Der Englischlehrer
Mein Name ist Alice Wunder und nein, ich befinde mich gerade nicht im Wunderland und ich begegne auch keinem weißen Karnickel, obwohl ich gerne vieles gedanklich darin hineininterpretiere. Und nein, ich bin keine Frau, meine Eltern dachten, sie nennen ihr Kind wie nach ihrem Idol: Alice Cooper. Nur dass es in Deutschland nicht so gut ankommt.
Heute ist meine erste Englischstunde, und ich befinde mich auf dem direkten Weg dorthin.
Wenn ich mir die Leute im Vorbeigehen so betrachte, könnte man meinen, wir haben Dauerfasching, oder ich befinde mich nicht mehr auf dem Planeten Erde und um mich herum sind Aliens.
Nette Vorstellung.
Hurra Wunderland.
Genervt wende ich meinen Blick ab, als Herr und Frau Taliban mir finstere Blicke zuwerfen und dann steige ich eilig in die nächstbeste Straßenbahn ein, weil ich das Gefühl habe verfolgt zu werden. Dabei schaue ich auf meine 10-Euro-Uhr. Zum 100-mal übrigens.
Es ist fünf Minuten später als ich vorher geschaut hatte.
Wahnsinn, denke ich, wie die Zeit doch vergeht.
Eine Schnecke ist da direkt der zweite Schuhmacher.
Mist.
Die Tatsache, dass ich viel zu früh bin, macht mich dennoch nervös.
Das Zielobjekt ist nach einer halben Stunde Fahrt gesichtet, und ich muss an der nächsten Haltestelle aussteigen und stehe in binnen weniger Minuten auch schon vor dem Gebäude.
Groß und dunkel ragt sie vor mir. Eine Burg der Zukunft. Hightech-Verglasung mit Wachposten.
Okay, die Wachposten streichen wir, mir geht gerade die Fantasie mit mir durch.
Zu viele Menschen, Pardon, zu viele Hasengesichter erblicke ich rechts und links von mir. Darum beschließe ich, um das Gebäude herum zu laufen.
Muss nicht sein dem weißen Hasen zu begegnen mit dem Slogan vorne: Bin zu spät, komme viel zu spät.
LÄCHERLICH!
ICH BIN ZU FRÜH!
Oh Mann.
Komme mir dabei wie eine Joggerin vor.
Ich bin schnell außer Atem, da ich nicht zügig gelaufen war, nein, ich bin tatsächlich um den Block gerannt.
Immer wieder komme ich zu rasch an den Ausgangspunkt.
Dreimal geschieht das, bis ich es aufgebe, da ein paar dämliche Hasengesichter mich schon anlächeln.
Dümmlich.
Soll ich sie fragen, ob sie meinen Kurs mit belegen?
Ich entscheide mich ganz schnell für ein Klares: 'Nein', da ich die Blicke mehr als nur deuten kann.
Hasenjagd, darauf habe ich keine Lust.
Ich schaue wieder auf die Uhr.
Hektisch, denn ich will andeuten, dass ich eventuell zu spät sein könnte, für die anderen.
Für mich aber bin ich immer noch zu: FRÜH.
Verflucht, es sind gerade mal seit dem Ausstieg aus der Straßenbahn fünf Minuten vergangen.
Mir kommt es so vor, als ob eine Stunde vergangen wäre.
Stimmt was mit der Erdumdrehung nicht?
Bin ich in einem Traum gefangen?
Haben mich wirklich Aliens entführt?
Oder bewege ich mich mit einer Nanogeschwindigkeit?
Oder, das wäre die realistische Antwort: Meine Uhr war stehen geblieben?
Ich klopfe dagegen, lege meine Uhr ans Ohr, sie tickt fröhlich und munter weiter.
Mist, nicht kaputt.
Noch immer eine halbe Stunde zu früh.
Egal.
Ich beschließe schließlich, hineinzugehen.
All die Hasilein mit inbegriffen, die mich eskortieren.
Mit Blicken versteht sich.
Ich passiere den Eingangsbereich suche schnell einen Aufzug.
Gefunden.
Er war vor meine Nase.
Praktisch.
Hinein, allein, dritter Stock und er bewegt sich schon.
Ich war ein paar Hasengesichter ausgewichen.
Vorhang, Pardon, Fahrstuhl auf.
Geschafft.
Gehe der Nummerierung entlang.
Leute gehen tuschelnd an mir vorbei.
Schließlich bleibe ich vor einer Zimmerzahl stehen.
312, lese ich.
312 ?
Drei verfickte Eins und eine scheiß Zwölf.
Ich bin an meinem Ziel angekommen.
Schau noch einmal, kann ja sein du irrst dich.
