschauen konnte.  Er steckte sich dabei eine Zigarette an. Mir bot dieser Sack mal wieder keine an. Typisch, daran erkannte ich, wie sauer er jetzt war.

„Was? Was heckst du verdammter Hurensohn nun schon wieder aus?“, begann er schließlich, nachdem er einiges an Tabak inhaliert hatte. „Willst du wieder mit mir eine Familie gründen, huh? So wie bei unserem letzten Treffen. Sollen wir nach Mexiko ziehen? Mit Lureen und Bobby vielleicht. Ach ich vergaß ja noch Junior und Jenny, die wollen bestimmt auch mit. wird richtig gemütlich. Klasse, Jack…Wirklich Klasse. Du bist so ein Denker. Wahnsinn!“ Ennis wollte schon verächtlich lachen, da boxte ich ihn leicht in die Seite.

„Familie gründen? Ich brauch keine mehr zu gründen. Du bist meine Familie, Ennis. Weißt du denn das nicht. Ach übrigens Mexiko…. wäre gar keine schlechte Idee. Bring mich nur nicht auf gute Gedanken“, und trat, bevor er sich noch mehr äußern konnte, das Gaspedal durch, hoffte innerlich, dass der Wagen nicht den Geist aufgeben würde. Was er zum Glück nicht tat. Er schien auf meiner Seite zu sein, dachte ich erleichtert. Ich hinterließ eine kleine Staubwolke, während Ennis Kinnlade nach unten klappte.

 

Treffer versenkt. Mit dir habe ich sehr viel vor, glaub mir…

 

 

 

 

 

6.

 

 

„Ich geh nicht mit dir nach Mexiko. Niemals!“, fing er nach einer Weile von sich aus an, da wir uns seitdem nur noch angeschwiegen hatten.

„Und warum nicht?“ Mein Ärger war zum größten Teil wieder verraucht, wie die dritte Zigarette von Ennis. Er hatte mich im Auto regelrecht zu gequalmt und ich bekam akuten Sauerstoffmangel, weswegen ich die Autoscheibe herunterkurbeln musste. Kühle, trockene, aber auch staubige Luft wehte mir entgegen. Ich rückte meinen Hut zurecht und atmete tief durch.

„Ich hab dir schon am See gesagt, dass da nur ganz gewisse Leute, wie du einer bist, hinfahren“, motzte er mich dennoch an, als ich gerade wieder im Begriff war die Scheibe hoch zu kurbeln, da es dann doch ziemlich kühl wurde.

Warum fing er jedes Mal immer wieder von vorne an? Entwickelte sich Ennis denn nie? Ich war schon wieder ziemlich verärgert. Daher trat ich kurz und mit voller Absicht auf die Bremse, sodass Ennis kurz mit seinem Oberkörper nach vorne rutschte und sich abstützen musste. Ich blieb nicht lange stehen, sondern fuhr nun wesentlich langsam weiter. Wieder mal. Wie oft ich das am heutigen Tage gemacht hatte, vermochte ich nicht zu zählen. Die Bremsbeläge dürften damit komplett abgefahren sein. Doch wie durch ein Wunder fuhr das Auto immer noch. Gottseidank hältst du noch.

Aber kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, da kamen schon die verdächtigen - ich geh gleich kaputt - Geräusche. Ich ignorierte den Klang und somit mein Bauchgefühl für den Karren und fuhr in einem Schneckentempo weiter.

„Was ist?“, bemerkte Ennis erst jetzt meinen langsameren Fahrstil. „Da kann ich gleich aussteigen und neben dir herlaufen.“

„Nix ist. Ich halt mich nur an die Geschwindigkeit“, log ich dreist. „Nochmals zurück auf das Thema Mexiko zu kommen, mein Lieber …“ Es nagte wie eine Fleischwunde in mir. „... du kannst dich da ruhig mit dazurechnen. Denn es sind gewisse Leute wie wir es sind Ennis. Wir! Es! Sind! Kapiert!“, buchstabierte ich das: „Wir es sind“, meinem Analphabeten neben mir, der wie immer wieder beleidigt seinen Hut tiefer ins Gesicht gedrückt hatte und weiterhin einen auf stur machte. „Warum hast du eigentlich so eine Abneigung gegen Mexiko? Die Leute dort sind freundlicher. Und es ist auch viel wärmer als bei uns“, argumentierte ich für die Vereinigte Mexikanische Staaten.

„Ist mir egal. Ich bin nicht einer von denen. Ich nicht. Mir ist es egal, ob die Leute dort nett sind; ich bin nicht so einer. Familie war mir immer wichtig. Meine Töchter. Mein Leben. Nicht dass hier, was du dir so vorstellst“, kläffte er und deutete doch tatsächlich auf mich, was mich mehr als nur ein bisschen kränkte.

„Dein Leben? Deine Töchter? Familie? Meinst du die Familie, die dir als Kind einen Floh ins Ohr gesetzt hatten? Ach ne! Vergiss eines nicht, du vögelst immerhin einen Mann. Mich nämlich. Oder hast du das völlig vergessen in deinem erbärmlichen Kleinhirn“, demonstrativ wackelte ich mit meinem Schnäuzer. „Außerdem kann ich mich daran erinnern, dass du auf der heutigen Hinfahrt, noch ganz anders geredet hast: >>Geh doch und amüsier dich in Mexiko, wenn ich dir nicht genüge.<<“, zitierte ich seinen letzten Satz, seine scheiß Familie dabei ausgeblendet. Wer wollte schon in diesem Punkt über Familie reden. Ich nicht! Aber die Idee mit ihm irgendwann nach Mexiko zu fahren hatte was für sich und irgendwie würde ich es noch schaffen, ihn dort hin zu bekommen.  Auf die eine oder andere Weise. Jetzt wo ich ihn endlich zu meinen Eltern geschleift hatte, und das nach so langer Zeit, nahm mein Selbstbewusstsein immer mehr zu.

„Das habe ich nicht gesagt“, behauptete er weiterhin felsenfest. „Ich habe das nicht gesagt. So nicht, Jack!“

Brummer, dämlicher, Brummer. „Oh doch, hast du.“ Mein Gedächtnis war besser wie das von Ennis.

„Fahr schneller“, knurrte er daraufhin.

Er konnte mich einmal. Ich fuhr nicht schneller, sondern hielt die Geschwindigkeit von 30 dabei exakt ein.

„Fahr endlich schneller! Jetzt, gleich!“, warnte er mich zum zweiten Mal und das durchaus gefährlicher, wie ich an einem gewissen Unterton in seiner Stimme unschwer hören konnte. Der giftige Seitenblick, den er mir zusätzlich zugeworfen hatte, kam noch hinzu und zwang mich zum Umdenken.

„Ist ja gut.“ Ich fuhr schneller, aber kurz darauf ließ uns der Wagen wirklich im Stich. Die Befürchtung, die ich den ganzen Tag über wegen diesem Fahrzeug hatte, hatte sich bewahrheitet und ich konnte mich immer noch dafür Ohrfeigen, warum ich nicht meinen eigenen Wagen genommen hatte, als ich Ennis einen über den Schädel gehauen hatte. Er stand, so hoffte ich, noch immer einsam auf dem Highway im Nirgendwo geparkt und ich betete, dass er nicht längst geklaut war. So ein Mist. Mein Gefühl eventuell zwei neue Autos zu besorgen, schmeckte mir gar nicht. Denn alles musste von meiner Frau abgesegnet werden. Nur wie brachte ich es ihr schonend bei.

Verzweifelt versuchte ich den Wagen zu starten. Aber der Pik-up machte immer wieder die gleichen abwürgenden und sterbenden Motorengeräusche. Neben mir wurde es unruhig und auf einmal gab‘s ein verächtliches Schnaufen und schon bekam ich eine gegen die Rippe geboxt, als ich zu spät reagieren konnte.

