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Das kalte Wesen

 

 

 

 

 

 

 

~Prolog~

 

 

Langsam wache ich aus meiner Dunkelheit auf. Es beginnt meine Zeit, in der ich mich nach draußen begeben kann.

Früher nannte ich mich Alucard und nur Alucard. Wieso das so ist, habe ich auf irgendeine Weise vergessen.

Es ist ein Name den man, wenn man ihn rückwärts ausspricht, Dracula ausgesprochen wird. Und dieser Name kennt jeder und deren Bedeutung dahinter.

Ich nenne mich jetzt Christopher. Da ich nicht unter den Menschen auffallen möchte, brauche ich irgendeinen Namen, der sich nicht außergewöhnlich anhört. Einen Nachnamen habe ich auch, aber den wechsle ich, wie es mir gefällt.

Zurzeit heiße ich Christopher Grant. So steht es in meinem gefälschten Pass.

Die Menschen waren immer etwas seltsam und der Name Christopher zu gewöhnlich um etwas dahinter zu vermuten.

Doch die Frage: Von woher ich überhaupt komme?, kann ich bis heute nicht beantworten, denn ich weiß es selbst nicht. Oder ich habe es vergessen. Schließlich ist es über 4000 Jahre her.

Ich weiß nur, dass ich seitdem Existenz bin und auf dieser Erde weile. Aus heiterem Himmel kam ich damals.

Die Menschen würden auf meine Beschreibung sagen, ich sehe aus wie Mitte zwanzig. Männlich. Seitdem habe ich mich nicht ein winziges Bisschen verändert, denn ich bin unsterblich. Außer, ich ginge in die Sonne. Mir kann Tageslicht wirklich was anhaben. Ein Manko.

Meine Körpertemperatur beträgt maximal 20 Grad. Wenn ich genährt bin auch an die 30 Grad.

Ich bin also ein kaltes Wesen, wie die Erdenbürger es zu pflegen sagen, aber ich weiß nicht, wie viele es von meiner Sorte überhaupt gibt.

Ob ich wohl der Einzige bin?

Ständig bin ich auf der Suche, doch blieb sie seit 4000 lange Jahre erfolglos.

Bis jetzt ist mir noch keiner meiner Art begegnet, was ich gewiss schade finde, denn es macht mich einsam.

Und ich bin wirklich einsam.

 

Langsam erhebe ich mich, strecke mich und steige schließlich aus meinem Bett, das tief unter meinem Haus verborgen liegt. Es ist eine Höhle, zu der nur ich den Zugang habe.

Aber noch ist es viel zu früh, um die Luke öffnen zu können. Die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen. Noch muss ich warten.

Ich schweife in meiner Erinnerung ab.

 

In all den tausend Jahren in der ich nach meiner Rasse suchte, war ich verwundert, wie doch der Mythos über mich überhaupt entstehen konnte.

Ein mittelalterlicher Ritterorden, der 1418 n. Chr. von Kaiser Sigismond gestiftet wurde und für die Verteidigung gegen die, die nicht glaubten an das, was auf den Fahnen geschrieben standen, sorgten für reichlichen Gesprächsstoff.

Der Fürst Vlad Tepes Draculea, war Mitglied dieses historischen Vereins. Ich traf diesen Fürsten an, der sich so nannte, wie ich, rückwärts ausgesprochen. Aber darauf kam keiner. Schnell merkte ich, das Vlad einem Wahn verfiel, als er die Frau seines Lebens im Krieg gegen die Türken verloren hatte. Er dachte damals, er könnte so werden wie ich - weil ich in einer meiner Schwäche des Moments, ihm mein Dasein erzählte und es ihm auch vorführte, was ich war, war er nur noch Feuer und Flamme für mich. Er wollte alles über mich erfahren und bildete sich ein, wenn er das Blut nur von Jungfrauen trinken würde, würde er so unsterblich werden wie ich ...

 

 

Ich schüttele leicht meinen Kopf, als ich an diesen Mann zurückdenke. Wäre ich ein Mensch, so hätte ich Gänsehaut.

 

 

Ich sah damals den Wahnsinn seiner Taten mit gemischten Gefühlen entgegen, und musste handeln. Er war so geisteskrank geworden, dass ich ihn in einem Rausch an Blutdurst, töten musste. Ich wollte nicht dieses Abkommen, das ich ihn verwandeln sollte, einhalten. Zudem wusste ich nicht wirklich, wie so etwas gehen sollte.

So sah ich schließlich in Vlads sterbenden Blick, die eines gebrochenen und vom Wahnsinn befallenen Mannes.

Ab dem Zeitpunkt wusste er seinen Tod und dass ich ihn nicht umwandeln würde. Er verfluchte mich mit seinen letzten Worten, bevor er endgültig starb ...

 

 

Laut Büchern würde es reichen nur von meinem Blut zu trinken, während ich ihres aussauge. Wie kommt man denn auf so etwas?

 

 

... Ich verließ Transsilvanien und beschloss alles hinter mir zu lassen, um neu anzufangen. Der Mythos eines Blutsaugers aber wuchs in den Köpfen der Menschen weiterhin an und paradoxerweise wurde Vlad Draculea, an meiner Stelle zu einem, obwohl er tot war und ich seinen Leichnam vernichtete, begannen die Menschen an ihn zu glauben und fürchten. Seine Taten wurden in der ganzen Welt verbreitet.

400 Jahre später freundete ich mich nochmals einen Menschen, einem älteren Mann an, den ich zufällig getroffen hatte. Es war eine schwere Zeit und er war ausgehungert, als er an meiner Türe klopfte. Die warmen freundlichen Augen erfassten mich sofort. Er erkannte gleich, dass ich kein Mensch war, und daher war er für mich sehr interessant geworden. Mich haben die Bücher selbst so vereinnahmt um meine Person, dass ich diesen Mann nicht gehen lassen wollte. Das Blut, das ich ihm gab, brachte ihn schließlich um. Er starb qualvoll und ich weinte zum ersten Mal seit ich hier war bittere Tränen und der Mythos Dracula, lebte weiterhin nur durch meine Anwesenheit. Ich war verdammt für alle Ewigkeit …

 

 

Ich schreite die Stufen meines Hauses hoch und öffne die Klappe. Es ist jetzt sechs Uhr abends und die Sonne geht unter. Tief atme ich ein, obwohl ich das nicht müsste, ist es zu einer meiner menschlichen Eigenschaften geworden. Zu atmen. Die Luft riecht süßlich, ich rieche Leben, bekomme Durst. Aber noch ist die Sonne da und ich versinke in meine Gedanken.

 

 

Zurück zu meiner Verwundbarkeit. Ich kann nicht das Tageslicht betreten, da fängt meine Haut an zu jucken und ich bekomme schon nach kurzer Zeit Verbrennungen 1- 3 Grades, weil ich so was, wie einige der seltenen Menschen das auch haben, die Sonnenkrankheit, die sich laut den Forschern und Ärzten, Xeroderma pigmentosum nennt. Nur geht der Verfall meiner Haut wesentlich schneller vonstatten. Mir fehlt anscheinend wie bei diesen Menschen auch der Eiweißstoff. Nur kann ich den nicht einfach zu mir nehmen oder spritzen. Ich habe es mal versucht, aber mein Körper schied es wenige Sekunden später über meine Haut wieder aus. Kein schöner Anblick, auch normale Ernährung ist immer bei mir der gleiche Effekt.

 

 

Das erzählte ich meinen Nachbarn, denn manche waren misstrauisch … im Laufe der postmodernen Zeit. Die, die ich nicht überzeugen konnte, musste ich bezirzen … Eine Spezialität. So schaffte ich größten Teils meine Existenz geschickt vor den Augen der Menschen zu verbergen. Ich hielt mich auch von den Menschen ziemlich fern …

 

 

Zurück zu meiner Ernährung. Wie ernähre ich mich denn? Genau. Ich trinke Blut, was man sich bis jetzt auch denken kann. Aber ich trinke zusätzlich keinen roten Wein, der angeblich blutbildend sein soll. Ist er für Menschen schon, aber für mich ist er nur ein herber Traubensaft, der mit Alkohol versehen ist und somit als Ernährung der Menschen gilt. Auch das scheide ich über die Poren der Haut wieder aus. Was für ein Schwachsinn hat sich die Menschheit ausgedacht, ich würde Wein als Blutersatz trinken können und ich glaubte zum Teil diesen Geschichten in Büchern, die von angeblichen Experten verfasst wurden.

 

Ein Löwe trinkt ja auch keinen Tee, sondern Wasser. Knoblauch oder die ganzen Überreste des menschlichen Glaubens, ist alles Aberglaube und von Menschen selbst erfunden worden. Mir wird immer noch ganz schlecht davon, wenn ich die Filme sehe oder wie über uns geschrieben wird. Über mich. Ein uns habe ich ja nicht erlebt. Es macht mich traurig. Klar bin ich anders. Sie sind schon nah an der Wahrheit dran, darum gebe ich die Hoffnung nicht auf, auf jemanden zu treffen, wie ich es einer bin.

 

Blut ist also meine Nahrungsquelle. Der Unterschied ist, ich kann jedes Blut trinken. Von jedem Säuger der Erde, der rotes Blut in sich trägt. Also keine Insekten, oder Fischblut. Ich meine, ich habe es noch nicht probiert. Das war mir dann doch zu widerlich. Manche Menschen essen auch keine Schnecken. Oder andere hingegen mögen keine Schlangen. So geht’s mir auf jeden Fall. Obwohl ich nicht verwöhnt bin, trinke ich fast jedes Blut. Aber ich muss gestehen, das Menschenblut das Königsblut unter den Tieren ist. Ich sehe die Menschen auch als Tiere an. Sind sie ja auch für mich in meiner Nahrungskette.

 

Ich lecke über meine Lippen und erinnere mich, wie es zu dem Glauben gekommen ist.

 

 

Ich hatte den Glauben der Majas, den Glauben der Christen, egal was für ein Glauben miterlebt. Ich war dabei und hatte es erlebt. Das Komische daran war, mir war dieser Jesus noch nie begegnet, und ich war zu dem Zeitpunkt in Nazareth. Komisch war daran, dass sie Moses angehimmelt hatten. Da musste wohl was ganz Entscheidendes an mir vorbeigegangen sein. Aber eines stimmte an der Geschichte, und zwar war es die Geschichte um die Römer. Sie waren noch grausamer als in den Büchern geschildert wurden. Vielleicht entstand deswegen dieses Christentum, das sich im Prinzip im Laufe der Zeit teilte und in vielen Richtungen sich verstreute. Die Menschen blieben seit Gedenken religiös und ich war fasziniert, wie viele Unterschiede sie doch machten. Aber eines waren sich alle einig. Der Schöpfer. An den glaubte ich auch, woher sonst wäre ich hier. Ich frage mich immer nach dem, warum das so war und wer mein Schöpfer tatsächlich war …

 

 

Werde ich sterben können, wenn ich es lange genug im Sonnenlicht aushalte? Eine Garantie ist es für mich nicht. Ich erinnere mich zurück.

 

 

Ich hatte meinen Mut zusammengenommen, es ist aber schon 1000 von Jahren her und wollte mir den Sonnenaufgang anschauen, nachdem mein Verlangen so groß wurde und ich es einfach nicht mehr ausgehalten hatte, und öffnete meine Luke, in der ich mich versteckt hielt. Die Sonne, das Tageslicht blendete mich und ich sah im ersten Moment nur Licht, sonst gar nichts. Zu Anfang konnte ich mich noch normal bewegen, aber alsbald setzten die Schmerzen ein. Meine Augen tränten und mir lief das Blut nur so herunter. Als die Schmerzen auf meiner Haut zu unerträglich für mich wurden, versteckte ich mich im Dunkeln, in dem ich mich in die Erde eingegraben hatte …

 

 

Das Erdreich schützt einen immer noch vor den UV-Strahlen, denke ich.

 

 

Ich kam mir damals so vor, wie in einem Vulkan, die Lava spuckte.

Ich war diese Lava, so heiß fühlte ich mich an. Meine Haut war schwarz, fast verkohlt, darunter pulsierte das rohe Fleisch und mein Blut - das dampfte. Das war kein Sonnenbrand, wie ich es in Romanen gelesen oder im Fernsehen gesehen hatte. Das kam schon einem verbrannten Menschen gleich. Meine Wunden allerdings, verheilten noch am selben Tage …

 

 

Was wäre, wenn ich gar nicht sterben kann? Es macht mir irgendwie Angst. Ich bin schon so alt, aber nochmals 4000 Jahre alleine zu verbringen, das möchte ich auch nicht. Ich will das auch nicht mehr denn die Zukunft, ich sehe sie mit einigen gemischten Gefühlen.

 

 

Ich zählte nur die Jahrhunderte. Die Jahre oder Tage - schon gar nicht die Stunden. Sie waren nicht von Bedeutung. Wie langweilig. Mein Leben war langweilig und ich kümmerte mich auch nicht um Kriege, nur um die vielen Umzüge, da ich nie alterte, wollte ich auch nicht ins Gespräch kommen. Ich kannte bis jetzt jeden Teil, jeder Fleck auf der Erde war mir vertraut und kannte sie in - und auswendig. Zurzeit aber lebte ich wieder in meinem geliebten London …

 

 

London, 21. Jahrhundert … Die heutige Zeit.

 

Es ist nass, es ist kalt und es ist wunderschön dunkel.

 

 

 

 

~1~

 

 

Der Herbst ist eines meiner liebsten Jahreszeit. Besonders der November, da die Sonne schnell untergeht. Die Nächte kommen mir länger vor. Das ist so wunderschön für mich und schlecht für die Personen, die in dieser Zeit an Depressionen leiden. Einige davon, nicht alle. Damit meine ich die, die meinen, sie müssten mich nachahmen. Was für Freaks.

Ich schüttle angewidert den Kopf. Noch bei keinem bin ich auf diese Masche hereingefallen. Niemand kann mich täuschen. Ich erinnere mich an ein gutes Beispiel vor langer Zeit.

 

 

Ich war gerade in Venedig. Venedig, die Stadt der Liebe. Was für ein Schwachsinn! Auch sprachen sie dort nicht das übliche Italienisch, sondern venezianisch. Eine Abwandlung davon. Die Gondeln wirkten auf mich düster, die Häuser menschenleer. Ich hatte mich dort satt trinken können an den Obdachlosen, dem Gesindel dieser Stadt. Venedig hatte für mich nicht dieses Flair. Daher verweilte ich nicht lange dort. Vielleicht ein paar Jahrhunderte. Und da gab es einen, der hatte zu mir gesagt, er wäre doch tatsächlich ein waschechter Vampir. Ich grinste zu diesem Zeitpunkt, denn ich roch sein Blut und sein Herzschlag schlug lauter als, die Kirche von Venedig, die Santa Maria Gloriosa dei Frari. Er zeigte mir sein Plastikgebiss. Wie erbärmlich hatte ich mir noch gedacht. Ich umnebelte sofort seine Sinne mit meinem hypnotischen Blick und dann trank ich von seinem völlig mit Rauschgiftmittel durchsetztes Blut. Mir war das gleich, es schmeckte nur ein wenig anders. Denn ich war nicht wählerisch, wenn es darum ging, mich zu ernähren.

 

Wer bist du, und vor allem was bist du?“, hatte er leise gefragt und ich hörte dabei seinen wimmernden Ton der Angst heraus, als ich ihn aus seiner Trance erlöst hatte. Ich wollte, dass er sich an mich erinnerte, darum wusste er noch alles.

Ich bin das, was du gerne wärst, dass was du vorgibst zu sein.“ Hatte ich ihm grinsend geantwortet, während sein Blut mir warm und süß an meine Kinnpartie herunterlief. Es war noch nicht geronnen und der Duft davon benebelte meine Sinne. Ich hatte es mit meinen Fingern geschickt aufgefangen und leckte die Kuppen anschließend sauber, während er mit weit aufgerissenen Augen diese Prozedur von mir ungläubig mitverfolgt hatte. Fürsorglich, wie ich war, hatte ich vorher seine Wunden mit meinem blutigen Speichel verschlossen, die nach wenigen Minuten nur noch ein wenig von seinem eigenen Blut verschmiert zu sehen war. Aber keine Bissspuren waren mehr zu sehen, denn blöd war ich nicht.

 

Daran sterben würde er nicht, dazu hatte ich zu wenig Blut von ihm getrunken. Aber ich hatte ihn geschwächt. Deutlich geschwächt. Er war verängstigt wie ein scheues Reh. Irgendwie gefiel mir das, denn ich hasste es, wenn man versuchte mich nachzumachen. Doch wäre ich so froh gewesen, wenn ich einen meiner Art wirklich angetroffen hätte.

 

Ich hatte ihn danach auf dem Boden liegend zurückgelassen. Denn kein Mensch würde ihm auch nur ansatzweise Glauben schenken, wenn er jetzt nach Hilfe rufen würde. Wer glaubte schon an einen durchgeknallten Junkie? Denn dieser Ruf, den hatte er sich selbst zuzuschreiben, oder wenn er diese Geschichte irgendjemanden erzählen würde.

 

Nie mehr wieder sah ich diesen Typen in dieser Gegend und schließlich zog gelangweilt wieder nach London zurück …

 

 

Wie liebe ich doch diese feuchte und kalte Luft Londons. Der viele Regen, der die Luft immer etwas feucht hält. Die Tropfen, die ich regelrecht auf mir spüren kann, auch wenn es gerade mal trocken ist. London ist daher besonders für mich geeignet. Obwohl es in Norwegen auch nicht schlecht ist.

Nur der Süden, der ständig warm ist und ich die Sonne bis weit nach Untergang riechen kann, mag ich nicht. Da schmeckt die Luft für mich nach Tod.

Die Antarktis, mmh, ja, da bin ich auch mal gewesen. Aber die Nahrungsquellen dort sind sehr begrenzt und ich bin doch etwas bequem geworden, muss ich zugeben.

Außerdem habe ich bereits erwähnt, ich mag keinen Fisch.

 

Ich ziehe mich an. Das Übliche. Ein schwarzes Hemd. Eine schwarze Hose. Einen dunklen Mantel und zuletzt - Stiefel. Schwarze Stiefel mit Silbernieten. Ein leichtes Grinsen kommt über meine Lippen. Warum ich mich so anziehe? Das liegt an den Büchern, die über mich geschrieben werden, oder über diesen legendären Vlad, den ich getötet hatte? Die Menschen mögen dunkle Gestalten und ich mag es auch. Irgendwie. Ich öffne die Türe, den Regen habe ich schon gerochen, die Kälte ebenfalls. So verlasse ich meine Wohnung, mein Haus besser gesagt und atme die feuchte Luft tief in mich ein, sauge sie auf wie ein Schwamm.

 

 

 

Die Welt hatte sich in den viertausend Jahren meines Daseins verändert. Und das neue Zeitalter, in dem man alles anziehen durfte, spielte für mich eine entscheidende Rolle. Ich liebte die Entwicklung, die auch ich durchmachen musste. Ich war einerseits froh, dass ich so lange lebte, dass ich das alles nicht wie aus Geschichtsbüchern erleben durfte …

 

 

Ich verknote beiden Enden meines Gürtels den schwarzen Mantel. Dann streiche ich anschließend über den feinen Stoff und brumme zufrieden. Eine menschliche Eigenschaft, die ich wirklich gerne mache. Gerne befühle ich die Stoffe aus Baumwolle, Acryl und ein Hauch von Seide zwischen den Fingern. Anschließend lasse ich die Regentropfen auf mein Gesicht prasseln, als ich meinen Blick in den Himmel richte.

 

Dabei muss ich mich immer beherrschen nicht meine Schnelligkeit hier einzusetzen und zusätzlich in die Nacht hinaus zuschreien. Ich will nicht auffallen, denn das würde ich, wenn ich in dem Wohnviertel meine Fähigkeit einsetzen würde.

 

Der Regen, er lässt meine Haare nass werden und sie glänzen in der Dunkelheit dadurch nur noch mehr. Es macht mir nichts aus, nass zu werden. Im Gegenteil. Ich liebe die Feuchtigkeit. Ich liebe die Kälte. Und ich liebe das Geräusch, das der Regen macht, wenn er auf den Asphalt fällt, oder auf den Blättern niederprasselt.

 

Aber schon nach kurzer Zeit hört es wieder zu regnen auf. Als ob der Regen meine Gedanken lesen kann. Wie eigenartig, denke ich immer wieder für mich. Wenn ich doch nur das Wetter beeinflussen könnte! So seufze ich und schaue auf den feuchten Bürgersteig unter meinen Füßen. Die kleinen Wasserpfützen, die sich gebildet haben und die jetzt ins Erdreich zwischen den asphaltierten Betonplatten versickern.

 

 

Damals als ich das erste Mal meine Augen öffnete, lag ich tief unter der Erde eingegraben. Wie ich dort hingekommen war, wusste ich bis heute nicht. Es war einfach so. Ich lernte, wie ich an die Oberfläche kam und spürte eine immense Kraft in mir, versuchte sofort all meine Fähigkeiten zu erkunden und auszuprobieren. So lernte ich auch in rasender Geschwindigkeit das Fliegen sowie das Hypnotisieren und das wichtigste an sich, das Jagen. Lernte aber auch unter den Sterblichen nicht aufzufallen. Die Mayas waren ein sehr schlaues Volk und einige waren immer kurz davor gewesen mein Geheimnis zu lüften. Aber immer wieder konnte ich geschickt mich herauswinden. Meine Haare wurden unter anderem bewundert, weil sie immer gleich aussahen, immer gepflegt und von einem schimmernden Glanz. Besonders von weiblicher Seite her wurde ich darüber ausgefragt, Frauen eben…

 

 

Ich habe für einen Vampir, ziemlich dicke, lange und schwarze Haare, die mir fließend und glatt bis weit über den Rücken reichen. Im Fernsehen würde man mich mit einem schwarzen Elb vergleichen, nur dass ich keine spitzen Ohren habe. Die Fantasie der Menschen setzen keine Grenzen und ich muss schmunzeln, wenn ich an all die Fantasien denke, die in den Köpfen entstehen.