Okay, ich schaue auf meinen Zettel. Atme tief durch. Ich blicke wieder auf meinen Zettel.
Passt, Nummer ist mit Nummer auf der Tür identisch.
Spicke hinein.
Das Zimmer ist leer.
Mist
Schaue auf die Uhr.
Immer noch zu früh.
Drehe mich um, eile aufs Klo, kurz bin ich gewillt zu verschwinden.
Scheiß auf das Geld, denke ich. Wer wird schon einen Anfängerkurs machen, heutzutage wo jeder Englisch kann - außer ich?
Feigling, sendet mein Bewusstsein.
Dass lasse ich so nicht gelten.
Also raffe ich meinen Mut zusammen und nähere mich wieder meinem Ziel.
Steuere auf das Zimmer zu.
Es ist offen.
Ein Mann, groß, dunkelhaarig und mit Schokoaugen.
Wow, was für Augen.
Yummi.
Hallo?
Also ein schöner Mann tritt ein, ich folge ihm automatisch wie bei einem Magnet.
„Hi, my Name ist Brian ...“, sonorisch an mein Gehör und lassen die Englein höher singen als jemals zuvor. Seinen Nachnamen bekomme ich schon gar nicht mehr mit.
Ich strahle – dümmlich.
„Hi mein Name ist Alice ähm Alice Wunder“, antworte ich auf Deutsch.
Antworten? Stottern kommt eher hin, oder vielmehr kommt das einem - ich habe einen Frosch verschluckt und versuche ihn auszuspucken sehr nahe.
„I am understand you, but I don't speak german.“
„Oh“, antworte ich. Stimmt, ich bin ja in einem Englischkurs für: Ich-war-zu-dumm-in-der-Schule-Anfänger.
„Your are falsch hier“, sage ich und deute mit meinem Finger auf die nächste Tür.
„No, sagt er ... „I am the teatcher.“ Sein Zahnpastalächeln zieht mich total in den Bann.
OHA!!! Bitte lass ihn schwul sein, bitte!
Leicht gehe ich rückwärts, bis ich einen Widerstand an meinem Hintern spüre.
Stuhl erreicht.
Ich setze mich und werde rot.
Knallrot.
Feuerrot, denn ich fange an zu schwitzen, fast wie ein Schwein.
Inzwischen knubbel ich mit meinen Fingern, spiele verlegen am Henkel meines Rucksacks, bis mein Henkel abreist.
Mist.
Der Raum füllt sich - unerwartet für mich.
Es gibt anscheinend noch mehr, die kein Englisch können.
Hurra ich bin nicht alleine doof.
Und schon strahle ich Brian breit an.
Lass ihn schwul sein, bitte!
Brian, schon seine Augen eine Wucht.
Okay frage ich mich, wie kann ich da nur ruhig atmen, wie kann ich da nur lernen.
Die Tüte in meinem Rucksack ist griffbereit.
Nein, nicht um zu kotzen, sondern um meine Atmung zu kontrollieren.
Rechts und links setzen sich zwei Herren der Jahrgangsstufe Fossil. Und einer mit Hut.
„Hallo“, sagen sie, hatten sich anscheinend abgesprochen, gleichzeitig loszuflöten.
„Tach“, antworte ich, gelangweilt.
Muss das jetzt sein? Zumal keiner in mein Beuteschema passt.
Okay, habe ich was anderes erwartet?
Alice, sage ich zu mir selbst, du bist hier nicht im Wunderland, aber der Hutmacher rechts neben dir sitzt und grinst mit seinen Dritten nur noch blöd. Meine Blicke schnellen wieder zu meinem Teatcherwonderboy.
Brian räuspert sich, stellt sich vor.
Wow.
Brians Hintern bekomme ich nur noch zu sehen, da er jetzt mit dem Rücken zu mir steht und seinen Namen an die Tafel kritzelt.
My name ist Brian, schreibt er fein säuberlich.
Jo, weiß ich du Sahneschnitte.
Ich lächle wieder dümmlich.
Es kommt doch noch eine Dame, die mein Alter nicht erreicht, zu uns gestoßen.
Allgemeines tuscheln und vorstellen der Mitglieder.
Ich freue mich, dass ich wirklich nicht alleine in dem Kurs sitze, und bin dennoch sogleich eifersüchtig.
Ich schaue mit Argusaugen auf Brian, der immer noch mit seinem süßen Hintern wackelt, an seinen Schwanz will ich jetzt nicht denken, bestimmt gut bestückt.
Gut, er nimmt keine Notiz von dieser Dame.
Scheiße, er schaut mich an, lächelt.
Ich bin im Begriff aufzustehen, warum auch immer, da meldet sich Nachbar rechts von mir.