„Aua. Geht´s eigentlich noch?“ Ich rieb mir die Stelle und probierte weiterhin den Anlasser zu starten, aber alles was er machte waren weiterhin erbärmliche jämmerliche Geräusche, die nur ein Auto machte, welches im Sterben lag. Nach weiteren gefühlten Minuten gab ich schließlich auf. Wahrscheinlich war der Vergaser richtig hinüber, so wie die Bremsen. Eigentlich war alles an diesem Schrottauto am Arsch. Mich wunderte sowieso, wie Ennis über all die Jahre mit so einem Altwagen hatte fahren können. Auf jeden Fall würde ich ihm einen neuen Wagen kaufen müssen. 

„Ne, Jack, jetzt hast du auch noch meinen Wagen zu Schrott gefahren“, giftete er mich nun an.

„Ach, piss dir ins Knie, wir kaufen uns einen Neuen.“ Ich stieg aus, umrundete den Wagen und gab dem rechten Hinterreifen einen kräftigen Tritt. Ennis stieg dabei auch aus und gab mir einen Tritt, und zwar in den Arsch.

„Hey“, maulte ich ungehalten und rieb meine Kehrseite, die deutlich getroffen worden war.

„Uns? Du spinnst! Mir kaufst du einen neuen Wagen. Du hast ja deinen noch irgendwo am Straßenrand geparkt.“ Seine Augen durchbohrten mich regelrecht.

„Und jetzt, was machen wir jetzt? Willst du zu Fuß mein Auto holen oder was?“, spöttelte ich beinahe. Ich war genauso angepisst wie er. Aber dann schielte ich auf das Gewehr im Auto.

Mit finsterer Miene starrte ich zu Ennis, als dieser meinen Blicken gefolgt war und auch er auf sein Gewehr sah.

Denk nicht daran! Denk nur nicht daran, Ennis!

„Ja, Jack, was machen wir jetzt? Ich für meinen Teil geh mich besaufen, was du machst, ist mir scheißegal, kannst mich ja erschießen, du Kojotendanebenerschießer“, und wollte bereits losstapfen, da hielt ich ihn auf. Dabei fasste ich ihn grob an der Schulter und riss ihn zu mir herum.

„Kojotendanebenerschießer? Schwachsinn. Wir besaufen uns nicht, denn ich muss noch Bohnen für meinen Alten besorgen und eine Flasche Brandy, schon vergessen? Außerdem erwartet Ma uns mit dem Abendbrot.“ Ich war nahe dran, Ennis Verlangen nachzugeben und mich selbst zu betrinken. Der Druck nach Alkohol nahm zu.

Er knurrte mich an, was aber ein gutes Zeichen war, denn das bedeutete, dass er aufgab. Seinen Widerstand schwand und er sah mich nur an. Bis er hilflos mit der Schulter zuckte.

„Was wird jetzt mit meinem Wagen?“

„Wir sollten jemanden verständigen, der den Wagen abholt und ihn in die Werkstatt bringen kann, vielleicht ist ja doch noch was zu retten“, lenkte ich ein, weil mir, mal wieder bewusst wurde, wie arm Ennis eigentlich war.

Er zuckte abermals nur mit der Schulter. Seite an Seite schritten wir den Highway entlang. Da es auf den Abend zuging, sahen wir eine viertel Stunde später die Lichter der Stadt. Dort angekommen ging ich sofort in die einzige Werkstatt und beauftragte jemanden den Wagen abholen und reparieren zu lassen. Zum Glück hatten die noch offen.

Ennis wartete rauchend an der Ecke. Gary, dem die Werkstatt gehörte, war mehr als nur angepisst, als ich sagte, es wäre dringend und ich einen Ersatzwagen für viel Geld bekam ich einen und auch Ennis Wagen wurde sehr bald auf einen Schlepper on die Werkstatt gezogen. Ich nahm zur Sicherheit das Gewehr an mich und verstaute es in dem Leihwagen. Sicher ist sicher, dachte ich.

Ennis hatte bestimm fast eine Stunde draußen auf mich gewartet, daher war seine Stimmung immer noch mies. Dennoch staunte er nicht schlecht, als ich mit einem schwarzen Pick-up anrollte, der wesentlich besser in Schuss war, als seiner.

„Was ist? Willst du Wurzeln schlagen, oder können wir jetzt die Erledigungen machen?“, fragte ich ihn, als ich ihn aus dem Wagen heraus anstarrte, weil er verblüfft die Luft zwischen seinen Zähnen ausgestoßen hatte.

„Du scheißt das Geld auch nur, wie es geht, huh?“ Kopfschüttelnd stieg er ein. „Ich muss aber trotzdem telefonieren. Wenigstens meinem Boss Bescheid geben und Alma …“, sagte er weiter.

„Klar! Kein Problem, darum sind wir ja auch in die Stadt gefahren, nicht wahr.“ Wir machten unsere Erledigungen. Nachdem wir die Bohnen und den Brandy besorgt hatten, fuhr ich uns vor die Poststelle, die längst geschlossen hatte, und parkte davor.

Vor dem Gebäude stand eine die einzige öffentliche Telefonzelle hier in diesem Kaff. Es standen einige Leute davor und warteten, bis sie an der Reihe waren. So reihten wir uns in die Schlange ein. Vor uns waren zwei Frauen, die nur Augen für Ennis hatten. Das gefiel mir ganz und gar nicht, da er ebenfalls ungeniert mit ihnen flirtete.

Welch ein Heuchler! Meine Laune sank in den Keller.

 

7.

 

                                                                

 

„Na, Cowboy! Lust später in Sam` einen Absacker zu landen?“, fragte doch glatt die Brünette mit einer Zahnlücke, unverschämt zu meinem Partner.

„Klar“, sagte doch direkt Ennis und versuchte sich ein einem Grinsen, das dämlicher nicht wirken konnte. Da schritt ich dazwischen. Meine Eifersucht brachte mich schier um den Verstand.

„Ich glaube, dass deine Frau Susan nicht erfreut wäre, wenn du heute Abend nicht nach Hause kommen würdest.“ Log ich dreist, dass sich die Balken bogen. Noch nicht mal den richtigen Namen seiner Frau hatte ich genannt, denn auf die war ich auch eifersüchtig.

„Susan?“ Ennis Grinsen verschwand aus seinem Gesicht.

Ich packte noch eines drauf, diesmal ungelogen. „Und Kinder hat er auch“, sagte ich künstlich grinsend zu den beiden Frauen, die mich nun anstarrten, als ob ich gerade einem Pferd den Kopf abhacken würde.

Ennis wollte sich gerade rechtfertigen wurde aber wie ein Tornado von der Brünetten übergangen und angeschnauzt, sodass kein Wort über seine Lippen kam.

„Sag doch gleich, dass du vergeben bist, blöder Idiot. Zudem, so großartig bist du auch nicht. Macht mich an und hat Frau und Kind im trauten Heim.“ Meinte sie dann kopfschüttelnd zu der anderen, die ebenfalls den Kopf schüttelte.

„Ich habe.“ Wollte er sich erneut verteidigen, aber da schnitt ich ihm wieder ins Wort, was mich diebisch freute.

„Ja, genau, er hat zwei Kinder“, setzte ich eines noch oben drauf und zwirbelte an meinem Schnurrbart.

Die beiden Frauen verschwanden schimpfend, ohne auch nur telefoniert zu haben. Aber es waren noch weitere Leute, die anstanden.

Ennis sah mich danach nur kopfschüttelnd an. „Weiberbanause“, sagte er nur und wir schwiegen, während wir vor der Telefonzelle warteten.

 Wir mussten noch eine halbe Stunde warten und dann konnten Ennis und ich endlich telefonieren. Bei Ennis dauerte der Anruf maximal zwei Minuten, bei mir war es eine geschlagene halbe Stunde, da sich Lureen wieder mal tierisch aufregte, warum ich so lange bei meinen Eltern bleiben wollte. Ich hatte ihr gesagt, dass ich über einen Monat wegbleiben würde. Wie ich das Ennis beibringen wollte, wusste ich nicht. Aber diese Sache konnte ich ja noch vor mich herschieben. Ich trat aus der Telefonzelle hinaus und zog mir äußerst zufrieden meine Hose über meinen dicken Bauch.