 

 

Anfänglich passte ich die Frisur der jeweiligen Mode an, aber bald war mir das zu mühselig sie dauernd schneiden zu müssen, da sie über Tag immer wieder nachwuchsen. Ich ließ es irgendwann wieder ganz bleiben, da der Aufwand mir zu groß wurde…

 

 

Jetzt denkt jeder, ich wäre übernatürlich groß. Vielleicht auch noch Furcht einflößend, wie es in den meisten Filmen geschildert wird. Oder hocherotisch.

Ich lächle.

Ein normales Lächeln, denn meine Fangzähne habe ich noch nicht ausgefahren.

 

Nein, so komme ich gewiss bei den Menschen nicht rüber! Sie fürchten sich nicht, wenn sie mich sehen.

 

Ich sehe fast normal aus, das behaupte ich einfach mal. Mit meinen 1.88 bin ich etwas größer als die meisten Männer, aber nicht auffällig groß. Ich wirke optisch größer, da ich sehr schlank bin. Denn mein Vampirdasein und die mit sich bringende Nahrungsaufnahme verschafft mir kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen. Es sei denn, ich ernähre mich nicht sofort. Vergesse Mahlzeiten, dann trockne ich aus, wirke dadurch älter. Mehr nicht. Ich muss auch niemals auf die Toilette. Ich könnte jederzeit, wenn ich es will, aber dann würde ich ja von meinem kostbaren Blut was abgeben müssen. Das muss nun wirklich nicht sein.

 

Was mich von den Menschen äußerlich unterscheidet, das sind meine sehr dunklen Augen, die noch dunkler wirken, wenn ich durstig werde. Sie werden dann schwarz und das Weiße außen herum verschwindet gänzlich. Darum verstecke ich sie meistens hinter einer Sonnenbrille. Und meine bleiche Haut, als Kontrast, unterstreicht meine Unnatürlichkeit immens. Aber das erkläre ich immer denen, wenn ich darauf angesprochen werde, was sehr häufig geschieht, dass ich auf Sonnenlicht allergisch reagiere. Es stimmt in gewisser Weise ja auch, da lüge ich sie nie an.

 

 

Damals verschleierte ich meine Augen mit einem blicksichtigen milchigen Tuch oder ich trank mich so satt, dass man es auch für ein sehr dunkles Braun der Iris durchgehen lassen konnte. Und irgendwann gab es ja diese Brillen, welch eine gute Erfindung….

 

 

Sexuelle Triebe, ja die habe ich, nur noch keinen gefunden, mit dem ich sie teilen möchte. Kein Gefährte. Ich verscheuche die Gedanken, denn da werde ich schwermütig.

Zurück zu Menschen.

Wie sie duften.

Heute würde ich jagen gehen! Ich brauche die hochmythische Lebenskraft des Lebenselixiers der Menschen. Wenn mir ein Humanoid heute über den Weg laufen würde, ich würde nicht Nein sagen. Oh nein, das würde ich garantiert nicht machen.

 

Ich schnuppere derweilen die Luft und rieche alles, was mein Hunger stillen könnte, während ich mein Haus hinter mich lasse. Eichhörnchen, Hunde, Katzen, Mäuse oder Ratten … und Menschen. Ja, Menschen riechen einfach einen Tick aromatischer - süßlicher. Mein verschärfter Sinn entgeht so gut wie nichts.

 

Unweit von meinem Haus entfernt ist ein Park.

 

Der Weaver’s Field Park. Ein öffentlicher und für jedermann zugänglicher Park. Einsam und ein wenig verlassen liegt er in einer Gegend, in der nebenan frisch ein Friedhof angelegt wird. Sehr zu meinem Leidwesen.

Ich mag keine Friedhöfe, denn sie bedeuten Tod und Verderben. Die Erde riecht auf Friedhöfen schlecht. Nach Verwesung. Modrig. Ich meide ihn, wie ich nur kann. Die Erde dort mag ich nicht. Angewidert schüttle ich den Kopf.

 

So konzentriere ich mich wieder auf den Park, den ich mittlerweile erreicht habe. Ich durchschreite ihn.

 

Die Bäume duften nach der urigen Natur und der Regen bis gerade eben, hat das Aroma der Blätter noch mehr entfaltet. Ein leichter Nebel legt sich darüber, da der Boden wärmer ist als die Luft.

 

Mein scharfer Verstand nimmt alles Drumherum wahr. Meine Augen streifen den Weg vor mir und ich entdecke die Anwesenheit zweier Personen, da ich auch weit in die Ferne sehen kann. Da ich aber keine Brille aufgesetzt habe, verstecke ich mich hinter einen Baum. Einem dicken Baum mit kraftvollen Ästen, die weit nach unten hängen.

 

Ein Mann und eine Frau, ein Pärchen eben, noch sehr jung, gehen knutschend und sich an den Händen haltend, an mir vorbei. Sie haben mich weder bemerkt noch hätten sie mich sehen können, selbst wenn ich mich nicht versteckt hätte. Sie sind nur auf sich fixiert gewesen.

 

Mein Inneres zieht sich zusammen, da mir die Einsamkeit wieder schmerzlich bewusst wird.

 

Die Liebe muss was Schönes sein, denke ich und werde wieder traurig. Alles in mir widerstrebt es die beiden anzufallen, trotz meines Hungers.

Dieses Pärchen will ich nicht jagen. Ich unterdrücke daher meinen Durst.

 

Was ist nur das Besondere am Küssen oder an der Vereinigung?

 

Zu welchem Geschlecht fühle ich mich eigentlich hingezogen? Mich reizt überhaupt nicht eine Frau, zu küssen. Hat es noch nie. Selbst wenn ich den Frauen in den Hals gebissen hatte, ist mir nie in den Sinn gekommen, sie küssen zu wollen, obwohl ich durchaus, durch meine Hypnose, Chancen gehabt hätte.

 

Ein Mann?

 

Ja, ich kann es mir schon gut vorstellen einen Mann zu küssen, aber ich beiße so gut wie nie Männer und wenn, dann sind es meistens Alkoholiker oder Obdachlose. Randgänger eben, die von der Außenwelt gemieden werden, sind meine bevorzugten Opfer. Ist es die Angst mich zu verlieben? Der Gedanke keimt immer des Öfteren in mir auf.

 

Schon möglich.

 

Ich kann mich nicht in einen gewöhnlichen Menschen verlieben, den sie leben wie Eintagsfliegen. Würde ich, wie bei diesem Mann den ich verwandeln wollte, mich wieder anfreunden, dann wäre der Schmerz zu groß für mich. Aber ich denke, ich bin homosexuell, wenn das Wort überhaupt zu meinem Wesen passt.

 

Meine Hände krallen sich in die kühle Rinde vom Baum und ich erinnere mich zurück an meine eigenen Gelüste.

 

 

Ich sah mir vor Jahren einen Erotikfilm an, weil ich auch mal die Lust der Menschen verspüren wollte. Mir gefiel dabei immer der Mann auf den Videos, nie die Frau dabei.

Bars, Discotheken oder gar das Rotlichtmilieu mied ich immer, es sei denn, ich hatte Hunger. Also beschloss ich mir einen Film, in dieser Kategorie, nur über Männern auszuleihen. In meinen eigenen vier Wänden fühlte ich mich nicht beobachtet. Das gefiel mir wesentlich besser. Ich stellte mir vor, es wären Männer, die so wie ich waren, und wir uns gegenseitig beißen würden, das Blut des Anderen tranken.

Ich hatte mir es bequem gemacht und extra eine Couch dafür kommen lassen. Das Geld verdiente ich durch meine Antiquitätensammlung, die mir immerhin ein immenses Vermögen einbrachten. Normalerweise müsste ich in gehobeneren Kreisen existieren, aber ich löschte in den Gehirnen dieser Menschen immer die Gedanken an meine Existenz und deren Reichtum.

So schaute ich auf dem neuen Sofa, in dem ich schließlich unbekleidet lag, das Video von einigen Männern an. Schnell bekam ich dadurch eine Erektion und noch schneller einen Höhepunkt. Ich bekam meinen Orgasmus, als ich mir den Traummann vorgestellt hatte, wie er mich mit seinem Duft betörte. Wie er aussah? Das wusste ich sofort. Er hatte helleres Haar fast blond. Und die gleichen Augen.

Von dieser Vorstellung war meine Handinnenfläche blutig geworden, denn ich hatte kein richtiges Sperma, wie es bei den normal Sterblichen war, oder zumindest war es blutiges Sperma von mir. Denn es schmeckte doch ein wenig anders, als ich mich selbst probiert hatte. Diese Eigenschaft hatte ich mir auch von dem Video abgekupfert. Ich konnte seitdem keine Videos mehr schauen, denn der Gedanke für immer alleine sein zu müssen überwog die Gelüste auch mal mich zu verlieben bei Weitem …

 

 

Ich rieche wieder den Park und die Bewohner darin. Mein Hunger wird größer. So entschließe ich erst einmal mich auf kleinere Tiere, zu konzentrieren. Ein Eichhörnchen unweit von hier in einem Baum versteckt, wird wohl meine erste Mahlzeit werden.

 

Ich könnte aber auch nicht weit von hier in den Zoo gehen. Aber das würde wiederum auffallen, wenn die Tiere dort plötzlich eins nach dem anderen meinem Blutdurst zum Opfer fallen würden. Ich müsste den größeren Tieren das Blut anzapfen. Denn bei den kleineren Lebewesen, die überleben meine Blutgier meistens nicht. Darum verwerfe ich den Gedanken gleich wieder, denn das hatte ich in der Vergangenheit einmal getan. Zudem sind die größeren Tiere schwerer zu bändigen.

 

So versuche ich mich schließlich auf den Geruch eines Eichhörnchens, zu konzentrieren … Da vernehme ich auf einmal ein anderer Duft. Ein Duft, der mich regelrecht umhaut.

 

Süßlich und träge wie eine Parfümwolke liegt sie in der Luft und ich schließe dabei die Augen, um diesen Geruch noch mehr in mich aufzunehmen. Und bevor ich überhaupt rational denken kann, werde ich schon angesprochen. Ich selbst habe nicht bemerkt, dass ich anscheinend aus meinem Versteck hervorgetreten war, und bin demnach selbst irritiert über mich. Wie ein Schleier nehme ich all das wahr. Dieser Duft, wie aus meinen erotischen Fantasien, denke ich.

 

Der Duft umnebelt weiterhin meine Sinne, dringt bis tief in mein Bewusstsein vor. Ich schlage demnach mit leichtem Widerwillen und zudem schwer meine Augen auf. Meine Fangzähne beginnen zu wachsen, mein Blutdurst wird zur Qual.

 

„Hallo“, kommt es klangvoll melodisch, männlich und unheimlich anziehend von dieser Person mit solcher Stimme. Der Mann vor mir starrt mich nun ziemlich verwundert an, als ich meine Zähne blecke. Ich will von diesem Menschen so sehr das Blut kosten und bemerke zu spät, dass ich mich vor ihm geoutet habe - geoutet als kaltes Wesen, das ich nun mal bin.

 

 

~2 ~

 

 

Meine Augen blicken ihn an, die garantiert so schwarz waren, als die Nacht selbst hätte sein können. Intensiv in seiner ganzen Pracht. Mit einem durchdringenden Blick die eines Jägers, schaue ich ihn an. Die Jagdinstinkte sind bei mir vollständig entfaltet und nur auf ihn fokussiert. Er weicht mir keinen Schritt aus. Hält den Blick stand und duelliert sich fast mit meinem.

Kann das sein?, denke ich innerhalb einer Sekunde. Ein Mensch kann doch nicht solch einen Blick haben, frage ich mich irritiert weiter und bekomme ein seltsames Gefühl dabei.

„Geh einfach weiter, du hast nichts gesehen“, knurre ich beinahe wütend und versuche meine Zähne vor ihm zu verbergen in dem ich meinen Mund nur noch einen Spalt weit öffne. Die Oberlippe spannt sich darüber und hinterlasse garantiert ein seltsames Erscheinungsbild.

Eigentlich will ich nicht, dass er geht.

Fremde Gefühle kommen zum Vorschein.

Was geschieht da mit mir?

Er sagt nichts, ist weiterhin stumm, als ob er mich gar nicht gehört hat. Er steht fast wie eine Statur vor mir. Unbeweglich, wie aus Stein gemeißelt. Ungewöhnlich, denke ich. Er weiß doch, dass ich kein Mensch bin. Bezirzt habe ich ihn auch nicht und ich frage mich, warum ich es nicht getan habe, oder solange damit zögere? Entweder muss er sich fürchten oder aber wirke ich für ihn betörend. Tausende Fragen muss er doch mir stellen. Warum ich hier bin, existiere, und so weiter?

Warum überhaupt meine Existenz?, grüble ich wieder nach und diese Gedanken kommen immer öfter.

Was bin ich wirklich?

Warum gibt es mich?

Stimmen die Bücher doch?

Bin ich doch kein Mythos?

Fast bin ich geneigt mich darüber zu amüsieren, weil ich selbst darauf keine Antwort für ihn hätte, wenn er jetzt mich fragen würde. Ich weiß es einfach nicht, was ich wirklich bin. Das ist die reine Wahrheit.

Ich weiß nur, ich muss für ihn die reine Schönheit sein, weil ich es ihm so glauben machen will. Und weil ich für ihn schön wirken will. Dennoch fange ich jetzt an, meine Hypnose bei ihm einzusetzen. Ich möchte dann doch nichts riskieren, nicht nach so vielen Tausenden von Jahren weiter entdeckt zu werden. Meine Augen suchen die Seinigen und versuchen tief in sein Inneres vorzudringen. Versuche seine Seele irgendwie einzufangen. Sie zu halten und zu zwingen nur mich in sich zu spüren und zu fühlen. Meine Macht als einzige Präsent an sich zu dominieren.

Es klappt nicht, ich spüre dies.

Aber warum?

Seltsam, ich werde doch vor einem Menschen nicht schwach werden? Warum fühle ich mich selbst so benommen?

Ich versuche ihn weiterhin zu hypnotisieren, aber es gelingt mir nicht, ich merke es an seiner Haltung mir gegenüber, begreife nicht diese Tragweite, was hier geschieht.

Ich kann mich kaum noch zurückhalten, es fällt mir schwer, ihn weiter anzuschauen, ohne über ihn herzufallen …

Der Duft, der von ihm kommt, wird intensiver – betörender. Meine Hände sind verkrampft, ich versuche mich gegen meine stark aufkommenden Gefühle zu wehren, die so ganz anders sind, als was ich bisher gefühlt habe.

Habe ich jemals so gefühlt? Ich fühle mich so lebendig, das macht mir wiederum Angst.

Schnell schaue ich weg, versuche nicht mehr meine Gedanken nur noch auf diesen Mann zu fokussieren. Versuche ihn mit allen Mitteln zu ignorieren. Es gelingt mir nicht, denn ich will so sehr von ihm kosten.

Mein Widerstand ihn zu ignorieren schwindet beängstigend, schlägt schließlich fehl, und bevor ich überhaupt begreife, was ich tue, habe ich ihn schon gepackt. Schnell umschlingen meine Arme seinen Körper, halte ihn wie in einer eisernen Umklammerung fest, aus der er sich nicht mehr befreien kann oder könnte.

Seltsamerweise kommt kein Widerstand.

Die Hitze, die dabei von ihm ausgeht, überträgt sich sofort auf mich.

Er ist schön warm, denke ich ganz kurz und selbst über mich fasziniert.

Warum macht mir die Wärme bei ihm nichts aus?

Ich hasse die Wärme doch und alles, was damit zusammenhängt?

Ich rieche förmlich das Tageslicht auf seiner Haut.

Mein Durst wird in der Zwischenzeit schier zur Qual.

Ich habe so Durst, ich will ihn.

Ich will ihn haben, und zwar sofort.

Kaum das der Gedanken zu Ende gedacht wird, schwinge ich mich mit ihm in die Lüfte.

Fast tut es mir leid, dass ich das mache. Es ist mir noch nie passiert, dass ich einen Menschen mit in die Luft genommen habe. Noch nie!

Er versucht sich immer noch nicht zu wehren, denke ich wieder äußerst erstaunt und finde den Menschen immer seltsamer. Doch hat er einen gewissen Reiz, den ich selbst nicht zu beschreiben vermag, so sehr bin ich von ihm fasziniert.

Seltsam, er spricht immer noch kein Wort, sondern schaut mich einfach weiterhin nur an. Mir wird so anders zumute. Es kribbelt alles in mir und auf mir, setzt elektrische Impulse frei, als er mir dabei tief in die Augen sehen will. Ich spüre wie er versucht in mein Inneres hervor zu dringen. Ich lasse es, während ich, mit ihm im Arm, durch die Luft fliege, nicht zu. Schnell schaue ich daher weg und das seltsame Kribbeln verschwindet dann ebenso schnell, wie es gekommen ist.

Trotz seiner schlanken Gestalt wiegt er nicht wenig, denke ich auch da leicht verwundert. Daher verstärke ich den Druck um ihn. Auch wenn ich keine Probleme habe ihn weiterhin festzuhalten, staune ich darüber. Kann ein Mensch so viel wiegen?

Wieder rieche ich ihn, höre aber sein Blut nicht rauschen. Ich kann auf einmal keinen klaren Gedanken mehr fassen, was dazu führt, dass ich mich dadurch kaum noch in der Luft halten kann. Die Konzentration lässt merklich nach. Daher setze ich uns schließlich an einer verlassenen Seitenstraße ab, während der Mann mich in keinster Weise aus den Augen gelassen hat. Ich kann es aus den Augenwinkeln heraus erkennen, da ich ihn die ganze Zeit zwar bewusst nicht zu ihm gesehen habe, aber dennoch aus dem Weitwinkel heraus beobachtet hatte.

Doch da ist irgendetwas Faszinierendes in seinen Augen. Mir wird abermals so seltsam zumute, sodass ich nicht umhin komme, doch wieder in seine Augen zu blicken, als ob sie mich zwingen, dies zu tun.

Es fasziniert und erschreckt mich zugleich und meine Augen verengen sich ein klein wenig, als ich sehe, wie dunkel seine selbst geworden waren. Beinahe wie meine, denke ich und will mich gerade darüber wundern, warum das so ist. Wieder verströmt er einen Duft, bei der man meinen kann, er hält ein Flakon in seiner Hand und sprüht es bewusst in meine Richtung, und zwar direkt in meine Nase.

Ich konzentriere mich wieder auf das Wesentliche, und warum ich ihn eigentlich mitgenommen habe; warum ich jetzt mit ihm in einer Seitengasse stehe und ihn schließlich an irgendeiner Hausmauer dränge? Unbewusst oder bewusst, so genau kann ich das nicht beurteilen. Mein Körper gehorcht mir nicht.

Auch das lässt er wiederum widerstandslos mit sich geschehen. Was mich immer mehr aus der Fassung bringt an diesem seltsamen Mann.

Wenn jetzt ein Mensch vorbeikommen würde ...?, schnell verscheuche ich meine aufkommende Panik darüber.

Mein Verstand ist im Nebel. Es ist mir egal, ich kann nicht anders und denke: Du musst mir gehören. Du gehörst einfach mir.

„Tut mir leid, aber ich kann nicht anders“, sage ich dann einfach zu ihm und probiere gar nicht erst wieder ihn zu hypnotisieren. Denn ich fühle, dass es auch dieses Mal nicht klappen würde, worauf er zum ersten Mal so was wie eine Antwort des Verstehens mir zusendet, in dem er mir zunickt. Eine einfache Gestik und zeigt keinerlei Ängste dabei.
Ich schüttle verwundert dabei den Kopf, die nassen Haare fallen schwer mir über die Schultern nach vorne. Bedecken die Brust.

„Wer bist du, dass du keine Angst vor mir hast?“, frage ich ihn dunkel. Lasse meine Stimme bedrohlich wirken, worauf er noch nicht einmal zusammenzuckt.

Und wieder bekomme ich keine Antwort. Leicht bedaure ich nicht seine Stimme nochmals zu hören, da ich noch genau den Klang von seiner Stimme hören kann. Ich will sie wieder hören, denke ich mit einer Spur des Bedauerns darin.

Da streifen meine Blicke wieder sein Gesicht. Die ungewöhnlich hohen Wangenknochen, und diese vollen Lippen, denke ich, ist so untypisch für Engländer an sich.

Er wird nicht von hier sein, aber südländlich ist er auch nicht?

Ich kann nicht zuordnen, woher er kommen könnte. Ebenso ist er nicht so bleich, wie ich es bin, denke ich traurig. Man sieht, dass er viel Sonnenlicht tankt. Ich rieche wieder förmlich die Sonne auf ihm.

Also ob er meine Gedanken erraten hat. In Intervallen dringen sie in mich ein und betören mich. Die Hitze auf seiner Haut, die er ausstrahlt, kommt mir jetzt noch heißer vor als davor.

Ich zeige ihm jetzt deutlich meine Zähne. Er weicht nicht zurück, sagt nichts dazu. Schaut mich nur an.

Aber ich kann mich nicht richtig auf ihn konzentrieren oder ihn betrachten. Irgendwas hindert mich daran, ihn jetzt mir nochmals näher anzusehen. Wie von einer fremden Macht. Beinahe wie durch eine dichte Nebelwand sehe ich ihn. Daher lasse ich es bleiben und konzentriere mich auf seinen Hals. Genauer gesagt, mein Blick bleibt an jener Ader haften, die mich gleich mit Nahrung versorgen wird. Süß und beinahe pulsierend tritt sie jetzt wie auf Kommando hervor. Innerlich stelle ich mir bereits vor, wie süß er schmecken würde.

Ich reiße mich zusammen, um nicht zu wanken und zeige ihm dabei abermals meine Fangzähne, fauche leicht, versuche auf ihn bedrohlich zu wirken. Zeige ihm unter anderem, was ich gleich mit ihm vorhaben werde. Meine Zähne die nur darauf warten eine Wunde in seiner Haut zu reißen, wie meine spitze Dolche in die eine dicke Ader eindringen und darauf wartet, dass mein Mund sich um diese Wunde schließt. Daran saugt, um den Lebenssaft zu kosten, der wie ein springlebendiger Brunnen in meinen Mund sprudelt. Richtig steuern kann ich meine beiden spitzen Zähne nicht, denn sie sind mit meinem Blutdurst verbunden - sind mein Besteck sozusagen. Wie bei den Menschen die mit Messer und Gabel ihr Essen zu sich nehmen.

Sind seine Augen jetzt noch dunkler geworden?

Ich komme nicht dazu darüber nachzugrübeln, denn mein Hunger wird zur Qual. Daher konzentriere ich mich wieder auf seinen Hals.  Der so schön schimmert und ich nicht freilegen muss, da er keinen Rollkragen trägt. Und durch den kurzen Haarschnitt nicht verdeckt wird. Gut, denke ich gierig.

Ich ziehe ihn galant zu mir in eine Umarmung, und mein Körper wird automatisch von ihm gewärmt. Er ist ein wenig größer als ich, sodass ich mich leicht auf die Zehenspitzen stellen muss, um richtig seinen Hals zu fixieren. Er macht es mir einfach in dem er seinen Kopf neigt und mir freien Zugang gewährt.

Warum tust du das?

Mein Hunger nach seinem Blut kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Mein Blutdurst ist so unerträglich, da stoße ich schon mit meinen Zähnen in seinen erhitzten Hals, reiße ihm eine Wunde auf und das sprudelnde Nass dringt wie ein Wasserfall in meine Kehle. Mein Schluckreflex setzt ein. Ich trinke ein wenig zu hastig und versuche meine Gier zu bremsen. Sein Blut schmeckt so anders, soviel wärmer, aber viel besser als alles was ich je gekostet habe.

Bring ihn nicht um, denke ich neben meinem Hunger nach diesem Blut, das immer mehr sich mit meinem Eigenblut im Körper vermischt. Sein Lebenssaft. Sein Elixier strömt durch meine Adern.
Ich achte jetzt auf den Herzschlag von ihm, denn ich will ihn wirklich nicht großen Schaden zufügen oder gar töten.
Aber was ist das?
Plötzlich lasse ich völlig konfus von ihm ab. Ich nehme meine Hände von ihm und gehe einen Schritt zurück. Aus seiner Wunde sickert noch das dicke rote Blut.
Blut tropft aus meinem Mund, an meinem Kinn entlang und bahnt sich den Weg nach unten. Sein Blut.
Er greift sich an den Hals und lächelt.
„Du hast keinen Herzschlag! Warum hast du keinen…?“ Ich breche den Satz ab, verstehe die Welt nicht mehr. Fassungslos starre ich ihn an und wische mir nebenbei das Blut vom Kinn… „Das ist unmöglich!“, keuche ich beinahe und lasse meine Hände an mir heruntersinken.
„Damit hast du nicht gerechnet, nicht wahr Alucard? So heißt du doch?“, spricht mich der Mann plötzlich mit meinem richtigen Namen an. Seine Augen, die mir sowieso schon die ganze Zeit über aufgefallen sind, sind jetzt so schwarz wie meine geworden. Es besteht kein Zweifel, denn auch das Weiße in ihnen ist gänzlich verschwunden. Warum ist mir das nicht vorher aufgefallen?
Er lächelt mich immer noch an. Aus dem Lächeln wird ein Lachen. Dabei sehe ich jetzt erst seine Zähne und erstarre.
Fangzähne. Die so ähnlich, nein gleich aussehen wie meine. Und doch sieht er nicht wie ich aus, denn er besitzt noch was anderes - Flügel!

Flügel? Verdammt, was ist er?

 

~3 ~

 

 

Ein Dämon etwa, wie man ihn aus mythischen Büchern her kennt?, kommt mir sofort der Gedanke. Die Bücher sind doch von Menschenhand geschrieben und erfunden worden, das kann nicht sein?

Sein Blut rauscht in meinen Adern, erhitzt mich Stück für Stück, lassen mich innerlich fast verglühen. Ich schmecke sein ganz ureigener Geschmack auf der Zunge und will eigentlich mehr davon kosten. Doch wirke ich auch völlig irritiert, als ob ich ein Déjà-vu – Erlebnis habe. Schnell verschwindet das Gefühl jedoch.

 

Habe ich mir das nur eingebildet? Ich muss es mir eingebildet haben. Es macht sonst keinen Sinn, denke ich. Denn ich liebe doch die Kälte und nicht die Hitze, nicht wahr?

 

Doch bei ihm macht es mir nichts aus. Im Gegenteil. Warum ist das so?, frage ich mich. Warum nur? Warum fühle ich so. Diese Fragen kommen wie ein Bumerang ständig auf mich zu. Stürmen auf mich ein. Beherrscht meine Gedankenwelt.

 

Was geschieht hier mit mir? Ich schaue ihn weiter an.

 

Sein Lächeln verschwindet plötzlich. Er schaut ernst, fast gierig zu mir. Fast so, als ob er genauso hungrig ist wie ich.

 

„Was bist du? Ich… Woher weißt du meinen richtigen Namen…Woher…?“, fange ich ihn erstaunt an zu fragen, breche dann aber den letzten angefangenen Satz wieder ab. Schaue ihn abermals verblüfft dabei an, komme aber nicht weiter, da er seine Arme sehr schnell um mich legt, mich an sich zieht und meinen Kopf schließlich zur Seite drückt. Diese geschmeidigen Bewegungen gehen so fließend schnell, wie ich es von meinen Opfern her kenne, wenn ich mich an sie pirsche.

Wie durch Hypnose, lasse ich es geschehen. Ich lasse auch diese Berührungen geschehen. Mit seinen heißen Fingern an mir, meine ich bald schier auf meiner Haut zu verglühen. Meine Haare fallen von ganz alleine nach hinten, nass und schwer. Dennoch legen sie für dieses Wesen den Hals frei. Auch ich habe Venen, wenn auch anders. Dicker, nicht so dünn, wie bei den Sterblichen.

 

Er wird mich beißen, denke ich.

 

Er soll mich beißen. Bitte! Tu es! Ich will, dass du es tust!

 

Ich höre ein Stöhnen über mir, als ob er meine Gedanken gelesen hätte.

 

Unmöglich, alles nur Einbildung. Trotz meines Hungers will ich seine Zähne spüren.

 

Seine andere Hand wandert unablässig an meinem Rücken rauf und runter, streicheln mich, beruhigen mich. Ich lasse es wieder eigenartigerweise über mich ergehen, um Sekunden später schon seine Fangzähne zu spüren, die leicht über meinen Hals kratzen. Sie verharren an der mir allzu bekannten Stelle. Seine Zunge leckt zusätzlich über diese Stelle und hinterlässt ebenfalls bei mir eine heiße Spur.

 

Oh mein Gott, wie ist seine Zunge so wunderbar. Sie versengt mich, lässt mich in Flammen aufgehen. Gefühle wallen auf. Bekannt Gefühle. So alt aber in ihrer Macht, in ihrem Dasein.

 

Und schon, als ich in meinen Gedanken schier aufzugehen scheine, beißt er zu. Ein leichter Schmerz macht sich breit.

 

Schmerzen?

 

Nur wenn ich mich in der Sonne verbrenne, dann fühle ich einen Schmerz. Der hier ist anders. Süßer, verlangender.

Ich habe Schmerzen und wiederum auch nicht. Ein komisch seltsames Gefühl.

Ich kenne diese Empfindung eigentlich nicht wirklich. Dies hier ist so neu und berauschend zugleich für mich. Er fängt an von mir zu trinken, seine Zähne aber, stecken noch in mir, als wolle er die Verbindung nicht abbrechen. Leichte Schluckgeräusche dringen an mein Ohr. Ich beginne wohlig zu seufzen, lasse es weiterhin zu, und werde von einem unbekannten Gefühl übermannt. Es kribbelt in meiner Lendengegend und es schießt ein Gedanke der „Begattung“ in mein Gedächtnis.

 

Seltsam.

 

Was für ein Wort, denke ich.

 

Ich reagiere auf sein Tun mit einem Halbsteifen. Obwohl ich immer noch selbst recht hungrig bin, verhalte ich mich ruhig und genieße dieses Gefühl, das mir sowohl fremd wie auch vertraut zu sein scheint.

Warum ist mir nur dies so vertraut?

Ich umklammere ihn ebenfalls, achte aber darauf nicht mit seinen Flügeln in Berührung zu kommen. Drücke mich an ihn, sodass unsere Stoffe fast eins werden. Ich lege meine Arme fest um seinen Torso. Ganz automatisch.

Es fühlt sich so natürlich an, weil er es auch bei mir macht. Wieder spüre ich seine Hitze, die sein Körper ausstrahlt und mich in eine fühlbare Wärme umhüllt. Er hat wie ich, keinen Atem und doch spüre ich, wie er meine Haut zum Glühen bringt. Genau an diesen Stellen, wo er ganz nahe ist. Ich spüre so viel. Emotionen kommen in mir hoch, überspülen mich. Sie fangen mich ein.

Die Nähe.

Seine Lippen, die heiß an meinem Hals sind und mich beinahe verbrennen.

Die spitze Fangzähne, die sich hineingebohrt haben und die jetzt wieder von mir ablassen, um nur noch mit den Lippen leicht an der Öffnung zu saugen. Die Zunge leckt zusätzlich das überschüssige Blut von meinem Hals.

Was für ein Gefühl.

Berauschen und trunken davon entweicht mir ein kleines harmloses Seufzen.

Ich spüre eine Lebendigkeit in mir und ich kann es selbst nicht ganz glauben, denn noch etwas anderes kann ich empfinden. Freude!

Seit meiner Existenz habe ich das niemals in dieser Intensivität erlebt wie in diesem Augenblick, in dieser Sekunde.

 

Es ist wundervoll.

Leider währt dieses Gefühl nicht lange. Denn schon schließt sich die Wunde an meinem Hals. Ich vernehme ein Leises, wenn mich meine Sinne nicht im Stich lassen, enttäuschtes Knurren, das aus seiner Kehle kommt und zwischen seinen schönen geschwungenen Lippen entweicht.

Irgendwie fühle ich, er hätte gerne wesentlich mehr von mir gekostet.

Sein Klang lässt mich wohlig schaudern. Guttural, herb und fließend ineinander. Schon fast einem Gesang ähnelnd aber nicht die eines gewöhnlichen Menschen. Sie klingt zu hoch und zugleich zu tief. Wie, fein austariertes Geflecht aus träumerisch ineinander verschlungenen Stimmen. Als wären es mehrere und nicht von einer einzelnen Person stammend und unterschiedlich in seiner ganzen Pracht.

Er ist kein Mensch, er ist wie ich. Denn ich vermag meine Stimme ebenfalls in mehreren Unterschichten zuzuordnen, sodass es sich anhört wie in einem Chor von Leuten mit unterschiedlichen Klanghöhen und Tiefen.

Ich hebe meinen Kopf, leicht ist mir schwindelig. Ein wenig geschwächt von dem Verlust des Blutes, lösen sich meine Arme fast widerwillig von seinem Körper. Kurz streichen meine Finger über seinen Oberkörper, nehmen jede darunterliegende Muskulatur wahr. Dies geschieht jedoch in einer rasanten Geschwindigkeit. Dann nehme ich meine Hände zu mir. Gerne hätte ich ihn länger gestreichelt.

Interesse weckende Gefühle kommen auf und Emotionen von ungeahnter Größe strömen auf mich ein. Ich bin völlig von diesem Wesen fasziniert, das eine für mich tödliche Hitze ausstrahlt.

 

Das Wesen wischt sich mein Blut von den Lippen und ich leckte ebenfalls instinktiv über meinen Mund. Imitiere ihn praktisch nach und bin hingerissen von seiner großen breiten Statur. Ich habe keine Angst vor ihm und weiß, er wird mich nicht töten. Ich spüre das.

 

Plötzlich und völlig unvorbereitet umfasst er mit einer Nanogeschwindigkeit mein Kinn und zwingt mich in seine Augen zu sehen. Seine Lippen nähern sich meinem Mund und meine Gedanken sind in diesem Augenblick leer und nur noch auf den weichen Mund vor mir fokussiert.

Er legt seine Lippen ganz auf die Meine und ein unglaublicher elektrischer Impuls wird bei mir freigesetzt. Mein Glied richtet sich zur vollen Größe auf und drückt gegen den Stoff der Hose. Ich gehe nicht näher darauf ein, lasse mich in diesen unschuldigen Kuss fallen. Unsere Münder, weiterhin geschlossen verharren in dieser Position, dann unterbricht er die Verbindung. Ich merke erst jetzt, dass ich meine Augen geschlossen hatte, und öffne sie erst dann, als eine raue Hand meine Wangen streicheln. Der Duft von ihm umhüllt mich wie in einem Kokon. Ich fühle mich darin geborgen.

Seine Hand ist so rau, denke ich ganz kurz. So rau, wie Schmirgelpapier.

„Was bist du?“, frage ich ihn, immer noch leicht geschwächt von dem Blutverlust und überspült von den Emotionen unseres Kusses, wiederhole ich somit meine Frage erneut, als er seine warmen Hände von mir nimmt. Da sehe ich, dass es eigentlich keine Hände in dem Sinne sind. Es sind Klauen. Sie haben aber die Farbe wie die des Menschen.

Irritiert starre ich auf seine Pranken, bevor ich wieder in seine Augen hineinsehe und er mich nur anlächelt. Dann fasse ich spontan nach seinen rauen Klauen, die sich sofort, als er mich spürt, zurückverwandeln und zu normalen Händen sich formen. Wieder diese Hitze, die wellenartig, wie bei einem Tsunami, auf mich auftreffen. Hart und unvorbereitet.

Ich, der die Kälte über alles liebt.

Warm und heiß umschließen seine Hände die Meinigen. Die kalt und eisig sind und sich auch durch seine Gestik nicht erwärmen. Umgekehrt verliert er auch nicht an Hitze.

Sie sind so viel größer, als meine.

Er antwortet mir immer noch nicht, so spreche ich einfach weiter.

„Ich dachte, ich wäre der Einzige, der anders ist als die Menschheit hier auf diesem Planeten“, sage ich ihm, runzle aber die Stirn, als ich seine Flügel weiterhin betrachte, die er wieder wie ein Vogel hinter seinen Rücken faltet. Und wieder schießt mir ein Gedanke in den Sinn.

Du bist ein Dämonenfürst?

Er sieht so aus, weil ich das Bild im Kopf habe. Bilder die Menschen zeichnen, ihrer Fantasien freien Lauf lassen und sie in Gemälden oder Bücher verfassen, schießt mir in den Sinn.

„Du bist der Einzige von deiner Art und doch habe ich das Gefühl, das wir füreinander geschaffen sind, irgendwie.“ Höre ich ihn plötzlich sprechen. Seine Fangzähne verschwinden schließlich, wie auch die Flügel, die im Übrigen aussehen wie riesige Fledermausflügel.

„Das war nicht meine Frage!“ Ich hoffe immer noch, dass ich endlich erfahre, warum ich hier bin?

Warum ich existierte?

Warum er hier ist? Und warum erst jetzt ach so vielen Jahren ich ihm begegnet bin?

„Dein Blut ist süßer als alles andere was ich bisher gekostet habe …“, spricht er weiter und antwortet mir immer noch nicht auf meine Frage, die sich einbrennt und sich wie ein Feuer in mir ausbreitet.

Ich sehe, wie er erneut sich über die Lippen leckt, und ich kann seine Worte nur bestätigen.

Da wusste ich sofort was er, meint denn mir geht es ähnlich. „Dein Blut ist für mich genauso unwiderstehlich. Aber sag, woher wusstest du von meinem Namen? Du hast mich mit meinem alten Namen angesprochen“, gestehe ich ihm, bleibe aber hartnäckig, was meine Neugierde bezüglich meiner Person an sich angeht.

„Ich weiß nur, oder spüre, dass du mein Gegenstück bist“, antwortet er schlicht. Obwohl von ihm die Worte, sehr einfach gewählt worden sind, überkommt mich dennoch ein Schauer.

Gegenstück? Was meinst du damit?

„Wie ist das möglich? Wir sind beide männlich? Wie können wir uns dann fortpflanzen, wenn wir angeblich zusammengehören?“

„Ich weiß es nicht.“ Er sieht jetzt fast wieder wie ein normaler Mensch aus und damit verschwindet auch sein süßlicher Duft, der sich stark unterscheidet von den Lebewesen, denen ich seither begegnet bin.

Ich schnuppere in seine Richtung, will sein Aroma noch ein letztes Mal riechen und weiche dann einen Schritt zurück.

„Wie hast du das gemacht?“, frage ich leicht entsetzt und leicht enttäuscht. Die Antworten, sie befriedigen mich nicht wirklich, gebe ich zu.

„Wie gemacht?“, klingt fragend seine Stimme überaus melodisch. Ich sehe ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkeln herum. „Komm lass uns gehen, sonst werden andere aufmerksam auf uns.“

Ich nicke nur, denn er hat recht.

Wir bleiben nicht mehr auf einer Stelle stehen und bewegen uns von der Seitengasse weg, schlagen eine unwichtige Richtung ein. Ich laufe neben ihm her. Er ist so viel größer wie ich, denke ich abermals und sehe auf seine breiten Schulterblätter.

„Das mit deinem süßen Duft?“, frage ich Minuten später nach, da er mir nicht die Antwort gegeben hat, die ich eigentlich von ihm will.

„Die gleiche Frage kann ich dir stellen? Aber ich rieche dich immer noch, du bist unwiderstehlich für mich. Ich war hungrig und suchte nach Opfern? Und dann stieß ich auf dich und bin sofort von deinem Duft angelockt worden. Ich konnte nicht anders“, gesteht er mir und ich meine, so etwas wie Respekt herauszuhören.

„Ich auch.“ Und da dämmert es mir.

 

 

Wir rochen wahrscheinlich für uns so süß, weil wir beide hungrig waren und somit unsere Lockmittel verströmten, die für Opfer angedacht um uns unwiderstehlich werden zu lassen …

 

 

Der Vergleich von Moschus bei Tieren kommt mir in den Sinn und die Erkenntnis darüber fasziniert mich irgendwie.

Wer ist er und warum hat er meinen Namen gewusst? Warum weiß er das? Ich weiß seinen Namen nicht. Ich habe keine Ahnung, wie er heißen könnte. Vielleicht gibt mir eines der Bücher eine Lösung.

Mich überkommt die Gier. Ich habe Hunger.

Sein Blut hat den von meinem getrunkenen Blut nicht ausgeglichen. Er hat mehr von mir genommen, als ich von ihm, denke ich. Aber die Neugierde siegt über meinen Verstand, der momentan nicht ganz klar zu sein scheint.

Wie heißt du nur?

Meine Gedanken sind durcheinander, denn es gibt so viele Dämonenarten in den Köpfen der Menschen.

„Vorsicht, ich kann deine Gedanken lesen!“

Erstaunt sehe ich ihn an.

„Was?“ Ich sammle mich.

Kann das sein? Okay dann versuche es.

Und jetzt, liest du jetzt meine Gedanken?, winke ich ihm gedanklich zu.

„Und jetzt was?“, fragt er amüsiert und verzieht leicht sein Gesicht.

Wieder betrachte ich ihn. Er sieht so übernatürlich aus. Kann man das als wunderschön bezeichnen? Wenn ein Mann hohe Wangenknochen hat. Eine etwas längere Nase und volle Lippen. Und kurze braune Haare, die eigentlich einen ganz normalen Haarschnitt aufweisen und er Gedanken lesen kann. Ich weiß es nicht, ich weiß nur, ich fühle anders, seit ich ihm begegnet bin.

Wie du wohl heißen magst?

„Eric.“

Ich blicke verständnislos auf ihn. Wieder hat er meine Gedanken erraten. Ich muss aufpassen. Er kann es wirklich, was bin ich naiv.

„Ja das solltest du. Du bist wirklich naiv?“, liest er erneut in mir. Ich übergehe seine Antwort.

„Du nennst dich als Dämon nur Eric?“, sage ich ihm auf den Kopf zu. Somit habe ich auch gleich preisgegeben, für was ich ihn halte? Nämlich für einen Dämon.

„Warum nicht, du nennst dich ja auch Christopher … Klingt genauso unscheinbar, so alltäglich, dass die Menschen keinen allzu großen Verdacht schöpfen.“

Ich erröte. Innerlich … Äußerlich sieht man nichts.

„Dabei ist dein Name Alucard so wunderschön“, säuselt er und bei dem Klang meines Namens aus seinem Mund, klingt es wie eine sanfte Melodie. Ich seufze wohlig.

„Woher weißt du von mir, denn ich weiß nichts von dir?“, frage ich abermals und hoffe endlich auf eine halbwegs befriedigende Antwort. Denn bis jetzt wirft all seine Antworten nur noch mehr Gegenfragen auf.

„Ich weiß nicht genau. Vielleicht habe ich von dir geträumt. Keine Ahnung. Ich sah dich und wusste einfach, wie du heißt.“ Er sah mich fragend an.

„Ich fühle mich bei dir so anders?“, gestehe ich ihm. „Lange Zeit war ich so alleine.“

Er nickt verstehend.

„Vielleicht habe ich es mir auch gewünscht, nicht der Einzige zu sein. Vielleicht sind wir uns darum heute begegnet. Vielleicht suchen wir uns schon, seit wir existieren, und wussten es nicht bewusst.“ Seine Stimme, sie klingt plötzlich so alt … So alt wie meine.

Ich werde von Sekunde zu Sekunde neugieriger, sehe aber, dass er zittert, daraufhin werde ich stutzig, dabei ist die Nacht so schön kühl und feucht. Einfach perfekt für uns geschaffen.

„Ist dir kalt?“, frage ich. Sein Zittern ist jetzt nicht mehr zu übersehen.

„Ja“, sagt er nur knapp. Er weicht mir irgendwie aus.

„Wie ist dein richtiger Name? Und lies nicht ständig in meinen Gedanken“, schimpfe ich schon beinahe.

„Na gut, aber ich kann‘s dir leider nicht versprechen, werde mir aber Mühe geben“, gesteht er mir und sogleich amüsiert er sich über mein Schmollen.

„Mit was versprechen?“

„Mit dem Gedankenlesen“, gibt er mir leicht belustigt zu verstehen.

„Also?“

„Eigentlich nur Soileh“, sagt er jetzt leise.

Soileh. Welch ein Name. Kenne ich den nicht? Ich habe keine Ahnung.

 

 

Ich hatte von solch einem Dämon nie gelesen. Wenn man den Menschen glauben schenkte, so waren Dämonen Energietrinker. Die meistens jedenfalls. Oder welche die sich zu Frauen legten, ihre Energie entzogen und auch deren Blut tranken …

 

 

Ich wache aus meinen Erinnerungen daran auf. Woher ist mir sein Name so vertraut. Er trinkt Blut wie ich.

 

Kannst du auch Kinder zeugen?, denke ich und ich komme nicht auf den Gedanken, dass mein Gegenüber sie erneut lesen würde.

Ich höre auf einmal ein betörendes und lautes Lachen. Schnell blicke ich mich um. Es ist niemand zu sehen oder zu hören. „Nein, ich kann keine Kinder zeugen, frag mich nicht, warum das so ist. Und die Lebensenergie kann ich auch nicht aussaugen. Alles Mythos, wenn du mich fragst.“

Er hat schon wieder in meinen Gedanken gewühlt. Es stört mich, lässt mich verletzlich aussehen und suche schnell nach einer Lösung. Dann wende ich einen Trick an und ich konzentriere mich auf meine Fähigkeit, die ich beim Bezirzen der Leute anwende, und baue somit ein Schutzschild vor ihm auf. Eine unsichtbare Mauer erschaffe ich und ich fühle wie er versucht in meine Gedanken einzudringen, scheitert aber dran. Seine Gedankenströme kommen nicht durch, ich fühle mich sicher.

Darüber lächle ich. Ich bin stolz auf mich, denn so halte ich ihn auf Abstand.

Wer kommt schon auf die Idee, dass es noch andere Wesen wie mich gibt, denke ich belustigt hinter meiner Gedankenmauer, die nur ich zum Einstürzen bringen kann.

„Aha, jetzt hat mein neuer und doch alter Freund was dazugelernt“, lacht er erheitert. „Ich dachte, du würdest nie darauf kommen, ich mach das bei dir nämlich genauso“, gibt er zu. „Sonst kannst du meine Gedanken auch lesen.“ Wieder sehe ich, wie er zittert. Er versucht es vor mir zu verbergen. Abermals gehe ich nicht näher darauf ein.

„Schuft“, verwende ich ein aktuelles Schimpfwort an. „Ich lese nie in den Gedanken der Anderen.“

„Und wieso nicht?“ Sein Blick vertieft sich und ich sehe schnell weg.

„Ich habe es nie versucht.“ Gestehe ich und mir wird seltsam zumute, wenn ich daran denke, dass er mich neuer und alter Freund genannt hat. Eigenartig. Aber es gefällt mir. Hätte ich ein Herz, dann würde es womöglich schnell schlagen.

„Dein Duft ist so süß, ich kann dir kaum widerstehen. Es ist so, als ob ich dich kenne?“ Ich höre selbst seine Unsicherheit dabei. Unterschwellig und leise, dennoch vernehme ich sie.

„Ich habe auch Hunger.“ Entschuldige ich mich, gehe aber auf seinen zweiten Satz nicht ein.

„Du solltest dich nähren, nicht dass ich über dich herfalle, denn so viel war es nicht, was ich von deinem süßen Nektar getrunken habe.“ Er knurrt.

Dieses Knurren jagt mir keine Angst ein, es stimuliert mich und ruft ungeahnte Emotionen hervor. Dann entweicht meinem Körper ein nicht gerade appetitliches Geräusch. Es gluckert überall, als ob ich durchgespült werden würde. Bei Menschen würde das jetzt der Hunger eines leeren Magens bedeuten, bei mir ist es der unterbrochene Blutzulauf in meinem Körper, der dieses Geräusch verursacht. Laut verursacht.

Mein Gegenüber hört es und zieht amüsiert seine Augenbrauen hoch. Er schaut mich an und lächelt leicht. „Du hast wirklich sehr großen Hunger.“

„Ja, das habe ich.“

Er nickt nur, sein Zittern wird stärker. Besorgt sehe ich ihn an. Vielleicht hat er auch schlimmen Hunger und darum zittert er so. Ich unterbreite ihm einen Vorschlag.

„Weißt du was? Gehen wir doch zusammen auf die Jagd“, schlage ich ihm vor, und deute sein Zittern als Hunger. Aber seinen süßen Duft vernehme ich dennoch nicht mehr so stark. Komisch.

„Ich kann nicht.“ Seine Stimme schwächelt.

„Warum nicht?“, frage ich erstaunt und sehe, wie er schwankt. „Du hast Hunger, ich kann es sehen.“

„Nicht der Hunger schwächt mich, sondern ...“ Er bricht ab und taumelt. Ich greife automatisch nach seinem Arm. Da weicht er zurück. „Weil ich in die Sonne muss, ich muss, Alucard.“ Sein Gesicht verzerrt sich, wirkt schmerzverzerrt. Ich sehe ihn an und fühle mich hilflos. „Ich muss los, sofort.“

Und als ich was erwidern wollte, setzt er schon zum Sprung an, breitet seine Flügel aus und verschwindet schließlich in die dunkle Nacht.

„Warte, Eric!“, rufe ich erschrocken, sehe ihn nicht mehr. Dann konzentriere ich mich auf ihn und seiner Spur, erhebe mich in die Lüfte und resigniere, da ich ihn nicht riechen und somit nicht orten kann. Ich versuche mich weiterhin zu konzentrieren, meine eine kleine Spur von ihm orten zu können. Voller Hoffnung möchte ich ihm folgen, da werde ich auf einmal von einem Blutdurst überrollt und rieche das Opfer. Ein Obdachloser, der in Zeitung gerollt auf dem Boden liegt. Ich kann mich nicht dagegen wehren, der Zwang nach Nahrung ist stärker, somit verliere ich endgültig Erics/Soileh Spur. Die Trauer darüber schlägt in reißerischer Wut um. Ich sehe meine Beute und kann mich nicht mehr zurückhalten.

Das blanke Entsetzen dieses Mannes ignoriere ich, ich rieche nur noch Nahrung. Der Überlebensinstinkt ist größer, meine Wut und meine Trauer nehmen überhand.

Wütend über den Verlust schlage ich hart meine Zähne in das Opfer, das sich nicht mehr wehren kann. Ich verliere komplett die Beherrschung und sauge gierig und lange an seinem Hals, reiße mehrmals blutige Stücke seines Fleisches heraus, um noch mehr von dem menschlichen Saft zu mir zu nehmen. Und zum ersten Mal seit langer Zeit töte ich in dieser Nacht einen Menschen.

Der Schrei, den ich danach ausstoße, nachdem ich satt bin, ist laut und furchterregend.

Einige Menschen erschrecken in der Nähe.

Ich verstecke mich, damit ich nicht gesehen werde, und fliege dann in rasender Geschwindigkeit davon.

„Eric?“, rufe ich in den schwarzen Himmel und über meine Wangen kullern blutige Tränen.

„Soileh“, schreie ich nochmals aber seinen richtigen Namen. Die Frage, was er wirklich ist, hatte er mir nicht beantwortet.

Ich weiß ja selbst nicht genau, was und wer ich bin. Ich denke nur, dass ich ein Vampir bin, weil es die Menschen so sagen. Weil ich Blut trinke, weil ich böse aussehe.

Bin ich böse?

Ja, ich bin es, denn heute Nacht habe ich ein wehrloses Opfer getötet.

 

In dieser Nacht sehe ich das andere Geschöpf nicht mehr, obwohl ich die ganze Gegend nach ihm abgesucht habe. Sogar in meinen Gedanken hatte ich ihn gerufen. Doch hatte ich keine Antwort erhalten. Weder durch Telekinese noch dringt seine Stimme an mein Ohr. Fehlanzeige.

Angeschlagen, und aufgewühlt kehre ich in mein Haus zurück.

 

Ich bin schon so einsam. Aber nach diesem Erlebnis wird mir bewusst, wie einsam ich in Wirklichkeit bin.

Er war mir so seltsam vertraut, denke ich.

Es schmerzt. Ich fühle, dass ich mit ihm verbunden bin.

 

Zu Hause dusche ich zuerst einmal, wasche mir das Blut vom Körper und schließe die Augen dabei, lasse das kalte Wasser über meinen Körper laufen.

Ich hinterfrage einiges.

Habe ich mir alles nur eingebildet?

Hat mein Verstand mir einen Streich gespielt?

Habe ich mir diese Kreatur nur herbeigewünscht?

Diese warme, heiße betörende Kreatur.

Ich lange an meine Lippen, versuche mir die Süße, die von ihm ausgegangen war, vorzustellen.

Er hat dich geküsst. Nein, es ist kein Traum gewesen. Der Kuss war Wirklichkeit.

Wie von selbst, stelle ich das Wasser auf warm.

Für Menschen mag es noch kalt sein, für mich ist es heiß.

Das Blut, das ich von ihm getrunken habe, ist noch in mir. Es ist keine Einbildung.

Ich spüre es wieder, als das warme Wasser auf meinem Körper abprallt und das Blut durch meine Adern rauscht. Meine Haare kleben an meinem Körper und auf einmal meine ich eine Stimme in meinem Kopf zu hören: „Ich komme wieder.“

Es ist seine, ich weiß es genau.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

~4~

 

 

Fehlendes Wesen!

 

Zwei Wochen sind seitdem vergangen. So kurz die Zeit auch eigentlich für mich erscheinen mag, so kommen mir die Nächte paradoxerweise jetzt unheimlich lang vor, seit ich Eric bzw. Soileh begegnet war. Aber diese Stimme hörte ich, seit ich unter der Dusche stand, war nie mehr wieder.

 

Soileh?, forme ich lautlos mit meinen Lippen seinen Namen, befeuchte sie ganz nebenbei mit meinem roten Speichel. Was für ein uralt klingender Name, kommt mir immer wieder in den Sinn.

So uralt klingend wie ich vielleicht?, frage ich mich weiter.

Der Name klingt so schön. Viel schöner als Eric. Vor allem klingt er mir so vertraut. So unheimlich erschreckend vertraut, wie ich jetzt feststellen muss. Hätte ich ein Herz, würde es vermutlich laut klopfen. Ich kann es mir vorstellen, weil ich beim Trinken genau zuhöre, wie sich das Herz verlangsamt und immer lauter und angstvoll dabei schlägt. Als ob es weiß, dass es kurz vor dem Abgrund steht.

So lebendig, anders als ich.

 

Kurz will ich darüber nachgrübeln, warum mir das jetzt erst einfällt, aber schnell schleicht sich eine Blockade in mein Gedächtnis, will verhindern, dass ich mich an etwas erinnere. Aber an was soll ich mich erinnern? Vor allem warum?

Verwirrt schüttle ich den Kopf.

Wo bist du nur? Wo hältst du dich versteckt, denke ich. Verzweifelt, traurig und mit neugierigen quälenden Fragen bestückt.

Bist du hier in London oder aus einer anderen Gegend?

Ich vermag mir nicht ausdenken, dass ich eigentlich nach der Nadel im Heuhaufen suche.

Wie eine Ewigkeit fühlt es sich an. Das Warten. Diese Ungewissheit. Diese Einsamkeit.

Diese Nacht, wie bereits Nächte davor, zieht sich hin wie Kaugummi und der Schlaf tagsüber will nicht vorübergehen.

Ich fühle mich einsamer als jemals zuvor. Obwohl ich keine Gänsehaut verspüren kann, bilde ich mir ein, sie doch zu fühlen, beinahe auf meiner Zunge zu schmecken.

Wie ist das möglich? Vermenschliche ich etwa? Oder habe ich mein Dasein satt; wirklich so satt?

Ich streiche mein langes Haar nach hinten, das mir nach vorne gefallen ist. Dabei schließe ich die Augen und bilde mir doch tatsächlich ein seine Hände, bzw. seine Klauen zu fühlen. Zu spüren auf meiner Haut. An meinem Haar. Rau und gleichzeitig zart, wenn ich gedanklich weiterspinne, wie sich seine Klauen wieder in Hände verwandeln. Dominant und doch einfühlsam in seiner ganzen Materie, bilde ich mir weiterhin ein so berührt zu werden. Jedes einzelne Detail rufe ich mir ins Gedächtnis zurück, spiele alle Szenerien ab und ein Gefühl stellt sich bei mir ein, als ob seitdem ein Teil von mir fehlen würde. Ein Teil, das ich in den viertausend Jahren nicht vermisst habe und nun wieder hier ist.

Ich öffne die Augen und fasse an meine Wangen. Sie sind nass. Blutrot meine Fingerspitzen, als ich darauf sehe. Ich habe nicht einmal gemerkt, geweint zu haben.

Mein Blut an meinen Fingern, wische ich weg und sehe mich in meiner Wohnung um. Die Möbel wirken auf mich nur als Dekoration und Tarnung.

Mein Dasein?

Bin ich auch nur Dekoration?

Ich muss ihn finden.

 

Ich werde in dieser Zeit noch aktiver um das Wissen und die Suche nach ihm. Zähle öfter die Tage die mir, wie ich finde, sinnlos verstreichen, während ich diverse Büchereien einen Besuch abstatte. Oder in jeden Winkel husche, bei dem ich denke, da könnte ich ihn aufspüren. Konzentriere mich dabei immer auf diesen betörenden Geruch. Es ist schon beinahe zwanghaft, wie bei den Menschen, die jeden Tag ihre Zeitung früh in der Dämmerung holen müssen, um danach beruhigt sagen zu können: „Ich habe nichts verpasst an Neuigkeiten auf dieser Welt.“

Genauso komme ich mir ebenfalls vor. Dabei sind diese Nachrichten schon einen Tag alt und keineswegs aktuell. Über Internet vielleicht, wie mir bereits lange zu Ohren gekommen waren. Aber so etwas besitze ich nicht. Ich brauchte diesen neumodischen Kram nicht, so dachte ich die ganze Zeit darüber. Jetzt nicht mehr, jetzt wäre es von Vorteil.

Wie die Welt da draußen, immer bestrebt auf der Suche um aktuell zu bleiben. Nein, ich mache es weiterhin auf die von mir altbekannte Art und Weise. Ich bin Jäger und ich bin auf der Suche nach Ihm.

 

Jeder Buchladen in meiner Nähe ist vor mir nicht sicher seither. Die meisten jedoch haben nach 20 Uhr geschlossen. Bis auf wenige Ausnahmen, die auch bis 24 Uhr geöffnet haben. Heute gehe ich wieder in so eine Buchhandlung, eher gesagt ist es die * British Libary Nationalbibliothek des vereinten Königreiches*. Es ist eigentlich meine letzte Anlaufstelle, denn die hatte ich gemieden. Aus gutem Grund. Jetzt bleibt mir keine andere Wahl. Sie hat über 150 Millionen Werke und gehört zu den größten ihrer Art. Ich wusste es schon lange. Dennoch habe ich gehofft, sie nicht aufsuchen zu müssen.

 

Das Personal dort beäugt mich misstrauisch, ich lasse mir nichts anmerken. Davor habe ich mich gut gesättigt, sodass meine Augen nicht ganz so dunkel wirken, wie sie es eigentlich tun. Nicht dass ich mir alleine durch mein Erscheinungsbild das Besuchsrecht dabei auf nur einmal beschränke und man mich entdeckt, dass ich anders bin. Ich will nicht immer jedes Mal jemanden bezirzen müssen. Und hier schon gar nicht, denn überall lauern Überwachungskameras und die würden auch meine Eigenart einfangen.

Wie ich die neumodischen Techniken hasse.

Meine Augen scannen alles in Nanogeschwindigkeit ab, aber so, dass meine äußeren Bewegungen immer noch fließend sind und vor allem langsam, wie es für normal Sterbliche üblich ist. Ich setze meinen Fuß vor den anderen.

Geschmackvoll ist es hier eingerichtet.

Der rote, schwere Teppich gefällt mir. Fast so schön wie der Teppich in meiner Wohnung.

Was für eine Verschwendung?, denke ich. Denn eigentlich brauche ich keinen Teppich oder Möbel, und schon gar keine Küche. Aber man will nicht auffallen.

Man darf ich nicht auffallen. Man durfte nicht auffallen.

 

„Guten Abend.“ Einer vom Personal, ein Mann mittleren Alters, das Gesicht mit Furchen übersät und an den Schläfen leicht gräuliche Erscheinung, begrüßt mich.

Ich schaue zu ihm, während ich mich ihm nähere, und nicke kurz als Begrüßung. Dabei sehe ich, wie er seine Brauen hochzieht.

Ich zwinge mich nicht unnormal zu wirken oder gar düster, versuche mich in einem Lächeln, lasse es aber dann sein.

Ich werde gemustert. Für meine Erscheinung kann ich nichts, denke ich. Meine Haare trage ich offen, ein Blickfang für jeden, ich weiß es. Ich habe zwar einen normalen dunklen Pullover übergezogen, blau und nicht schwarz und meine Beine sind in einer für mich ungewohnten Jeans umhüllt, jedoch für mich schon fast eine Schande. Ich schaue auf meine Füße.

Turnschuhe, auch die trage ich. Und doch spüre ich irgendwie, ich falle immer noch auf.

So weit ist es mit mir also gekommen. Früher hatte ich mir nie um mein Äußeres Gedanken gemacht?

Innerlich seufze ich.

Was ich nicht alles mache?

Mir fehlt mein dunkler Mantel, meine Stiefel, mein düsteres Erscheinungsbild. Überhaupt. Ich bin ein Vampir. Das bin ich doch, oder?

Ja, ich rede es mir immer mehr ein, ich der Vampir.

Was soll ich sonst sein?

Ich vermenschliche wegen dir noch ... Kommuniziere ich in Gedanken mit ihm. Die Hoffnung, dass er mich hören könnte, diese Hoffnung besteht immer noch.

„Suchen sie was Bestimmtes?", kommt der Mann vom Personal gleich auf den Punkt und ich habe diese Frage schon befürchtet. Ich wahre mein Gesicht, zeige keine Gefühlsregung. Das ist meine Stärke, ich bin ja für die Menschen ein: Vampir.

 

Ein kleines Schild ziert seine Brust.

Oh, ein Doktor, sollte mich das beeindrucken.

Den Namen dahinter registriere ich schon gar nicht mehr, wozu auch.

„Durchaus. Alte Bücher, Mythologien, Sagen. Wesen die unter uns Leben.“ Ist meine bezirzende Stimme und hoffe, ich komme an die wirklich alten Bücher ran. Der neumodische Kram bringt mir nichts. Die Menschen haben in diesem Jahrhundert einfach zu viel Fantasien. Sie lassen sogar Vampire nett erscheinen und im erotischen Sinne, schon fast menschlich aufleben.

Wie ich?

Aber es ist auch ein Vorteil. So sieht man in mir vielleicht das, was man sehen möchte.

Der Mann schaut mich wirklich sehr, sehr intensiv an. Ich halte seinem Blick stand. Wie war das mit Gedankenlesen? Ich konzentriere mich, aber ich höre nichts. Gar nichts. Nur leises Gemurmel im Hintergrund.

Ich bin mit dem Mann nicht alleine. Es sind noch andere hier. Dann aber gibt er sich einen Ruck. Ich will schon erleichtert aufatmen.

„Die Abteilung mit den Büchern über Sagen, Mythologien usw. ist hinten links. Sie können es nicht verfehlen, Sir. Zumal momentan jeder darauf abzufahren scheint.“

Ich schaue ihn seltsam an. Er spricht so neumodisch.

Wie lange hast du dich überhaupt unterhalten? Richtig unterhalten. Ich seufze.

„Danke“, gebe ich von mir. „Was ich suche, steht nur in sehr alten Büchern“, verrate ich ihm jetzt doch. Dann gebe ich mich halbwegs interessiert. „Sind die auch hier?“

„Mmh, es sind einige ältere Werke hier. Der Rest ist in einem Museum und nicht für hier bestimmt. Ich denke, für sie wird das Richtige dabei sein, zumal vieles von den alten Büchern auch übertragen wurde in die Neuzeit. Dank der Computerzeit.“ Er weist auf die Monitore und ich verdrehe innerlich die Augen. Muss ich mich jetzt doch mit beschäftigen?

„Ich verstehe“, gebe ich missmutig von mir. Ich bin im Begriff mich umzudrehen und zu dem besagten Regal zu gehen, da hält mich seine Stimme auf.

„Wir schließen um Punkt 12 Uhr Mitternacht. Vielleicht sollten Sie tagsüber kommen.“

Die Menschen, wie einfältig sie doch sind. Ich sehe ihn an. Versuche nun doch ein Lächeln aufzusetzen.

„Danke, ich werde das nächste Mal daran denken, bei Tage zu erscheinen.“ Und lasse jetzt doch meine Stimme alt klingen. Ich kann nicht anders. Ich bin doch kein Mensch. Mein Blick fällt auf die Regale, die bis zur Decke reichen.

„Würde ihrem Teint nicht schaden, Sie sehen blass aus“, ruft er noch hinterher.

Das war des Guten zu viel, ich gebe keine Auskunft mehr. Menschen, äffte ich verächtlich.

Können mir die Bücher wirklich helfen?, überlege ich ernsthaft die von mir gestellte Frage in meinem Kopf.

Es sind viele Bücher auf diesem Gebiet. Die meisten von denen jedoch kenn ich aus verschiedenen Büchereien, die auch für den Verkauf ausstehen. Zum Teil stehen die Preise dran. Ich nehme mir ein Dutzend davon nach reichlicher Überlegung und gehe abseits an einen Tisch, ignoriere die Computer.

Was will ich mit so einem Teil?

Es ist kaum noch jemand da. Irgendwie gefällt es mir hier. So ungestört. Der Mann vom Personal hat sich einer anderen Beschäftigung gewidmet. Wie sollte es anders sein, dem lesen.

Ich konzentriere mich wieder auf mich und warum ich hier bin. So studiere ich an diesem Abend in den Büchern über diverse Wesen, lese sämtliche Mythologien darüber, die in diese Richtung zu Eric tendieren könnten.

Doch keine Beschreibung passt so recht auf ihn. Ich verzweifle fast, weiß ich doch, dass es nur menschliche Fantastereien sind. Dennoch, die Hoffnung stirbt zuletzt. Es gibt mich ja auch - und ihn.

Ich klammere mich an jeden noch so dünnen und brüchigen Faden und weiß dennoch, dass ich scheitern werde.

Und finde ich Interessantes in den Büchern darin, was eventuell passen könnte, dann sind die Beschreibungen hinterher, wie ich enttäuscht feststellen muss, immer auf weibliche Dämonen zurückzuführen.

Es ist das letzte Buch sowieso.

Fehlanzeige also.

Dämonen, wie lächerlich, denke ich enttäuscht.

 

 

Ganz früher war die Bedeutung des Wortes eher der Geist eines Abgeschiedenen, aber im Laufe der Zeit waren Dämonen immer bösartiger dargestellt worden. Es gab so viele Dämonenmythologie, griechischen, jüdische, persische, ägyptische und noch eine Unmenge mehr, über die ich früher nur den Kopf schüttelte. Darum las ich sie nicht richtig. Es interessierte mich nicht wirklich, da ich immer mehr an deren Existenz zweifelte. Ich war manchmal eher erheitert, als diese Sachen ernst zu nehmen, wie auch über meine Herkunft. Ich, der Vampir, der Schrecken überhaupt. Ich lachte damals laut...

 

 

Jetzt stellt sich mir wirklich die Frage: „Gibt es wirklich Dämonen?“

Amüsiert bin ich eher nicht über den Gedanken. Ich weigere mich, daran zu glauben. 4000 Jahre weile ich nun auf Erden, mir hätte doch etwas auffallen müssen, wenn es andere Wesen wie mich geben würde?

Ich komme nicht weiter.

Es nagt in mir wie ein Geschwür, nicht zu wissen, wer Eric und vor allem, was er ist. Aber auch die Frage, die in mir noch mehr zu wachsen scheint, stellt auch sich mir: „Wer oder was bin ich wirklich?“

Ich werde das Gefühl nicht los, erst an die Spitze des Eisberges gekommen zu sein.

Nachdenklich wiege ich dieses Buch in meiner Hand. Stelle dabei fest, dass es über hundert Jahre alt sein müsste. Dennoch, für diese Thematik viel zu jung, um ernst genommen zu werden. Da habe ich früher wesentlich ältere Werke in der Hand gehalten. Früher, wenn ich das nur gewusst hätte.

Seufzend lege ich es beiseite. Schüttle resignierend den Kopf, während ich das Buch weiterhin betrachte.

Nachdenklich.

Meine Augen scannen den schön geschwungenen alten Einband und deren dicke rote Gravur der Überschrift, deren Farbe zum Teil verblasst ist.

Schedim oder andere kanaanäische Götter“, lautet die Überschrift von diesem Buch. Es gibt zu viele von ihnen, ich kenne sie jetzt fast in - und auswendig. Daher komme ich an einem Punkt, wo es nicht weiter geht. Ob mir der Computer wirklich mehr helfen kann?

Ich will nicht.

Nicht dieses neumodische Zeug.

Ich stütze meine Arme auf den Tisch ab, senke mein Haupt und vergrabe meine Hände in meine Haare. Kralle mich regelrecht daran fest, schierer Verzweiflung.

„Kann ich Ihnen helfen, Sir?“ Eine ältere Dame hat mich an der Schulter berührt, ich zucke leicht zusammen und schaue hoch zu ihr. Normalerweise spüre ich sofort die Anwesenheit der Anderen. Fast bin ich geneigt sie zu hypnotisieren, verwische den Gedanken allerdings schnell.

Ich schüttele den Kopf.

„Nein, Sie können mir nicht helfen“, erkläre ich knapp aber höflich. Ich will hier nicht auffallen und versuche mich zusammen zu reißen. Wie gut das ich nicht hungrig bin, denke ich, denn ich höre ihr Herz schlagen und das Blut förmlich in ihren Adern rauschen, wie frisches Quellwasser in einem Brunnen. Köstlich.

Ich bin satt, rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis, denn meine Natur schlägt Alarm. Ich konzentriere mich, indem ich nicht auf ihre Halsschlagader schaue.

Die Dame, vielleicht Mitte vierzig, schaut mich ernst aus ihrer viel zu großen Brille an. Betrachtet mich jetzt genauer. Ich weiß meine Augen sind fast schwarz, aber in diesem nicht sehr hell beleuchteten Raum sehen sie normal aus. Ich hoffe es zumindest. Warum habe ich keine Sonnenbrille aufgesetzt.

„Dämonologie, ist auch ein sehr breit gefächertes Thema“, meint sie dann freundlich. Sie hat gesehen, mit was ich mich beschäftige.

„Ja das ist es“, meine Hände verkrampfen leicht. Ich bin es nicht gewöhnt, mit Menschen zu reden.

Sie soll gehen, ich bete schon fast innerlich. Es passt mir nicht, gestört zu werden. Sie muss mein Unbehagen gespürt haben, denn sie nickt wortlos, dreht sich um und geht. Ich schaue ihr hinterher, sehe, wie sie sich ein paar Bücher aus einem Regal holt und an einem freien Platz sich hinsetzt. Dennoch kann ich ihre Neugierde über mich fühlen.

Ich fühle mich nun unbehaglich und stehe rasch auf. Dabei nehme ich die dicken Bücher auf einmal auf den Arm und lege sie federleicht an ihren Platz zurück, bemerke zu spät, dass ich sie als Mensch eigentlich gar nicht auf einmal hätte nehmen können. Augenblicklich weiß ich, spüre ich, die Dame, die mich angesprochen hatte, hat mich gesehen.

Eindringlich, weil ich weiterhin ihre erstaunten Blicke spüre, nähere ich mich ihr. Mein Blick hat sie schon eingefangen.

„Sie haben nichts gesehen“, sende ich ihr die Botschaft in meine hypnotischen Blicke. Bezirce sie und sie wiederholt leise: „Ich habe nichts gesehen.“

„Ich war niemals hier“, mache ich weiter.

Das Blut von ihr rauscht noch lauter. Zieht mich fast in ihren Bann. Taumelnd mache ich einen Schritt zurück. Sie schaut mich an, schüttelt den Kopf und dann widmet sie sich, als ob ich nicht da wäre, ihren Büchern zu.

Glück gehabt. Ich schaue zu dem Personal. Der Mann hinter der Kasse hat nichts bemerkt. Er schläft hinter seiner Zeitung. Ich eile aus der Bibliothek und nehme mir vor nicht mehr hierher zurückzukehren.

Ich werde mir eine andere Bibliothek suchen, sage ich mir. Aber bringt es überhaupt was?

Ich werde traurig und noch einsamer.

Kann man eigentlich noch einsamer werden, als ich es jetzt schon bin?

Meine dunklen Augen erkunden die Gegend hier in Brighton. Die Nacht schön klar, die Luft kühl und vermischt mit den Düften dieser Stadt.

Ich liebe London.

Einzelne Menschen sind noch unterwegs in dieser vorangeschrittenen Nacht. Nicht viele. Sie kaufen bei einem 24-h-Laden, Lebensmittel ein.

Darum schlendere ich zu Fuß, wie ein Normalsterblicher, die Avenue entlang und mache einen Umweg nach Hause.

Frustriert bin ich dennoch. Niemals hätte ich es für möglich gehalten oder nur in Erwägung gezogen, so ratlos zu sein wie jetzt in diesem Augenblick.

Irgendwann, die Morgendämmerung hat eingesetzt, kehre ich nach Hause.

Einsam und allein.

Die Tage vergehen ereignislos.

Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Zermartere mir förmlich das Gehirn. Vor allem rufe ich jede Nacht, jedes einzelne Wort von ihm in mein Gedächtnis, seit er mir begegnet ist.

Die Zeit steht für mich still, denn weitere zwei Wochen sind vergangen.

Er sagte, er muss in die Sonne?

 

Ich verstehe immer noch nicht genau, was er damit gemeint hat.

 

Der heutige Abend, und die Suche nach ihm, ist wieder einmal erfolglos geblieben.

Nur den Hunger konnte ich stillen - mit ein paar Erdhörnchen. Ich habe seit dem Kontakt in der Bibliothek vor ungefähr zwei Wochen die Menschen gemieden und mich nur von Tieren ernährt. Ein nächtlicher Jogger kommt an mir vorbei. Nimmt keine Notiz von mir.

Ich bin satt, ich muss ihn nicht anfallen. Du Menschlein, denke ich, du hast Glück, die Erdhörnchen haben mir gereicht. Ich lächle. Und doch werde ich sofort wieder traurig. Nichts kann mich auf Dauer erheitern. Er fehlt mir.

 

Ich fühle mich immer mehr fehl am Platz.

Ich gehöre nicht in diese Welt, gehöre nicht auf diese Erde.

 

Die Hoffnung ihn zu finden und wiederzusehen, habe ich aufgegeben.

 

Immer mehr komme ich zu der Vermutung, mir die Stimme unter der Dusche eingebildet zu haben. Vielleicht habe ich ihn mir überhaupt eingebildet!

Vor lauter Einsamkeit etwa?

 

** http://de.wikipedia.org/wiki/British_Library

 

 

 

 

 

~5~

 

 

So gehe ich, an diesem bereits vorangeschrittenen Morgengrauen und viel zu langsam für einen Vampir, schlurfend zurück in meine Wohnung, um mich zur Ruhe zu begeben. Um mich vor den ersten Strahlen der Sonne zu schützen.

Die Sonne, sie geht bald auf.

Ich rieche sie, spüre die Gefahr, die von ihr ausgeht. Dabei erinnere ich mich sogleich an seinen Duft. Er riecht genauso, denke ich betrübt. Nein, korrigiere ich mich sofort gedanklich. Er riecht viel besser. Viel intensiver.

 

Früher habe ich den Duft nicht gemocht. Es ist der Tod, denke ich. Aber jetzt. Zwar riecht Eric nach der Sonne, aber von ihm geht keine Bedrohung aus. Ich weiß es, ich spüre es. Ich fühle auch tief in mir, dass uns etwas verbindet, seit ich von seiner Existenz weiß. Irgendwie. Leider komme ich noch nicht dahinter, warum das so ist.

 

Mein schwarzes langes Haar fällt mir ins Gesicht. Bedeckt ein Teil meiner Augen. Es ist feucht und ich liebe es, wenn mein Haar feucht von der Kälte geworden ist. Dennoch streiche ich sie mir aus dem Gesicht. Ich schließe die Augen und stelle mir ihn vor. Wie jeden Früh, wenn der Morgen graut und die Sonne langsam hinter dem Horizont erscheint und ich sie schon richtig auf meiner Haut schmecken kann.

 

 

Sein Haar war so weich gewesen, sein Gesicht, die Lippen. Sein Blut. Er fehlte mir so …

 

 

In meiner Wohnung verriegle ich sogleich die Fensterläden, als die ersten Strahlen mein Fenstersims kitzeln.

 

Vielleicht kann ich sie alleine durch meine Gedanken verriegeln?, kommt mir auf einmal in den Sinn und muss beinahe lächeln, als ich den letzten Laden von Hand verschließe. Warum bin ich nicht schon eher darauf gekommen?

Die Suche nach ihm hat mich nur noch in eine Richtung denken lassen. Ihn zu finden.

 

Bin ich so vermenschlicht?, denke ich Mal wieder, werde traurig und dann, als es völlig dunkel um mich herum wird, steige ich hinab in den Keller. Meine vertraute Umgebung, dunkel und kühl, doch sehe ich alles. Mein Domizil. Immer weiter, immer tiefer, dringe ich vor, bis ich meine unterirdische Höhle erreiche. Dort angekommen öffne ich abermals die Luke, steige hinein in die Feuchte der Dunkelheit. In meine persönliche Welt.

 

Meine vertraute Umgebung.

Mein Domizil.

Mein Reich.

Mein eigentlicher Wohnort.

Die Erde.

Dort gehöre ich hin.

Dort steht mein Bett in dem kühlen Etwas.

All das rufe ich in mein Gedächtnis, um nicht verrückt zu werden.

Ich muss ihn vergessen. Ich muss ..., denke ich verzweifelt.

Ich habe jetzt nur Augen für mein Schlaflager, lege mich hin.

Selbst zum Umziehen bin ich zu müde und beschließe in meinen Sachen zu schlafen.

Einsam und allein.

Wie immer - das schon seit 4000 Jahren.

Nur ich kenne das Versteck hier, denke ich, während ich mich zudecke. Eine menschliche Eigenschaft. Man gewöhnt sich doch an einiges.

Ich werde immer müder, will meine Augen schließen. Doch etwas hält mich davon ab es zu tun.

Mich irritiert was. Ich atme tief die Luft ein, was ich eigentlich nicht machen müsste. Aber ich tue es. Es ist mein Instinkt, der mich warnen will.

 

Dabei vernehme einen warmen süßlichen Duft. Ich rieche immer noch die Sonne, die Wärme und seufze. Wie kann das sein, dass ich tief unter der Erde die Wärme riechen kann?

Wie kann das angehen, dass ich die Sonne fühle?

 

Ist es die unstillbare Sehnsucht nach Soileh? Oder lässt mich mein Verstand jetzt Dinge riechen, die nicht vorhanden sind?

 

Ich schüttle den Kopf, bin verwirrt. Der ersehnte Schlaf stellt sich nicht ein, trotz Müdigkeit. Meine Gedanken schweifen zu dem obdachlosen Mann zurück, den ich vor genau vier Wochen tötete, seit Eric verschwunden ist. Das Einzige was mir neben der Suche nach ihm zu schaffen macht seitdem, denn ich bin kein Mörder. Nicht in dem Sinne. Und doch ist es schon der Dritte, seit ich existiere.

 

Wie gut, dass ich seine Leiche gleich weggeschafft habe. Ich muss mich einfach besser unter Kontrolle haben, denke ich grüblerisch und erinnere mich an diese Nacht zurück.

 

 

Ich hatte mich versteckt gehabt und als die Menschen an mir vorbeigegangen waren, sahen sie die Leiche. Verdammt, dachte ich noch und stellte mich sofort in den Weg. Ich bezirzte sie und löschte ihre Erinnerungen an mich und an das Opfer, das immer noch dalag, mit weit aufgerissenen Augen. Ihn verschwinden zu lassen war für mich kein Problem und so hatte ich ihn tief unter die Erde vergraben. Ich war schnell und ich grub tief. Dann hatte ich mich grob gesäubert und begab mich anschließend auf die Suche nach Eric. Ich wollte dieses Wesen sehen - gar spüren …

 

 

Ich will meine Augen schließen, doch ich spüre hier bei mir eine Veränderung. Irgendwas ist anders. Verdammt, denke ich. Was ist es, was hier nicht stimmt? Immer noch rieche ich die Sonne.

Dann, aus meinen Augenwinkeln heraus, vernehme ich plötzlich einen Schatten. Eine Person ist im Raum und schon schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Ich dreh meinen Kopf in die Richtung, in dem ich die Person vermute, fauche, will meine Zähne ausfahren.

Doch dann sehe ich ihn. Sehe Eric/ Soileh in der dunklen Ecke sitzend. Er ist es. Er ist es wirklich, denke ich und mir wird ganz mulmig dabei.

In einem Schneidersitz schaut er mich an. Seine Flügel sind halb ausgebreitet. Es ist hier drinnen nicht gerade geräumig.

Faszinierend ergötze ich mich kurz an seiner Anwesenheit, an seiner Schönheit.

Wie lange sitzt er schon da?

Wie ist er nur da reingekommen?

Und vor allem, warum habe ich ihn nicht gesehen?

Dann fällt mir ein, warum ich die ganze Zeit dachte, dass es hier nach Sonne riecht. Das war er. Dann war das nicht nur eine Sinnentäuschung gewesen. Ich habe es mir nicht eingebildet.

Ich empfinde Freude, aber auch zugleich Angst.

Die ganzen Wochen über in den ich ihn täglich gesucht habe ist vorbei. Ich muss ihn nicht mehr suchen, er hat mich gefunden. Nur wie?

Keine Bücherei ist mehr notwendig, denke ich.

Viele Fragen bauen sich in mir auf. Zu viele auf einmal.

Eric ist so still, hat noch kein Wort gesagt. Er schaut mich nur an.

Ich richte mich in meinem Bett auf, dreh mich komplett zu ihm und sehe jetzt, wie er aufsteht. Er kommt aus der Ecke meines Versteckes heraus.

Niemand ist jemals hier gewesen.

Er nähert sich mir. Geschmeidig wie ich, so schnell wie ich. Ein menschliches Auge wäre verzweifelt. Aber ich sehe genau und deutlich seine Bewegungen und wie er auf mich zukommt. Seine Flügel verschwinden. Ich sehe auf seine Kleidung.

Er sieht so anders aus, als beim letzten Mal. Sein Hemd und seine Hose sind ziemlich hell. Fast blendet mich seine Kleidungstücke, die er trägt. Und doch stehen sie ihm. Hauteng liegen sie an seinem wohlgeformten Körper.

Eric setzt sich neben mich aufs Bett. Mein Bett ist groß und reicht für zwei Personen. Doch wirkt es nun für mich klein und schmal, weil er neben mir sitzt und einen Teil meines Bettes einnimmt. Ich komme nicht umhin, aufgeregt zu wirken.

„Wie hast du es geschafft mich zu finden?“ Ich will seine Stimme hören. Ich will ihn fühlen und ihn schmecken.

Einerseits bin ich glücklich, andererseits auch merkwürdig beunruhigt, da ich dieses Versteck für sehr sicher gehalten habe.

Wer bist du, was bist du, wie kommst du überhaupt hier herein? Wie lange bist du schon hier?

„Du denkst zu viel, mein Freund. Ich kann wieder deine Gedanken lesen und die sind und waren seit Wochen nur auf meiner Suche. Auch in sämtlichen Büchereien habe ich deine Spuren entdeckt und von da aus führten sie mich direkt hierher. Du liebst dein Heim und denkst viel darüber nach. Ich konnte dich dann aufspüren. Du warst so mit dir beschäftigt, dass du nicht einmal gemerkt hast, wie ich dir folgte.“ Er lächelt mich warm an, dann aber wird er ernst. „Leider kann ich wieder nicht so lange bleiben“, flüstert er mir fast lautlos zu. Eric hört sich traurig an. „Und hier geht es besonders schnell. So tief unter der Erde, das macht mir Angst.“

Angst? Ich habe auch Angst. Ich verliere mich bei dir.

Warum kannst du nicht so lange bleiben? Was bist du? Mein Tod etwa? Fühle ich mich deswegen zu dir hingezogen?

Meine Gedanken überschlagen sich und wieder bemerkte ich zu spät, wie er in meinen Gedanken liest und nun ebenfalls mit mir über diesen Weg kommuniziert.

Ich kann ihn tatsächlich hören.

Oh Alucard, du brauchst wahrlich keine Angst zu haben. Nicht vor mir. Ich bin nicht der Tod. Ich bin das, was du dir wünschst. Und du bist das, was ich mir wünsche. Wir gehören zusammen, ich weiß das!

Ich möchte deine Stimme hören, ich möchte, dass du hierbleibst, spreche ich gedanklich zu ihm und sehe ihn an. Mir wird so warm in meinem kalten Dasein.

Er versteht mich und spricht laut weiter: „Wenn du möchtest, und dir das lieber ist, dann reden wir wie die Sterblichen. Du kannst mich hören, weil ich meinen Geist für dich geöffnet habe“, höre ich da ein Bedauern heraus.

„Ist es“, gestehe ich. „Ich mag deine Stimme. Warum kannst du nicht so lange bleiben“, frage ich nach und fürchte mich gleichzeitig vor der Antwort.

 

„Ich kann eine halbe Stunde bei dir bleiben, maximal. Denn ich werde schwächer.“ Seine Stimme, so traurig und so furchtbar alt. Ich höre das weiße Alter heraus, es ist wie Musik in meinen Ohren.

„Eine halbe Stunde nur?“ Ich begreife nicht wirklich, was er mir sagen möchte. Er spricht in Rätseln. Ich spüre nur wieder die Wärme, die von ihm ausgeht und ich rieche erneut die Sonne auf seiner Haut. „Was macht dir Angst? Mich, die Dunkelheit hier, oder beides?“ Zittert meine Stimme etwa, oder bilde ich mir dies nur ein? Kann sie überhaupt zittern? Ich starre auf seinen vollen Mund, der sich öffnet, um mir was zu sagen.

„Nein, ich habe keine Angst vor dir. Ich bin warm, im Gegensatz zu dir, wie du schon bemerkt hast - du riechst die Sonne auf meiner Haut. Die Sonne gibt mir Lebensenergie, die Nacht entzieht sie mir.“ Er wird traurig und ich auch. Irgendwie. „Du riechst nach dem Mond, nach der Nacht, der Kälte eben. Normalerweise mag ich den Geruch nicht besonders, aber bei dir? Bei dir macht es mir nichts aus.“

„Das geht mir genauso“, gebe ich zu. „Ich glaube wir haben da ein Problem?“, stelle ich bedrückt fest.

Er nickt nur, streicht sich über sein braunes kurzes Haar. Und dann berühren sich unsere Hände. Umschließen sich ganz wie von selbst. Er beugt sich vor und gibt mir einen Kuss auf meine kalten bebenden Lippen.

Sie beben, weil sie sich freuen ihn in Empfang zu nehmen. Ich will meinen Mund öffnen, aber er vereinnahmt mich so, dass es nicht geht. Zurück bleibt ein keuscher Kuss, seiner Seite.

„Du bist so kalt, Christopher.“ Nennt er mich jetzt mit meinem jetzigen Namen und löst sich von meinen Lippen. Sein linker Daumen streicht mir sanft darüber und fühlt sich an, als ob ich in der Hitze versenge.

„Und du bist so warm.“ Meine rechte Hand wandert an seinem Hals hoch und berührt jetzt ebenfalls die Lippen.

Wir sehen uns an. Ich lächle, er lächelt. Aber dann nimmt meine Gier überhand. „Eric, ich will dich kosten.“ Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dich nennen soll? Eric oder Soileh? Was ziehst du vor?

„Nenn mich, wie du möchtest. Ich liebe es, wenn du mich mit beiden Namen ansprichst. Mach es abwechselnd, mein geliebter Christopher und Alucard zugleich“, haucht er verführerisch zart und so dominant beides, woraufhin ich hart schlucken muss, bei dem Wort Geliebter. Bei so viel knisternder Erotik könnte ich beinahe weiche Knie bekommen. Gut, dass ich auf meinem Bett sitze. Gut, dass ich überhaupt sitze.

 

 

 

 

~6~

 

 

So viele Gefühle strömen in mich ein. Eine erotische Situation hier und jetzt, die ich niemals so pur erlebt habe, als wie in den Filmen.

Und nun habe ich das hier in meinem Versteck, mit ihm ganz alleine. Nur das hier ist wahrlich kein Vergleich und um so viel Längen besser, als die gestellten Schauspieler, die dafür Geld kassieren, um anderen was vorzuspielen. 1000 Mal besser. Es macht mich unheimlich an. Förmlich kann ich es zwischen uns knistern hören.

Soileh redet inzwischen weiter: „Und ich will dich auch kosten. Du riechst so unwiderstehlich. Du bist so schön. Ich will dich so sehr, du kaltes Geschöpf der Nacht. Mein kaltes Geschöpf.“ Er betont meinen Namen mit dunkler Stimme und samtig weich dazu, und die Gier flackert ebenfalls in ihm auf. Ich sehe es an seinen ebenso dunklen Augen die nun auf mich wie die Nacht wirken.

Meine Gier, mein Durst nach ihm, ist nicht minder. Sie schwillt an, bekommt einen unwiderstehlichen Drang sofort zuzubeißen. Ich kann mich kaum noch zurückhalten. Aber dennoch zwinge ich mich um Geduld, da ich ihn nicht unbedingt erschrecken möchte. Meine Hände streicheln den Rücken, fahren an den Unebenheiten entlang, wo die Flügel verborgen sind.

Warum hast du Flügel und ich nicht? Warum habe ich keine? Ich kann doch auch fliegen.

„Denk nicht so viel über diese Sache nach. Du brauchst keine Flügel. Ich brauche sie für den Tag. Denn am Tag sehe ich für das menschliche Auge aus wie ein Vogel. Ein großer Vogel, oder ich mache mich unsichtbar. Kommt ganz darauf an. Du bist in der Nacht nicht so auffällig. Die Nacht schluckt vieles. Daher denke ich, brauchst du.“ Er lächelt leicht.

Ich recke mein Kinn und komme ihm immer näher. Akzeptiere die Erklärung, ohne groß die Tatsache zu hinterfragen, da ich in seinen unwiderstehlichen Bann gerate, während meine Hände ihn weiterhin berühren. Zart, fast schon keuch und in defensiver Haltung, verrichten sie ihre Arbeit. Er berührt mich ebenfalls, mit dem gebührenden Respekt den auch ich ihm zuteile. Dennoch, auch wenn wir so zurückhalten uns verhalten, nähern sich unsere Gesichter, unsere Oberkörper. Jungfräulich sanft berühren sich unsere Nasen und schmecken gegenseitig die Lippen des anderen, die sich öffnen, um dessen Inhalt nun richtig erforschen zu können. Wie zwei hungrige Mäuler, die seit Tagen nichts mehr gegessen hatten, liegen unsere Lippen aufeinander. Stürmisch drängt er seine heiße Zunge in meinen Mund, die ich kühlend in Empfang nehme. Wir spielen mit unserer Zungenspitze, verschmelzen miteinander. Duellieren miteinander.

 

Seine Lippen sind so schön weich. Dabei überkommt mich dieses Mal ein Gefühl, als ob ich das schon einmal gemacht hätte - vor meiner Zeit. Dabei meine ich nicht unsere erste Begegnung vor vier Wochen. Wobei ich auch schon eine Art Gefühl hatte. Ein Gefühl der Vertrautheit. Alles fühlt sich richtig an. Alles fühlt sich nicht neu an. Im Gegenteil. Ich weiß genau was ihm gefällt, war er gut findet und was nicht. Ich weiß genau er will hier die Führung haben.

Meine Sinne schwinden dahin und ich fühle nur noch ihn, seine Hitze; seine Ausstrahlung, sein Dasein.

Ich verbrenne regelrecht in seiner Gegenwart, obwohl ich so kalt bin, verbrenne ich und schmelze dahin. Ihm geht es genauso, ich spüre es. Wir liegen uns jetzt völlig in den Armen, streicheln uns heftiger werdend und dann vernehme ich wieder den süßlichen Geruch nach seinem Blut.

Das süße Blut, das unter seiner Haut pulsiert und ihn, wie mich am Leben erhält. Es wird stärker und stärker.

Ich schaue ihn mit einer Leidenschaft an. In mir flackert der Jäger auf.

Du riechst so unwiderstehlich, ich will dich ...

„Ich rieche dich auch, ich will dich ebenso kosten.“ Seine Stimme so verlangend und unmissverständlich, greift er auch schon in diesem Moment, besitzergreifend in mein Haar und legt mit einer raschen Handbewegung meinen Hals frei. Ich brauche es bei ihm nicht tun, denn seine Haare sind nicht lang.

Es bedarf keine weiteren Worte zwischen uns und so versenken wir, in inniger Umarmung, gegenseitig die Zähne in den Hals. Ich durchbreche mit meinen Fangzähnen seine Haut wie Pergamentpapier und schon sprudelt das wahre Gold für mich in meinen Körper. Wir stöhnen beide begehrlich auf. Er reibt sich an mir, ich reibe mich an ihm. Aber körperlich wollen wir uns nicht vereinigen, das spüre ich. Ich will mich mit seinem Blut vereinigen, werde erregt. Ich koste, schlürfe, verfalle dieser Köstlichkeit und selbst spüre ich seine Lippen, wie sie gierig an meinem Hals saugen. Was für ein Gefühl, so intensiv in seiner ganzen Macht,

Es macht mich so stark an, dass es in meiner unteren Region zu zucken anfängt. Mein Glied wird steif und pulsierend.

Ich fühle ebenfalls Erics Gegenstück durch den Stoff seiner Hose. Auf einmal durchflutet mich eine Welle an Emotionen und ich erlebe zum ersten Mal, seit 4000 Jahren, einen Höhepunkt ohne mich berührt zu haben. Völlig überrascht davon ergieße ich mich heftig und mit einem begehrlichen Stöhnen zwischen den blutigen Lippen, direkt in meine Hose, da ich keine Unterwäsche trage. Fühle das kühle Blutsperma benetzt zwischen meinen Schenkeln hinuntergleiten. Von Soileh selbst bekomme ich nichts mehr mit, so bin ich in einen Strudel meiner Gefühle geraten. Mein Körper nimmt dieses einmalige und kostbare Geschenk auf und muss erst verarbeiten werden.

Nach einer Weile, als mein Orgasmus abgeebbt ist, mein Körper wieder normal in seiner Funktion funktioniert, lasse ich von ihm ab. Ich spüre wie er meine Wunde mit seiner Zunge verschließt und höre ein guttural klingendes Stöhnen aus seiner Kehle entweichen.

Sein heißes Blut fließt nun durch meine Adern. Die Wunde an seinem Hals schließt sich ebenfalls.

Wir sehen uns an. Ich sehe das Leuchten in seinen Augen und ein Grinsen auf seinen Lippen widerspiegeln. Da weiß ich, es hat ihm ebenso gefallen wie mir.

„Das war sehr schön“, haucht er mir zu, während er ganz nebenbei genüsslich das restliche Blut von seinen Lippen leckt. Dann ergreift er sich meine Hand und legt sie über seinen Schritt. Ich spüre die weiche Erhebung und fühle ebenfalls eine Feuchtigkeit. Heißes Sperma.

„Du?“, breche ich ab und mein Blick wandert ganz automatisch dorthin. Ich sehe einen dunklen Fleck auf seiner weißen Hose sich ausbreiten.

Du hattest auch einen gehabt?, denke ich und mir wird sonderbar zumute. Jetzt weiß ich, dass ich davor tot war und ich mich jetzt lebendiger denn je fühle.

Ich kenne ihm gegenüber keinerlei Scham.

Seltsam. Alles fühlt sich weiterhin so richtig an.

„Ja, ich auch, so wie du“, kaum ausgesprochen wandert seine Hand ebenfalls nach unten und legt sich heiß auf meinen Schritt, befühlt meine Nässe. Massiert kurz meinen noch feuchten Penis, der jetzt mit sich im Reinen ist.“

Wir beide kamen gleichzeitig als wir im Rausch des anderen, Blut tranken. Die perfekte Vereinigung, viel besser als bei den Sterblichen.“

Auf einmal werde ich kurz eifersüchtig.

Eifersucht? Ich?

„Es gibt niemanden, außer dir. Deine Eifersucht ist ehrenwert für mich, aber völlig unbegründet. Da gibt es niemanden ...“, tadelt er mich beinahe, aber nicht im Bösen. Ich fühle mich geschmeichelt.

Aber dann ist seine Hand verschwunden und ich empfinde so etwas wie ein Bedauern in mir. Auch ich nehme meine Finger von ihm, da ich spüre, wie er unter meiner Kälte zittert. Die Wärme schwächt auch mich ein wenig, gebe ich zu, aber ich bin in meiner Welt. Der Ausgleich ist immer sofort hergestellt.

„Ich habe noch nie so was Köstliches geschmeckt, wie dein Blut. Das erste Mal war nichts gegen das hier gewesen. Oder aber, ich kann mich nicht genug an dir satt trinken, und die Gier nach mehr nimmt stetig zu um so öfter ich dich treffe", gibt er offen zu. Er zieht seine Fangzähne zurück und lässt dadurch seinen Mund harmlos erscheinen.

Fast schon menschlich normal.

Ich lausche jedes seiner Worte andächtig und bin völlig von ihm hingerissen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich nicht mehr einsam. Ich bin selbst überwältigt von meinen Gefühlen und spüre tief im Innern, so etwas wie ein Déjà-vu zu haben.

Alles kommt mir immer vertrauter vor. Aber sobald ich drüber nachgrübeln möchte, bekomme ich seltsamerweise eine Blockade.

Ich lächle dennoch, lasse mir meine Verwirrtheit darüber nicht anmerken, nicke ihm zur Bestätigung seiner Gefühle zu. Denn ich fühle ebenso wie er und fahre meine Fangzähne ebenfalls zurück. Die Jagd nach dem Blutdurst ist vorerst beendet. Mein Jäger in mir ist fürs Erste zufriedengestellt. Der Duft des Blutes wird weniger. Die Duftdrüsen beruhigen sich langsam und verströmen fast nichts mehr. Ich bin zwar nicht gesättigter als vorher, da er mir fast die gleiche Menge an Blut gestohlen hat wie ich ihm, aber glücklicher und vor allem zufriedener. Jedoch schleichen sich trübe Gedanken in mich. Ein Schatten huscht über mein Gesicht. Ich verziehe leicht meine Mundwinkel nach unten, lege die Stirn in Falten, als mir bewusst wird, dass er nicht lange bleiben kann.

„Ich hatte noch nie solche Gefühle Alucard“, fährt er weiter in seiner Rede fort und ich versuche die dunklen Gefühle von mir abzuschütteln, konzentriere mich auf seine Worte. Er stockt kurz schüttelt den Kopf. „Nein, das stimmt nicht ganz“, korrigiert er sich. „Ich hatte sie schon einmal.“ Er sieht mich an - wird nachdenklich, dabei sehe ich, dass er sich langsam unbehaglich fühlt, unruhig.

Ich gehe nicht näher darauf ein, sondern komme zu dem Punkt, was in mir zu nagen beginnt. „Du kannst nicht in der Nacht existieren, nicht wahr?“, meine Stimme wird dabei schwermütig.

Er stellt mir ebenso eine Gegenfrage: „Und du? Du kannst nicht bei Sonnenlicht raus, nicht wahr?“

Ich schaue ihn an, verneine und verfalle in traurige Gedanken. Ja, ich kann nicht raus. Ich verbrenne, erleide Qualen, wenn ich mit dir zusammen in die Sonne gehen würde. Ich kann noch nicht einmal in meine Wohnung, da ich die kalte Erde brauche um mich herum, auch um deine Hitze zu ertragen.

„Wer oder was bist du wirklich?“, übergehe ich ebenfalls seine Frage. Zu spät merke ich wieder, dass er in meinen Gedanken gelesen hat. Ich sehe es an seinen Augen, die so dunkel, so wunderschön werden und auch zeitgleich in einer tiefen Melancholie verfallen.

„Ich bin der Sonnengott“, sagt er plötzlich mit ein wenig Stolz in seiner Stimme schwingend.

„Du bist ein Gott?“ Jetzt hat er mich wirklich überrascht.

 

 

 

 

 

~7~

 

 

Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit dem hier.

Warum bin ich nicht auch selbst auf den Gedanken gekommen, nach Göttern zu forschen? „Ich dachte, du wüsstest es nicht? “, stelle ich ihn gleich zur Rede. Ich erinnere mich noch genau an seine Worte. „Und ich dachte die ganze Zeit über, du wärst ein Dämon. Darum forschte ich nach Hinweisen, nach deiner Herkunft in sämtlichen Büchereien überhaupt. Kein Wunder, warum ich nicht fündig wurde. Ich suchte einfach an der falschen Stelle“, gebe ich zu.

Bin ich jetzt enttäuscht? Ich weiß es nicht. Die ganzen Eindrücke, Emotionen, sie stürmen auf mich ein.

Nicht gut, denke ich. Gar nicht gut für einen Vampir, wie mich.

„In Büchern? Das von Menschen geschrieben wurde. So, so.“ Er schüttelt leicht ungläubig den Kopf und ich kann eine kleine Falte erkennen, die sich auf seiner glatten Stirn gebildet hat. Sie ist nicht tief, doch merke ich, wie er überlegt. „Bis vor Kurzem wusste ich selbst nicht einmal, was ich genau bin. Aber seit der Begegnung mit dir, fingen bei mir ungewöhnliche Träume an. Denen bin ich schließlich nachgegangen. Bis ich meine wahre Identität herausfand. Darum bin ich hier. Ich habe es anscheinend mir selbst zuzuschreiben“, spricht er in Rätseln und ich verstehe den Sinn und deren Bedeutung seiner Worte nicht.

„Ich habe keine Träume … Niemals. Wenn ich mich zur Ruhe begebe und meine Augen schließe, ist da gar nichts. Keine Bilder, keine Gedanken. Rein gar nichts.“

Keine Träume, denke ich immer noch grüblerisch nach, denn immer, wenn ich die Augen schließe, wird es schwarz um mich herum, oder ich erinnere mich nicht daran.

Er nickt, als ob er weiß, warum das so ist. Natürlich, er liest kontinuierlich in meine Gedanken. Das vergesse ich all zu oft. Damit gebe ich all mein Wissen preis. Warum auch vor ihm verbergen. Ich habe keinen Grund ihm etwas zu verschweigen. Seine wiederum kann ich in diesem Moment nicht lesen. Warum auch immer er sich vor mir verschließt, noch frage ich nicht danach, da ich zu sehr mit dieser Traumsache beschäftigt bin.

„Warum träume ich dann nicht? Wieso du und ich nicht?“, hake ich energisch nach.

„Das weiß ich auch nicht. Vielleicht lässt du es nicht zu, vielleicht blockiert irgendjemand dich. Der, von dem wir erschaffen worden sind vielleicht?“ Er spricht weiterhin für mich in Rätseln.

„Der, von dem wir erschaffen worden sind? Ich verstehe nicht ganz, wer soll das sein? Gott etwa?“, versuche ich schon beinahe zu scherzen, denn ich glaube nicht wirklich an deren Menschengott. Ich verstehe es wirklich nicht. „Wer bin ich in Wirklichkeit? Wenn du tatsächlich ein Gott bist, was bin ich dann? Warum weißt du erst jetzt von deiner Existenz. Warum erst nach so langer Zeit. Was macht das für einen Sinn?“ Ich bin aufgestanden, ignoriere meinen Fleck auf der Hose, der langsam zu trocknen beginnt. Es ist für mich nicht wichtig und laufe vor Eric, der immer noch viel zu ruhig für meinen Geschmack auf meinem Bett sitzt, auf und ab.

Von Schlaf ist keine Spur. Ich bin viel zu aufgeregt dafür. So viele Fragen, so viele Dinge kreisen um meine Gedanken, die ich nicht verstehe.

„Hast du mich erschaffen, wenn du doch ein Gott bist?“, wende ich meine Frage direkt an ihn und schlucke kräftig dabei. Hoffe auf eine befriedigende Antwort aus seiner Sicht. Dabei atme ich heftig ein und aus. Ich brauche gerade in diesem Moment diese menschliche Eigenschaft. Warum auch immer.

Er steht jetzt auch auf, wirkt so viel größer wie ich. Seine Statur beeindruckt mich weiterhin. Jetzt wo ich es weiß, erkennt man, dass er was ganz Besonderes ist. Etwas Göttliches umhüllt ihn tatsächlich. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Aber seine Flügel und diese Klauenhände! Seine Hände sahen bei unserer ersten Begegnung aus wie von einem Dämon.

Du bist also kein Dämon, wenn es denn Dämonen geben würde. Aber wenn es Götter gibt, dann doch auch Dämonen, rätsle ich innerlich. Zermürbe mir beinahe das Gehirn. Ich komme einfach nicht weiter.

„Also mir ist noch kein Dämon unserer Art begegnet, und du bist auch keiner“, gibt er mir eine unbefriedigende Antwort auf meine viele zermürbenden Fragen.

„Nein? Wirklich nicht?“, sage ich und lasse meine Stimme mit Absicht ein wenig schroff wirken. „Lass mich raten, ich bin in Wirklichkeit der gefürchtete Dracula, der bösartigste und gemeinste Vampir auf Erden und einzigartig in seiner ganzen Pracht.“ Ich habe meine Hände auf meine schmale Hüfte abgestützt und sehe ihn ein wenig wütend an.

„Nein, ein Vampir bist du nicht. Soviel ich weiß, gibt es keine Vampire. Aber du bist dennoch einzigartig“, gibt er weitere Rätsel für mich auf. Diese Andeutungen lassen mich weiter demoralisieren.

„Es gibt keine Vampire? Aha“, erwidere ich. „Ja, was bin ich dann?“, meine Stimme klingt immer ungläubiger. Ich bin fassungslos. „Ich trinke Blut, ich sehe aus wie ein Vampir. Ich bezirze die Leute. Ich habe fast alle Eigenschaften, die in den Büchern über Vampire stehen. Ich bin ein Untoter. Ich brauche das hier. Die Erde. Du siehst doch selbst, wo ich mich über Tag versteckt halten muss, damit die Sonne mir nichts anhaben kann.“

„Finde es selbst heraus“, spricht er geheimnisvoll und dann berührt er mich sanft an der Schulter, damit ich vor ihm stehen bleibe, da ich wieder auf und ab gegangen bin.

„Richte deine Wut nicht gegen mich.“ Seine heißen Hände ruhen kurz auf meiner Schulter, dann greift er in mein Haar, lässt ein paar einzelne Strähnen durch seine Finger gleiten. Ich genieße seine Hände auf mir und wie er mein Haar berührt. Wie er meine Wangen streichelt, auch wenn seine Finger immer zittriger dabei werden. Ich schmiege mich in seine Handinnenfläche. Zwar nur kurz, denn ich will ihm keine Schmerzen bereiten, oder ihm gar mit meiner Kälte verletzen. Meine Wut verraucht. Ich kann nicht sauer auf ihn sein. Es geht einfach nicht, auch wenn die Fragen an ihn sich langsam zu stapeln beginnen und ich unzufrieden zurückbleibe.

Wenn du der Gott der Sonne bist, was bin ich dann? Bin ich etwa auch ein Gott?, denke ich. Denke ich diesen Gedanken jedoch weiter, habe ich eine Blockade. Seltsam.

„Ich bin also kein Vampir?“ Meine Stimme klingt dabei fremd und von ganz weit hergeholt. „Ich fühle mich aber zur Nacht hingezogen, kann da nur existieren. Auch zum Mond habe ich eine Verbindung.“ Ich muss gestehen, dass ich mich zum Mond sehr hingezogen fühle. Er beruhigt mich auf eine Art und Weise.

Auf einmal weiß ich genau, wie Erics Handinnenfläche aussieht, wenn er sie normal aussehen lässt. So wie jetzt. Ich fasse nach seiner warmen Hand und küsse spontan die Handinnenfläche. Dabei habe ich ein Bild vor Augen, als ob ich das schon bei ihm öfter getan habe. Früher. Wie auch das Küssen. Eine winzige Geste und doch so erschreckend vertraut, wie ich finde.

Du hast eine Kerbe mit einem Mal von einer Sonne. Warum komme ich jetzt erst dahinter. Du weißt doch noch mehr über mich und warum fühle ich mich so zu dir hingezogen. Ich spüre eine starke Verbindung zwischen uns. Wer bin ich wirklich, mein Soileh?

„Ich lese in deinen Gedanken Christopher vergiss das nicht, aber deine Gedanken gefallen mir.“ Dabei klingt seine Stimme so zärtlich, als er meinen anderen jetzigen Namen ausspricht. „Du musst es für dich herausfinden. Da kann, und werde ich dir nicht helfen. Ich selbst habe es bei unserer ersten Begegnung gespürt. Unsere Verbundenheit. Ich trage das Mal der Sonne und du…“, erklärt er jetzt was ich schon weiß, was ich gerade eben herausgefunden habe. Er dreht meine rechte Hand und zeigt mir ebenfalls ein Mal, worüber ich mir nie groß Gedanken gemacht habe, da es für mich die ganze Zeit über nicht interessant war. Ich habe ein kleiner Halbmond auf meinem rechten Handballen. Kaum sichtbar, aber wenn man genauer darauf schaut, erkennt man das Symbol dennoch. „Du trägst das Mal vom Mond, finde deine Herkunft selbst heraus. Erinnere dich.“

„Wie erinnern? Warum erst jetzt. Warum trage ich das Mal vom Mond überhaupt? Warum fällt mir das erst jetzt auf ... ich ...“ Ich breche ab und schaue auf meine Handinnenfläche. Schüttle verwirrt den Kopf. Ich bin also kein Vampir. Was herausfinden? Wie soll ich mich an was erinnern, wenn meine Gedanken es nicht zulassen. Ich werde immer verstörter.

„Du bist also der Gott der Sonne.“

„Ich bin der Gott der Sonne. Aber man hat mich verändert. Ich bin jetzt zu einer Art Dämon gemacht worden. Helle Kreatur, was weiß ich. Nenne es, wie du willst. Ich weiß nur, wer ich früher war oder wir waren, was wir sind. Davor jedoch waren wir anders.“ Wieder spricht er in Rätseln und ich versuche doch in seinen Gedanken zu lesen, da meine Neugierde mich schier umbringt. Ich muss wissen, was für Geheimnisse er vor mir verbirgt. Ich spüre ganz genau das er mehr weiß, als er mir preisgeben möchte. Ein wenig enttäuscht bin ich, lasse mir aber nichts anmerken. Ich konzentriere mich auf Eric, aber er hat einen Schutzwall um seine Gedanken gelegt, was ich schade finde. Es macht mich ein wenig ärgerlich.

„Warum willst du nicht, dass ich deine Gedanken lesen kann?“, frage ich scharf nach. „Hast du die Antwort auf all meine Fragen, nach dem: was bin ich, wer bin ich, warum existiere ich, mmh, du Gott der Sonne? Sag was!“

„Ich habe meine Gründe“, gibt er sich mir gegenüber sehr bedeckt. Er fährt sich durch sein Haar. Lässt ihn verletzlich und auch sehr menschlich wirken.

„Warum denn nicht? Ich verstehe kein Wort mehr. Woher weißt du das alles? Doch nicht nur aus deinen Träumen?“ Ich sehe ihm in die Augen, will aus ihnen noch mehr Wahrheiten herauslesen. Aber natürlich kann ich in ihnen nichts erkennen, außer, dass er sehr ernst wirkt. Zu ernst für meinen Geschmack. Denn obwohl ich ein dunkles Geschöpf bin, finde ich sein Lächeln sehr schön, das jetzt aus seinem Gesicht völlig verschwunden ist.

Meine Müdigkeit ist weiterhin wie weggeblasen, auch wenn ich nun zu schwächeln anfange. Die Sonne ist aufgegangen, ich spüre sie trotz meines Schutzes und durch Erics Anwesenheit meine ich, sie verstärkt zu spüren. Ihre Intensivität, auch hier in meinem Versteck. Es ist, als ob sich ihre Strahlen durch die Erde durchwühlen. Aber habe ich was anderes erwartet? Vor mir steht der Gott der Sonne. Und in ihn habe ich mich verliebt. Ja, ich liebe ihn. Das wird mir immer bewusster. Mein ganzes Leben habe ich auf dieses Wesen gewartet. Das weiß ich jetzt.

„Ich habe recherchiert und meine Träume gedeutet“, gibt er mir zu verstehen. „Das sagte ich doch bereits. Warum ich so schnell kraftlos werde, liegt daran, dass ich nicht lange in der Dunkelheit verweilen kann“, erklärt er mir traurig und dann sehe ich ihn mir noch genauer an. Nicht nur seine Hände zittern jetzt, sondern sein ganzer Körper. Ich mache mir Sorgen um ihn. Große Sorgen sogar und will nach seiner Hand greifen, er aber schüttelt den Kopf.

„Wieso nicht?“ Ich will mich ihm nähern.

„Es entzieht mir die Lebensenergie.“ Er zieht sich von mir komplett zurück. „Bitte, Alucard, bleib, wo du bist, und komme mir nicht näher, ich werde zu schwach.“ Er hält mich mit einem Handzeichen auf, ich bleibe stehen.

„Warum bist du mir erst vor Wochen das erste Mal begegnet? Ich lebe schon seit 4000 Jahren auf der Erde. So lange war ich alleine. Warum erst jetzt, nach so langer Zeit?“ Ich kann nicht anders als traurig zu werden, versuche dennoch nicht vor ihm zu weinen, denn das würde ihn erschrecken. Oder weint er auch blutige Tränen? Kann ein Gott ebenso blutige Tränen weinen? Ich verstehe gar nichts mehr. Fahrig streiche ich ein paar Strähnen aus meinem Gesicht.

„Ich sagte bereits, ich habe von dir geträumt, und ich war sehr hungrig, weil ich vergessen hatte, mich zu nähren und die Dunkelheit brach über mir herein. Außerdem trieb mich irgendetwas zu diesem Ort hin. Zu diesem Park. Dein Duft, der mich anlockte wie eine Motte das Licht. Ich glaube gar nicht mehr, dass es ein Zufall war, dass wir uns vor vier Wochen begegnet sind.“

„Wie kannst du dich vor den Menschen im Hellen verstecken, dich ernähren?“ Ich versuche jetzt einen Weg zu finden, wie er mir mehr von sich erzählt.

Er rückt von mir ab, als ich mich ihm wieder nähern will, werfe daher ihm einen traurigen Blick zu.

„Es tut mir leid, aber du wirst mir zu kalt“, entschuldigt er sich.

Ich nicke traurig und verstehe ihn.

„Ich kann mich unsichtbar machen, oder mich wie ein Vogel aussehen lassen, eine Illusion aufbauen, nennt man das, wie ich dir bereits sagte. Nur vor dir hat es nicht geklappt“, beantwortet er mir meine Frage weiter. Die ich aber schon gewusst habe, merke, ich komme nicht weiter.

„Und jetzt?“, fragte ich etwas in Panik geraten. „Wie geht es mit uns weiter? Ich will dich wiedersehen.“ Ich habe das Gefühl, das noch viel mehr dahinter steckt. Zum ersten Mal zweifle ich an meinem Dasein.

„Ja, ich dich auch, aber ich muss los, Christopher, ich muss, mein Geliebter.“ Er wirkt nun um einiges älter. Ich erkenne, wie er schwächer und schwächer wird und mache mir immer mehr Sorgen um ihn.

Geliebter.

„Wie können wir uns sehen?“ Ich will weiterhin seine Berührungen spüren.

Ich will wieder so ein verbundenes Gefühl spüren.

Ich will ihn wieder sehen, und ein wenig von seinem Blut trinken.

Die Panik in mir, schon wieder von ihm getrennt zu werden, wird stärker und stärker. Es ist, als ob mir ein Teil wieder weggenommen würde.

„Fast gar nicht, denn der Besuch kostet mich so viel Kraft. Ich kann mich danach kaum erholen, es hat fast vier Wochen gedauert, bis ich meine vollständigen Kräfte wiedererlangt hatte.“ Seine Stimme wird schwach, sein Gesicht wirkt eingefallen und bleich. „Oder nur sehr kurz, ich muss wirklich los, ich werde zu schwach. Wenn ich jetzt nicht gehe, sehen wir uns gar nicht mehr“, sagt er ebenfalls traurig und ich merke, wie er sich von mir entfernt und sich an der Luke zu schaffen macht.

„Warte, wie sieht es mit Räumen mit Kerzenlicht aus?“ Starte ich einen verzweifelten Versuch und er bleibt tatsächlich stehen und hat das Eisenschloss in der Hand. Ich sehe ihn deutlich schwanken. Er macht jetzt wirklich einen sehr, sehr geschwächten Eindruck. Dann küsse ich ihn ein letztes Mal rasch auf den Mund. Ich bin so schnell, dass er nicht reagieren kann. Ich höre nur ein Stöhnen aus seinem Mund. Lust und Qual wechseln sich ab. Er erwidert meinen Kuss mit all seiner letzten Kraft und nimmt mich dann doch kurz in den Arm.

„Nein, ich brauche UV-Strahlen, die mich am Leben erhalten, sowie du die Nacht brauchst. Ich liebe dich, mein Alucard. Erinnere dich, bitte.“

„Ich versuche es. Ich liebe dich auch, mein Soileh.“

Wir trennen uns endgültig. Er macht mit Mühe die Luke auf, wobei ich ihm helfen muss, obwohl ich die Sonne so sehr zu spüren bekomme. Dann verschwindet er für immer und ich schließe sofort die Luke, kann ihm noch nicht mal hinterher schauen. Innerlich bin ich total aufgewühlt und ich muss mich zusammennehmen, denn auch ich muss mich erholen. Meine Haut ist leicht gerötet. Die vorangeschrittene Zeit fordert ihren Tribut und ich lege mich rasch auf mein Bett. Dann, auch wenn es mir sehr schwer fällt und ich eigentlich den ganzen Gesprächsverlauf nochmals in mein Gedächtnis hervorholen möchte, schließe ich meine Augen. Einerseits bin ich glücklich ihn gesehen zu haben und meine Sehnsucht nach ihm ist jetzt größer als jemals zuvor. Andererseits werde ich unheimlich traurig, denn unsere Situation ist so ausweglos. Noch auswegloser wie diese menschliche Liebesgeschichte Romeo und Julia. Dennoch spüre ich eine Lebendigkeit in mir. Ich will ihn wieder sehen und wenn es mein eigenes Leben kostet. Das ist mir egal. Was bedeutet mein Dasein ohne ihn.

„Mein Sonnengott“, flüstere ich leise und nur mein Versteck schluckt die Worte. Wobei ich immer noch nichts mit meinem Wesen anfangen kann. Denn jetzt wo ich weiß, kein Vampir zu sein, was bin ich dann wirklich? Bin ich dann der Teufel? Aber ich bin nicht direkt bösartig. Ich fühle mich seltsam, habe ich doch wirklich mich eher wie ein Vampir gefühlt.

Ich muss dich wieder sehen.

Ich drifte in die Schwärze. In meine Schwärze, merke aber, auch wenn ich bereits schlafe, geschieht etwas in meinem Unterbewusstsein, was ich niemals für möglich gehalten hätte. Ich fange an zu träumen. Ich träume von meinem früheren Leben.

 

 

... „Ich verfluche Eure Liebe. Die Sodomie ist auch hier nicht erwünscht und ganz gegen unsere natürliche Art. Sie ist nicht rechtens“, dröhnte eine mächtige Stimme in dem hellen raumlosen Dasein. „Ihr dürft niemals wieder zusammen sein. Ich dulde es nicht, so hintergangen worden zu sein. Wir alle hier in diesem Reich wollen diese Art von Liebe nicht. Meine Rache ist es, dass einer in der Nacht leben muss, der Andere aber, nur im Licht. So wie ich Euch eigentlich erschaffen hatte. Aber keiner kann auf der anderen Seite existieren, das wird der feine Unterschied sein. Du Soileh, kannst nur im Licht, in der Sonne deine Erfüllung finden und du Alucard, bist ein Nachtwesen. Liebst die Kälte, den Mond, das Schattendasein. Eure Nahrungsquelle wird dennoch gleich werden. Ihr werdet Euch nur von dem Blut anderer Lebewesen ernähren können. Kein Fleisch oder pflanzliche Nahrung kann Euren Hunger stillen. Nur Blut hält Euch am Leben. Hungrig werdet ihr sein nach dem roten Lebenssaft. Ihr werdet nichts voneinander wissen. Das ist meine Rache an Euch, weil ihr mich beide betrogen habt. Mich, euren Schöpfer. Ihr habt eine verbotene Liebe geliebt, die ich nicht dulde, darum verstoße ich Euch aus meinem Reich. Tausende von Jahren werdet ihr nichts über euch wissen. Ihr werdet keine Ahnung haben, was ihr seid und glaubt den Mythen der Menschen. Nur euer Name, das ist alles, was ihr noch von Euch wissen werdet.“

 

Ich hörte ein lautes, machtvolles metallisch klingendes Lachen. Es war das Lachen eines Teufels und zeitgleich eines machtvollen Gottes. Es war das Lachen, meines Gebieters. Meines Schöpfers. Die Menschen würden ihn trügerische Weise Gott oder Zeus nennen. In Wirklichkeit gibt es auch unter den Göttern eine Rangliste. Und er war das Oberhaupt allen Lebens auf der ganzen Welt und im ganzen Universum. Er war auch unter uns Göttern der Erschaffer.

 

Soileh“, rufe ich erschreckt nach meinem Geliebten, der von mir weggeschleift wurde.

 

Nein, bitte Meister! Bitte, tu uns das nicht an, ich kann ohne ihn nicht leben“, rief ich ihm zu, als mein Schöpfer meinen Liebhaber gepackt hatte. Ich war verzweifelt und weinte bittere Tränen. Mein Leben schien aus den Händen zu gleiten. Mein Dasein würde ohne nutzen sein, wenn ich nicht meinen Geliebten an meiner Seite hätte. Ich konnte mir kein Leben vorstellen ohne ihn.

 

Oh nein, Alucard, das ist das Einzige, an das du dich erinnern wirst, an deinen Namen, und den Durst, den du von jetzt ab immer haben wirst“, donnerte er mir von oben herab. Gleichgültig klang seine Stimme, arrogant sein Auftreten. Herrisch in all seiner Herrlichkeit. Dann verschwand er mit meinem Geliebten und ich hörte die verzweifelten Schreie Soileh, wie er meinen Namen rief, und auch ich schrie ...

 

 

Schreiend erwache ich aus meinem Traum. Blutschweiß bedeckt die Stirn. Ich fasse an meine Stirn und sehe das Blut an meinen Fingern kleben. Meine Bettwäsche ist besudelt von meinem Schweiß aus Blut. Meine Haare ebenso feucht. Mir wird bewusst, dass es kein gewöhnlicher Traum war, dass ich meine Erinnerung geträumt habe. Meine Erinnerung an mein früheres Leben. Ganz tief in meinem Inneren, weiß ich jetzt, wer ich bin.

Oh nein, denke ich völlig fassungslos. 4000 lange Jahre lebe ich in der Illusion ein Vampir zu sein, dabei bin ich Alucard, Gott der Nacht und des Mondes.

 

 

 

~8~

 

 

„Soileh“, hauche ich, als ich aufstehe und mich nach oben in meine Wohnung begebe. Eine rote Träne bahnt sich den Weg auf meiner rechten Wange. „Ich kann mich an dich erinnern, mein Geliebter. Jetzt wo ich weiß, wer du bist, werde ich um dich kämpfen. Ich werde keine 4000 Jahre mehr warten und ein ödes Dasein tristen. Nie mehr. Das schwöre ich.“ Da vernehme ich Soilehs Stimme.

„Endlich erinnerst du dich an uns, endlich. Dennoch können wir nicht zusammen sein. Nicht in unserer jetzigen Gestalt. Ich bin zu schwach ...“ Die Stimme bricht in meinem Kopf ab.

Soileh, wo bist du?, sende ich meine Gedanken gebündelt in alle Richtungen. Wir werden einen Weg finden ...

So sehr ich mich anstrenge, ich bekomme keine Antwort. Die Stimme in meinem Kopf ist weg und Einsamkeit hat dafür Platz gemacht. Es ist für mich wie eine Beschwörungsformel und jedes meiner Worte meinte ich auch so, die ich sagte.

Ich laufe in der Wohnung hin und her und versuche dabei meine aufgebrachten Gedanken zu ordnen. Dabei fahre ich mir immer wieder durch meine langen schwarzen Haare. Ich kann nicht atmen aber, ich tue diese menschliche Eigenschaft, ich brauche sie jetzt mehr denn je.

Man hat mich meiner mächtigen Kräfte beraubt und mich in eine Kreatur verwandelt, die eines Gottes nicht würdig ist. Diese Erkenntnis bringt mich so zur Weißglut, dass ich dabei meine Fangzähne ausfahre, und ein ohrenbetäubender Schrei von mir lasse. Markerschütternd, dass man meinen könnte, die Wände, die dieses Gemäuer umgibt, zu wanken anfängt.

Aber ganz bekomme ich mich nicht unter Kontrolle und ein Schrank muss daran glauben in denen ich ein paar Bücher stehen habe. Krachend fällt er in sich zusammen, als meine Faust auf dieses harte Holz niedersaust.

Eines weiß ich genau, ich hasse meinen Schöpfer in diesem Moment, mehr wie ich jemals in Worte fassen kann. Meine Wut auf ihn ist unbändig und grausam in seiner ganzen Pracht. In diesem Augenblick sehe ich wirklich wie Graf Dracula in seinen schlimmsten Filmen aus. Ich stelle mir außerdem vor, wie ich meinen Schöpfer langsam umbringen werde.

Ich muss hier raus, denke ich. Und in Windeseile ziehe ich mich um und bin in weniger als einer Minute bereits Park. Genau an jener Stelle, wo ich Soileh das erste Mal begegnet war.

Der Wind bläst kühl durch mein offenes Haar.

„Warum hast du mir nichts gesagt? Warum musste ich es durch meine Träume erfahren, wer ich wirklich bin?“, brülle ich in den menschenleeren Park. Ich balle meine Hände zu Fäusten. Mein Hunger nimmt überhand. Dann erhebe ich mich in die Luft und suche mir einige Opfer. Als ein paar streunende Hunde daran glauben mussten, gehe ich schließlich gesättigt in die Abendbücherei, in der ich schon einmal war. Die, die gut bewacht ist.

Heute ist nur der Mann vom Personal anwesend, des Weiteren sind wir völlig alleine. Er erkennt mich sofort und hebt missbilligend seine Augenbrauen nach oben. Ich schaue an mir herunter und schmunzle. In meiner Aufmachung sehe ich wie der Leibhaftige persönlich aus. Aber dieses Mal stört es mich nicht.

„Guten Abend“, begrüßt er mich dennoch höflich.

„Ob es ein guter Abend ist, bezweifle ich stark.“ Ich lasse meine Stimme gefährlich wirken, sodass er doch von seinem Sitz aufsteht und etwas vor mir zurückweicht. Ich zwinge mich, meine Wut und Trauer nicht auf dieses Menschlein zu übertragen. Auch wenn mich mein Schöpfer in so eine Kreatur verwandeln ließ, will ich dennoch kein Scheusal sein. Diesen Hass hebe mir ich für ihn auf.

„Verzeihung, ich wollte nicht unhöflich erscheinen oder gar mit meiner Aufmachung wirken. Ich suche heute etwas über Götter.“

„G-Götter“, stottert er und deutet mit zittrigen Fingern wieder auf das Regal, wo auch die Mythen stehen.

Klar doch, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? In meiner Verzweiflung denke ich nicht mehr rational.

„Habe ich mir fast so gedacht. Danke und ich weiß um 12 Uhr Mitternacht wird sie geschlossen, ich beeile mich.“ Denn ich habe nur noch eine Stunde Zeit bis dahin.

„Ja, gut“, sagt er und setzt sich unruhig auf seinen Stuhl zurück. Wobei er mich die ganze Zeit nicht mehr aus den Augen lässt.

Ich atme durch und ignoriere seine Blicke. Bald werde ich fündig und nehme zwei Bücher an mich, die vielleicht interessant sein könnten. Ich setze mich an einen Tisch, schlage die Seite auf, in der alle Götter chronologisch aufgelistet sind.

Die Namen kommen mir auf den ersten Blick nicht bekannt vor, aber einige, wenn ich sie rückwärts lese, dann erkenne ich auch einige Götternamen, die es tatsächlich gibt. Wie zum Beispiel Nodiesop. Dieser Gott ist der Elementargott des Wassers. Hier wird er als Poseidon geschildert, als Unterwassergott.

 

 

Die Leute damals von Atlantis, die es auch in Wirklichkeit vor langer Zeit gab, und nur wir Götter von ihrer Existenz wussten, hatten beinahe unser Geheimnis gelüftet. Aber nur fast. Unser Schöpfer war damals so erzürnt gewesen und ließ Atlantis mit all seinen Bewohnern im Meer versinken ...

 

 

Du bist schon damals grausam gewesen, denke ich bitter. Meine Gedanken gehen wieder zu Soileh zurück.

Wo kann ich dich nur finden?

Ich zwinge mich, nicht ganz verzweifelt zu wirken. Doch es will mir nicht direkt gelingen. Er fehlt mir sehr.

Ich überfliege danach die beiden Bücher, lege sie aber nach kurzer Zeit weg. Kein Buch kann mir helfen, es sind doch nur Fantasien. Eine bittere Erkenntnis. Aber habe ich was anderes erwartet? Habe ich erwartet, dass sie sich von den üblichen Mythen abheben würden? Es sind im Prinzip auch Mythen. Nur ich weiß, dass es nicht so ist. Es gibt uns wirklich.

Ich bin ein Gott, denke ich? Ein Gott wird nur von einem Übergott erschaffen, den man Schöpfer nennt. Da ich mal ein Gott war, habe ich nicht auch die Macht, Dinge zu ändern, mich zu verändern? Habe ich nicht die Macht diesen grausamen Schöpfer zu töten?

Nein, denke ich, in diesem Zustand nicht.

Mein Hass auf ihn schwillt weiter an, aber auch meine Trauer um meine Existenz, dabei merke ich zu spät, wie mir die Tränen gekommen sind. Ich merke es erst, als ich einen Schrei vernehme. Verdammt, denke ich und bin in Nanogeschwindigkeit bei dem Mann, der immer noch ganz bleich wirkt und seine Lippen weiterhin für einen weiteren Schrei geöffnet sind.

„Schweig“, zische ich aufgebracht.

„Wie kann das sein? Sie bluten ja aus den Augen! Was ...! Er bricht ab, ringt nach Luft, weicht immer weiter vor mir. Ist blass geworden. Fast so schön blass wie ich. Welch Ironie. Aber davon habe ich jetzt nichts. Mich an der Angst eines Menschen zu ergötzen, wenn es mir selbst so schlecht geht, daran finde auch ich keinen Spaß. Er hat meine Drohung bezüglich zu schweigen, nicht gehört. Ich sehe wie Wahnsinn und Angst sich in seinem Gesicht widerspiegeln.

„Du hast nichts gesehen“, wende ich sofort meine Macht an und er verfällt meinem Bann.

„Ich habe nichts gesehen“, redet er mit monotoner Stimme und wie ein Untoter mir nach.

Ich bin zufrieden. Schnell wische ich mein Gesicht mit einem Tuch sauber, das ich immer in meiner Hosentasche habe, gerade für solche Fälle, lasse aber den Mann nicht mehr aus den Augen. Erst als ich mir sicher bin, dass er nichts mehr von dem weiß, was er gesehen hat, fällt mein Blick auf mein zweites noch vorhandenes Problem - die Kameras. Die alles mitgefilmt haben, die ich natürlich auch sichern muss. Ich sehe wieder in seine Augen. „Die Kameras sind kaputt gegangen, die Bänder müssen sofort ausgewechselt werden. Die Sicherheit in dieser Bücherei geht vor“, beschwöre ich ihn weiter, dabei verbanne ich den Gedanken, von ihm zu kosten.

Er nickt und macht sich sofort an die Arbeit. Erst als er mir die Bänder übergibt, bin ich erleichtert. Es ist jetzt weit nach Mitternacht und ich verlasse die Bibliothek und lasse einen Mann zurück der sich an den heutigen Tag nicht mehr erinnern kann. Vielleicht am nächsten Tag flucht, weil er gestern Nacht so spät die Bücherei geschlossen hat, ohne genau zu wissen warum.

Ich aber erinnere mich an meine Treffen mit meinem Geliebten, während ich die Bänder in meiner Hand in einer menschenleeren Ecke fast pulverisieren lasse. Meine Stiefel streifen darüber und vermischen es mit dem groben Sand, der an der Themse liegt. Diese Spuren kann ich verwischen, meine Erinnerungen nicht.

 

 

... Von uns beiden so sehr herbeigesehnt. Aber in den vielen Millionen von Jahren unserer Existenz dann doch öfter als ein Meteoriteneinschlag. Meine und Soilehs besonderen Treffpunkt, dort wo uns unser Schöpfer, der Urschöpfer allen Universums, uns nicht sehen konnte, war immer um diese Zeit der Sonnenfinsternis. Zu dieser Zeit waren wir beide am Stärksten. Wir verbargen unsere Gedanken vor unserem Urvater. Es fiel uns schwer, denn er war außerhalb dieser Zeit stärker als wir. Wir waren froh, dass er bis dahin keinen Verdacht geschöpft hatte. Ich hatte die mentale Kraft und mein Soileh die Sonnenenergie, die Zeit für ein paar Stunden stillstehen zu lassen. Das geheime Treffen konnte stattfinden. Jedes Mal war ich aufgeregt. Jedes Mal war für mich persönlich immer wie mein erstes Mal. Es war die Zeit, in der wir uns lieben konnten. Und sonst taten wir es immer in Gedanken und Träume.

 

Wir trafen uns an einem Ort, der sich heute Yucatán nennt. Damals war es noch keine Halbinsel und auch nicht von den Mayas bewohnt. Das war alles lange vor der Zeit. Noch zum Teil vor der Zeit der Dinosaurier. Da hatte sich unser Urgott einen Spaß erlaubt und mal große Tiere erschaffen und paaren lassen …

 

 

Ich werde an den Gedanken daran traurig, denn es war eine schöne Zeit.

Ich schlendere nach Hause und verfalle wieder in Gedanken. Gedanken an diesen schönen Ort. Unseren Ort.

 

 

... Sie war ein mächtiger Ort und die Sonne schien dort am stärksten. Und die Nacht war dort für mich der mächtigste Ort. So war auch die Sonnenfinsternis für uns was ganz Besonderes denn es verlieh uns für wenige Minuten unvorstellbare Kräfte. Soileh betete vorher die Sonne an. Immer wenn er so dastand, auf der höchsten Ebene und auf sandigem Untergrund und ich ihn nur aus der Nähe beobachten konnte, liebte ich ihn um so mehr. Wie er seine Arme ausbreitete und die Sonnenstrahlen gebührend in Empfang nimmt. Sein lockiges Haar sich mit der Energie vereint und ihn hell erleuchten lässt. Und umgekehrt war es auch für ihn so, wenn ich meinen Mond anbetete. Nicht nur der, der um die Erde kreiste, sondern all meine Monde verstreut in der ganzen Galaxie. Ich war der Herrscher aller Monde. Ich war Alcuard, der Gott des Mondes, der Gott aller Monde.

 

Ich war schon ausgezogen, stand nackt vor ihm. Seine Augen hatten meinen Körper gescannt und ich genoss es in vollen Zügen, von ihm so begehrt und angestarrt zu werden. Dann zog ich ihn mit meinen Gedanken herbei und nur mit reiner Gedankenenergie aus. Viel hatte er nicht an, was beabsichtigt war. Sein Gewand streifte sich federleicht von den Schultern. Soileh war viel größer und stärker wie ich und er durfte mich hinterher dominieren. Das Auskleiden aber auf diese Art und Weise ließ er sich immer gerne gefallen. Dann strich er mir federleicht mit seinen schlanken Fingern immer über den Bauch. Von oben nach unten. Aber niemals diagonal. Ich fragte nach dem Grund. Und er lachte nur und meinte: „Es ist einfach eine Angewohnheit.“

Wir sahen uns gierig in die Augen, bewunderten unsere Leiber. Unsere Leidenschaft konnte man deutlich im unteren Bereich erkennen. Auch wenn wir Götter waren, so waren wie doch auch die männlichen Geschöpfe. Und die hatten ebenso Bedürfnisse, die gestillt werden mussten.

Mein Alucard“, flüsterte er mir dann zärtlich, dabei meine Wange streichelnd, mein Haar berührend, während er nebenbei mein Mund in Beschlag genommen hatte und mich innig küsste. Dann, ich kannte ja seine Handbewegung, hielt er die Zeit an, fror alles ein und ich tat dasselbe in diesem Moment, des Glücks und der Zufriedenheit.

 

Wir ließen die Zeit weiterlaufen, als wir unsere Leidenschaft genügend ausgekostet hatten. Und so badeten wir im Anschluss zusammen, als die Sonne nur noch eine Scheibe war und der Mond sich davor schob, in einem Vorsprung, in der eine warme Quelle sprudelte, die zum Meer hinausführte. Im Meer selbst schwimmen wollten wir niemals, denn der Gott der Meere hätte uns eventuell dann entdecken können, denn seine Späher waren überall. Nur nicht hier auf dieser Insel.

 

Unsere Liebe, das wussten wir, war verboten und doch konnte ich gegen meine Gefühle nicht ankommen. Sie war zu stark, um dagegen anzukämpfen. So ließen wir den Dingen ihren Lauf. Die Liebe wuchs zwischen uns von Mondphase zu Mondphase. Wir probierten alle Stellungen aus und sogar noch ein wenig mehr. Mit unseren Kräften konnten wir sogar gleichzeitig in den anderen eindringen. Unsere Körper formten sich im Akt unserer Liebe immer wieder neu. Wir verschmelzen regelrecht, nahmen andere Gestalten an und verwandelten uns wieder zurück.

Wir liebten einander und wollten uns auf keinen Fall mit Erdlingen oder anderen Geschöpfen paaren, so wie es viele Götter taten. Hinterher töteten sie die Sterblichen oder ließen sie verrückt werden. Ein grausames Unterfangen. Soileh und ich waren da anders. Man könnte es schon fast menschlich bezeichnen, aber wir brauchten nur uns. Die ganzen Untergötter wie Suez, Areh, oder Nodiesop, waren nichts gegen uns ...

 

 

Mein Begehren, der keineswegs mit einem quälenden Hunger zu vergleichen ist, kann ich nicht stillen, wenn ich zurück an die Zeit mit meinen Geliebten Soileh denke. Ich habe seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm. Noch nicht einmal mehr seine Stimme höre ich in meinem Kopf. Er ist niemals mehr aufgetaucht und manchmal bin ich am Verzweifeln, warum er sich nicht mehr blicken lässt. Jedes Mal, wenn ich in mein Versteck zurückkehre, um den Tag zu überstehen, bilde ich mir ein die Sonne an mir und auf mir zu riechen, merke aber bald, dass es immer wieder ein Hirngespinst von mir ist.

 

Kein Zeitgefühl habe ich mehr, ob jetzt Monate oder Jahre vergehen. Ich weiß es nicht mehr so genau. Die Zeit streicht dahin. Die Gezeigten, sie kommen und gehen und es vergeht keine Nacht mehr, an dem ich nicht an Soileh denke muss und die Sehnsucht nimmt stetig zu. Ich vegetiere regelrecht in meiner Behausung. Lasse mich gehen. Mir ist mein Erscheinungsbild mittlerweile egal. Ich wirke eingefallen und meine Haare, sie glänzen nicht mehr so, weil ich mich nur noch unregelmäßig ernähre.

Meine Einsamkeit nimmt immer mehr zu, seit ich weiß, was ich bin, und wer ich bin. Oft weine ich blutige Tränen deswegen. Weine, um die viele Tausenden von Jahren, die ich mehr oder weniger in Dunkelheit und Einsamkeit verbringen musste ohne Soileh und jetzt wieder. Selbst der Mond kann mich nicht trösten, in seiner Vollmondnacht und mich aus meiner Lethargie herausreisen.

 

Ich werde immer Unzurechnungsfähiger vor Sehnsucht und da beschließe ich, etwas zu unternehmen. Meinem Leben ein Ende zu bereiten. Dabei ist auch nebenbei ein perfider Plan in meinem Kopf entstanden, denn ich werde das Gefühl nicht los, das wieder unser Schöpfer hinter unserer Trennung dahinter steckt, dass Eric nicht mehr bei mir auftauchen kann. Ich weiß, dass Soileh mich liebt. Ich weiß, dass er genauso eine Sehnsucht verspürt wie ich nach ihm. Obwohl ich seine Anwesenheit nicht mehr fühlen kann, so spüre ich dennoch, dass es ihm so ähnlich ergehen muss. Wir sind Seelenverwandte. Wie sind eins. Das waren wir auch schon vor langer Zeit. Der Gedanke, dass er vielleicht nicht mehr leben könnte, möchte ich mir nicht ausmalen.

 

 

… „Keine Zeit vermag uns zu trennen, mein Geliebter Alucard.“ Soileh hatte manchmal Angst um unsere Liebe. Er hatte Angst, dass der Schöpfer eines Tages doch dahinter kommen konnte, darum verfiel er oftmals in eine Art Melancholie. Ich lachte damals und sagte nur: „Warum soll er dahinter kommen? Mhm, du machst dir zu viel Sorgen. Er hat mit den Menschen genügend zu tun und muss sich auch noch um das Universum kümmern. Da fallen wir doch gar nicht auf.“

Ich hoffe, du hast da recht.“ Seine Stimme klang wie immer besorgt und ich verschloss ihm jedes Mal den Mund zu einem leidenschaftlichen Kuss. Unsere Leiber rieben wir aneinander und vergingen vor Lust …

 

 

An einem Freitag den 13. ist es dann so weit. Ich beschließe nun endgültig meinem erbärmlichen Leben ein Ende zu setzen. Wieder bin ich aufgewacht, dieses Mal durch einen Wecker, aber zitternd und wie immer voller Blut an meiner Kleidung. Die Träume werden stürmischer und sie reißen an meine Nerven. Ich kann nicht mehr.

Es ist ein besonders warmer und sonniger Tag heute, denke ich. Ein guter Tag zum Sterben.

Ich erhebe mich, steige aus meinem Versteck und begebe mich nach draußen. Es umfängt mich keine Dunkelheit, sondern von den hellen Strahlen der Sonne werde ich geblendet. Schnell werde ich von der gleißenden Hitze der UV-Strahlen erfasst. Ich muss meine Hand vor mein Gesicht legen, denn im ersten Moment sind diese Schmerzen unerträglich für mich.

„Wenn du noch lebst, mein Soileh, dann vergib mir. Wenn du schon tot sein solltest, dann werden wir vereint sein.“

Die Menschen, die mich vom Park aus sehen können, fangen zu schreien an, weil ich schon zu dampfen anfange. Es ist mir egal, was für einen schrecklichen Eindruck ich für die Sterblichen hinterlasse. Meine geliebten Haare sind schon versenkt und ich breite meine Arme aus und schreie meine gesamte Wut hinaus.

„Ich gehöre dir niemals, und darum werde ich jetzt sterben, du Teufel, der sich Schöpfer nennen will.“ Meine Haut fängt an zu brennen. Und meine Augen verlieren langsam an Sehkraft. Ich erleide Höllenqualen, doch meine Gedanken gehören in dieser letzten Minute meinem Geliebten.

Auf einmal vernehme ich neben meinen schlimmen Verbrennungen ein Donnergrollen und um mich herum wird es schwarz.

Ist das der richtige Tod?, denke ich, bevor ich das Bewusstsein gänzlich verliere.

„Warum hast du das getan?“ Ich erkenne die dunkle Stimme, es ist aber nicht die Stimme von meinem Liebsten. Es ist die Stimme des Urvaters. Der Vater aller Götter. Bei den Menschen würde er unwissender Weise womöglich Zeus oder der Gott von Jesus genannt werden. Bei uns wird der Schöpfer einfach nur „Vater“ genannt.

„Lass mich sterben, du hast mir alles genommen.“ Ich richte mich auf, merke jetzt, dass ich nicht mehr im Park bin und schüttle seinen Arm ab. Ich bin leicht geschwächt und das gleißende Licht irritiert mich. Aber ich brenne nicht weiter. Dann sehe ich schnell auf meine Hände, aber sie sind wieder geheilt. Dann berühre ich mein Gesicht. Auch das ist normal. Meine Haare sind wieder lang und gesund.

„Wie ist das möglich, was hast du jetzt wieder aus mir gemacht? Hast du nicht genug angerichtet. Ich hasse dich“, mein Zorn wächst und ich sehe mich um. Eine Halle, weiß und mächtig und ein paar Dienerschaften, sie stehen hier und schauen unbeteiligt uns zu.

Ich bin wieder zu Hause, denke ich. Ich kenne das alles hier.

 

„Ich werde dich nicht sterben lassen, ich will dich nicht schon wieder verlieren.“ Er steht vor mir und greift sich meinen Arm. Viel kann ich nicht ausrichten, denn schon hat er mich vom Boden aufgehoben. „Viel hat nicht gefehlt, ich dachte, ich komme zu spät. Glaubst du, du kannst mir das antun?“

Ich reiße mich von ihm los. Wütend fauche ich ihn an. „Ja, ich kann dir noch viel mehr antun. Wo ist Soileh, wo ist er? Wenn er tot ist, dann bringe ich dich um. Ich schwöre es.“ Meine Stimme klingt nicht nur wütend, sie ist auch todbringend. Ich hasse meine Schöpfer und lasse es ihm spüren, wo es nur geht. Er merkt es. Wird ruhiger und ruhiger. Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht und ich starre hasserfüllt in dessen Fratze.

„Du willst Soileh sehen? Der Preis wird sehr hoch sein.“

„Mir egal“, schreie ich. „Ich würde alles Hergeben nur um ihn zu sehen.“

„So soll es sein, aber du wirst ihn das letzte Mal sehen.“

Aus einer weißen Wolke heraus erscheint Soileh. Soileh, wie ich ihn von früher kenne. Ohne Flügel und ohne Klauen. Der Gott der Sonne. Mein Gott. Meine Augen beginnen zu leuchten, seine ebenso.

„Alucard“, flüstert er.

Ich will zu ihm, werde aber von einer unsichtbaren Macht zurückgehalten.

„Ich dulde nicht, dass ihr euch nochmals solch einer Liebe hingebt. Nein, lieber werdet ihr zu Menschen, oder aber ich versetze Euch nochmals viertausend Jahre ...“

Ich unterbreche meinen Gebieter: „Du Scheusal, das wirst du nicht machen.“ Ich funkle ihn böse an und versuche meine Fangzähne auszufahren, will ihn beißen und einen tödlichen Biss daraus machen. Aber da spüre ich, dass ich keine Fangzähne mehr habe. Ich verspüre auch keinen Blutdurst. Ich verspüre keinen Hunger.

„Du weißt genau, ich kann nicht sterben und du in diesem Zustand auch nicht, wenn ich dich nicht zu einem Vampir gemacht hätte, der bei Tage schaden nehmen kann. Das ist alles vorbei. Jetzt bist du wieder der Gott, den du vorher warst, den, denn ich erschaffen hatte.“

Soileh meldet sich zu Wort.

„Lass uns frei, was hast du denn von unserer Zuneigung dir gegenüber, wenn wir dich nur noch verachten. Du kannst keine Liebe zerstören, keine höhere Macht, selbst du schaffst es nicht, uns auseinander zu bringen. Niemals. Wir gehören zusammen. Wie der Tag und die Nacht zusammengehören. Die Natur braucht uns beide.“

„Oh doch, ich kann euch noch was antun ... Ich kann und ich werde!

Wir sehen uns entsetzt an, und dann verkündet unser Urvater sein Urteil über uns. Die anderen Götter, die wir schon vermisst haben, treten zu seiner Seite. Ich spüre, sie sind uns nicht wohlgesonnen. Das waren sie nie.

„Ich verkünde mein Urteil über euch, dass ihr in meinem Reiche Sodomie betrieben habt, trotz Verbannung und ein Leben als Kreaturen, habt ihr eure Liebe nicht unterbinden können. Dafür werdet ihr noch einen höheren Preis zahlen. Ich werde euch beide sterblich machen. Ihr werdet wiedergeboren werden - als Menschen.

„Nein“, schreie ich. „Tu uns das nicht mehr an. Bitte, eine kleine Erinnerung. Bitte.“ Mich zerreißt es schier innerlich. Mit allem habe ich gerechnet nur nicht mit dieser Grausamkeit.

„Nein“, donnerte er vor Zorn.

Soileh ist mittlerweile ganz blass geworden, wie ich auch. Der Gedanke schon wieder voneinander getrennt zu sein, treibt mich in den völligen Wahnsinn. Ich fang hysterisch zu lachen an, wodurch Soileh den Bann durchbricht und mich in den Arm nimmt. Ich klammere mich an ihm fest.

„Wenn eure Liebe wirklich so groß ist, wie ihr mir hier weiß machen wollt. Dann werdet ihr euch wiederfinden.“ Er erhebt sich, schwebt um uns herum, wir halten uns zitternd an den Händen. Dann liegen wir uns wieder in den Armen. Klammern uns an den jeweils anderen, küssen den letzten unsterblichen Kuss.

„Vergiss mich nicht“, haucht Soileh. „Bitte vergiss mich nicht. Wir werden uns ganz bestimmt wieder sehen.“ Er weint, wie ich auch weine.

„Ganz bestimmt werden wir uns wiedersehen.“ Ich will noch so vieles sagen, aber ein Nebel taucht aus dem Nichts auf. Er umhüllt uns und lässt unsere Gedanken verschwimmen. Sie triften ab. Irgendwann lasse ich los, weil ich nicht mehr weiß, wer ich bin. Ich höre nur ein Lachen und irgendwann wird es schwarz.

 

 

Ende

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Epilog

 

 

 

Ein neues Leben in einer neuen Zeit

 

Alucard und Soileh wurden als die Menschen David Kamerun und Michael Bauder wiedergeboren. Im Abstand von zwei Jahren erblickten sie ganz unabhängig voneinander die Welt. Der Ältere blond und der Jüngere schwarzhaarig. Und beide mit fast schwarzen Augen. Soileh/Michael war zwei Jahre älter als David/Alucard.

 

Beide wuchsen, ohne voneinander zu wissen, in einer liebevollen Umgebung und Familie auf und merkten bald, dass sie in eine homosexuelle Richtung gingen. Der eine zum erfolgreichen Künstler mutiert und durch seine malerischen Sonnenwinde und Zitate berühmt geworden, der andere hingegen spezialisierte sich für alte Bauten, Gemäuer und deren Mythen. Dennoch blieben sie auf eigenartiger Weise Single. Sie spürten, ganz unabhängig voneinander, den richtigen Partner fürs Leben noch nicht gefunden zu haben. Bis eines Tages es dazu kam, dass sie unverhofft aufeinandertrafen ...

 

„Du weißt, wer ich bin, du wirst mich finden. Wir werden uns finden, denn unsere Liebe wird keiner zerstören können. Niemals!“

Zitat von Michael/ Soileh

 

 

 

©Randy D. Avies November 2011 (überarbeitet am 05.12.2017)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.12.2017

Alle Rechte vorbehalten

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