Der Hutmacher.
„Hi, Sie können auch kein Englisch?“
Doofbacke, warum soll ich wohl hier sein, um mehr zu wissen wie Brian etwa?
„Ja, wie haben Sie das erraten“, schauspielere ich und merke, der hat meine Gestik mit Haut und Haaren gefressen.
Okay, inzwischen füllt sich der Raum, weiter.
Anscheinend spielt Pünktlichkeit überhaupt keine Rolle.
Habe ich erwähnt, dass sich gerade mal zehn Stühle und fünf Tische im Raum befinden? Genau, der Raum ist klein.
Zu klein, oder vielmehr zu viele auf einem engen Raum, stelle ich trocken fest und schon bricht bei mir erneut der Schweiß aus.
Super schwitze doch noch, das kommt immer gut an, wenn unter den Achseln eine Pfütze sich bildet, die so schön sich auf deinem Pullover abbildet.
Klaustrophobie ist hier also nicht angebracht und ich versuche mir einen Fächer, aus meinen zwei leeren Blättern, zu basteln.
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich darunter leide?
Nein?
Ich hätte mal mich doch genauer erkundigen sollen.
Ich seufze.
Und dann sind wir vollzählig.
Ach nein, nicht ganz, die Herzdame mit dem Gesichtsausdruck: Ich fresse Euch alle auf, läuft an wie eine vollgefressene Pute und gesellt sich zu uns.
„Ist das der Kurs?“, blafft sie meinen Traummann an und ich sende sofort giftige Signale in Form von: Lass es sein oder du bist tot. Denk dran, ich habe Kekse bei mir, esse ich den richtigen werde ich groß und fresse dich.
Sie merkt es und wird freundlicher.
Na, geht doch.
Schaut dennoch blöde in die Runde.
Mann, Frau, was wird das jetzt?
„Ist kein Platz mehr …“, lispelt sie weiter.
Blond, wie sollte es anders sein.
Pft, dann setzt dich doch auf den Boden, du olle Schlampe.
Brian bietet ihr netterweise seinen Stuhl an, während er mir sein Lächeln schenkt.
Wow.
Okay, Herzdame kann mir gestohlen bleiben, bei so einem Lächeln.
Jetzt sind wir vollzählig, oder eher gesagt: überfüllt.
Meine Uhr zeigt an, der Kurs ist schon 15 Minuten im Gange.
Wahnsinn, und ich kann immer noch nichts.
Aber jetzt geht es wirklich los.
Brian steht auf, seine sexy Jeans kommt dabei völlig zur Geltung und stellt sich uns allen vor.
Ich lache und gluckse in mich hinein, denn ich weiß ja, wie er heißt.
Warum bin ich noch mal hier?
Ach ja, ich will ja was lernen. Genau. Englisch trallala...
Mein Nachbar, Gerd stellt er sich mir vor, flüstert mir was ins Ohr, was mir gar nicht passt, denn Brian lässt mich nicht aus den Augen.
Verpiss dich.
Wer flüstert der lügt.
Ich höre ihm gar nicht zu, er merkt es und lässt endlich mein Ohr in Ruhe.
Jetzt geht es endlich los, das Getuschel, wer jeder ist und warum es so ist, verstummt.
Ahhhhhhh.
„Hallo, my name is Brian ....“ Ich höre ihm gar nicht zu sondern grinse nur noch oberdämlich, und summe schon beinahe seinen Klang der Stimme mit.
„What is your name?“
Was für ein Beat.
Hat dieser Mann nicht Wahnsinns Augen.
„Mister Wonder.“
Oder dieser Mund.
Auch sein Hintern kann man nicht verachten.
Ist das jetzt eine Lewis, die er da anhat?
„Hallo … Mister Wonder?
Jetzt merke ich, dass ich ja gemeint bin.
Autsch.
„Yes, Sir?“, spucke ich schon beinahe über den Tisch.
Weil mein Sabber noch zugenommen hat und werde rot, weil ich mir ihn gerade am Andreaskreuz vorstelle und wie ich ihn dann ... Okay das gehört nicht hierhin, da ich allgemeines Gelächter hüben wie drüben registriere, während ich noch vor wenigen Sekunden in meine Sadomaso Welt abgedriftet war.
Peinlich.
„Alice, what is your name?“, wiederholt er seine Frage geduldig und seine Augen brennen sich förmlich in mein Herz.
„Ja Alice halt“, nuschel ich und hoffe, es bekommt nur er mit.
„Your answer in english, please!.“, ermahnt er mich.
Wow, also doch nicht ans Kreuz, sondern ich.
Ich glaube, das werden noch zwei lange Stunden werden ...