„Was hast'n so lange zu erzählen gehabt?“ Er schmiss seine Kippe auf den Boden und trat den restlichen Glimmstängel aus.

„Mit meiner Frau, Ennis. Ich kann doch nichts dafür, dass dein Wortschatz schon nach dem ersten Buchstaben A vom Alphabet endet“, zog ich ihn auf.

„Haha, Jack, wirklich komisch.“

„Komm, lass uns nach Hause fahren. Wir können ein andermal wieder herkommen und dann bei Sam was trinken“, schlug ich ihm schließlich vor.

„Wie du meinst. Mhm, wo werde ich eigentlich schlafen, Jakilein.“ Ihm war anscheinend wieder eingefallen, wie er mich weiter aufziehen konnte. Ich schenkte ihm einen bissigen Blick, den er doch tatsächlich mit einem Grinsen auf den Lippen erwiderte.

Verdammter Hurenbock. „Grins nicht so dämlich.“

„Tja, Jack, der Mistkerl Twist. Das kommt davon, wenn man einfach mich zwingt, Sachen zu machen, die ich nicht will“, betonte er das, will noch ein wenig extra.

„Wirklich witzig.“ Wir stiegen in den Pick-up ein und fuhren nach Hause. Schweigend, denn Ennis war immer noch sauer wegen seines Wagens, wegen seines Jobs - wahrscheinlich bemitleidete er sich gerade selbst. Das war eine Seite an ihm, die kannte ich so gar nicht. Vieles kannte ich nicht. Wir hatten ja immer nur uns das Gehirn herausgevögelt und stundenlang nebeneinander her geritten oder ich sprach über meine Familie. Von Ennis Seite her, kam nie was Großartiges dabei heraus. Mal erzählte er spartanisch über seine beiden Töchter oder dass er mal wieder einen neuen Job hatte. Mehr nicht. Nun ja, er wusste ja auch nicht alles über mich. Über meine ganzen Affären - die keinesfalls aus Frauen bestanden hatte.

 

*

 

Ma hatten schon den Tisch gedeckt und Ennis und ich saßen alsbald ebenfalls am Tisch, nachdem wir unsere Hände gewaschen hatten. Ich brauchte noch ein bisschen und schickte Ennis vor. So nahm ich mein Rasierer und machte das, was ich schon den ganzen Tag tun wollte. Meinen Schnurrbart wegrasieren. Und das tat ich dann auch. Zufrieden starrte ich auf mein Spiegelbild.

Ich betrat die Küche, wo mich daraufhin alle Augenpaare anschauten. Ennis seltsam, mein Vater mit einem Dauerkopfschütteln und Ma lächelte leicht. Ich wusste, warum sie lächelte, hatte ihr doch mein Schnurrbart ebenfalls nicht gefallen.

Gegenüber von Ennis nahm ich Platz und starrte auf meinen Teller mit dem gebratenen Speck. Daneben gab es ein kleines Häufchen Bohnen. Ich sah zu Ennis der so, wie ich dafür auf die Bohnen starrte. Ennis starrte.

Unweigerlich musste ich grinsen, weil mich das so sehr an den Brokeback erinnerte.

„Was gibt’s denn zu grinsen, Sohn?“ Mein Vater saß wieder wie üblich mürrisch am Tisch.

„Nichts“, sagte ich nur und nahm dann die Gabel in die Hand, stocherte in meinem Speck herum und spielte mit den Bohnen. Riesen Hunger hatte ich keinen mehr. Dennoch nahm ich mir eine Scheibe vom frischgebackenen Brot und biss lustlos hinein. Vielleicht sollte ich tatsächlich nicht mehr so viel essen und mehr auf mein Gewicht achten. Also aß ich auch nicht sehr viel von meinem Teller.

Ennis hingegen, sah ich nur das Essen in sich hereinschaufeln. Er konnte schon immer ein halbes Pferd vertilgen, wenn es darauf ankam. Ein kleines „Danke“ hier und ein „Mhm“ da, und er aß gemütlich weiter, als meine Mutter ihn freundlich weiter bediente.

„Die Figur von Ennis, mein Sohn und den Appetit dazu, dann wäre die Welt in Ordnung, hä?“ Mein Vater konnte es nicht lassen, mich wegen meiner Figur aufzuziehen.

„Ich bin auf Diät! Sieht man doch.“ Angewidert schob ich meinen halbvollen Teller von mir.

 

„Komm, jetzt iss, das Essen, wird sonst kalt“, ermahnte mich meine Mutter und ich sah in ihre Augen. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, wusste ich doch, sie hatten nicht genug zu essen und das, was sie mir zubereitet hatte, kam von Herzen, auch wenn sie mich vorhin in der Küche ermahnte, nicht so viel zu essen; meinte sie es im Grunde nicht böse. Und so schlang ich tapfer alles hinunter und versuchte mich an einem Lächeln.

Meine Mutter räumte im Anschluss die Teller von uns weg, als Ennis nach seinem zweiten Nachschlag ebenfalls fertig war.

„Es war sehr gut, danke!“, richtete Ennis die Höflichkeit an meine Mutter. „Na, Jack, wundert mich, dass du nicht mehr gegessen hast, ansonsten bist du immer der Esser von uns beiden.“

„Halt dein Maul“, zischte ich aufgebracht zu ihm rüber, während Ennis nur mit einem Schulterzucken quittierte. Er war der Esser von uns beiden. Er. Nicht ich.

„Martha, hol den Brandy und drei Gläser“, dirigierte er seine Frau, nachdem sie eigentlich den Abwasch machen wollte.

Meine Mutter trocknete sich die Hände ab und ging an den Schrank und kam wenige Augenblicke später mit Flasche und Trinkgläsern bestückt zurück.

Mein Vater goss jeden von uns reichlich ein, was mich doch erstaunte, da man, wenn man die Tatsache außen vorließ, er eigentlich ein richtiger Geizhals war. Erst gab er Ennis ein Glas und dann mir. Wir prosteten uns zu, obwohl ich keinen Tropfen trinken wollte, schmeckte mir die braune Flüssigkeit außergewöhnlich gut. Sie brannte wohlig in meiner Kehle und sofort bereitete sich eine angenehme Wärme in meinem Magen aus. Ich musste mich zurückhalten, um nicht das Glas in einem Zuge zu leeren. Immerhin war ich die meiste Zeit betrunken - gerade, wenn ich mal wieder hier war ohne Ennis. Jetzt war er da. Er saß wirklich hier und trank mit meinem Vater und mir Brandy.

„Der Wagen, Jack, ihr seid doch mit einem anderen gekommen?“, fragte meine Mutter jetzt doch nach.

„Mhm, Ennis Wagen gab den Geist auf und ich hole meinen Morgen. Dann können wir den Leihwagen wieder abgeben, den mir Gary zur Verfügung stellte.“ Widerwillig und völlig überteuert, der Wucher.

„Gary?“ Da Ma so gut wie nicht mehr in die Stadt kam, konnte sie mit dem Namen nicht viel anfangen.

„Gary Brouds? Der Sohn von Steve und Mary. Ah ja.“ Meine Mutter nickte plötzlich verstehend. „Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, war er noch ein kleiner Junge.“ Sie war mit dem Abwasch fertig.

„Na, das dürfte ja dann so 20 Jahre her gewesen sein“, versuchte ich zu scherzen und nippte weiterhin mit kleinen Schlucken an meinem Glas.

„Was ist, schmeckt die Brühe nicht?“, fragte mich mein Vater, der Ennis und sich schon das zweite Mal eingeschenkt hatte.

„Doch, aber ich will langsamer machen?“

 

„Womit langsamer? Du hast bei uns immer erst gesoffen und dann geholfen, warst immer äußerst schlecht gelaunt. Seit wann schmeckt dir kein Alkohol. Ennis, was hast du mit unserem Sohn angestellt?“

Musste er in der Wunde bohren. Jetzt war ja Ennis hier. Aber das wollte ich ihm nicht auf die Nase binden.

