Story: Randy D. Avies
Betaleser: peonie
FSK: 12s
Begegnung
Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, da war ich Anfang dreißig. Es war in einem Park in der Nähe vom Wasserturm. Ich bin Autor und verdiene mit meinen Geschichten eher schlecht als recht Geld damit, sodass ich immer mal wieder Gelegenheitsjobs annehme. Zu dem Zeitpunkt war ich Arbeitssuchender und mein damals aktuelles Buch, Der Pfadfinder, lief schlecht an.
Schwulenbücher sind immer noch verpönt, sodass ich in einem normalen Buchladen keinerlei Chancen habe. Nur in den speziellen Buchläden oder Internetplattformen, wo diese Bücher verstärkt angepriesen werden, kann man es kaufen und mich darüber kontaktieren.
Ich frage mich, warum es immer noch diese Unterschiede gibt, selbst im Verkauf. Jeder Buchladen hat eine Abteilung für Erotik, nur keine Sparte für uns Schwule.
Ich trage meine Homosexualität jetzt nicht offen herum, aber wenn ich gefragt werde, dann sage ich klar: „Ich bin schwul.“
Ich sehe eher durchschnittlich aus, gut, man sagt von sich nie selbst, man sähe gut aus. Ich habe blonde, kurz geschnittene Haare und blaue Augen und liege mit meinen 1.80 m im normalen Männergrößen Durchschnitt.
Andreas, der Name spukte mir bereits seit einer Woche im Kopf herum. Ich hatte ihn über eine Plattform kennengelernt. Er schrieb mir eine PN und sagte mir, wie toll er meine Bücher finden würde. Schnell stellte sich heraus, dass er in der gleichen Stadt wie ich wohnte und wir verabredeten uns. Und als Erkennungszeichen würde er mein Buch in seiner Hand halten.
Nur das wusste ich von ihm, wenn es denn tatsächlich ein Mann war. Die meisten meiner Leser waren Frauen. Ich fragte mich immer, was sie so toll an Schwulen Büchern fanden. Ich fand es beinahe irritierend, dass es wirklich mehr weibliche Leser als männliche gab, die meine literarischen Werke lasen.
Ich war ca. zehn Minuten zu spät am Treffpunkt und vermutete, dass er nicht mehr da sein würde. Meine Straßenbahn hatte Verspätung und dank dieser vielen Baustellen rund um Mannheims Innenstadt hätte es mit dem Auto noch länger gedauert. Wobei ich kein Auto besaß, denn dazu müsste ich erst einmal einen Führerschein besitzen. Ich sah dafür keine Notwendigkeit.
Ich kam also zu spät und um den Wasserturm tummelten sich die Menschen. Herbstblüher zierten die Vorderseite und auf der Rückseite, wo ein kleiner Park angelegt war, färbten sich langsam die Blätter der Bäume und rüsteten auf den Herbst um.
So viele Menschen, dachte ich mir, da werde ich ihn nie finden.
Ich machte mich dennoch auf den Weg in der Hoffnung, dass meine Verabredung auf mich wartete. Jeden männlichen Spaziergänger begutachtete ich und sah auf seine Hände ob er ein Buch bei sich trug. Einmal sah ich einen älteren Mann mit einer Zeitung in der Hand. Nein, von einer Zeitung hatten wir nicht gechattet.
Ich wollte die Suche beinahe aufgeben, da sah ich ganz hinten im Park einen Mann auf einer der Steinbänke sitzen, vertieft in ein Buch, das Cover stach mir ins Auge. Ich näherte mich der Person und erkannte, dass es mein Buch war. Ich suchte mir immer die schrillsten Covers aus. Mein aktuelles Werk war ein uni pinkfarbener Buchumschlag, kaum zu übersehen und ich musste innerlich grinsen. Er las also tatsächlich Der Pfadfinder und noch erstaunlicher war, dass der Mann, den ich, wegen seinen silbergrauen Haare bereits um die Fünfzig vermutete, vertieft zu sein schien, denn er bemerkte mich nicht. Auch nicht, als ich mich neben ihn setzte und ihn dann ansprach:
„Gefällt dir mein Buch?“ Ich duzte ihn, da wir über den Chat ebenfalls vertraulich miteinander waren, warum also im realen Leben dann diese Förmlichkeit?