Irgendwann ist die Zeit um, viel zu kurz, wie ich dann doch finde und ich bin genauso schlauer wie vorher.
Mein Blatt, das ich hätte vollschreiben müssen, ist noch genauso leer wie mein Gehirn.
Kein Wort Englisch kann ich, seinen vollen Namen weiß ich auch nicht, aber ich freue mich auf die nächste Stunde bei ihm - oder mit ihm.
Hasentag!
Was soll ich sagen? Den ganzen Tag grinse ich dümmlich vor mich hin.
Genau, Hasentag ist Englishday.
Wow, ich bemerke, wie ich doch langsam mich mit dem Englischen verbinde. Die englisch-amerikanische Essenz zu mir überläuft.
Die ganze Woche über summe ich den Namen Brian vor mich hin.
Brian, dies.
Brian das.
Brian tralala.
Beim Einkaufen, beim Putzen, sogar auf dem Klo ist er präsent, okay, streichen wir das mit dem Klo, muss nicht wirklich sein.
Aber unter der Dusche, yummi.
Okay. Es ist so weit.
Ich bin schon längst startklar.
Drei Stunden vorher angezogen und ausgehbereit.
Neue Schuhe gekauft, meine besten Sachen angezogen - man will ja hübsch sein. Aber dann sehe ich in den Spiegel und, obwohl ich mich toll darin befinde, könnte man meinen, ich gehe auf eine Cocktailparty.
Nicht gut.
Schnell schlüpfe ich in meine engen Jeans der Marke: Man sieht mehr von meinem Hintern.
Oh yeah Baby, du kannst das.
Okay, raus aus dem Haus, vorbei an den Leuten und da bemerke ich.
Schreck: Ich bin zu spät, viel zu spät ...
Ich komme zu SPÄÄÄÄÄÄÄT.
Das weiße Karnickel in mir schreit mordslaut in mein Gehirn.
Ist ja gut …
Zwar nass geschwitzt bin ich gerade noch rechtzeitig eingestiegen.
Heute passen die Temperaturen und mein „First Chouice“ ist auch dabei.
Wie kann ich nur so trödeln?
Dieses Mal begegne ich Herr und Frau Taliban nicht, denn, wie gesagt, ich bin fast zu spät.
Ich bin gerüstet, wie bei den Talibankräften ihre Munition, nur halt mit Englisch.
Gebe mich siegessicher, weil ich habe ja alles dabei, das Dumme ist nur, ich vergaß die ganze Woche über, mal in die verdammten Bücher rein zu sehen.
Was soll´s, ich kann das, denke ich.
Ich bin doch Alice, wenn nicht, futtere ich einen Keks des Verstandes.
Genau.
Haltestelle.
Hetzen.
Gebäude.
Geschafft.
Hasengesichter rechts und links von mir? Ah, sie sind nicht mehr da.
Ich schaue auf die Uhr.
Fünf Minuten zu spät.
Ahrg.
Oben angekommen muss ich natürlich anklopfen, denn Brian trällerte hinter geschlossener Tür in den höchsten Tönen. Kurz bin ich gewillt ein wenig zu grinsen und mitzuträllern.
Ich klopfe also an.
Wie ich das hasse.
Sofort schnellen sämtliche Gesichter nach vorne.
Hutmacher und Gerd haben für mich einen Platz reserviert.
Wie nett, will ich doch gar nicht zwischen den beiden Fossilen sitzen, nun gut.
Oha, was sehe ich da? Ein Hurrikan der Stufe drei hat einen Teil der Gefolgschaft Brians hinweg gefegt.
Meine Herzdame ist dabei gewesen.
Good by, Schlampe, denke ich amüsiert. Obwohl, dann habe ich ja nichts zu hetzen. Schade!
Ich werde wieder deutlich besser gelaunt, bis mich Brians Stimme wieder in die Realität zurückholt.
Alice, were do you come from?, flötet Brian und er sieht nicht freundlich aus, was ich aber dann viel zu spät mitbekomme.
Mein Mund ist somit schneller als die Augen.
„Ja, ich komme aus Germany“, flötete ich mit und die Lacher und Brüller klopfen noch zusätzlich auf den Tischen zum Takt meines ausgesprochenen Satzes.
Ja, was ist, hätte ich sagen sollen: Ich kämpfe im Libanon?
Ich sag ja, alles Hasen.
„Alice“, stöhnt er meinen Namen.
Ja, stöhne weiter und ich stehe weiter.
Hach. Mein Schwanz bekommt gerade ein Eigenleben! Gar nicht gut.
„Yes, Brian“, sage ich auf ganz galante Art und Weise und unterdrücke meine Sehnsüchte.
„Sit down please.“
„Sit was?“
„Setzen, Alice“, herrschte mich der Hutmacher an, der angestrengt in sein Buch schaut. Dabei entdecke ich zwei neue Gesichter, ein unscheinbares neben dem Hutmacher und ja wer sagt´s denn, eine Grinsekatze.
Hello Wonderland.
Okay, also setze ich mich neben den beiden Fossilen und schmolle dennoch ein wenig.
Aber nicht lange, den Brians Augen haften auf mir.
„Alice?“
„Yes“, wow das klingt doch schon mal nicht schlecht.
„What is your telephonenumber?“
„Hääää?“
„Number ... Nuammer … deine Numbber...“, versucht er auf Deutsch, was nicht wirklich klappt.
Ich sehe schmeichelnd drüber hinweg.
Klasse, er will meine Nummer, sofort sprudle ich sie hinaus und wieder brüllt das gemeine Volk.
„Hey, er hat doch nach meiner Nummer gefragt, also echt“, beschwere ich mich schon fast.
Zur Grinsekatze sage ich gar nichts, denn ihr Dauergrinsen ist nur noch oberdämlich.
Das zweite neue Gesicht neben dem Hutmacher macht sich bemerkbar.
Hanna, lese ich auf ihrem Namensschild.
Sogleich fällt mir für sie ein Spitzname ein.
Hanni, von dem Buch ‚Hanni und Nanni.‘
Mann, wie ich das Buch doch hasse.
Hanni grinst und will was sagen.
Ich starre auf ihr Gebiss.
Es öffnet sich und ein: „Alice, er will nur Ihre Hausaufgaben abfragen“, wieherte sie laut und deutlich wie bei einem Gaul los. Bei ihr habe ich das Gefühl, das sie auch noch mich will, so wie sie mich anstarrt.
Bin ich im Pferdestall?
Oha!
Schnell drehe ich mein Gesicht von ihr weg und fange, mit einem heftig, dunkelrot angelaufenem Gesicht, an meine Hausaufgaben, die ich ja niemals gemacht habe, aufzusagen. Falsch und schräg klingen auch demnach meine Worte.
Brian hat sich in der Zwischenzeit mir raubtierartig genähert und bleibt vor mir stehen.
Ich vibriere innerlich wie äußerlich.
„You, hast no Home... ähm Hauswork... gemacht?“ Und seine Augen rollen sich über mich und ich meine gerade seine braune Augen berühren fast meine blaue Iris.
Wow.
„No“, das bringe ich fertig.
„Why?“
„Why not, I have no time for homework", stottere ich und ich weiß noch nicht mal annähernd, ob das auch so stimmt. Würde ich es nachschlagen, bekäme ich das blanke Grauen.
„Aha , you learning ... tomorrow, ... and than begin with this book, okay.“ Verstehe ich so seine Worte, der Rest zwischen den Zeilen ist wie immer leicht genuschelt.
„Okay.“ Ja ist ja gut, mache ich ja Boywonder. Musst nicht gleich pampig werden.
Warum muss er nur verdammt so heiß aussehen, wenn er wütend wird? Niedliche Grübchen hat er.
Irgendwie bekomme ich trotzdem die zwei Stunden herum und ich muss zugeben, ich habe ziemlich wenig gelernt.
Shit ...
Gerd klopft mir aufmunternd auf die Schultern.“ Hey, man kann die Kurse auch doppelt belegen.“
Was, doppelt, denkt er ich bin blöd?
Ich drehe mich zu ihm. „Wieso, belegst du etwa die Kurse doppelt, wenn ja, merkt man das nicht?“, knurre ich von der Seite her und Hanni wiehert mir beruhigende Worte zu.
Ich beschließe beim nächsten Mal Würfelzucker für mein Pferd - rechter Hand - neben Hutmacher, der zu einer Salzsäule erstarrt zu sein scheint, mitzubringen.
Nachdenklich räume ich meine Sachen zusammen und bleibe als Einzige zurück, denke ich.
Aber dann sehe ich von meinem Tisch auf und schaue in Brians Augen.
Er ist ja noch da und er schaut mich ja gar nicht mehr böse an? Im Gegenteil.
Da bekomme ich doch Schuldgefühle.
„I'm sorry Brian“, sage ich auf einmal schüchtern und er lächelt mir warm ins Gesicht.
„It is okay. Would you like coffee?“
Dafür brauche ich keine Übersetzung, um zu merken, dass er versucht mit mir ein Kaffee trinken zu gehen.
„Yes, I like coffee and you?“
Wer zuletzt grinst, grinst am besten!
Mittlerweile sind schon einige Wochen vergangen. Und mal ehrlich, Englisch kann ich immer noch nicht wirklich viel. Und wie steht es mit meinem Englischlehrer? Tja Boywonder und ich gehen einmal die Woche nach dem Kurs einen Kaffee trinken. Es ist für mich schon fast zu einem Ritual geworden und ich habe das Gefühl, wir verstehen uns wirklich gut. Also die Chemie stimmt, will ich damit sagen. Mit der Sprache hapert es ein wenig und für die meisten Hasen um uns herum muss es ziemlich witzig aussehen, wenn wir neben unserem Kaffeetrinken pantominenartig uns versuchen zu verständigen.
Hurra denkt ihr jetzt. Nun ja es ist wirklich nur bei dem Kaffee trinken geblieben.
Ihr denkt doch nicht …?
Ich schüttle entsetzt über meine Leser den Kopf.
Nein, habt ihr jetzt wirklich gedacht?
Nun gut, ich irgendwie auch.
Ich grinse schief.
Darum gehe ich ja tapfer in den Kurs und hänge im Anschluss an seine Lippen. Er übrigens auch aber ich denke leider aus anderen Gründen wie bei mir.
Er liest eher von den Lippen ab. So hat er es mir neulich erklärt.
Meine Kursteilnehmer und ich sind mittlerweile auf ganze vier Leute geschrumpft.
Hanni hat sich aus dem Rennen mit einem rasanten Galopp in Abseits geschossen.
Wieher?
Irgendwie erinnert mich das an die Bibel.
Nun gut. Es ist immer noch Wunderland und ich befinde mich in ihm.
Die Herzdame ist mir doch neulich in der Cafeteria entgegengekommen.
Hach war die aufgeplustert.
Und diese Schuhe?
Und wie sie nebenbei mit ihrem viel zu grell überschminkten Lippen dann Brian angeschmachtet hatte.
Olle Zicke, du hast einen anderen Kurs gewählt, also troll dich davon, hatte ich dann doch etwas zu laut gedacht und sie sah mich aus ihren viel zu kleinen Schweinsaugen dann auch so an.
Tja, ich muss nicht groß erwähnen, dass ich von Geburt aus eine männliche Zicke bin, wenn es darum geht, dass man mein Eigentum anfasst oder gar anlächelt. Da werde ich Russisch.
Nein, denkt ihr, ich wäre nicht so? Falsch gedacht, ich bin so einer.
Und als der liebe Gott dies verteilte, habe ich mich gerade nochmals in diese Schlange eingereiht.
Also eine doppelte Oberzicke, mit dem Hang zum Gorbatschowsyndrom.
Ich schweife ab, sorry.
Also es ist mal wieder Kurstag. Und ich komme eine halbe Stunde früher an als geplant, denn ich weiß, Brian kommt immer früher.
Hach bin ich berechnend.
Wie gut, dass ich den Hausmeister schon informiert habe, und dass schon vor Wochen, das er immer vorher aufschließen soll, weil ich neuerdings, seit dem Kaffeetrinken mit Boywonder, immer so früh komme. Er schluckte meine Lüge auch noch unbeschadet, dass ich von ganz weit herkomme, als ich im Erklären musste, warum ich immer so früh hier auftauche, und immer, ich armes Ding mit dem Zug fahren muss. Der fährt nun mal nicht anders.
Wimpernaufschlag - einmal nach oben und zweimal nach unten.
Mein Wimpernaufschlag kann keiner so recht Widerstehen, nicht einmal Dideldum, so nenne ich jetzt heimlich den Hausmeister, der wie ich vermute, genauso schwul ist wie ich. Er hat den Bauch von Dideldum. Dideldei habe ich leider noch nicht gefunden, aber was nicht ist, kann noch werden.
Hasen sind wie eh und je im Erdgeschoss. Hasen sind bei mir Menschen, wer es noch nicht gescheckt hat, was gemeint ist.
Ich weiß, ich bin schräg drauf, aber ich denke, man kann es mögen, oder? Also, sie tummeln sich in Scharen vor der Cafeteria und hoppeln umeinander her. Manchmal denke ich, die vermehren sich im Nu und es werden wöchentlich immer mehr, dabei denke ich noch nicht mal an die Schmeißfliegen. Anders als bei Brians Kurs, bei dem anscheinend die Sterberate an Englisch lernen zugeschlagen hat. Oder die Obahmafraktion nicht mehr ganz so in ist. Oder noch eine andere Variante. Die Ratingagentur streicht das Kontingent für solche Kurse und setzt sie auf ein niederschmetterndes B herab …
Uhhhhh ich bekomme das Gruseln.
Ich atme tief durch, versuche ruhig zu wirken. Denn mein Herz schlägt automatisch jetzt eine Spur schneller. So will ich gerade in den Aufzug steigen. Mein linker Fuß ist schon drin, ich freue mich diebisch, aber da sehe ich schon von Weitem die Grinsekatze, die mich mit ihren Fingern wedelnd aufhält und wie ein geschmeidiges Kätzchen angelaufen kommt.
Auch das noch, was will die hier? Mir ihre 32 Zähne zeigen, die weißer sind als Persil und der weiße Riese zusammen? Und warum ist sie schon da? Sie kommt für gewöhnlich immer, fünf Minuten zu spät in den Unterricht.
Ich trete zurück, und der Fahrstuhl schließt sich.
Mist, jetzt muss ich auf den Nächsten warten …
Hei“, rufe ich ihr dennoch zu, wirke dabei gekünstelt fröhlich mit bissigem Ausdruck und unterdrücke ein Fauchen. Da zeigt sie mir schon, und ich habe es befürchtet, ihre 32 Zähne inklusiver Goldzahn, der in der Mitte aufleuchtet. Gut, der ist jetzt von mir dazugedacht gewesen.
Okay muss ich jetzt nicht haben. Aber sie ist eigentlich recht nett. Wie eine Grinsekatze halt so ist.
Beispiel, sagt sie was, meint sie das krasse Gegenteil.
„Hallo Alice!“
Alice? Ach so das bin ja ich.
Hallo Grinse- ähm Tanja ...“, biege ich gerade noch so die Begrüßung hin. Wäre ja peinlich.
„Und hast du die Vokabeln gelernt, die uns Brian aufgegeben hat?“, schnurrt sie schon los.
Vokabeln, was heißt hier Vokabeln?
Ich schaue sie leicht dümmlich an und dann schüttelt sie, mich zurechtrückend, mit dem Kopf.
„Alice, also wirklich. Brian wird wieder mit dir schimpfen.“ Sie hebt ihre Brauen an und ich denke, sie fallen ihr gleich vom Kopf hinten runter, als sie auf den Knopf drückt, damit der Fahrstuhl wieder herunterfahren kann.
Klaro, von alleine kommt der nicht.
„Soll er doch“, meine ich nur achselzuckend, dabei brodelt es in mir. Verdammt, ich wusste doch ich hatte was vergessen, außer immer nur an Brian zu denken, hätte ich lieber mal ins Vokabelbuch geschaut.
„Sag mal, läuft da eigentlich was zwischen dir und Brian?“
Treffer, Grinsekatze hat es voll drauf, dass zu meinem brodeln unter der Oberfläche ich noch rot anlaufe.
„Nein“, fahre ich sie etwas zu heftig an, wobei mir ihre Zähne schon fast entgegenhüpfen, so breit grinst sie mich an. „Wie kommst du darauf?“, frage ich jetzt weniger emotional und muss mich zwingen nicht schon wie eine Engelsharfe, bei der ein paar Saiten gerissen sind, zu klingen.
Ich hätte gerne was mit ihm. Verdammt und wie ich gerne was mit ihm hätte.
Mein Liebesleben ist sowieso auf einen arktischen Nullpunkt angelangt.
„Ach so, wir hatten uns immer gewundert, weil du nie mit uns zum Fahrstuhl mitläufst.“
Weil ich ihn immer mit meinen Augen ausziehe und ich gerne danach alleine mit ihm sein möchte, du Superhirn.
„Heute werde ich eine Ausnahme machen“, sage ich stattdessen und versuche mich in einem Lächeln der Stufe drei, was so viel heißt, ich mache ein klein wenig den Mund auf.
Kling, der Fahrstuhl geht auf und wir treten mit ein paar anderen ein. Der Fahrstuhl ist überfüllt und ich komme mir wie eine Ölsardine vor.
Was mir nicht passt, denn jetzt habe ich Brian nicht alleine für mich, der nämlich bestimmt schon auf mich wartet.
Er ist schon da, wie ich erwartet habe und sogleich entdeckt er auch die Miezekatze
Ahhhhhhh, sehe ich da ein enttäuschtes Gesicht.
Oh Baby, es tut mir so leid.
„Hello Brian, it's nice to see you.“
Hach, ich kann Englisch ... hehehe.
„Do you have homework last week, Alice?“
Okay, das übersteigt dann doch wieder meine Kompetenzen.
„Thank you, I'm tired.“
„Aha“, sagt er nur und schüttelt grinsend den Kopf. Dann beginnt er mit mir auf Deutsch zu reden, was so ähnlich sich anhören müsste wie mein Englisch für ihn.
Grinsekatze sitzt auf ihren Platz und stöbert in ihrem Buch. Dann hebt sie ihren Kopf und sendet meinem Brian ihr schönstes Lächeln.
HALLO?! DER GEHÖRT MIR!!!
„Brian, do you have you a little bit time for me? I have a big problem“, unterbricht sie uns einfach und wedelt mit ihrem Vokabelheft.
Ich starre sie finster an.
„No Problem“, sagt er und lächelt sie an. Sie stecken ihre Köpfe zusammen. Für mich viel zu nahe, wie ich finde. Die beiden anderen trudeln jetzt nach und nach ein, während ich wütend den beiden Turteltäubchen beim turteln zu schaue.
Du verfluchte Grinsehexe, denke ich finster. Frauen sind einfach nur schrecklich!
Ich ahne schon, der Kurs wird für mich um Längen zu lang werden. Und so ist es auch.
Endlich ist der Kurs rum und ich räume in einer schneckentempoartigen Zeit meine Sachen zusammen. Verstaue sie einzeln in meine Stofftasche und bin dabei auf mein Handy zu schauen. Das ist den anderen jetzt doch viel zu langsam. Selbst für die Grinsekatze die einen: „Machs gut, Alice und lerne schön die Vokabeln. Brian hat mir ja so geholfen“, an den Kopf.
Ich sende ihr als Antwort giftige Blicke zu.
Ich werde lernen oh ja, und zwar wie man dich, Grinsekatze zum Schweigen bringt.
Dabei schiebt sich ein Bild vor meinen Augen, wie Jerry die Maus, Tom der Kater, die beiden Zeichentrickhelden, mit der Axt ihn in Stücke hackt.
Gerd legt beruhigend eine Hand auf meine Schulter und drückt sie kurz.
Das ist eine nette Geste. Ich nicke zu ihm.
Wir verabschieden uns und ich hebe nur noch die Hand, als ob der Rest meines Körpers aufgehört hätte zu funktionieren.
Die ganze Zeit über hatte diese blöde Kuh und Brian miteinander geflirtet, wie ich finde. Ich bin enttäuscht und mit meinen Gedanken so vertieft, dass ich nur so am Rande wahrnehme, wie die Tür zu diesem Raum zugeht.
Brian ist anscheinend auch gegangen und mir wird bewusst, dass er mit mir dieses Mal keinen Kaffee trinken wird.
Wahrscheinlich mit dieser ollen Katzennatter, denke ich jetzt noch enttäuschter und lasse den Kopf hängen. Ich bin noch nicht in der Lage aufzustehen. Also bleibe ich auf meinem Platz einfach sitzen, bemitleide mich in diesem Moment selbst und grübel nach.
Auf mich wartet eh keiner zu Hause, denke ich und mir wird bewusst, wie einsam ich doch in Wirklichkeit bin.
Meine Gedanken bewegen sich wieder zu meinem Englischlehrer, in den ich mich wirklich, bis über beide Ohren verliebt habe. Ich bekomme eine immense Wut auf die Grinsekatze, die jetzt wahrscheinlich auf seine tollen Lippen starrt und mit ihm Kaffee trinken gegangen ist.
Ich zwinge mich langsam, meinen Blick auf die geschlossene Tür zu richten. Meine Augen werden groß, als ich Brian dastehen sehe, mit einem koketten Lächeln auf den Lippen, einem Schlüssel in der Hand und wie er die Tür abschließt. Richtig abschließt und den Schlüssel galant in seiner Jeanshose verschwinden lässt.
Oha … Freude und Faszination machen sich in mir breit.
Wo ist die Returntaste? Ich will es noch mal sehen.
Er bewegt sich geschmeidig auf mich zu beugt sich zu mir rüber. Meine Augen bleiben förmlich auf seiner geschwungenen vollen Unterlippe hängen und meine Kehle braucht dringend ein paar Schlucke Wasser, sonst sterbe ich den Wüstentod und vertrockne von innen heraus.
Sie werden noch größer, wie zwei Untertassen müssen sie schon wirken, als er mit samtweicher Stimme mich anspricht: „I want you, Alice.“
Dafür brauche ich keine Übersetzung, als ich ihm auf meine Weise antworte, in dem ich ihn prompt küsse ...
Ende
Epilog
Brian und ich sind jetzt wirklich zusammen, wenn man das miteinander gehen auch als zusammen sein, verstehen kann.
Nach diesem Kurs und dieser Offenbarung hat sich doch einiges für mich geändert in meinem Leben.
Wollt ihr noch mehr wissen?
Neuauflage © Randy D. Avies 24. August 2014
Texte: Randy D. Avies
Lektorat: Randy D. Avies
Tag der Veröffentlichung: 25.11.2017
Alle Rechte vorbehalten