„Nichts.“ Ennis durchbohrte mich mit seinen Blicken.

„Wir holen Morgen mein Pick-up“, erwähnte ich überflüssigerweise, weil ich vom Thema ablenken wollte,

„Schön für dich, Jack, ich hab‘s schon beim ersten Mal verstanden, aber dann habe ich immer noch keinen Wagen.“

„Ennis, lass es. Wir werden Morgen sehen, ob man ihn reparieren kann.“ Ich schüttelte den Kopf und seufzte. Ennis Gehirn war wirklich einfach gestrickt. Ein Cowboy durch und durch.

„Wo wird Ennis schlafen, wir haben kein Gästezimmer?“ Mein Vater entwickelte sich neuerdings zu einem Denker. Ich war erstaunt. Aber jetzt wurde es für mich brenzlig, denn ich wollte, dass er heute Nacht bei mir schlief. Meine Mutter hatte meinem Vater anscheinend nicht getraut zu sagen, weil sie mich mit einem Seitenblick scheu anschaute.

„Er schläft bei mir. Ähm, auf dem Boden.“ Grandios, Jack.

Ich versuchte mit Augenkontakt meine Mutter zu fragen, warum sie es ihm nicht gesagt hatte. Aber da drehte sich Ma schon wieder von mir weg und ich sah auf meine Hände, die auf dem Tisch ineinander gefaltet waren.

„Kommt nicht infrage“, schnitt mein Vater gleich ins Wort. Was ja so was von klar war, dass der alte Stinker das nicht wollte.

„Es ist mein Zimmer, es ist mein Bett und das hier ist mein Ennis“, konterte ich bissig zurück, sodass mein Vater wütend das Glas aufsetzte. Er verschüttete ein bisschen Flüssigkeit, die meine Mutter in Windeseile wegwischte. Das der Brandy auf einem unbehandelten Holztisch schlimme Flecken hinterließ, war meinem Vater anscheinend abhandengekommen. Wie alles in seinem Leben.

„Soso, dein Ennis. Deutlicher hättest du es nicht sagen können“, schnaufte mein Vater verächtlich.

Ach du heilige Scheiße, mir wurde erst jetzt bewusst das ich das Wort: Mein, benutzt hatte. Nun war es raus. Ennis schaute betreten auf sein Glas, meine Mutter starrte mich bleich an und mein Vater kochte über vor Zorn.

„Musst du mich daran erinnern, was für eine Missgeburt du bist?“ Er ließ seine geballte rechte Hand auf den Tisch nieder, dass es nur so krachte. Anscheinend hatte es ihm nicht gereicht, dass er erst das Glas auf den Tisch geknallt hatte. Was kam als Nächstes? Das Geschirr. Dennoch war ich zusammengezuckt. Innerlich wie äußerlich. Wie konnte mir das nur passieren? Aber da musste ich jetzt durch. Meine Eltern, sie wussten es schließlich, also, warum ein Geheimnis daraus machen? Aber wie Ennis damit klarkommen würde, darüber war ich mir nicht sicher.

Gegenüber von mir war es immer ruhiger geworden. Fast konnte man meinen, Ennis hätte aufgehört zu atmen.

„Entweder, Ennis übernachtet bei mir, oder wir werden heute noch zurückfahren, dann lasse ich dich alleine im Haus zurück, das schon baufälliger ist wie alles andere hier auch.“ Meine Stimme bebte vor Zorn. Mein Herz klopfte wild.

Ennis, der die ganze Zeit über sich mehr als ruhig verhalten hatte, sagte auf einmal was dazu. Ich zog erstaunt eine Augenbraue hoch und sah ihn an.

„Jack, ich könnte in der Scheune übernachten. Eine Decke, mehr brauch ich nicht. Außerdem wäre ich da bei meinen Pferden“, versuchte er den Streit zwischen mir und meinem Vater zu schlichten.

Ennis und Streit schlichten? Ist ja mal was ganz Neues.

„Das kommt überhaupt nicht infrage“, wandte ich ein, aber da, winkte mein Vater schon ab.

„Oh doch, gute Idee, Ennis.“ Mein Vater schlug sich auf Ennis Seite. Mir kam es gleich hoch.

„Frau, richte in der Scheune ein Nachtlager für Ennis her.“ Das besänftigte ihn zunehmen, denn er nippte zufrieden wieder an seinem mittlerweile dritten, eingeschenkten Glas.

„Ma, lass.“ Ich hielt sie zurück, als sie sich zur Scheune aufmachen wollte. Ich stand auf und schaute zu meinem Erzeuger. „Ennis wird nicht in der kalten Scheune übernachten, wo er sich alles holen könnte. Er schläft in meinem Zimmer.“

„Es ist mein Haus, Jack.“ Erklärte er und sein Ärger kehrte wieder zurück.

„Und es ist mein Zimmer, Dad.“ Ich wollte ebenfalls nicht klein beigeben.

Jetzt war auch mein Vater aufgesprungen und wir standen uns Gegenüber. Ennis sprang gleichfalls auf und sah mich versteinert an. Ich wusste, was mir blühte.

„Ich werde auf keinen Fall mit dir in einem Raum schlafen.“ Der Todesstoß hätte nicht schlimmer sein können.

„Und warum nicht?“ Rationales Denken kannte ich nicht mehr. Ich wollte mich nicht immer verstecken müssen.

„Jack, ich nehme das Angebot, das mir dein Vater gemacht hat, nämlich in der Scheune schlafen zu dürfen, gerne an“, betonte er das Wort Scheune noch extra. „Keine Widerrede!“

Lange starrte ich ihn an, dann nickte ich schließlich. Ich wusste, ich konnte im Moment gegen Ennis Widerstand nicht dagegen ankommen, also bastelte ich mir einen Plan zurecht und machte gute Miene zum bösen Spiel.

8.

 

 

Wir hatten uns, nachdem das mit Ennis geklärt war, noch einen Drink genehmigt. Ich mal wieder mehr, wie ich sollte, und ärgerte mich über meine Inkonsequenz dem Alkohol gegenüber.

Ma richtete Ennis das Lager und dann sagten wir uns alle gute Nacht. Mein Vater nicht, der immer noch sauer auf mich war.

Ich wartete bis kurz vor Mitternacht in meinem Zimmer, da ich genau wusste, dass dann jeder schlafen würde. Ich lauschte trotzdem sicherheitshalber den Geräuschen, die nur in der Nacht zu hören waren. Nichts rührte sich. So schnappte ich mir meine Jacke und Handschellen – für alle Fälle. Ich schlich auf Zehenspitzen zur Scheune rüber.

In der Scheune war es düster und nur der Mond beleuchtete spärlich den Schuppen. Die Pferde aber, trotz, dass ich mich leise verhielt, witterten mich dennoch und ich versuchte sie mit einem leisen: „Scht“, zu beruhigen. Schon spürte ich eine Hand in meinem Nacken, die dann zupackte, gefolgt von heißem Atem. Ich wusste, dass es Ennis war. Ich kannte sein Geruch, einfach alles.

„Ich weiß genau, dass du deine Finger heute Nacht nicht von mir lassen kannst, Jack, du verfluchter Mistkerl Twist“, sagte er rau, während er mich zu sich drehte, sodass ich seine Augen im Dunkeln funkeln sah. Er küsste mich stürmisch, während ich seine Schenkel zwischen meine Beine spürte, ebenfalls auch seine Erregung.

„Oh, Ennis“, hauchte ich, denn mir wurde bewusst, dass er mich genauso wollte wie ich ihn und doch würde es keine Romanze werden. Nein, wir waren Männer.