Der Mann zuckte zusammen, sah von seinem Buch auf und in meine Richtung.
Und da stockte mir der Atem. Er sah zwar mit der grauen Haarfarbe älter aus, aber sein Gesicht war jung geblieben und dann diese Augen. Grüne Augen, die auf mich jung und lebendig wirkten, sodass ich fast annahm, er wäre so alt wie ich. Aber dann korrigierte ich das Alter nach oben auf vierzig, als er lächelte und ich die Falten um seine Augen herum erkannte, die nicht nur von einem Lächeln her stammten.
„Hallo, ich bin Randy“, stellte ich mich ihm vor.
Er lächelte weiterhin. „Ich weiß und ich bin Andreas.“
„Hallo, Andreas!“, begrüßte ich ihn ein zweites Mal. Wir nahmen uns zur Begrüßung in den Arm. Es war eine spontane Aktion. Sie war aber kurz und Andreas hatte mich für meinen Geschmack viel zu schnell wieder losgelassen.
„Wartest du schon lange?“, fragte ich ihn, da ich ja derjenige war, der zu spät gekommen war.
„Nein, eigentlich nicht oder ich habe es nicht gemerkt.“ Er zeigte auf das Buch, dass er, wie ich sah, zur Hälfte schon gelesen hatte.
„Wenn ich doch nur so schnell schreiben könnte, wie ihr Leser es verschlingt.“ Ich schmunzelte. Einige meiner Kurzgeschichten hatte ich kostenlos auf einer Onlineplattform eingestellt.
„Es ist sehr gut, ich lese es bereits zum zweiten Mal.“
„Oh wirklich?“ Das ehrte mich.
„Es hat eine tiefere Handlung und gerade das Outing über Jonathan bei den Pfadfindern fand ich interessant.“
Ein Handy klingelte, es war seins. Ich hatte Meines nicht mitgenommen, es würde mich nur laufend stören.
„Willst du nicht rangehen?“, meinte ich, als ich sah, dass er keine Anstalten machte.
„Ja, das sollte ich!“ Er holte das Teil aus seiner Tasche und drehte sich von mir weg. Ich hob verwundert die Augenbrauen an.
Ich fand es merkwürdig, da wir uns kaum kannten, war es doch egal. Hatte dieser Mann etwas zu verbergen? Mein Misstrauen war geweckt worden und ich distanzierte mich, indem ich auf der Bank etwas wegrutschte. Ich konnte auch das Gespräch nicht mitverfolgen, da er sehr leise sprach.
„Entschuldige, das war meine Firma“, klärte er mich nach seinem Gespräch auf, als er sein Handy wieder wegpackte.
„Schon okay!“ Trotzdem war ich irritiert.
„Was machst du beruflich?“, fragte ich aus reiner Höflichkeit, als dass es mich tatsächlich interessierte. Womöglich war er im Büro tätig, so wie er aussah, in seinem Anzug!
„Ich expandiere!“
„Aha!“ Er expandiert? Das konnte alles Mögliche sein, und ich merkte, dass er nicht weiter das Thema vertiefen wollte.
Wir standen auf und gingen um den Wasserturm spazieren. Das Wetter war herrlich und es war für Anfang September noch recht warm.
Schnell war unser Gespräch auf meine Bücher fokussiert und es war mir recht. So blühte ich in meiner Thematikwelt auf und wir unterhielten uns bestimmt eine gute halbe Stunde.
„Wie bekommst du deine Ideen?“, fragte er mich und seine Augen betrachteten mich von der Seite mit einer gewissen Neugierde.
„Die kommen in der Nacht, während ich träume“, antwortete ich ehrlich und versenkte meine Hände in die Tasche der Jeans.
„Ich wollte auch immer mal, schreiben´, aber mir fehlt die Zeit, und auch die Geduld dazu“, meinte er und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem markant geschnittenen Gesicht. Ich fand, er sah gut aus, auch seine Frisur passte zu ihm.
„Wie alt bist du, wenn ich fragen darf?“ Die Jugend in seinem Gesicht verblüffte mich erneut, denn er sah mit seinem Anzug und den grauen Haaren deutlich älter aus, zumindest wirkte das so von weitem.
Ich hörte ihn seufzen.
„Ich bin jünger als ich aussehe, und ich vertrage keine Haarfärbemittel, darum bin ich auch grau. Ich bin 38 und du?“
38? Dann waren wir nicht viel auseinander.
„Ich bin 34“, sagte ich und grinste.
„Also, Randy, 34-jähriger Autor und noch keine grauen Haare, was wollen wir unternehmen? Ich habe mir den Rest des Tages freigenommen.“
„Ich weiß nicht, ich habe heute auch nichts vor.“ Dann meldete sich mein Magen wie auf Bestellung und ich wusste, was wir machen konnten.
„Wie wäre es, essen zu gehen, vielleicht thailändisch?“
„Warum nicht!“ Er lächelte und ich sah seine Fältchen um seine Augen. Er muss ein fröhlicher Mensch sein, dachte ich, denn er wirkte keinesfalls streng.
Wir plauderten beim Thailänder, welcher in der Nähe vom Wasserturm war, über vieles was, das Leben ausmachte. So erfuhr ich unter anderem, dass er Nichtschwimmer war und auch, dass er ein Einzelgänger war, trotz, dass er zwei ältere Brüder hatte. Er hatte keine Frau und Kinder. Ich erzählte ihm auch sehr viel über mich. Und als die Zeit davonrannte, merkten wir beide, dass es bereits tief in den Abend hineinging, und sahen uns an.
Ich hatte ihn die ganze Zeit über nicht gefragt, ob er ebenfalls schwul war, manchmal ging man einfach davon aus, aber Andreas machte auch keine Anstalten, als ob er mehr von mir wollte. War ich deswegen enttäuscht?
„Andreas“, fragte ich ihn schließlich, nachdem wir bezahlt hatten. Jeder für sich und das fand ich auch okay. Wir hatten es uns beiden gut gehen lassen und ich hätte seines nur schwer mitbezahlen können, als ich auf die vielen kleineren Tellerchen blickte, die noch nicht vom Tisch abgeräumt waren. Wir hatten uns eine Vorspeise kommen lassen, einen ordentlichen Hauptgang, gebratene Ente mit Reis und Curry und noch eine süße Nachspeise.
„Ja, Randy?“ Seine Stimme klang neugierig.
„Stehst du eigentlich auf Männer?“ Ich hatte kaum die Frage ausgesprochen, da merkte ich, wie sich seine Miene verfinsterte.
„Ist das wichtig, für dieses Treffen?“ Er hatte nicht auf meine Frage geantwortet und ich war von seiner Gegenfrage überrascht. Ich faltete meine Hände ineinander und sah ihn daraufhin an schüttelte leicht den Kopf.
„Nein, eigentlich nicht, aber ich gehe immer davon aus, die wo meine Bücher lesen, gerade der männliche Anteil, ist homosexuell.“
„Manchmal irrt man sich auch“, meinte er und er klang traurig, dann sah er auf seine Uhr. „Oh, so spät, ich muss morgen früh raus.“
„Ja klar!“ Wir standen von unseren Plätzen auf und mich beschlich das Gefühl, durch diese eine Frage den Abend verdorben zu haben. Schweigend gingen wir ein Stückchen weiter, bis ich an meiner Haltestelle ankam.
„Ich muss mit der Bahn fahren, meinte ich und kaum sprach ich es aus, da kam schon die Siebener in Richtung Vogelstang.
„Es war ein schöner Abend“, meinte er zu mir, und dann umarmte er mich. Das war so spontan, dass ich kaum reagieren konnte und als ich was sagen wollte, hatte er mich losgelassen und lief im Laufschritt davon. Ich konnte ihm nicht hinterherlaufen, sonst hätte ich meine Straßenbahn verpasst.
Irritiert stieg ich in meine Bahn und eine halbe Stunde später war ich zu Hause. Ich wohnte in einem der Hochhäuser auf der Vogelstang und schloss mein Einzimmerappartement auf. Ich schaltete das Licht an und warum auch immer, kaum dass ich mich von meinen Schuhen befreit hatte, steuerte ich auf meinen Laptop zu, der auf dem Küchentisch stand und schaltete ihn an. Während er hochfuhr, ging ich ins Bad, schaltete das Licht an, wusch mir die Hände und befeuchtete mein Gesicht.
So schön der Abend auch gewesen war, so irritiert war ich. Hatte ich mir mehr erhofft?
Vielleicht! Vielleicht wollte ich sogar mehr, denn Andreas war geheimnisvoll und ich fand ihn attraktiv. Auf eine gewisse Art und Weise auch wenn ich nicht unbedingt auf Anzugträger stand. Kleidung konnte man ja ändern, nicht aber seine Neigung. Es wurmte mich, nicht zu wissen, ob er auf Männer stand oder ob er nur mich als Autor kennenlernen wollte. Es war sowieso mein erstes Treffen mit einem Leser.
Möglicherweise hatte ich mir zu viel erwartet. Ich war bereits lange Single und einfach nicht der Typ für einen One-Night-Stand. 34 Jahre und doch irgendwie kam ich in die Jahre, in denen ich mir auch einen Partner an meiner Seite wünschte.
Ich trocknete meine Hände an meinem blauen Frotteehandtuch und schaltete das Licht in meinem winzigen Bad aus, wo gerade mal eine Toilette, ein kleines Waschbecken und eine Dusche Platz fanden. Es war ziemlich beengt, aber es reichte für mich. Auch das Appartement war mit seinen knapp 30 Quadratmeter nicht wirklich groß. Aber die Miete war für mich erschwinglich und es war bereits möbliert gewesen, sodass ich mir keine zusätzlichen Möbel, außer einem Bett kaufen musste. Der Boden war mit hellen Fließen bestückt und ein paar Läufer machten die Wohnung behaglicher. Die Einbauküche bzw. eine Küchenzeile hatte alles, was man zum Kochen brauchen konnte. Sie war schlicht und doch schön, daher hatte ich mich gleich für diese Wohnung begeistern können, auch wenn sie in einem Hochhaus lag. Aber wen störte es. Einen Balkon besaß ich nicht, aber ich hatte die Sonnenseite. Mit zwei großen Fenstern war die Wohnung recht hell und wirkte freundlich. Genau für mich das Richtige, wenn ich stundenlang über einer Story brütete.
Das Schlafzimmer war mit einer Trennwand abgeteilt, was mich überhaupt nicht störte. So hatte ich alles im Blick. Ich hatte mir damals ein Boxspringbett gegönnt, in der Hoffnung, vielleicht den einen oder anderen männlichen Besuch hier einladen zu können.
Ich wünschte mir sehr, wieder einen Partner zu haben. Nur einmal war ich in einer festen Beziehung, diese ging fast vier lange Jahre, bis ich merkte, dass mein damaliger Freund immer nur auf junge Männer stand und ich langsam aus dem Alter herauskam, welches er so begehrte.
Ich betrat den Wohnraum und steuerte auf meinen Laptop zu und nahm auf dem metallenen Küchenhocker platz.
Kaum hatte ich mein Passwort eingetippt, war ich mit dem Internet verbunden. Ich surfte ein wenig und checkte die Mails. Unter anderem wollte ich wissen, ob mir Andreas eine Mail geschickt hatte. Vielleicht ist er noch gar nicht zu Hause, dachte ich und wartete ein wenig ab.
Es war weit nach Mitternacht, als ich beschloss nachzusehen und ging auf die Plattform, wo ich meine Kurzgeschichten online stellte. Sie war auch die einzige Kommunikation, die meine Leser mit mir haben konnten. Auf FB blieb ich unerreichbar.
Andreas hatte den Username Knöpfchen123. Ich fand es lustig, wie er gerade auf solch einen Usernamen kam. Ich blieb mit meinem Randy Fairless bekannt, das war mein Autorenname und auch mein realer Name. Ich hatte australische Wurzeln. Mein Vater war Australier und hatte in Deutschland auf einer Urlaubsreise meine Mutter kennengelernt und sie heirateten. Eine spontane Aktion die nicht geplant gewesen war. Daher hatte ich diesen Nachnamen und er gefiel mir. Was mir nicht gefiel, war, dass mein Vater uns kurze Zeit später wieder verlassen hatte, da war ich gerade drei Jahre alt. Er ging zurück nach Australien, wo er eine andere Frau nebenher, neben Mama, die ganze Zeit am hatte. Die übliche unschöne Sache begann und die Scheidung war auf beiden Seiten nicht freundschaftlich zu Ende gegangen. Seitdem hatte ich auch keinen Kontakt mehr zu meinem Vater. Der Nachname war das Einzige, was mir von ihm geblieben war.
Meine Mutter nahm ihren Mädchennamen Müller wieder an, aber ich wollte Vaters Namen behalten.
Ich ging in die Mail und las unsere letzten Chat. Dabei merkte ich, dass ich Knöpfchen123 nicht mehr anklicken konnte. Schnell wurde mir bewusst, dass Andreas sich auf dieser Plattform als Leser gelöscht hatte. Aber warum? Der Tag und das Treffen waren doch gut verlaufen? Ich verstand die Welt nicht mehr und so musste ich akzeptieren, dass die Sympathie anscheinend nur von mir ausgegangen war. Aber, warum dann das lange, gemeinsame Abendessen? Das ergab doch keinen Sinn. Alles war perfekt gewesen, bis ich ihm diese eine Frage nach seiner Neigung gestellt hatte, ab da war die Stimmung gekippt. Ich hätte keine Probleme gehabt, wenn er nicht auf Männer stehen würde, klar wäre ich traurig gewesen und wir hätten außer einer Freundschaft nichts anderes aufgebaut, aber so?
Ich wusste noch nicht mal seinen richtigen Namen, außer dass er Andreas hieß, von daher machte es wenig Sinn im Netz zu schauen. Bestimmt war Knöpfchen123 nur hier auf der Plattform.
Ich startete einen anderen Versuch und ging auf eine Plattform, von der ich wusste, dass man dort auch seine Geschichten Onlinestellen konnte. Ich erstellte einen frischen Account mit meinem Autorennamen. Ein wenig Werbung wird mir nicht schaden, dachte ich mir und meinem Verlag würde das sowieso gefallen. Der ManlovesMan- Verlag war nicht gerade der Größte, aber er hatte eine gewisse Anzahl an Autoren und er nahm nicht jeden an. Zudem gab es ihn seit fast 20 Jahren, was in diesem Genre eine sehr lange Zeit war.
Ich stellte einige Kurzgeschichten von mir rein und danach surfte ich ein wenig auf dieser Plattform, stellte mich dann in gewissen Foren vor. Bald hatten mich meine bekannten Leser, die sich auch hier tummelten, entdeckt. Die meisten benutzten den gleichen Usernamen wie auf meiner alten Plattform und ich schmunzelte. Vielleicht war Andreas ja auch hier. Eine gewisse Hoffnung keimte in mir auf.
Ich ging auf die Suchleiste und tippte seinen Usernamen ein, doch Fehlanzeige! Außer einem User mit dem Account Knüppelchen war nichts in der Richtung zu lesen und ich gab es schließlich auf.
Eine Woche verging und die Zeit hatte sich wie Kaugummi gezogen. Ständig hatte ich an ihn denken müssen. Und dann in der Früh hatte ich mir vorgenommen, um die gleiche Zeit am selben Ort aufzutauchen. Vielleicht sah ich Andreas ja und er hatte dieselbe Idee, vielleicht war das Löschen seines Account keine Absicht.
Irgendwie schien es mir die einzige Möglichkeit zu sein, ihn wiederzusehen. Dieses Mal war ich aber pünktlich und wie erwartet, war viel los um diese Zeit. Die Menschenmenge genoss noch das warme Wetter und eine Hochzeitsfeier war im Gange. Die Hochzeitsgäste und das Brautpaar posierten vor einem Fotografen. Der Wasserturm war für viele Paare ein schönes Hintergrundmotiv und daher war dieser Anblick nicht selten zu sehen. Ich sah mir das Brautpaar näher an und magnetisch wurde ich von dem Bräutigam angezogen. Er hatte genau die gleichen grauen Haare, wie Andreas sie hatte.
Das kann doch nicht sein, dachte ich und näherte mich dem Pärchen, was glücklich in die Kamera strahlte.
Beim näheren Hinsehen stellte ich erleichtert fest, dass es nicht Andreas war. Aber dieser Mann sah ihm verdammt ähnlich. Er war um einiges älter, die Falten in seinem Gesicht, tiefer und die Augen waren auf den ersten Blick nach nicht grün, sondern eher grau.
Ich wollte mich schon von dem Pärchen wegdrehen, da legte sich eine Hand auf meine Schulter.
„Was machst du denn hier?“ Es war die Stimme von Andreas.
Ich drehte mich zu ihm um und strahlte. Das Lächeln erstarb jedoch, als ich in sein ernstes Gesicht blickte.
„Du bist aus dem Netz verschwunden.“ Jetzt war ich auch ernst geworden.
„Ich weiß“, mehr sagte er nicht dazu. Er deutete aber mit dem Finger auf das Brautpaar. „Das ist mein älterer Bruder, er heiratet genauso, wie es die Familie möchte.“ Seine Stimme wurde leiser.
„Dein Bruder? Ach daher die Ähnlichkeit“, meinte ich nur und fühlte mich unbehaglich, weil Andreas mich so anstarrte. Ich wollte mich wegdrehen, da kam ein älteres Pärchen auf ihn zu.
„Andreas, wir treffen uns im Andechser“, fährst du mit uns?“ Die Frau hatte zu ihm gesprochen.
Andreas schüttelte den Kopf. „Nein, geht vor, ich komme nach.“ Ich wurde von dem Pärchen beäugt, sie sagten aber nichts und wir hörten ein Seufzen, das von Andreas stammte.
„Ich bin froh, dass du gekommen bist, warum auch immer.“ Andreas sah mich seltsam an und mir wurde es ganz anders. „Komm“, sagte er nur und schritt voraus, lief die Treppe zum Park hinunter. Stumm und etwas irritiert folgte ich ihm. Ich wusste nicht, wie ich diese Situation einschätzen sollte.
Wir hatten die Hochzeitsgesellschaft weit hinter uns gelassen, da packte mich Andreas plötzlich und riss mich in eine Umarmung und dann küsste er mich. Völlig überrascht von der Aktion, ließ ich es zwar geschehen, aber dann drückte ich mich von ihm weg.
„Ich verstehe nicht.“ Mein Herz klopfte wie verrückt, ab da wusste ich, ich hatte mich in ihn verguckt. Aber, wenn er nicht auf Männer stand warum dann diese Aktion?
„Es tut mir leid, ich ... du hast mich letzte Woche gefragt, ob ich schwul sei? Ich hielt dem Druck meiner Familie nicht länger stand und wollte dich vergessen, darum löschte ich mich aus dem Netz. Es sollte mir helfen über dich hinweg zukommen. Dass du hier bist ...“
Jetzt war ich es, der ihn an der Schulter packte, wir waren gleich groß von daher ... und dann küsste ich ihn kurz zurück. Ich wollte in der Öffentlichkeit kein Aufsehen erregen, daher blieb es auch nur bei dem flüchtigen Kuss. Ich schmeckte erneut seine Lippen. Einige Leute waren an uns vorbeigelaufen, manche starrten uns bereits eigenartig an.
Warum musste das eigentlich immer noch ein Tabu sein?
Traurig über diese Diskriminierung, schüttelte ich innerlich den Kopf.
Ich sah zu Andreas, der mich ansah, als ob er selbst nicht verstand, was da gerade zwischen uns passiert war.
„Ich denke, du wirst zu der Hochzeitsgesellschaft zurück müssen“, sagte ich rau.
„Ja, muss ich.“
„Ich verstehe.“ Es stimmte mich traurig, weil ich wollte nicht, dass er ging.
„Und du kommst mit“, sagte er mit fester Stimme und löste bei mir Schmetterlinge im Bauch aus. Dann aber sah ich an mir runter. Ich hatte nicht gerade Ausgehklamotten an. Mit meiner Jeans, meinen braunen Halbschuhen und mit meinem gelben Sweatshirt mit: Just do it in blauer Schrift, war ich nicht wirklich für eine Hochzeit geeignet.
„Bist du sicher, ich bin nicht richtig dafür angezogen“, brachte ich meine Zweifel vor.
„Das macht nichts, mich stört es nicht. So habe ich dich kennengelernt. Es wird Zeit, dass meine Familie von meiner wahren Neigung weiß und warum ich nie geheiratet habe oder eine richtige Freundin hatte. Und jetzt zu deiner Frage: Ja ich bin schwul!“
Ich grinste! „Und wie ist dein richtiger Name?“, fragte ich ihn.
Jetzt lächelte er ebenfalls und sein schönes Gesicht verzauberte mich erneut.
„Andreas Knöpfchen.“
„Aha, daher dein Username.“
„Komm, stürzen wir uns in die Hochzeitsgesellschaft. Es wird Zeit, dass alle erfahren, dass ich mich in einen Autor unsterblich verliebt habe, und das nicht erst seit gestern. Du weißt gar nicht, was du in mir letzte Woche ausgelöst hast und ich dachte noch, dich niemals mehr wiederzusehen.“
„Nein, so wirklich gezeigt, dass du was für mich empfinden würdest, hast du nicht.“
„Dann werde ich dir es beweisen.“ Er setzte es in die Tat um, als er merkte, dass wir fast unter uns waren, da zog er mich in eine Ecke des Parks und küsste mich so stürmisch, dass mir die Sinne schwirrten. Ertrunken von dem Kuss, krallte ich mich kurz in sein volles, grau meliertes Haar, schmeckte seine Zunge in mir.
„Meinst du wirklich, wir sollten zur Hochzeit?“, fragte ich atemlos, als er den Kuss von sich aus beendet hatte.
„Später, das hat noch später Zeit, jetzt will ich was ganz anderes.“ Seine Stimme klang nicht minder erregt, als ich es sowie so schon war. Seine Augen blickten mich voller Leidenschaft an und da wusste ich, diesen Tag würde ich so schnell nicht vergessen ...
Mittlerweile sind Andreas und ich seit zehn Jahren zusammen und heute ist unser neunter Hochzeitstag. Wir heirateten genau ein Jahr später, an dem Tag, an dem wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Seitdem waren wir unzertrennlich, und als wir damals viel zu verspätet zum Andechser kamen und sich Andreas vor seiner Familie und dem Brautpaar outete, war ich der glücklichste Mann auf der Welt, denn ich hatte zu dem Zeitpunkt genau gefühlt, dass wir zusammengehörten und zusammen alt werden würden.
Jetzt habe ich mittlerweile ebenfalls angegraute Schläfen und das mit meinen 44 Jahren. Und ich weiß welchen Beruf Andreas ausübt. Er expandiert nicht, so wie er mich damals angelogen hatte. Er ist schlicht und einfach ein Weddingplaner und ich helfe ihm manchmal bei seiner Arbeit. Wir beide haben mittlerweile auch zwei Bücher zusammen geschrieben, eines davon ist eine Biografie über unser Leben, aber das ist eine andere Geschichte, die irgendwann einmal erzählt werden möchte.
Ende
©Randy D. Avies September 2015
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2017
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