„Shhht“, erwiderte er und ohne weitere Worte zu vergeuden, drängte mich Ennis an die Stalltür und riss mich herum. Drückte mich mit meinem Bauch an die Wand. Meine Erregung war jetzt vollständig, ich war hart, während ich nebenbei mich an meinem Gürtel zu schaffen machte.  Ich wusste, wir würden nicht viel reden, taten wir nie und so würde es zum üblichen Akt zwischen uns beiden werden. Er riss mir die Hose herunter, während er nebenbei sich vorne freimachte. Und ohne große Vorbereitung drang er auch schon in mich ein. Scharf zog ich die Luft ein. Jedes Mal diesen Schmerz zu fühlen. Jedes Mal wollte ich es aber so. Aber dann kam was, was mich erstaunte, was er niemals gemacht hatte und was mich völlig aus der Fassung brachte. Er schlug meine Hand weg, als ich mir für gewöhnlich einen runter holen wollte, um mich zusätzlich zu stimulieren und umschloss meine Männlichkeit. Ich hätte vor lauter Glück weinen können, als ich ihn spürte, in mir und an mir. Ruppig, rau - mein Ennis halt. Mir blieb vor süßer Erregung schier die Luft weg. Er stieß nicht weiter in mich, als wollte er, dass auch ich dieses Mal Spaß dabeihatte.

„Ennis“, keuchte ich überrascht.

„Halt einfach deine verdammte Fresse, sonst überleg ich mir das nochmal. Die verdammten Hemden, die machen mich irgendwie fertig … Ach, … Scheiße.“ Und dann legte er los, während er etwas unsanft meinen Penis massierte, und zeitgleich in mich stieß. Diese Kombination aus Stoßen und Reiben erzeugte meinen baldigen Höhepunkt. Ich kam heftig und erlösend ergoss ich mich in seine Hand. Ennis kam nur wenige Stöße später, und mein Gesicht glühte förmlich vor Freude. Ich hatte sogar ein Grinsen auf den Lippen, was für mich doch peinlich war. In Mexiko war es was anderes, da bezahlte ich dafür, dass man mich so befriedigte. Aber bei Ennis ...

Ein warmes Gefühl bereitete sich in mir aus. Hinter mir ging der Reisverschluss zu und kühle Luft drang an meine entblößte Kehrseite. Ennis hatte sich von mir abgewandt und machte sich mit Stroh, die Hände sauber. Ich drehte mich zu ihm um, und schob meine Hose ebenfalls hoch, verschloss sie, auch wenn der warme Samen von Ennis aus mir herauslief. Wen störte es, mich nicht. Im Gegenteil. Es fühlte sich absolut richtig an.

Aber was sollte ich sagen? Ein Danke, war wohl nicht angebracht. „Kann ich eine Zigarette haben?“, fragte ich stattdessen.

„Zigarette, im Stall? Du tickst wohl nicht ganz richtig, huh“, kam prompt die Antwort.

„Wieso nicht ticken, immer wenn wir diese Sache gemacht haben, rauchen wir noch eine oder liegen zusammen im Bett, huh“ und äffte ihn schon beinahe nach.

„Das ist was anderes, Jack. Da sind wir unter uns, aber hier sind wir im Stall deiner Eltern. Sehr gutes Brennmaterial, wenn du mich fragst. Ein Funken und wir können eine neue Scheune bauen und ich will irgendwann nach Hause.“

„Hause, du bist gerade mal einen Tag hier“, motze ich. Ennis hatte immer ein Talent eine Stimmung völlig zunichte zu machen.

Ennis knurrte und kickte ein paar Strohhalme beiseite. Dann fiel es mir erst jetzt auf. Warum war Ennis vollständig angezogen gewesen? Und warum hatte Ennis den Seesack verschnürt?

Ich blickte erst finster zu ihm und dann wieder auf seinen Sack. „Du wolltest verschwinden, stimmt’s? Darum auch der Mitleidsfick. Ich sollte mich glücklich schätzen, soll wohl halten bis nächstes Jahr im November.“

„Nenn es nicht so Jack.“ Er ballte die Fäuste. Ich wusste, er hasste es, wenn ich unsere Übereinkunft so nannte.

„Wie soll ich es dann nennen, menschliche Lust, du Klugscheißer?“ Meine Stimme war nicht minder zischend. Immerhin unterhielten wir uns noch im Flüsterton. Noch!

„Ja, ich wollte verschwinden. Zufrieden?“, gab er jetzt zu. Täuschte ich mich oder klang seine Stimme zittrig.

„Na, einen Grund mehr, bei dir zu schlafen“, sagte ich erzürnt, und bevor ich richtig denken konnte, holte ich die Handschellen aus meiner Jacke heraus, die ich gekauft hatte, als Ennis heute in der Stadt nicht hingesehen hatte, weil ihm die Annoncen, die an einer Säule klebten, mehr interessierten. Der Mann, der sie mir verkauft hatte, hatte allerdings komisch gefragt, und ich sagte ich bräuchte sie für bestimmte Zwecke. Ich machte einen auf, -meine Frau steht auf so was - Kram. Das kam zwar bei dem Verkäufer nicht gut an, aber ich bekam sie dennoch.

Und kaum das Ennis schauen konnte, hatte ich ihn und mich mit den Handschellen aneinander gekettet.

„Solltest du mir eine reinhauen, der Schlüssel ist nicht hier,“ funkelte ich ihn an.

„Jack, wie oft muss ich dir sagen ...“, er wurde eine Spur lauter und ich zischte, dass er ruhiger reden sollte. „Sei bitte etwas leiser.“

„Ist ja gut. Dann halt im Flüsterton. Wir können nicht zusammenleben, wann kapierst du das endlich. Ich dachte, dass eben langt wieder für eine Weile und so.“

„Verdammt, Ennis, du weißt genau, dass es nicht nur das ist, was ich von dir will“, zischte ich enttäuscht und rüttelte an unsere Handschelle.

„Mach mich los, Jack.“

„Nein.“

„Wie sollen wir jetzt schlafen?“

„Das wird schon gehen.“

„Wird es nicht.“

„Wird es doch.“

„Nein!“

„Doch!“

„Leck mich.“

„Du mich auch.“

„Scheiß Rodeoreiter machen immer nur Ärger.“

„Genauso viel Ärger, wie verbohrte Hornochsen“, gab ich schlagfertig zurück.

Das Ende vom Lied war, dass wir angezogen uns zusammen auf das zusammengekehrte Stroh legten und uns mit einer Decke zudeckten.

Ich war dennoch zufrieden, denn ich hatte meinen Willen bekommen. Aber die Enttäuschung, dass Ennis einfach verschwinden wollte, die blieb und hinterließ einen fahlen Beigeschmack.

„Jack“, kam es ein paar Minuten später von Ennis.

„Mhm?“ Ich war schon fast eingeschlafen gewesen.

„Wie viele Männer hattest du?“

Erstaunt riss ich die Augen auf, drehte mich zu ihm, soweit es mit der Handschelle ging. 

 

 

 

9.

 

 

 

Warum wollte er das jetzt wissen?

„Warum fragst du mich das jetzt gerade?“ Ich hatte mich zu ihm herumgedreht, was sich nicht gerade einfach gestaltete. Die Müdigkeit war wie weggeblasen. Wenn Ennis so etwas fragte, hatte es immer einen Grund. Ich versuchte in sein Gesicht zu schauen, sah aber bei dieser Düsterkeit nicht viel. Vielleicht schaute er gerade ernst, vielleicht wollte er mich damit nur aufziehen. Ich wusste es nicht. „Geht dich nichts an“, meinte ich schroff.

„Habe ich nicht das Recht zu erfahren, mit wie vielen Männern du es getrieben hast?“, muffelte er mich ungemütlich an und ich kassierte noch einen Tritt an mein Schienbein. Ihn störte die Mucke an der Wand. Ich konnte es fühlen. Ein Ennis, der ungemütlich wurde, mit dem war nicht zu spaßen. Aber ich war ihm geschickt ausgewichen, so traf er nur das Stroh. Ich ruckelte an meiner Fessel und zerrte somit Ennis mit mir mit.

„Nein, eigentlich nicht. Lass uns schlafen und wehe du trittst noch mal nach mir.“ Ich wollte mich schon wieder auf die Seite drehen und meine Augen zu schließen, da klopfte er mir auf die Schulter.

Was soll das werden?

„Wir sind doch schon so lange Angel ...“

Jetzt riss mir aber der Geduldsfaden und fuhr ihm einfach ins Wort. „Angel was ... hä? Sag nur nicht das Wort Angelkumpel. Oder hast du irgendwann in deinem Leben eine blöde Angel in der Hand gehalten, während wir es in den Bergen getrieben hatten, hä? Ich weiß nicht, was wir sind, Ennis aber wir sind verdammt noch mal keine Angelkumpels.“ Ich war wirklich verärgert. Angelkumpel, echt Ennis du hast es so was von drauf. Keinen einzigen Fisch haben wir aus deinem ungebrauchten Angelkasten gefischt. Gut meiner war auch nie geöffnet worden.

„Ich weiß genau, was wir sind, Jack; ich habe nur kein Wort dafür. Aber Kumpels sind wir doch?“

„Kumpels? Sag mal ficken Kumpels miteinander? Komische Freundschaft echt, pft. Ich geh jetzt schlafen, bevor ich richtig wütend werde. Wirklich, Kumpels. Klar, wenn man heiratet, ist die Frau auch ein Kumpel.“ Ich kriegte mich nicht mehr ein.

„Moment, Jack, du hast mir immer noch nicht geantwortet und was soll der Scheiß jetzt mit heiraten?“

„Auf was soll ich dir antworten?“ Scheiße, was war nochmals unser Anfangsgespräch gewesen? Ich wurde alt oder mein Hirn war durch den vielen Whiskey nicht mehr ganz so in Takt.

„Wie viele Jack, ich muss es wissen?“ Ennis blieb beharrlich und mir taten seine Worte einfach nur weh. Er hatte keine Ahnung wie sich das anfühlte, immer nach den Ausflügen in ein noch tieferes Loch zu fallen. Er wusste nicht, dass ich danach noch mehr von ihm nötig hatte und ich keinen anderen Ausweg sah, als mich danach von anderen Männern gebrauchen, zu lassen. Ja, ich war eingeritten von einigen Männern, die auch Rang und Namen hatten.

„Warum wissen? Du verleugnest mich doch eh immer.“ Ennis hatte es drauf, eine Situation völlig kaputtzumachen.

„Wenn du mir keine Antwort gibst, gehe ich. Jetzt sofort. Jack, ich schwöre es, das mache ich. Morgen früh und das meine ich ernst und egal ob ich dann an dich angebunden bin. Dann schleife ich dich halt hinterher. Ich werde nach Hause fahren, Jack und du schleifst die Hauptstraße entlang. Scheiße, Jack.“ Ich hörte es neben mir rascheln.

Ich gab ihm keine Antwort. Dem Mistkerl würde ich das zutrauen. Immer die Auf und Abs zwischen uns. Obwohl ich wusste, tief in meinem Herzen, das er dies alles nicht so meinte.

„Weißt du, Jack, wenn ich meine Männer zähle, dann komme ich immer nur auf eine Zahl.“

Das meinte ich damit. Er meinte es nicht so und dies hier kam fast einer Liebeerklärung gleich.

„Ennis.“

„Huh?“ Er drehte das Gesicht zu mir. Ich sah nur schemenhaft den Umriss, doch seine Augen die sah ich im Dunkeln funkeln.

„Du hast mir in all den Jahren gefehlt, ich suchte den Ersatz, fand ihn aber niemals so, wie ich es gerne gehabt hätte. Ich wollte an unserem Treffen, als du sagtest, du kannst im Sommer nicht, eigentlich dich nicht mehr wiedersehen. Mit meinen Eltern, das war der einzige Ausweg, den ich für uns noch sah. Diese letzte Chance.“

„Jack.“ Ich hörte ein unterdrücktes Stöhnen, so als hätte er Bauchschmerzen. „Warum kannst du es nicht einfach so lassen? Warum Veränderungen?“ Wieder stöhnte er, aber ich getraute mich nicht mich umzudrehen, weil ich spürte, dass er weinte. Still weinte.

„Ich habe sie nicht gezählt“, gab ich endlich zu und zerrte wie blöd an den Handschellen. Weil mich Ennis Verletzbarkeit nicht kalt ließ. Blöde Dinger, dachte ich zähneknirschend, den Schlüsseln hatte ich ja, aber das würde ich Ennis nicht auf die Nase binde. Dann auf einmal überkam mich eine große Angst, dass Ennis mich vielleicht nie mehr sehen wollte. Das dies, was zwischen uns vorhin passierte, der letzte Abschiedsfick gewesen war.

„Bitte geh nicht“, flüsterte ich jetzt und ich merkte, wie Ennis seinen freien Arm um mich legte und mich an sich drückte. Da wusste ich, er würde Morgen auf jeden Fall noch nicht gehen.

„Nein, mache ich nicht, wir holen Morgen dein Pik-up, okay“, versprach er mir.

Ennis hielt sein Versprechen, weckte mich aber zeitig auf und ich nahm ihm seine Fesseln ab, bevor mein Vater davon Wind bekommen würde.

„Du, Hurensohn hattest die ganze Zeit den Schlüssel“, zischte er aufgebracht, als er sich das Stroh aus den Haaren fischte.

„Es gehört eine Menge Mut dazu sich nicht von dir verprügeln zu lassen und ich ging das Risiko halt ein. Und schlägst mich jetzt etwa?“, ging ich auf Lauerstellung.

„Pft. Jack, du Mistkerl Twist.“ Er kratzte sich am Kopf und legte die Decken einigermaßen zusammen.

Dann, als Ennis zu beschäftig war, kam ich auf ihn zu und küsste ihn spontan.

„Lass das nicht zur Gewohnheit werden, ja“, sagte er rau und in dem Moment sah er einfach nur glücklich aus.

Aus Ennis wurde ich einfach nicht schlau.

„Und jetzt geh, bevor deine Eltern wach werden.“

Ich nickte nur und hatte mich dann wieder ins Haus geschlichen und legte mich in mein Bett, tat so, als schliefe ich noch, als meine Mutter an meiner Tür klopfte. Keine fünf Minuten hatte es gedauert. Das war knapp.

Als wir gefrühstückt hatten und wir Bescheid sagten, holten wir Ennis Wagen von der Werkstadt ab und gaben den Leihwagen zurück. Ennis startete seinen Wagen und er sprang an. Sie hatten es also doch noch geschafft, ihn noch mal zu reparieren wenn auch für eine Stange Geld. Er fuhr selbst und mir war es ganz recht. Denn mich hatte der gestrige Tag doch ausgelaugt, außerdem konnte ich Ennis noch in mir spüren.

Wir fuhren zu meinem Wagen, der einsam und verlassen auf mich gewartet hatte. Er war nicht geklaut worden, wie ich zuerst befürchtet hatte. Ich stieg in mein Wagen.

Ennis fuhr mit seinem Wagen vor und ich ihm hinterher. Auf einmal platzte mein vorderer Reifen und ich fluchte leicht, weil ich dadurch ins Schleudern geriet. Ich konnte ihn gerade noch so abfangen und fuhr an den Straßenrand. Ennis fuhr unbehelligt weiter, er hatte nicht mitbekommen, dass ich stehen geblieben war.

Ich fluchte, konnte aber nichts ändern und beeilte mich das Ersatzrad aus dem Wagen zu holen, um ihn anzubringen. Was dann geschah, konnte auch ich nicht vorhersehen. Die Radkappe sprang mir plötzlich entgegen und mir wurde es schwarz vor Augen ...

 

 

 

 

 

10. Epilog

 

 

POV Ennis

 

Ich konnte es immer noch nicht richtig glauben oder gar begreifen. Jack war tot! Wie gerne würde ich die Zeit zurückdrehen. Trotz da ich oftmals sauer auf ihn war. Wie gerne hätte ich ihn davon abgehalten, seinen Wagen zu holen. Wie gerne ...

Doch Jack war tot. Er kam niemals mehr wieder und ich? Ich lebte ohne ihn weiter ...

 

Rückblick.

Ich fuhr den Highway entlang. Wir hatten Jacks Auto geholt und jetzt fuhr er hinter mir her. Ich selbst achtete mehr auf mich und auf die Straße und sah deshalb nicht laufend in den Rückspiegel. Ein Bauchgefühl, ein Wink nach ihm zu sehen überkam mich. Keine Ahnung, weshalb das so war. Vielleicht weil bei Jack nicht immer alles so rund lief. Er war ein mieser Jäger, ein mittelmäßiger Rodeoreiter. Ich zählte seinen einzigen Sieg nicht mit dazu. Er erzählte ihn mir wie das „Vater unser“, wenn er genügend getrunken hatte. Ich kannte die Geschichte auswendig.

Verfluchter, Schweinehund, dachte ich schon wieder sauer auf ihn werdend. Im Rückspiegel merkte ich, dass Jack nicht mehr hinter mir herfuhr.

Ich kniff die Augen zusammen, um ihn ganz hinten am Horizont vielleicht als kleinen schwarzen Fleck zu erkennen. Fehlanzeige. Es war außer mir keiner auf der staubigen Straße.

Fluchend, wie es meine Art nun mal so war, hielt ich schließlich am Straßenrand an und wartete genervt auf meinen Freund. Was auch immer ihn aufgehalten haben könnte, ich hoffte, er hatte eine plausible Erklärung dafür.

Was hatte ihn dieses Mal aufgehalten?, dachte ich darüber nach und strickte meine Gedanken weiter. Ein weiterer Plan mich an sich zu binden? Etwa mit einem Seil, das er mir dann um den Hals binden würde, damit ich als Schoßhund bei ihm bleiben würde? Ich schüttelte entnervt den Kopf. Jack hatte schon immer komische Anwandlungen. Dennoch fand ich die Entführung von ihm immer noch dreist und ich wusste genau, dass ich deswegen meinen neuen Job höchstwahrscheinlich los sein würde, wenn ich nicht im Gegenzug ein paar unbezahlte Überstunden machte.

Verdammt, Jack, nicht jeder hat eine reiche Frau an der Angel, dachte ich brummig.

Ich brauchte das Geld dringend. Ein Wermutstropfen war, dass Jack mir wenigstens die Unterhaltszahlung zahlen würde. Das war das Mindeste, wie ich fand, nach dieser gestrigen Aktion.

Jack hätte es verdammt gut haben können, dachte ich wieder. Was ging nur in ihm vor? Seit der Scheidung mit Alma war er anders geworden. Verbitterter. Die Ausflüge waren okay für mich. Klar sehnte ich mich nach mehr Zeit mit ihm. Manchmal war es mir sogar nicht bewusst, aber dann ertappte ich mich dabei, wie ich mich auf ihn freute. Freute ihn wieder zu sehen. Den Stau los zu werden, stundenlang schweigend auf dem Pferd neben ihm zu reiten, wo jeder seine Gedanken hinterher hing. Das war für mich genügend. Mehr durfte es nicht sein. Mehr sollte es nicht sein. Männer durften nicht zusammen sein, es war gottlos und verboten. Dies wurde mir immer gepredigt. Bis ich Jack kennenlernte, war ich der gleichen Meinung gewesen. Was war nur in ihn gefahren? Was hatte ihn dazu bewogen, einfach den Status quo zwischen uns zu ändern.

Verkrampft hielt ich mich am Lenkrad fest. Die Knöchel traten weiß hervor.  Warten war nicht meine Stärke. Außerdem war ich sauer auf Jack, weil er es geschafft hatte, das ich bei seinen Eltern umdachte. Umdachte, was meine Treffen mit ihm angingen. Wütend schlug ich aufs Lenkrad ein. Meine Gefühle nahmen Überhand und ich wusste nicht so recht wohin mit meiner angestauten Wut. Die Gefühle, die in mir hochkamen waren dieses Mal anders. Was ich in einem Tag erlebt hatte, war für mich einprägender gewesen, als es jemals jemand geschafft hätte.

Bei Jacks Eltern erlebte ich einen sehr verletzbaren Mann. Den ich ebenso mochte wie seinen Sturkopf, den ich im Übrigen auch hatte. Nur eines unterschied uns gravierend voneinander, ich erzählte keine erfundenen Geschichten. Bei ihm konnte ich so sein, wie ich war, und hätte es mir ebenso gewünscht, er wäre es auch zu mir gewesen. Wir passten zusammen, denn er hörte mir zu und verstand mich. Auch wenn er mich in sein Haus verschleppt hatte, nicht in Ordnung gewesen war. Jack wusste, wie ich gestrickt war. Er wusste um meinen Jähzorn und ich brauchte im Gegenzug diese Beschützerrolle. Ich wollte Jack beschützen.

Lange hatte ich meine Gefühle für ihn gut verstecken können - jahrelang. Nur Alma hatte ich nicht ganz täuschen können. Manchmal fragte ich mich, ob sie uns doch gesehen hatte, als ich Jack das erste Mal nach vier Jahren stürmisch begrüßte. Die Nase hatte ich ihm schier gebrochen. So war ich nun mal. Zorn und Freude waren gleich stark in meinen Gefühlen. Doch konnte ich nicht aus meiner Haut. Dieses kleine Geheimnis wollte ich bewahren. Gerade wegen den Kindern.

Jack war ein absoluter Geschichteerzähler. Nicht alles hätte ich glauben sollen, besonders, wenn er immer von seinen weiblichen Eroberungen sprach. Auf Frauen war ich nicht eifersüchtig. Sie waren warm, weich und kompliziert und befriedigten einen für kurze Zeit. Tat mir die Vorstellung weh, dass Jack neben mir noch andere Männer hatte. Ich wusste seit gestern mit Sicherheit, dass es so war.

Seit gestern war einiges anders.

Ich steigerte mich hinein, wie wir zusammen die Farm seiner Eltern bewirtschaften würden, und malte mir die schlimmsten Sachen hinter her aus. Ich sah für uns einfach kein Happy End.

Ich hasste auf einmal mich, hasste ihn, hasste diesen verdammten Moment, in dem ich alleine im Auto saß, auf dieser gottverlassenen Straße und auf ihn wartete. Und doch brauchte ich ihn, auch wenn er mein Freund war, wusste ich, es wäre besser gewesen, wir wären uns niemals begegnet. Doch war er ein Teil meines Lebens. Er war ein Teil von mir geworden.

Kann ich wirklich einen Mann lieben?, fragte ich mich jetzt. Liebe war vielleicht zu viel gesagt. Ich war kein Mann mit viel Worte, der einiges unausgesprochen ließ. Ich war ein Mann mit Taten. Jack hatte mich von Anfang an verändert und ich fühlte seit gestern es noch deutlicher, als die ganzen Jahre davor.

Hast du eine Panne?, kam mir kurz der Gedanke in den Sinn, als ich ihn immer noch nicht mit seinem Auto herfahren sah. Ich schnaufe verächtlich, denn der Gedanke war mir zu abstrus. Sein Wagen ist wesentlich neuer als meiner, dachte ich und mir wurde meine Armut bewusst.

Ich brauchte dringend eine Zigarette. Die Letzte, wie ich trocken feststellte. Ich rauchte zu viel und mein Arzt riet mir zu weniger.

„Scheiß Ärzte, was wissen die schon, rauchen doch selbst. Arschlöcher.“ Ich steckte mir die Letzte an, und als ich den ersten Lungenzug genommen hatte, den Teer schmeckte, wurde ich ruhiger. Ich blies den Rauch schließlich zufrieden an die Scheibe. Schnell verqualmte ich die noch restliche Luft und ich musste das Fenster herunterkurbeln, als ich den letzten Stumpen ausgeraucht hatte. Frische kühle Luft vermischte sich sofort.

Ich liebte die Kälte, mir machte sie nichts aus,

Irgendwann kam der Verdacht doch in mir auf, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Mein Bauchgefühl und die dazugehörige Übelkeit sagten mir es ganz deutlich ...

Ich startete meinen Wagen vorsichtig und fuhr wieder zurück so schnell ich konnte. Dann sah ich sein Wagen am Rande schief stehen. Als ich dann da war, vollzog ich eine Vollbremsung, als sich mir ein Bild des Grauens eröffnete. Jack lag blutüberströmt neben seinem Auto.

Scheiße.

Ich sprang aus dem Wagen und eilte panikartig zu ihm. Mein Hut fiel vom Kopf.

„Jack, um Gottes willen, Jack.“ Ich schrie wie von Sinnen und konnte nicht schnell genug bei ihm sein.  Ich sah das Jack sich bewegte, er röchelte und die Verletzung sah schlimm aus.

„Ennis, bist du das?“ Er spuckte Blut. Seine Augen sahen leer und ohne Glanz aus als ich mich vor ihm kniete und meine Hände vorsichtig seinen Kopf anhob. Stumpf sah er mir in die Augen.

„Nicht reden, Dummkopf.“ Meine Tränen konnte ich nicht zurückhalten.

„Ich bin kein Dummkopf“, röchelte er. „Ich liebe dich.“ Er erkannte mich. War ich erleichtert, weil er mich liebte. Ich wusste es nicht.

Ich heulte, weil mir klar wurde, dass Jack im Sterben lag und ich dann allein war.

„Jack, verlass mich nicht, bitte! Ich verspreche auch, dich niemals mehr zu verlassen.“ Ich hätte ihm alles gesagt, wenn es geholfen hätte.

„Das soll ich dir glauben? Gerade dir, Ennis, der immer sich weigert zu mir ... Zu mir ...“ Er verschluckte sich und hustete schließlich einen Schwall Blut heraus.

„Shht nicht reden. Ja, ich weiß, ich habe Fehler gemacht. Du weißt doch, was für ein sturer Esel ich manchmal sein kann.“ Es tat weh, ihn so zu sehen. Auch wenn es nicht passte, aber ich musste gerade jetzt an Alma denken und an die beiden Geburten, die zu Hause stattgefunden hatte.

„Ennis, mir wird kalt.“ Jacks Stimme war nur noch ein Flüstern.

Ich drückte ihn ganz nah an mich und platzierte ihm einen Kuss auf seine blutverschmierten Lippen. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte endlich die Worte, die Jack immer von mir hören wollte, nach so vielen Jahren, die ich dagegen ankämpfte. Ich hielt ihn in meine Arme, sah zu ihm und mir fiel es leicht sie auszusprechen: „Ich liebe dich, Jack, hörst du, dass werde ich immer.“ Ich weinte wieder, spürte die Tränen, die mir über meine Wangen liefen. Ich spürte die Trauer, den Verlust eines Menschen. Ich spürte so viel und konnte es nicht in Worte fassen. Er sah mich nur an. So viel war zwischen uns passiert. So vieles blieb unausgesprochen.

Der Zeit schwand dahin. Doch Jack sah mich weiterhin nur an und dann lächelte er, wenn auch nur mit Müh und Not. Die Schmerzen standen ihm ins Gesicht geschrieben.

Ich sah, wie er die Hand heben wollte, es aber nicht mehr schaffte. Die blauen Augen sahen dennoch mich mit Liebe erfüllt an, die mehr als tausend Worte sagte.

„Danke“, waren seine letzten Worte. Sein Körper wurde schlaff, dann starb er einfach in meinen Armen. Die Welt war ungerecht, wie ich fand, mein Schmerz hinterher über den Verlust grenzenlos. Mein Freund war tot.

Wie hatte sein Vater getobt, wegen Jacks letzten Wunsch, den ich zufällig erfahren hatte, als ich mit Lureen telefonierte. Ich hörte zum ersten Mal ihre Stimme und erkannte die Kälte in ihr. Ihre eiskalte, monotone Stimme jagte mir heute noch einen Schauer über den Rücken. Auch wenn ich Alma immer als herzlos empfunden hatte, erahnte ich, dass Jack ein schlimmeres Schicksal ereilt haben musste und verstand nun seine eigene Hölle, die schlimmer war, als meine.

Zum Schluss hatte ich mich bei seinem Vater durchsetzen können. Er gab mir schließlich die Hälfte von Jacks Asche. Die andere Hälfte wurde zwischen seiner Familie und seinen Eltern aufgeteilt.

Sein Sohn lernte ich auf der Beerdigung kennen. Ein zarter Junge, dem Jack sehr ähnlich sah. Mir zog es das Herz zusammen.

Ich versprach Jacks Mutter sie jedes Jahr zu besuchen und zu helfen, wo es nur ging und sie nahm mich in ihre Arme und drückte mich kurz.

„Ich weiß, warum Jack dich so geliebt hat.“ Hatte sie gesagt und ich konnte ihr nicht darauf antworten. Aber sie spürte auch so, dass ich das Gleiche für ihren Sohn empfunden hatte, nur konnte ich mich nicht so ausdrücken und würde es wohl nie können.

Zwei Wochen später ritt ich zum Brokeback. Ich hatte mein Auto unten am Berg abgestellt und war mit dem Pferd weitergeritten. Als ich schließlich an den Platz kam, in dem wir vor 20 Jahren das erste Mal die Schafe hüteten, stieg ich vom Pferd. Ich sah mich um. Lange betrachtete ich mir die Gegend. Sog alles in mir auf. Erinnerungen kamen und gingen. Die Zeit schien still zu stehen und ich hörte das Wasser im Bach rauschen.

Als mein Blick auf den morschen alten Stamm fiel, schluckte ich schwer. Die angedeuteten Kohlereste, die Steine, die dort noch lagen, erinnerte mich an unser erstes Mal. Die raue Vereinigung. Einfach alles hier war für mich mit Emotionen verbunden und ich ließ meine Tränen ihren freien Lauf. Männer heulten nicht. Doch hier durfte ich das. Hier war ich zu Hause. Hier war meine glücklichste Zeit gewesen.

Ich nahm die Urne mit der Asche von Jack an mich, die in der linken Satteltasche gesteckt hatte und ging zu dem Bach in dem Jack oder ich uns immer gewaschen hatten. Dabei spürte ich regelrecht die Kälte des Wassers, als ich mich daran erinnerte.

Ich erinnerte mich außerdem an unser erstes raues Mal und verabschiedete mich innerlich von Jack.

„Jack, wir sind hier auf unserem Berg, du bist angekommen. Du bist daheim“, flüsterte ich bewegt. Dann öffnete ich den Deckel der Urne. Der Wind trug sofort und mit einer Leichtigkeit seine Asche davon.

Jack war nun zu Hause und ich würde ihm irgendwann folgen, das wusste ich jetzt schon.

 

Gegenwart

Was mir von ihm blieb, waren Erinnerungen an uns und die beiden Hemden, die ich seitdem hütete wie einen kostbaren Schatz.

Junior kam letzte Woche an meine neue Behausung. Ein alter Trailer, den ich günstig ergatterte. Meine Kleine verkündete mir, dass sie bald heiraten würde.  Zuerst war ich nicht sonderlich glücklich darüber. Hoffentlich liebte dieser Raffmaker meine Tochter auch wirklich und war nicht in Wirklichkeit so einer wie ich, der mit einer Lebenslüge lebte. Ich wünschte ihr dennoch alles erdenklich Gute und versprach dann zum Schluss zu ihrer Hochzeit zu kommen, als sie mich darum bat. Dann ging sie.

Sie hatte ihre Weste bei mir vergessen und ich wollte ihr schon nacheilen, sah aber, dass sie mit ihrem Wagen davon gefahren war. Ich öffnete meinen Schrank und legte die Weste meiner Tochter hinein. Dabei fiel mein Blick auf die Hemden, die ich auf einen Kleiderbügel ordentlich aufgehängt hatte, und schloss den oberen Hemdknopf. Tränen der Sehnsucht kamen hoch in mir.

„Jack ich schwöre es“, sagte ich zu unseren Hemden. Es war ein Versprechen, das ich mir gegeben hatte, zu Jack zu stehen.

 

 

Ende

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.12.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /