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1 Flammen

 

Kapitel 1: Flammen

 

Sashima lief den Marktplatz entlang, das tat sie immer zum Donnerstag, es war mittlerweile eine Gewohnheit von ihr.

Früher suchte sie sich nach der Schule einen Ort aus, an dem sie denken konnte. Witziger Weise war das genau der Ort, der am lautesten war und doch fühlte sie sich hier wie zu Hause.

Eigentlich tat sie dies auch noch aus einem anderen Grund.

 

Vor vielen Jahren hat sie immer ihren Vater mit auf dem Wochenmarkt genommen. Jeden Donnerstag, nach der Schule, hat er sie abgeholt und ist mit ihr über den kleinen Markt, danach zum alten Rathaus und weiter bis zum Stadtpark gelaufen. Bis zu seinem Tode hatte er immer für ihren Haushalt frisches Obst und Gemüse gekauft. Ein Ritual, dass sie erst aus Trotz, dann aus Gewohnheit weiter durchführte und dies weit über ihre Schulzeit hinaus.

Ihrem Vater war es damals wichtig gewesen, etwas zu kaufen, was er vorher auch gesehen und angefasst hatte. Etwas, was "aus seiner Region stammte", so hatte er es ihr einmal erklärt, "schmeckt wie nach Hause kommen".

Ja, hier war sie zu Hause.

Bis zu dem Tage an dem er starb, vor ihren Augen.

In den Flammen ihres eigenen Hauses.

An dem Wochentag, der für sie eigentlich etwas Besonderes war.

 

Deshalb konnte sie sich wahrscheinlich noch daran erinnern, als ob es erst gestern passiert wäre und dabei lag es bereits über fünfzehn Jahre zurück. In einem Alter, wo das Leben noch sorglos war und sie erst um die acht Jahre alt war.

 

Sie kam hier her, um an die Vergangenheit zu denken. An die Zeit zu erinnern und nicht zu vergessen. Vielleicht auch, weil sie nie aufgegeben hatte das geheime Rätsel zu lösen, woran und warum ihr Vater an diesem Abend sterben musste?

Ein unaufgeklärter Fall. Ein Fall einer Akte, irgendwo im Archiv der Polizei. Sie wollte die Wahrheit herausfinden, solange schon, doch keiner konnte ihr helfen. Jedenfalls keiner, den sie kannte oder der bisher mit ihr darüber gesprochen hatte.

Dabei fing der Nachmittag wie immer an. Mit einem Spaziergang über den Markt, einem Einkauf bei ihrem bekannten Händler. Der Rundgang zum Rathaus, danach zum Stadtpark und zuletzt nach Hause.

 

Sie wusste, dass sie gemeinsam Abend gegessen hatten, es gab leckeren Curryreis mit Hähnchen und frischem Gemüse als Beilage. Danach versuchte sie etwas im Garten auszuspannen und ihr kleiner Bruder hatte dabei vermehrt genervt, sie wurde sauer, schrie herum und bekam als Strafe für den Abend Fernsehverbot. Doch dies war nie eine Strafe für sie gewesen. So zog sie sich in ihr Zimmer zurück, nahm sich eines der vielen Bücher aus dem Regal und schlief beim Lesen auf ihrem Bett ein.

Danach...

Und da war das Problem.

Was war danach?

Ihr fehlten fast vier Tage Inhalt.

 

Sie wusste es einfach nicht mehr.

Es war ihr nur wenig bekannt. Das Einzige, was sie wusste, stammte aus Erzählungen anderer Leute und Zeitungsausschnitten. Diese Informationen hatte sie sorgfältig in einem kleinen Tagebuch gesammelt und sortiert.

Es war ein Feuer gegen 22.30 Uhr in ihrem Haus ausgebrochen, laut der Feuerwehr musste es ein Gasleck im Heizungskeller gegeben habe.

Ihr Zimmer befand sich damals im Dachgeschoss, in der 3. Etage. Sie hatte die gesamte obere Dachhälfte für sich und war alleine auf der Ebene. Ihre Eltern und ihr kleiner Bruder wohnten eine Etage tiefer und im Erdgeschoss befand sich damals Küche und Wohnzimmer. Bäder waren auf jeder Ebene zu finden, was sie damals noch erschreckend fand, heute wäre sie begeistert davon gewesen.

Nach dieser Nacht wachte sie vier Tage später im Krankenhaus auf. Ihr Bruder lag im Bett neben ihr, ihre Mutter war zu dieser Zeit noch auf der Intensivstation und nicht auffindbar.

Ein kleiner Junge saß damals neben ihrem Bett. Sie kannte ihn, doch wusste sie nicht seinen Namen. Er war einer der Nachbarskinder mit denen sie immer am Wochenende oder in den Ferien gespielt hatte. Später erfuhr sie, dass die Schwestern ihn Sotiras nannten.

2 Traum

Kapitel 2: Traum

 

Etwas störte ihren Schlaf, unangenehme Geräusche von Rascheln und Knistern.

Sie versuchte wach zu werden, doch ihre Augen fühlten sich so schwer an. Jemand rief nach ihr, doch es klang wie ein rauschen im Hintergrund. "Sashiiimmmmaa!" Wie ein defektes Radio oder ein Lautsprecher. Etwas störte ihre Ohren und ihren Verstand, sie konnte nicht klar denken. "Sashiiimaaa!"

Sie wollte doch nur schlafen. Es war doch noch nicht morgen. Ihr Körper fühlte sich noch so schwer an, schwer wie ein Sack Zement oder viel zu dicke Kleidung im Winter.

Das Rauschen wurde lauter und ebenso die aufdringliche Stimme die sie rief. "Saaaashiiimmmaaa!"

Wer war diese Stimme? Kannte sie diese nicht? Sie war ihr unbekannt. Eine männliche Stimme rief sie, dass konnte nur ihr Vater sein. Ihr Bruder würde sie nicht rufen, er würde reinkommen und sie direkt wecken. "Ich komm ja schon", nuschelte sie und versuchte aufzustehen. Doch ihr Körper fühlte sich noch immer schwer und nicht Bewegungsfähig an. "Ich brauch noch einen Moment...", versuchte sie diesmal etwas lauter. Eigentlich wollte sie nicht aufstehen. Wozu auch? Sie hatte gar keinen Grund. Mit der Schule war sie doch fertig und ihren Job konnte sie von zu Hause erledigen. Schule? Irgendetwas war da? Sie versuchte diesen Gedanken aufzunehmen und er wurde klarer, alles andere verblasste. Erneut versuchte sie sich zu bewegen und munter zu werden, danach gab es einen lauten Knall und sie erschrak.

Sie öffnete schließlich die Augen und sie sah ihr Bett, ihr Schlafzimmer, ihre Wohnung. Es war nicht ihr altes Haus, sie war nicht mehr in der Schule. Keiner hatte sie versucht sie zu wecken, es war keiner da. Sie lauschte und versuchte jemanden zu hören.

Dann sah sie über das Bett auf den Fußboden. Sie hatte ihr Telefon, zusammen mit ihrem Buch vom Bett geworfen. Sie war vermutlich wieder beim Lesen eingeschlafen. Doch jemand hatte nach ihr gerufen. Sie lauschte erneut. Stille. Nein, es war keiner da.

Sie hob ihr Telefon auf, löste den Speerbildschirm und sah auf die Uhr. Es war 5 Uhr am Morgen und das Dämmerlicht das durch die Fenster schien, waren nicht die Straßenlaternen, sondern der beginnende Sommertag. Wer würde sie um diese Uhrzeit schon rufen oder wecken wollen? Niemand den sie kannte. Alle wussten, dass sie morgens gerne lange schlief.

Es musste der gestrige Tag gewesen sein. Der Weg durch die Stadt, die vielen Gedanken über den Tod ihres Vaters, der Brand von ihrem Zuhause, dies alles musste bei ihr einen Traum verursacht haben. Einen Traum an die Nacht des Unfalls.

Doch sie konnte sie nicht erinnern, dass sie damals jemand gerufen hätte. War es Traum gewesen oder Wirklichkeit? Hatte sie damals einer Versucht zu wecken? Sie wusste es nicht mehr.

Danach griff sie sich mit ihrer Hand an den Kopf. Das Ganze grübeln verursachte ihre Kopfschmerzen. Es war zum Verzweifeln. So oft hatte sie sich versucht an diesen Abend oder an die Nacht zu erinnern. Nichts.

 

Sie stand auf und ging zum Fenster, öffnete es weit und ließ die morgendliche kühle Luft ins Zimmer strömen. Danach atmete sie tief durch und sah sich den beginnenden Morgen an.

Seltsam war es schon.

Traum oder Wirklichkeit?

 

3 Feiertage

Kapitel 3: Feiertage

 

Für Sashima war das immer ein Trauertag. Sie versuchte es deshalb so weit wie möglich zu ignorieren. Wenn dies nicht funktionierte, lief es immer etwas nervig ab.

Ihre Mutter versuchte sie zu einem gemeinsamen Essen zu überreden und sie stürzte sich am liebsten den ganzen Tag in Arbeit. Das ganze Theater diente nur dazu, sich von ihrem gemeinsamen Beisammensein zu drücken. "Mama, ich kann nicht, ich habe so viel zu tun. Lass es uns zu Ostern versuchen..."

Das hatte bis jetzt immer funktioniert.

Es gab nur genau einen Tag, der ihr wirklich wichtig war. Er war für sie etwas Besonderes, das betraf aber nicht ihren Geburtstag. Nein, es war der Todestag ihres Vaters und damit auch der Tag des Unfalls.

Er rückte immer näher.

 

Sie grübelte noch über ihre eventuellen Ausreden für den nächsten Feiertag nach, als sie ihre Haustüre klappern hörte. Es wurde ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und zweimal im Schloss gedreht. Sie sperrte immer mehrmals zu, da sie von einem Schlüsseldienst gezeigt bekam, wie einfach es war, eine Türe aufzuhebeln und einzubrechen.

Danach kam das vertraute klacken des Türschlosses, doch sie bekam keine Angst, sie ahnte, wer da war und wer sie da am frühen Morgen störte.

Es klackte erneut, die Haustüre öffnete sich und jemand versuchte sich leise in den Flur zu schleichen.

Sie ging in die Richtung des Geräusches und stellte sich mit verschränkten Armen entgegen. "Muss ich die Polizei rufen, wegen Hausfriedensbruch?" Der Angesprochene sah ihr mit ernster Miene entgegen und erwiderte. "Das würde dir nichts nützen", sagte er, "Ich habe einen Schlüssel, zum Hereinkommen." Dann fingen beide an zu lachen.

Dann fiel sie ihm in den Arm. "Es ist schön, dass du eher gekommen bist. Sotiras."

"Ich wollte dich überraschen, ich dachte du schläfst noch. Hast du nicht gut geschlafen?" Sie nickte an seiner Schulter und ihr liefen zum ersten Mal, an diesem Tage die Tränen.

"Hey mein Engel, nicht weinen. Wir schaffen das, lass dich nicht hängen. Du weißt doch, du kannst immer auf mich zählen."

Er wusste was heute für ein Tag war. Kannte ihren Schmerz. Wusste, weshalb sie seit 15 Jahren ihr altes Wohnviertel mied und weshalb sie immer alleine donnerstags über den Markt lief.

Er war seit dieser Zeit ihre Stütze gewesen, hatte ihr das Leben ermöglicht und damit das Aufstehen jeden Tag. Auch, wenn es am Anfang nur aus der Ferne war.

Nach so langer Zeit wollte er den nächsten Schritt tun und mit ihr zusammenziehen, aber ein tiefes Geheimnis hielt ihn bis dahin immer zurück.

Deshalb war er heute gekommen, er wollte sie dazu überreden weiter zu gehen. Seine Woche war gut verlaufen, die Montagearbeiten waren schnell fertig gewesen und er konnte eher nach Hause fahren.

Derzeitig wohnte er noch bei seiner Mutter und unterstützte sie. Seit ihrem Arbeitsunfall saß sie im Rollstuhl. Das war einer der Gründe und Auslöser, nun in eine behindertengerechte Wohnung umzuziehen. Dadurch wurde ihre Wohnung leer und konnte von ihm alleine genutzt werden.

Er wollte mit Sashima endlich zusammenziehen. Das stand aber noch vor vielen Hindernissen. Zum einen musste das mit dem Vermieter geklärt werden, um das Einverständnis, so wie eine Vertragsänderung. Die Wohnung musste komplett saniert werden. Aber das größte Problem war, ein Termin mit ihm zu bekommen, dies war die größte Herausforderung. Außerdem musste Sashima wieder in ihre alte Wohngegend ziehen, neben der Wohnfläche, wo einst ihr altes zu Hause stand.

Und... ein altes Geheimnis...

4 Reden

 

Kapitel 4: Reden ist Silber.

 

"Wie war deine Woche?" Sashima saß zusammen mit Sotiras auf dem Sofa und ließen sich eine Tasse Tee schmecken. Sie fragte aus

Höflichkeit, sie wusste, dass er die ganze Woche auf dem Bau war und schwere Stahlträger gehoben und zusammengeschweißt hatte.

Jedes Mal, wenn er auf Montage ging, sahen sie sich nur noch am Wochenende und das nur jedes Zweite. Bis auf dieses hier, das war etwas Besonderes. Er wusste von dem Abend des großen Brandes und ihrer Vergangenheit, deshalb nahm er den Weg auf sich, um bei ihr zu sein. Er verstand es, was dieser Tag für sie bedeutete, auch wenn er so lange zurücklag.

"Üblich", antwortete er in derselben Tonlage wie sie und sprach es aus, wie eine reine höfliche Antwort. "Wir haben einen neuen Auftrag erhalten und ich werde wieder die Stadt wechseln." Sie nickte, sie kannte dies bereits. Es war nichts Neues mehr. Sobald sie mit ihrem Auftrag fertig wurden, wechselten sie zum nächsten Auftrag. Dieses Mal waren sie in Leipzig gewesen, um eine große Halle für eine Messe zu bauen, nächstes Mal.… Wer weiß das schon?

"Weißt du, ich hatte mir etwas überlegt..." Er versuchte sich heranzutasten, an die schwere Situation, die ihm bereits seit mehreren Wochen den Schlaf raubten. "Meine Mum zieht bald ins betreute Wohnen um, und ich wollte in der kommenden Woche die Wohnung ausräumen und alte Sachen aussortieren." Er verschnaufte kurz und sah ihr direkt in die Augen, jedenfalls versuchte er es, sie starrte nur auf ihre Teetasse. "Ich möchte dich gerne dabei haben... Ich meine... Ich bräuchte deine Hilfe." Er holte erneut Luft, er wusste nicht wie er anfangen sollte. Sooft hatte er sich während der Fahrt zu ihrem Gedanken gemacht, doch keiner schien der richtige Weg zu sein. "Könntest du mir beim Ausräumen der Wohnung helfen, vielleicht gefällt dir etwas... also sie... ja vielleicht doch."

"Ja klar, warum nicht", sagte sie dazu tonlos und sah weiterhin ihre Tasse an. "Okay", gab er zurück und räusperte sich etwas lauter. Er versuchte daraufhin, sie weiter in ein Gespräch zu locken. Er sah ihr an, dass sie nicht anwesend war und zu allem Ja sagen würde. Sie hörte ihm gar nicht zu. "Dienstag wäre nicht schlecht." "Mmh", antwortete sie erneut. "Ich liebe dich, möchte dich heiraten und möchte mit dir zusammenziehen", setzte er mit leichter Verzweiflung an, mit dem Gedanken, dass sie kein Wort verstand. "Ja klar." Er musste fast weinen, es war zum Durchdrehen. Wie tief war sie nur in Gedanken und vor allem, was beschäftigte sie schon wieder? "Der Käse schmeckt lecker und fliegt zum Mond." „... mmh ... lecker."

Er nahm ihre Schultern und drehte sie in seine Richtung. "Sashima, bitte schau mich an." Ihr Blick wurde klarer und richtete sich auf seine Augen. "Wo bist du gerade? Bitte rede mit mir. Du weißt, du kannst mir alles sagen." Ihr Augen füllten sich mit Tränen. "Entschuldige bitte, ich habe dir nicht zugehört." Jetzt wurde er leicht sauer. "Du sollst dich nicht entschuldigen, sondern mir sagen was los ist. Ich bin kein Hellseher und kann nun mal nicht in deinen Kopf schauen. Rede mit mir." Die letzten Worte sagte er unter Druck und schüttelte sie leicht an ihren Schultern, die er immer noch festhielt. Doch als er sah, dass noch mehr Tränen aus ihren Augen kamen, nahm er sie richtig in den Arm und drückte sie. Seine Wange legte er auf ihren Kopf. "Hey Sonnenschein, nicht weinen. Du weißt, du kannst mir alles sagen, ich bin für dich da. Wie immer."

Sie schluchzte mehrere Male und er bemerkte, dass seine Brust von ihren Tränen, durch das T-Shirt feucht wurde. "Ich hatte... hatte... einen Traum", stotterte sie unter Tränen geschüttelt.

Er konnte sich denken, um was es in diesem Traum ging. Diesen Traum hatte sie meistens um diesen Zeitpunkt, ihre Vergangenheit ließ sie einfach nicht los oder sie konnte sie nicht loslassen. Beides führte jedes Mal zu dieser Situation. Sie weinte, er tröstete sie und am Ende lagen sie zusammen im Bett und versuchten den Schmerz mit Sex abzulenken. Doch diesmal wünschte er es anders, er wollte mit ihr darüber reden. Sie sollte darüber reden. Nichts sollte ihn ablenken. "Was hast du geträumt?"

Sie hob ihren Blick und sah ihn verstört an. Der Blick sagte eindeutig, du weißt schon, dass selbe wie immer. Er ging nicht darauf ein.

"Erzählst du es mir?"

Das klang doch gar nicht so schwer, dachte er sich. Ich muss es weiter versuchen. "Wovon handelte er?"

 

5 Alptraum

Kapitel 5: Alptraum

 

Sie redete... lang... sehr lang.

Und er tat das, was für sie am besten war, er nahm sie im Arm und hörte ihr zu. Die Tränen liefen weiter, doch ihr Blick verschwand nicht mehr. Er streichelte ihr Haar, ihre Schultern, ihren Rücken, ihre Arme und sie fühlte sich gut dabei. Sie entspannte sich und redete.

Die Story, die sie kannte und von der sie geträumt hatte.

Vom gemeinsamen Abendessen mit Curryreis, Hähnchen und frischem Gemüse als Beilage. Der Versuch im Garten auszuspannen und das Nerven ihres damaligen kleinen Bruders. Wie sie sauer wurde und schrie, die Strafe, die darauf folgte und dass sie sich in ihr Zimmer zurückzog. Dort versucht hatte ein Buch zu lesen und dabei auf ihrem Bett eingeschlafen war. Danach von den letzten Träumen, in der sie immer eine männliche Stimme gehört hatte und gedacht hatte, es wäre ihr Vater.

In diesem Augenblick versteifte er sich. Das war ihm neu, das hatte sie noch nie erzählt. Diese Träume kannte er auch, nur waren seine genau anders herum. Er sah das Haus seiner damals noch Nachbarin brennen. Erst nur qualmen und danach brennen. Er rief nach seiner Mutter, danach nach allen die im Haus hätten sein können, bis zu dem Namen, denn er über alles liebte. „Sashima“, flüsterte er und sah sie dabei an. Ihr Blick verriet keine Regung, doch sie erkannte die Stimme des Rufers wieder und erkannte plötzlich ihren Retter. „Was war an dem Abend alles passiert?“, drang sie auf ihn ein, „Erzähl mir alles was du weißt?“

Jetzt kam es ihm so vor, als ob er sich in seinem Alptraum wiederfand.

Der Abend, an dem er mit seinem Fahrrad einen Unfall hatte, obwohl ihm seine Mutter verboten hatte, es zu nehmen. Aus Scham hatte er sich nicht nach Hause getraut, und war länger wegblieb als eigentlich geplant. Seine Mutter hatte an diesem Tag einen Unfall auf Arbeit, da sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte und die meiste Zeit in Gedanken bei ihm war. Sie war damals von einer Leiter gefallen und hatte sich mehrere Wirbel im Rücken verletzt, dies führte zur Lähmung der Beine. Er wusste es bis dahin nicht, da er unterwegs war... länger… Länger als sonst.

Es war zu der Zeit abends noch lange hell, einer der Gründe, warum er die Zeit nicht bestimmen konnte. Beim Unfall am Nachmittag oder früher Abend hatte er seine Uhr zerstört, da er darauf gefallen war. Was ein weiterer Grund war, warum er nicht nach Hause wollte, sie war das Erbe seines Vaters gewesen und hatte ihm viel bedeutet.

Gott, wie er sich an diesem Abend gefühlt hatte.

Dann wurde es dunkel, er bekam es mit der Angst zu tun und rannte samt defekten Fahrrad nach Hause. Kurz vor seiner Straßenecke stieß er mit einem Mann zusammen und ärgerte sich noch darüber, dass er sein Fahrrad erneut aufheben musste. Als er dann um die Ecke bog, roch er etwas, etwas was nicht hierher gehörte. Etwas Ungewöhnliches für einen Sommertag. Es roch nach Benzin, aber nicht der gute vom Grillen, eher Beschleuniger oder Autobenzin. Es stank. Dann sah er schwarze, dicke Wolken und dazwischen im Keller rote Flammen.

Er schrie. Er schrie nur noch nach seiner Mutter. Danach nach seinen Nachbarn und das Mädchen, das er heimlich liebte. „Sashima! !“

 

6 Schrei

Kapitel 6: Schrei nach Hilfe

 

Sie schrie, aber nicht aus Angst. Sashima stampfte durch die Wohnung, schmiss dabei Türen zu und funkelte ihn zwischen zeitlich an. Doch er saß nur da, sah ihr nach und wartete. Er wartete auf einen Sturm, ein Sturm der viel schlimmer war als das hier. Doch er schien nicht zu kommen. Er verstand sie.

Ja er hatte ihr nie alles erzählt. Nein er wusste nicht, bis zu diesem Zeitpunkt, dass sie alle Ereignisse von früher aufgeschrieben hatte, jedes noch so kleine Detail gesammelt hatte. Ebenfalls musste er sie damit enttäuschen, er hatte sie nicht gerettet. Er konnte es damals nicht, er war zu jung, auch wenn er es so gewollt hätte. Jung und geschockt, so stand er an dem Tag vor dem Haus. Der einzige gute Zufall war, dass damals sein schreien die Nachbarn weckte oder besser darüber aufmerksam machte, dass etwas nicht stimmte.

Im Nachhinein hatte er lange überlegt und versucht den Weglaufendenden Mann von damals zu beschreiben, doch es ging alles so schnell. Er hatte den Verdacht, dass er an dem Brand beteiligt war. Dies erzähle er auch so damals der Polizei, doch ohne konkrete Beschreibungen kamen sie nicht weiter. So sehr er es versuchte, er bekam das Gesicht nicht mehr zusammen, irgendetwas blockierte sein Wissen.

Er seufzte tief, stand auf und lief hinter ihr her. Als er Sashima in den Arm nehmen wollte, versuchte sie ihn wegzudrücken und er griff sie noch fester am Arm. Er verstand ihren Zorn, doch auch er kämpfte seit Jahren mit diesem Abend. Ein Abend, der für sie beide schwere Folgen hatte. Seine Mutter hatte seit diesem Unfall ihren Lebenswillen fast vollständig verloren.

 

Sie war wegen seiner Grobheit geschockt und sah ihn starr an, etwas später lockerte sich sein Griff und sie schien sich auch etwas zu beruhigen. Mit schwacher Stimme fragte sie ihn: „Wie war es für dich?" „Was genau meinst du?", fragte auch er sehr leise und vorsichtig, als wenn er ein wildes Tier nicht verschrecken wollte. Sie senkte den Blich von ihm und sah auf seine Brust.

„Es tut mir leid", flüsterte sie fast. Er nahm seine Liebe des Lebens fest in den Arm. „Dir muss gar nichts leidtun. Eigentlich war es meine Schuld, ich hätte dir viel eher davon erzählen sollen. Ich weiß, dass dich dies alles sehr belastet." Sie schüttelte den Kopf. Ihr Blick glitt in sein Gesicht, direkt in seine Augen und er sah eine Träne im Winkel schimmern. „Trotzdem hätte ich dich nicht so anschreien dürfen. Du wolltest mich ja vorhin nur ablenken und ich habe dir mit meiner Trübsal den ganzen Tag verdorben." Ihr Blick glitt zur Seite. „Auch du hast damals sehr gelitten und durch diese Aktion eben, habe ich es dir noch schwerer gemacht.“ Dann sah sie ihn wieder an. „Was wolltest du mir eigentlich vorhin erzählen?"

Jetzt wird es peinlich, dachte er und griff sich mit der Hand in die Haare. „Na ja, weißt du... also es ist so... also vorhin..."

Verdammt, dachte er, reiß dich zusammen. Du hast es ihr doch vorhin schon erzählt, sag es einfach noch einmal.

„Ok, hör zu." Er holte tief Luft und erzählte die ganze Sache noch einmal, wie zuvor. „Also meine Mama zieht bald ins betreute Wohnen um. Du weißt ja, seit dem Unfall kommt sie nicht mehr alleine zurecht und ich hatte sie überredet, wenigstens in eine behinderte gerechte Wohnung umzuziehen.

Und da ich durch unseren neuen Auftrag mehr Geld bekomme, wollte ich gerne diese Wohnung in den kommenden Wochen ausräumen und renovieren." Jetzt sah er ihr tief in die Augen. „Für uns zwei. Ich möchte für immer mit dir zusammenziehen." Wieder etwas sanfter sprach er weiter. "Ich weiß, dass dir diese Wohngegend seit damals nicht geheuer ist, doch du musst langsam damit abschließen. Du kannst nicht dein Leben lang Angst vor einer Straße haben. Du musst dies auch nicht alleine bewältigen, ich bin auch da und selbst für mich ist dies nicht einfach. Nächstes Wochenende möchte ich damit anfangen. Bitte überleg es dir und sag nicht gleich nein!“, fügte er mit etwas Nachdruck hinzu. Wenigstens nickte sie kurz, als Zeichen des Versuchs.

7 Besichtigung

Kapitel 7: Besichtigung

 

Komisch? Von irgendwo her kannte er diesen Mann. Er kam ihm so bekannt vor?

Sashima drehte sich zu ihm um. „Was ist, hast du es dir doch anderes überlegt? Möchtest du doch nicht das Schlafzimmer im Dachgeschoss haben?“

Er war verwirrt, was hatte sie gerade gesagt? Er hatte gerade den Faden verloren. Nun sah er sich um, sie standen noch im Baumarkt, in der Holzabteilung. Sie hatten beschlossen an die Dachschräge, im ehemaligen Elternschlafzimmer im 1. Obergeschoss, das Bett zu stellen und an die große Wand den Kleiderschrank. Das Holz für das Bett sollte sie aussuchen, er wollte es danach selber bauen, passend im Stil der Wohnung. „Nein, nein… Ähm... Mir ist gerade eingefallen, dass ich den großen Schrank von dir auch austauschen lassen könnte, du wolltest doch lieber eine Schiebetüre, dann hätten wir mehr Platz.“ Puh... gerade noch die Kurve bekommen. Sie lächelt und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ihr war seine Unaufmerksamkeit nicht aufgefallen.

Doch dieser Mann, er ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wer war er?

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2 Wochen zuvor

 

Sie saßen gemeinsam im Auto und fuhren in die bereits bekannte Straße. Ihr Ziel war das Haus von ihm und seiner Mutter. Der Umzug der restlichen Kartons sollte an diesem Wochenende stattfinden, Sotiras geplanten Urlaubstagen.

Er hatte Sashima dazu überreden können, die Wohnung im fast leeren Zustand anzuschauen und darüber entscheiden zu lassen. Eine Entscheidung über ihre Zukunft. Falls sie es doch nicht schaffte sich zu überwinden, würde er das Haus schweren Herzens zum Verkauf freigeben. So war die Abmachung mit Sashima und seiner Mutter. Einen Makler hatte er bereits mit der Arbeit beauftragt, der die Wohnung fotografiert und geschätzt hatte.

Seine Mutter war damit einverstanden und überließ alles ihrem Sohn. Ihr ging es derzeitig besser, die Mitbewohner in ihrer neuen Wohngruppe im betreuten Wohnen tat ihr gut. Sie saß nicht mehr jeden Tag alleine herum, sondern sie fing wieder an zu leben.

 

Sashima knetete seit geraumer Zeit ihrer Finger und er bekam Angst, dass sie sich ihre Finger noch brechen würde, da diese bereits eine gelbliche Farbe annahmen. Er griff über den Schalthebel danach und drückte sie fest. Sie schien sich etwas zu entspannen und seufzte. „Tut mir“, sagte sie nach wenigen Minuten. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dir muss nichts leidtun. Wenn es zu schwer für dich ist, drehen wir um und ich verkaufe das Haus wie abgesprochen.“ Aus dem Augenwinkel sah er, dass sie nickte. „Ich weiß“, jetzt nahm sie seine Hand, „aber ich möchte es gerne sehen. Vielleicht bekomme ich ein anderes Gefühl dabei.“

Dann war der Punkt gekommen, als er in die Straße einbog und sein Haus sah. Das alte Haus von Sashima wurde bereits vor einigen Jahren abgerissen und an seiner Stelle stand ein modernes und gepflegtes Einfamilienhaus. Davor stand ein blauer Skoda unter einem hölzernen weißen Carport.

Sie staunte nicht schlecht, er sah es an ihren Augen. Nichts schien mehr an den Brand vor vielen Jahren zu erinnern.

Leise fragte sie ihn: „Kennst du den neuen Besitzer?“ Er schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich hatte bis jetzt noch nicht die Gelegenheit ihn kennenzulernen. Dazu war ich zu selten hier. Meine freien Wochenenden waren wir doch immer bei dir.“ Sie lächelte und er fing ebenfalls an zu lachen. „Auch zum Umzug habe ich niemanden gesehen, das Auto sehe ich heute zum ersten Mal dastehen.“

Er hielt vor dem Tor, stieg aus, öffnete es und fuhr auf den kleinen Hof. Danach stiegen sie beide aus und gingen zusammen in ihr eventuell neues Heim.

Sashima verliebte sich sofort in dieses Haus, sagte es ihm aber nicht. Es sah anders aus als ihr Elternhaus und erinnerte sie in keiner Weise an früher, was gut war und ihr damit auch keine Angst einjagte.

Sotiras Vater hatte damals einen Wintergarten im Eingangsbereich eingerichtet, der direkt in die Küche, beziehungsweise Esszimmer führte. Die Küche war direkt mit einer offenen Türe und einer Durchreiche verbunden.

Durch eine weitere Türe im Esszimmer gelangte man in den Flur und damit ins Treppenhaus. Unter der Treppe befand sich eine weitere Türe, die in den Heizungskeller und die Abstellkammer führte. Vom Flur aus kam man ins Wohnzimmer und ins Gästebad, dies hatte Sotiras Mutter hauptsächlich als Aufenthaltsräume genutzt und musste deshalb komplett erneuert werden. Sie hatte schon seit geraumer Zeit nichts mehr an der Wohnung getan.

Die Küche, die Sashima als Erstes betrat war in Sonnengelb gehalten und von Sotiras nicht entfernt wurden. Sein Plan war es, wenn sie damit einverstanden war, diese nur großflächig zu bearbeiten und neu zu streichen. Sie bestand aus Massivholz und war ein Original Handwerksstück seines Vaters gewesen, bevor er am Herzinfarkt verstarb.

Sie stand nur da und starte die Küche an.

Ängstlich ging er auf sie zu und umarmte sie von hinten. „Ich kann sie auch herausnehmen und dir eine moderne Küche kaufen.“ Sie schwieg. „Mein Plan war es, die Farbe abzuschleifen uns sie anders streichen.“ Sie schwieg weiter. „Ich kann es auch ändern, aber bitte rede mit mir. Ich... Ich weiß nicht, was ich tun soll… Sag etwas… Bitte!“ Versuchte er mit nervöser stotternder Stimme sie zu animieren. Er wusste nicht, ob sie unter Schock stand. Hatte diese Küche sie an früher erinnert? Hatte ihre Mutter auch so eine Küche gehabt? Er wusste es nicht. Er war damals nie in ihrem Haus gewesen.

Als er kurz vor dem Zusammenbruch stand, drehte sie sich um. Zu seinem Erstaunen lächelte sie. Dieses Lächeln war nicht wie die anderen, es schien eher eine Zufriedenheit zu zeigen. „Ich liebe es“, sagte sie mit leuchtenden Augen.

Hatte er richtig gehört? „Du liebst es? Heißes es… Du möchtest mit mir hier wohnen?“ Sie nickte. „Ich zeige dir erst das ganze Haus und dann entscheidest du dich, ok?“ Er hatte Angst, dass sie es sich noch anders überlegen könnte, falls eines der anderen Zimmer sie an früher erinnern würde. Sie schüttelte mit dem Kopf. „Egal was du mir noch zeigst, ich möchte mit dir hierbleiben. Dieses Haus hat einen ganz anderen Charme, als mein Elternhaus. Es fühlt sich richtig an. Ich möchte es mit dir zusammen, zu unserem Haus werden lassen.“

8 Vergangenheit

Kapitel 8: Vergangenes Aufleben

 

Viele Jahre zuvor.

„Na junger Mann. Du willst wohl mit dem Fahrrad fahren? Ein herrliches Wetter dazu. Na dann viel Spaß.“

Mist, es sollte mich doch keiner sehen, wenn das jetzt Mama mitbekommt. Sie ist sowieso ein alter Dickkopf. Warum kann sie nicht einfach zugeben, dass sie im Haus Hilfe brauch?

Der Arzt hatte recht, seit Vaters tot, hat sie sich zusätzlich viel zu viel Arbeit aufgenommen. Ich würde ihr gerne mehr helfen, doch ich bin nun einmal nur ihr Sohn und nicht ihr Ehemann.

Der Streit vorhin war aber auch nicht gut. Mist... Und jetzt wegrennen auch nicht. Was mache ich bloß? Ich kann mir ja auch nicht ständig von ihr etwas verbieten lassen.

Mein Kopf sinkt tiefer auf die Brust, bei all dieser Last kein Wunder, wenn sie doch einfach Hilfe von ihrer Schwester annehmen würde. Alter Dickkopf, sie war so stur. Schwesterchen hatte ihr vorgeschlagen, das Haus umzuräumen. Sie könnte mit mir ins Erdgeschoss umziehen und den oberen Teil vermieten, so würde sie Geld einnehmen und müsste nicht so viele Überstunden schieben. So ein Dickschädel! Sie meinte eben, es würde alles so weiter gehen...

Ein dumpfer Schlag und wenige Minuten später.

Mist. Scheiß Baum, ich habe nicht aufgepasst. War keine gute Idee, mit den Gedanken nicht auf der Straße zu sein. Oh nein… Scheiße Vaters Uhr. Meine letzte Erinnerung. Mutter wird echt sauer werden. Scheiße, ich seh nicht mal mehr die Ziffern. Wie spät es wohl jetzt ist? Wie lange ich hier wohl schon herumfahre? Und das Fahrrad muss ich jetzt auch noch heim fahren. Ich sollte doch lieber nach Hause gehen, vielleicht kann ich das Rad im Kellerraum verstecken, sie geht so selten runter? Mist, meine Hose ist auch kaputt, irgendwie muss ich die in die Wäsche schmuggeln. Oder soll ich es ihr doch erzählen?

Ein weiterer harter Schlag am Kopf, ich werde nach hinten gestoßen und falle hin. Mist, das auch noch. Ich blicke nach oben, ein Mann sieht mich an, er ist Schweiß überströmt und ziemlich gehetzt. „Entschuldigung“, murmelt er und läuft weiter. Nah vielen Dank auch, der hätte mir wenigstens beim Aufstehen helfen können. War das nicht der von vorhin?

Mein Blick schweift über die Gegend. Oh ich stehe vor Sashimas Haus. Sie ist so toll. Ein bisschen habe ich mich ins sie verguckt. Sie hat so ein süßes Lächeln, sie lacht wie ihr Vater. Ein wirklich netter Mann. Er hat meiner Mama schon oft geholfen.

Doch was ist das, es riecht so komisch und im Keller leuchtet es Rot. Ich gehe näher heran und erkenne. Scheiße Feuer. Rauch. Es brennt! „Mama! !“ „Sashima!“ Bummmmm.....

 

Ich schrecke hoch. Mein Blick gleitet nach rechts, sie liegt neben mir und mir fällt wieder ein, was ich gerade geträumt habe. Die Wirklichkeit. Ich weiß, wer er ist. Ich weiß was passiert ist. Nun weiß ich, wer den Brand gelegt hat. Der Mann aus dem Baumarkt, er war es der mich damals erwischt hat mit dem Fahrrad. Der Mann der mir danach nicht geholfen hat. Ich kenne ihn. Er war öfters bei Sashima zu Besuch oder bei ihrem Vater. Sie musste ihn kennen. Nur wusste ich nicht wer er war.

Und ob er wirklich der Brandverursacher war, dass alles blieb mir noch verborgen.

Er musste dringend zur Polizei. Schnell, solange das Erwachte noch frisch war und er sich erinnern konnte.

 

Schnell, aber dennoch leise, sprang er aus dem Bett und verließ eilig die Wohnung. Ihm spurten sah er noch einmal auf seine Geliebte, er würde das Rätsel für sie lösen. Er musste ihr helfen, ihren inneren Teufel zu besiegen.

Er musste einfach!

9 Nanek Bide

Kapitel 9: Nanek Bide

 

Sie streckte sich und griff wie in Trance neben sich, doch ihre Hand traf auf eine leere. Leere und kalte Bettwäsche.

Langsam öffnete sie ein Auge und sah hinüber. Er war nicht mehr da.

Sachte hob sie den Kopf und versuchte auch das andere Auge zu öffnen. Die Bettdecke war zurückgeschlagen und sein Handy lag auf dem Nachttisch. Wo war er nur hin? Holte er Frühstück für sie? Weil arbeiten musste er heute nicht, das sollte ihr gemeinsamer freier Tag nach dem Umbau werden. Nächste Woche wollten sie den Umzug starten.

Sie erhob sich und sah sich im Zimmer um. Seine Kleidung vom Vortag war verschwunden, er musste also das Haus verlassen haben. Vielleicht hatte er etwas vergessen, er war gestern im Baumarkt so abwesend gewesen? Danach erhob sie sich und ging unter die Dusche. Sie plante ihren Tagesablauf und nahm sich vor noch eine Stunde auf ihn zu warten. Wenn er innerhalb dieser Zeit nicht auftauchen würde, plante sie selbst zu ihrer gemeinsamen Wohnung zu fahren und mit dem streichen zu beginnen. „Ich werde ihm vorsichtshalber einen Zettel hinlegen, falls er dann nach Hause kommt“, dachte sie laut bei sich und nickte sich aufmunternd zu.

Ein Ziel setzen und weiter gehen, so wie sie es die letzten Jahre durchgeführt hatte.

Als er in innerhalb der nächsten Stunde nicht kam, frühstückte sie alleine und zog sich an. Sie sah, dass er die Autoschlüssel genommen hatte. Sie hob die Schultern, was solls. Also eine runde laufen.

Es dauerte eine geraume Zeit als sie die ihr altbekannte Straße erreichte. Immer noch fiel ihr es schwer, nicht auf das neugebaute Haus zu blicken, auf dem Grundstück, das sie einst selbst bewohnte. Doch es zerriss sie nicht, es war nur eine Art: Erleichterung? Innerlicher Schock? Sie wusste es nicht zu beschreiben.

Zum einen war sie glücklich nicht die Überreste des Hauses sehen zu müssen, indem ihr Vater gestorben ist. Zum anderen freute sie sich, dass das Leben auch weiter gehen konnte. Als sie vor dem Zaun ihres neuen Zuhauses stand, blickte sie auf den Garten. Eigentlich war ihr Plan für heute das Schlafzimmer gewesen, doch ein spontaner Einfall ließ sie das Gartenbeet umgraben. Schaufeln und Hacken hatte sie beim Besichtigen in einem Gartenhäuschen hinter dem Haus entdeckt und machte sich direkt an die Arbeit. Sie merkte erst die vergangene Zeit, als sie anfing Durst zu bekommen, deshalb stand sie auf und lief Richtung Eingangstüren. Plötzlich rief hinter ihr jemand. „Einen schönen guten Tag die Dame.“ Sie drehte sich um, ein Mann etwa Mitte fünfzig stand am Zaun, in einem karierten roten Hemd und Jeans. Er hatte fast schwarze Haare, bis auf einige einzelne weiße Strähnen in seiner sonst sehr gepflegten Frisur. In der Hand hielt er eine 0,5l Wasserflasche vom Discounter. „Sie waren aber fleißig eben. Ich dachte mir deshalb, ich bringe ihnen etwas zum Trinken vorbei und stelle mich gleich vor.“ Er lachte und öffnete sich selbst das Gartentor und trat ein. Sie fand es selbst etwas unhöflich sich selbst einzuladen, ging aber freundlich auf ihn zu. „Schönen guten Tag“, wünschte sie ihm. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Sein Gesicht musste sie schon einmal gesehen haben. Wie eine Art Déjà-vu. Deshalb fragte sie neugierig: „Kennen wir uns?“ Er lächelte sie an und ihr fiel auf, dass er in der rechten oberen Zahnreihe, einen gelben oder eher vergoldet Zahn hatte. „Das kann ich nicht beurteilen liebes Fräulein, ich habe durch meinen Beruf viele Leute kennengelernt.“ Er schien über sich selbst zu lachen und wieder fiel ihr der goldene Zahn auf. Es war einer der oberen Backenzähne. Von irgendwo her kannte sie diesen Mann. Doch ihre Erinnerung an Gesichter war nicht das beste. Vielleicht hatte sie ihn beim Einkaufen einmal gesehen.

Er lächelte, lief direkt auf sie zu, bis er vor ihr stand. „Ich möchte ja nicht unhöflich erscheinen, aber wohnen sie hier?“, fragte er etwas skeptisch und ohne auf eine Antwort zu warten, reichte er ihr mit einem Lächeln die Flasche Wasser. „Ich frage nur, weil ich die Dame dieses Hauses kenne und nun seit längerem nicht mehr gesehen habe. Was auch daran liegen mag, dass ich erst seit geraumer Zeit wieder hier bin. War beruflich viel unterwegs.“ Wieder lachte er über etwas und sie verstand nicht warum.

Sashima sah in skeptisch an. War er der unbekannte neue Hausbauer? „Ich renoviere mit meinem Freund hier dieses Haus, die Dame des Hauses ist ins betreute Wohnen gezogen.“ Lieber nicht Zufiel verraten dachte sie sich, irgendwie kam er ihr seltsam vor. „Ach, das Haus stand zum Verkauf? Wie schade, das hatte ich gar nicht mitbekommen. Zu gerne hätte ich mitgeboten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das Haus gehört meinem Freund. Er ist der Sohn, der von ihnen angesprochenen Dame.“ Er zog die Augenbrauen nach oben, das schien für ihn neu zu sein oder nicht zu gefallen. Irgendetwas schien ihm bei diesem Satz nicht zu passen. Das Gesicht wirkte jetzt mit dem Goldzahn unförmig und nicht passend. Als ob er einmal ein anderes lächeln hatte. Doch zu ihrer Überraschung, statt darauf einzugehen, lachte er nur wieder. „Wie unhöflich von mir, ich habe mich ihnen ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name lautet Nanek Bide und dann bin ich wohl jetzt ihr neuer Nachbar. Ich wohne in dem Haus nebenan, mit dem Holz Carport.“ Sie nickte. Wie sie vermutet hatte, er war der Besitzer ihres alten Grundstückes.

„Na ich werde sie wieder alleine lassen, wir werden uns ja jetzt hoffentlich öfters begegnen. Einer so hübschen jungen Frau begegne ich gerne öfters.“ Er lächelte wieder, bis der Zahn aufblitzte und ging davon, ohne nach ihren Namen zu fragen. Ein echt komischer Kauz dachte sie, hoffentlich würde er nicht so aufdringlich bleiben. Sie vermutete, dass er sehr charmant sein kann und wahrscheinlich auch sehr beeinflussend, wenn er wollte. Er war bestimmt ein erfolgreicher Geschäftsmann. Sie warf einen Blick nach unten und sah auf ihre Hand, in der sich die Flasche Wasser befand. „Ein echt seltsamer Mann“, murmelte sie zu sich und ging ins Haus.

10 Polizist Thomas

Kapitel 10: Polizist Thomas

 

Seit geraumer Zeit überlegte er im Polizeipräsidium, wie er ihr das alles erklären sollte. Er hatte vor Aufregung sein Telefon zu Hause vergessen und saß nun hier seit der Morgenstunde und kaute mit einem Inspektor der 50er Jahre die alten Akten durch. Er hatte Glück gehabt. Der Herr vor ihm war ein alter Klassenkamerad seiner Mutter und kannte die Geschichte seiner Nachbarin.

Sich der Sache nun, nach so langer Zeit erneut anzunehmen, war nun nicht so einfach. Jedenfalls nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Die Akten befanden sich im Keller des Reviers. Sie waren noch in schriftlicher Form geführt und schwer zugänglich. Es dauerte etwa zwei Stunden, ehe sie eine dünne unscheinbare Akte fanden, in einem riesigen Stapel von anderen viel dickeren aussortierten Akten.

Wie sich herausstellte, war die damalige Spurensuche sehr klein gehalten. Es befanden sich darin:

- Zwei Zeugenaussagen, seine und die eines Nachbarn

- Der Bericht der Kinder und der Mutter, sowie Klinikberichte und Aussagen.

die Berichte der Feuerwehr über die Brandursachen-Ermittlung und der Spurensuche

- die Kopie des Totenscheines von Sashimas Vater

 

Die Brandursache war damals schnell gefunden und somit wurde nicht weiter nachgeforscht.

Bei der Nachforschung bemerkten sie beide, dass Sotiras Erzählungen identisch waren, mit seiner damaligen Aussage, die er zu Protokoll gegeben hatte. Ebenfalls stimmten sie mit den Aussagen des damaligen Nachbarn, der die Feuerwehr gerufen hatte überein.

Genau das war das Problem. Offiziell wurde der Brand von damals als Unfall abgestempelt und das zerriss ihn innerlich.

„Bist du sicher, dass er etwas damit zu tun haben könnte und dass dies wirklich der Mann war, denn du im Baumarkt gesehen hast?“ Sotiras wurde immer frustrierter, diese Frage hörte er nun zum gefühlten hundertsten Mal. „Ja“, schnaubte er, „ich bin mir sicher.“ Er zischte ihn fast an und versuchte mit zusammen gebissenen Zähnen zu fluchen. „Er hatte nur etwas kürzere Haare zu damals und verstärkte Geheimratsecken an der Stirn. Das Gesicht war dasselbe. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher. Er war es! Der Mann, der mich an dem Abend umgerannt hatte. An dem Abend, wo das Haus meiner mittlerweile festen Freundin brannte und ihr Vater dabei starb. Es war kein Unfall!“ Der Polizist hob beschwichtigend beide Arme und nickte. „Sei nicht sauer. Du weißt, ich kann mich nur an die Fakten halten und es ist viele Jahre her. Laut dem Bericht kam es am Gasrohr im Heizungskeller zu einem Leck. Dieses Gas entzündete vermutlich durch eine Zigarette, die der damals Verstorbene im Keller immer rauchte. Es kam dadurch zur kleineren Explosion, die du damals gehört hast und danach zum Kellerbrand, bis zum endgültigen Hausbrand. Das Feuer selbst musste gegen 22.15 Uhr den kompletten Keller betroffen haben, indem sich zu der Zeit der Vater aufhielt um zu Rauchen. Nach Aussage der Kinder und der Mutter, tat er das wohl immer abends um die gleiche Uhrzeit. Unklar war nur, ob er dabei eingeschlafen war und durch die Gase erstickte, da die Leiche bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war. 22.30 Uhr kamst du in die Nähe des Hauses und sahst den Brand. Hattest wohl auch noch den Gasgeruch vernommen und die kleine Explosion. Dein Schrei nach deiner Mutter alarmierte den Nachbarn, der daraufhin ungefähr fünf Minuten später die Feuerwehr alarmierte. Rettungsaktion der Familie folgte etc... Etc. …“

Er wusste das alles. Er kannte die Fakten. Doch irgendetwas passte an der ganzen Sache nicht. Irgendeine Kleinigkeit. Er kam einfach nicht darauf.

„Ist ja gut“, sagte Sotiras mit drückender Stimme, „ich glaube, ich gehe jetzt besser nach Hause und denke noch einmal in Ruhe darüber nach.“ Mit dem Blick auf die Uhr nickte der Polizist. „Stimmt. Du bist schon ziemlich lange hier“, sagte er und stand auf. „Ich schicke eine kleine Fahndung heraus. Vielleicht entpuppt sich das alles als ein dummes Hirngespinst und du hast dir vielleicht etwas zu viel darein interpretiert. Aber zuerst müssen wir erst einmal den Typen finden.“

Sotiras stand ebenfalls auf, nickte nach einem langen Seufzer und lief zur Türe. An dieser griff er nach der Klinke, drehte sich noch einmal kurz um und sagte: „Ich danke dir trotzdem für deine Geduld, Thomas.“ Der angesprochenen Lächelte. „Keine Ursache und sage deiner Mutter liebe Grüße von mir. Sie soll sich nicht hängen lassen, sie hatte schon schlimmeres durchgemacht.“ Auch er war wie seine Mutter, einer der nicht aufgab. Der aber gerne erst einmal den Kopf in den Sand steckte, um sich auf die Lauer zu legen. Die Ruhe vor dem Sturm.

Er ging hinaus, schloss die Türe von außen und fuhr zu seiner Liebsten nach Hause. Dabei überlegte er sich zum wiederholten Male, was er ihr alles erzählen sollte. Die Wahrheit musste sein, so etwas wie am gemeinsamen Abend sollte sich nicht noch einmal wiederholen.

Vielleicht könnten sie zusammen die Tagebucheinträge durchgehen? Die unklare Sache, die fehlende Antwort, vielleicht würden sie diese gemeinsam finden.

Er tat es nicht gerne. Doch er musste, genau wie sie, endlich ihren Frieden mit der gesamten Geschichte finden. Er liebte sie zu sehr, um sie damit alleine zu lassen.

11 Bitte

Kapitel 11: Bitte

 

Es wurde langsam Abend und er tauchte immer noch nicht auf. Sie machte sich Sorgen und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte.

Die Polizei anrufen oder die Krankenhäuser durchtelefonieren? Oder war er bei seiner Mutter und hatte etwas vergessen bei ihr? Sie wurde schon fast verrückt, weil sie sich so viel Sorgen machte.

Denn ganzen Nachmittag hatte sie im Garten und in ihrem Häuschen gearbeitet und war kaputt nach Haus gekommen, doch er war nicht da. Ihr Zettel lag noch unangerührt auf der Anrichte und sein Telefon lag ebenso noch daneben.

Sie fing erneut an zu schluchzen, so wie die letzten Minuten. "Sotiras wo bist du nur?" Innerlich fühlte sie sich leer ohne ihn. Hoffte das er nicht einen Unfall hatte oder sie für immer verlassen hatte. Doch es gab dazu ja nicht einmal einen Grund. Fieberhaft überlegte sie, ob er am Tag zuvor etwas gesagt hatte, wo er hin wolle. Doch ihr fiel nichts ein. Also lief sie nur in der Wohnung umher und versuchte sich zu beruhigen, als sie dies und das von einer Ecke in die nächste räumte.

Gerade in diesem Augenblick, wo sie bereits kurz davor war etwas Dummes anzustellen, klackte das Schloss ihrer Haustür und sie brach an Ort und Stelle zusammen.

So fand er sie. Auf dem Boden liegend, mit verquollenen Augen und roten Rändern. „Sashima? Nein! !“, schrie er und rannte auf sie zu. Er nahm sie in den Arm und hielt sie fest. Er wusste nicht was passiert war und suchte oberflächlich nach Verletzungen, doch da waren keine. Was war passiert? Nach zwei Minuten, für Sotiras fühlten sich wie Stunden an, wechselte ihre Gesichtsfarbe von Blass – Weiß zu leicht Rose – Rot und sie schlug ihre Augen auf. „Sashima“, sprach er sachte, „Was ist passiert? Bist du verletzt?“

„Nein. Ich bin nur müde. Fertig und überglücklich, dass du zu Hause bist. Ich war in Sorge, dass dir etwas passiert sein könnte.“ Er lächelte. „Das ist wieder typisch. Über mich machst du dir Gedanken und selbst brichst du zusammen.“ Jetzt musterte er sie. „Du hast heute noch nichts gegessen. Stimmts? Was hast du den ganzen Tag gemacht? Deine Kleidung ist voller Farbe und Erde.“ Sie blickte an sich hinunter, da bemerkte sie selbst, dass sie vor lauter Sorge und durch die Arbeit am Haus, vergessen hatte sich umzuziehen und nichts gegessen hatte. Die letzte Mahlzeit, die sie zu sich genommen hatte, wahr das Frühstück und die viele körperliche Arbeit, hatte ihr Übriges getan. „Tut mir leid.“ Er nahm sie noch fester in den Arm und fragte: „Was?“ Sie schluchzte die letzte Träne hinunter. „Dass du dir Sorgen gemacht hast und mit deiner Vermutung richtig lagst. Ich habe am Haus gearbeitet.“ Sachte hob er sie hoch und trug sie in die Küche. Sie war noch nie schwer gewesen und durch seine körperliche Arbeit auf dem Bau, war er deutlich schwerer Arbeit gewöhnt. Dort setzte er sie auf einen Stuhl und ging zum Kühlschrank, um ihr und für sich selbst ein Sandwich zuzubereiten. Sie hatte noch nie gerne alleine gegessen und er bekam ebenfalls hunger. Er fand keine bessere Gelegenheit, ihr alles zu erzählen. Er atmete kurz tief ein und bereitete weiter die Mahlzeiten zu. Ohne sich zu ihr umzudrehen, sagte er: „Auch ich habe heute etwas zu entschuldigen.“ Er fühlte sich unwohl, sie jetzt damit zu belasten, doch er durfte nicht wieder schweigen und eine Mauer aufbauen.

„Ich war im Polizeirevier.“ Sotiras versuchte auf ihre Reaktionen zu lauschen, doch sie verhielt sich still und so sah er sich nach ihr um. Sie saß still auf dem Hocker, die Hände auf dem Tresen und der Blick starr auf ihn gerichtet. Sie sah nicht sauer oder geschockt aus, eher war sie noch blass vom Zusammenbruch. So stellte er ihr Sandwich hin und wartete, bis sie ihre ersten Bissen genommen hatte. Weiterhin sah sie ihn an und wartete, bis er weiter erzählte. „Ich hatte heute Nacht einen Traum. Ein Traum von dem Abend des Vorfalls. Der Mann... Der mich damals zum Stolpern gebracht hatte… Nun… Mir fiel sein Gesicht wieder ein.“ Er fing an zu stocken. „Das kommt daher… Im Baumarkt… Bei der Farbe…“ Sashima schlug ihre Hände vor ihren Mund und nuschelte dadurch. „Du hast ihn wieder gesehen und dabei erkannt.“ Er nickte und konnte es immer noch nicht verstehen. Gerade nach dem Ereignis der letzten Zeit, wo sie über die Vergangenheit so viel nachgedacht hatte, tauchte er wieder auf. Mittlerweile bezweifelte er selbst schon daran, dass er ihn wirklich gesehen hatte und er schämte sich dafür. „Ich weiß selbst nicht, ob da mittlerweile Einbildung ist oder nicht. Jedenfalls bin ich deshalb zur Polizei und hab die alte Akte aus dem Archiv holen lassen… Bevor wir die Akten angesehen haben, beschrieb ich genau den Traum und den Mann vom Baumarkt. Danach haben wir die Protokolle angesehen, es stimmte eins zu eins.“ Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, schob aber mit der anderen liebevoll das Sandwich zu seiner Liebsten herüber, die ihre Hände vom Mund nahm. „Dennoch“, fing er erneut an, „habe ich die ganze Zeit das Gefühl, etwas zu übersehen. Irgendetwas stimmt nicht.“ Er knurrte fast und Sashima wich ein Stück von ihm zurück, so kannte sie ihn nicht. Es schien ihm sehr nah zu gehen, was sie verstehen konnte.

Die ganze Geschichte war wie ein Schritt nach vorne und drei wieder zurück. Sie kamen einfach nicht weiter. Die Polizei hatte den Fall schon vor Jahren abgeschlossen. Aber sie wusste, es gab keinen Fehler in der Heizungsanlage, ihr Vater war immer sehr besorgt um die Technik des Hauses und hielt alles in sehr guten Zustand.

Dann sah er sie mit einem flehenden Blick an. „Bitte! Ich muss es wissen!... Zeig mir deine Aufzeichnungen vom Unfall. Ich will alles wissen, was du herausgefunden oder gesammelt hast.“

Sie überlegte kurz. Danach nickte sie.

12 Regen

 

Kapitel 12: Regentropfen, die an meine Fensterscheibe klopfen? Regen? Was war das?

 

Tage nach diesem Abend saßen sie zusammen auf ihrem Sofa und unterhielten sich über die Tagebücher. Ihr ging es sehr mies, dies alles aufzurühren nur wegen eines Verdachts gefiel ihr nicht. Natürlich war sie froh darüber, dass sie einen Hinweis bekamen, doch es war nichts weiter. Nur ein Hinweis. Ein Hinweis an ein Gesicht. Ein Gesicht, dass er vor langer Zeit einmal gesehen hatte.

„Ich kann nicht mehr", sagte sie und klang dabei sehr erschöpft. Nicht körperlich, sondern dieser seelische Schmerz, alles wieder durchzukauen und erneut anzusehen.

Nach kurzem Schweigen nickte er ihr zu und klappte das zuletzt gelesene Buch mit den Zeitungsartikeln zu. "Was schlägst du vor?", fragte er sie und schloss kurz die Augen. Er hatte Angst vor ihrer Antwort. "Ich werde etwas spazieren gehen", sagte sie kurz und mit einem eisigen Unterton. Er holte einen kurzen Atemstoß und versuchte in einem neutralen Ton zu antworten, was ihm aber eindeutig misslang. Er klang genauso eisig, wie sie es geäußerte hatte. "Darf ich fragen, wo du hin möchtest?" Sie schluckte und er bemerkte sein Fehler. „Bitte?", fragte er zögerlich hinterher.

Sie stand auf und lief zum Hausflur, langsam folgte er ihr. Ohne ihn anzusehen, zog sie sich ihre Schuhe an und griff nach ihrer Jacke. „Ich geh zu unserem neuen Haus. Ich werde dort die alten Küchenschränke abschleifen und danach vielleicht streichen. So haben wenigstens meine Hände etwas zu tun und irgendwann müssen wir anfangen. Ich wohne schließlich nur noch einen Monat hier, bis zum endgültigen Umzug."

Kurz sah er sie an und umarmte sie mit seinen großen Händen. Sie war in den letzten Wochen so dünn geworden, er konnte sie fast schon zweimal umrunden. Der seelische Stress tat ihr gar nicht gut. Sie schlief schlecht, auch wenn sie es versuchte zu überspielen. Er sah es an ihren dunkel geränderten Augen, er bemerkte es an ihren unsicheren Gang und ihrem fehlenden Appetit.

„Ich komme mit dir mit. Aber wir laufen nicht, ich werde uns fahren. Viel zu oft habe ich dich in den letzten Tagen allein gelassen. Du wohnst schließlich nicht nur allein da. Es soll unser gemeinsames Liebesnest werden." Mit diesen Worten lächelte er, auch wenn es etwa schwach war, aber dennoch freute sie sich darüber. Sie nickte ihm kurz zu und verschloss ihre Jacke und nahm die Autoschlüssel in die Hand. Geduldig wartete sie darauf, dass er seine Schuhe zu bannt und sich die Jacke überzog.

Die Sonne war zwar warm, doch der Wind blies zurzeit sehr kalt und sie fror. Er fror nicht, doch er tat dies nur für sie und das wusste sie, sie sollte sich nicht so hilflos fühlen.

Wenige Zeit später waren sie im Auto und fuhren gemeinsam in ihre altbekannte Straße. Noch immer schlug ihr Herz von den letzten Aufregungen, doch sie konnte nicht darüber reden.

Sie warf einen Blick zu ihm, auch er schien seinen Gedanken nachzuhängen und starte stur auf die Straße. Doch er schien ihren Blick zu bemerken und lächelte ihr kurz zu, blickte danach aber gleich wieder auf die Straße.

Er war in der Zeit immer noch mit den Akten beschäftigt, die ihm durch den Kopf gingen. Jeder Zeitungsartikel aus ihrer Region, jedes Foto aus dem Freundeskreis, jedes Foto aus ihren letzten Habseligkeiten – was nicht wirklich viel war, all dies befand sich in mehreren kleineren Tagebüchern. Darin befanden sich Einzelheiten zu Herkunft und Daten dazu, ebenso kleine Details der Autoren oder wer der Fotograf war und woher sie die Bilder hatte. Jedes Detail stand darin. Sie hatte sogar ein Bild von einem Baum, der einst neben der Wohnung stand und durch den Brand mit verschwunden war.

Ein kurzer Blick in ihre Richtung verriet ihm, dass sie ebenfalls in Gedanken versunken war. Doch ein kurzes Lächeln von ihr verwirrte ihn. „Was ist so lustig?", fragte er aus reiner Neugier. Ihr Blick fiel auf ihn und ihr Lächeln schien dabei nicht zu verschwinden. „Ich dachte an das letzte Picknick im Frühling unter dem Kirchbaum im Park." Ihre Gedanken waren ähnlich gewesen, nur war er gerade bei einem anderen Baum gewesen, darüber musste er etwas schmunzeln. Er versuchte die Erinnerung an diesem Tag zu greifen. Es war einer seiner brillantesten Einfälle gewesen. Die Kirchen hatten gerade angefangen zu blühen und der ganze Park roch nach süßen Blütenduft. Er hatte sie damit aus einer depressiven Phase gelockt und eigentlich einen Heiratsantrag machen wollen, dies aber für einen besseren Zeitpunkt verschoben. „Ja, es war ein sehr schöner Tag", sagte er darauf.

Sie lächelte weiter, dies machte ihn etwas stutzig. „Und wo ist dabei jetzt der Lacher?" Ein breiteres Lächeln und leichte Röte zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Könnten wir vielleicht auch einen Kirschbaum im Garten pflanzen? Vielleicht vorne am Eingang?" Die Idee fand er gut, nur müsste er vorher klären, wo die derzeitigen Wasserleitungen verliefen. Nicht das der Baum die Leitungen zerstörte, aber für sie würde er das gerne tun. Schon allein aus dem Grund, dass er ihr eine schöne Erinnerung geschaffen hatte. „Die Idee finde ich gut. Ich wäre dabei. Aber wie kommst du eigentlich jetzt gerade darauf?" fragte er verwundert. Schüchtern blickte sie zur Seite. „Ich habe doch das Gartenbeet an dem sonnigen Tag bepflanzt und ich hatte das Gefühl, etwas würde fehlen." In Gedanken dachte sie an ihr altes Haus, an die alte Weide, die vor dem Haus stand. Ein Foto das sie in all den stappeln Tagebüchern gefunden hatte, brachte sie auf die Idee. "Ein schöner Schatten und ein frischer Duft und da fiel mir unser Picknick im Park ein", versuchte sie ihm dagegen zu erklären, auch wenn der Hintergrund ein anderer war. Sie wollte ihn nicht auch noch mehr deprimieren. Sie wusste, dass er sich die letzten Wochen viele Gedanken darum gemacht hatte.

Sotiras sah sie aus dem Augenwinkel an, als sie sich wieder zu ihm umdrehte und lächelte. „Wie gesagt, die Idee ist gut. Ich bin dabei. Vorerst müsste ich aber die Rohrleitungen prüfen, nicht dass er auf einer wichtigen Stelle gepflanzt wird." Sie nickte, er versuchte alles für sie und zeigte sich vorerst damit zufrieden. Innerlich wusste sie, würde er erst Ruhe geben, bis er eine Lösung gefunden hatte.

Während der restlichen Fahrt überlegte er, wo die derzeitigen Pläne des Hauses lagen und ob er noch die Nummer von der Stadtverwaltung hätte, um notfalls die dort liegenden Pläne zu kopieren. Es war jedes Mal eine teure Angelegenheit über die Stadtverwaltung, das wusste er bereits von anderen Baustellen. Doch für sie würde er auch den gesamten Garten umgraben und nach einer Lösung suchen.

 

In ihrem neuen Zuhause angekommen, lief sie direkt in die Küche und er schaute in die oberen Schränke nach den Plänen. Er hatte sich bereits Kopien des Originals gemacht, war sich aber gerade nicht sicher, ob er sie hier liegen lassen hatte. Er suchte die gesamte obere Etage ab und fand sie nicht. Komisch. Sie müssten doch hier sein? Er war doch zuletzt im Schlafzimmer mit der Elektronik beschäftigt gewesen. Wurde dort aber von seiner Liebsten etwas abgelenkt und so kam er nicht weiter. Er musste noch heute an diesen Abend nachdenken und lächelte. Sie war so niedlich, wenn sie glücklich war oder besser glücklich schien. Denn glüclick war sie nie ganz, dass wusste er, ihre Vergangenheit lies sie nie los. Deshalb lief sie immernoch jede Woche am Donnerstag auf den Markt, immer die selbe Strecke. Er würde es schaffen, diese Teufel der Unruhe zu vertreiben. Doch vorher müsse er klein anfangen. Vielleicht angefangen mit einem Kirschbaum.

Also lief er in die Küche und wollte Sashima nach den Plänen fragen. Diese war in der Zwischenzeit mit einem Schleifer damit beschäftigt die unteren Schranktüren der Küche zu bearbeiten. „Schatz? Weißt du, wo ich die Baupläne hingelegt habe?"

Es brummte weiter, das Gerät war zu laut, deshalb schrie er etwa lauter. „Schatz? Wo sind die Baupläne?" Sie schrak zusammen und stellte das Gerät ab. „Entschuldige bitte", sagte er und sah auf ihre Hände und Ohren, sie trug keinerlei Schutz. "Ich glaube ich werde dir im Baumarkt ein paar Ohrenschützer besorgen, du zerstörst ja noch dein Trommelfell. Deine Hände werden durch den Staub auch ganz rissig, ich geb dir ein paar von meinen Handschuhen." Dann sah er auf das Gerät, es war viel zu hoch eingestellt. Er fing an zu lachen. „Wolltest du den Schrank abschleifen oder am Ende einen Zahnstocher übrig lassen?" Ihr Gesicht verzog sich zu der herrlichen Schnute, die er so mochte. „Was habe ich den jetzt wieder falsch gemacht?" Er schüttelte den Kopf. „Du hast nichts falsch gemacht, es nur zu gut gemeint. Stell den Regler etwas herunter, für etwas Farbe abschleifen, brauchst du nicht die höchste Stufe zu nehmen. Das zerstört sonst die Fasern des Holzes. Wir wollten doch so viel wie möglich nutzen. Und beim nächsten Baumarkt Besuch, werde ich dir etwas zum Schutz deiner Ohren besorgen. Nicht dass du noch taub wirst." Sie nickte und stellte kurzerhand die Regler am Schleifgerät um. Völlig abgelenkt von ihrer Tätigkeit, nahm er selbst Schleifpapier in die Hand und fing an die Ränder der Schränke zu bearbeiten.

Nach getaner Arbeit und mehreren Stunden später, trank sie etwas Wasser, aus der bereitgestellten Wasserkiste. Sie reichte ihm ebenfalls die Flasche und fragte: „Was war eigentlich der Grund, weshalb du mir geholfen hast?" Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Ach ja, die Baupläne... sag mal, weißt du wo ich sie hingelegt habe, die Kopien aus der Stadtverwaltung?" Sie überlegte kurz. „Ich dachte, die waren oben im Schlafzimmer, du warst doch zuletzt mit den Elektrokabeln beschäftigt." Sie lächelte darüber, anscheind dachte auch sie an den Nachmittag zurück. Doch er überlegte, waren sie unter das Bett gefallen? Also lief er zurück ins Schhlafzimmer und sie folgte ihm.

Dabei fing sie ihn zu necken und zu sticheln, pickte ihn in die Seite oder krabbelte ihn an seiner empfindlichen Seite. Er lachte und sie musste mit kichern. Bis er sie schnappte und auf das alte Bett mit viel Jubel warf und sie ebenfalls durchkitzelte.

Vor lauter Spaß und gleichzeitiger Erschöpfung durch die lange Küchenarbeit schliefen sie gemeinsam friedlich eng aneinander gekuschelt im Schlafzimmer ein, ohne ein weiterer Gedanke an die Pläne zu verschwenden.

Klapp... Klapp... ... Klapp... ... Klapp...

Sashima drehte sich unruhig hin und her. Oh nein, ... es regnete, sie muss dringend die Wäsche abnehmen...

Klapp... Klapp... ... ... Klapp... Klapp...

Regen.

„Schatz ..." nuschelte sie... „Ich glaub wir müssen die Wäsche hereinholen, es regnet..."

Klapp... Klapp.........

Komisch dachte sie. Der Regen klang aber komisch. Doch fiel sie wieder in einen Schlaf.

„Sashima ... Sashima!! Schnell wach auf. Hier riecht es nach Gas.... Wir müssen raus hier! SASHIMA!!!"

 

13 Déjà-vu

 

Kapitel 13: Déjà-vu die Zweite

 

Zitternd saß sie im Krankenwagen. Wieder ein Déjà-vu. Das Letzte war noch gar nicht so lange her. Sie saß damals auch in einem Krankenwagen oder war das nur eine Täuschung? Nein, sie war im Krankenhaus aufgewacht. Alleine - Nein! Nicht alleine. Er war bei ihr. Wie damals saß er neben ihr, nur jetzt auf der anderen Seite. Auch zu dieser Zeit hielt er ihre Hand. Nur diesmal zitterte er, wenn auch nur leicht. Oder lag es daran, weil er ihre Hand hielt?

"Was ist passiert?", sie klang bei dieser Frage heißer und leise. Sie versuchte sich zu räuspern, hatte aber kaum Kraft dazu. Sie ließ ihren Blick umherschweifen und konnte den Blick nicht von dem Arzt lösen, der ihr eine Infusion am linken Arm anlegte. "Du warst weg gedrehten. Ich hab dich versucht zu wecken ... oder eher hattest du mich versucht zu wecken… Ich bin wach geworden, durch dein Gemurmel von Regen und Wäsche, was für mich keinen Sinn ergab." Sie blickte wieder zu ihm, er sah erschöpft aus und viel zu blass für seine sonstige Farbe. "Jedenfalls habe ich die Augen aufgemacht und einen seltsamen Geruch bemerkt, der mir schwer und dick in der Nase hing." Er holte schwer Luft und schien ein Gesicht dabei zu machen, als ob er sich gerade wieder in dieser Situation befand. Oder bekam er schwer Luft? Um seinen Hals hing ein Schlauch. Sie vermutet, dass er Sauerstoff bekommen hatte.

Sie konnte sich aber an diese verworrene Situation von vorher nicht erinnern. Was für eine Wäsche? Sie hatte nichts dergleichen geträumt oder vorher getan. Auch an Regen konnte sie sich nicht erinnern. Hatte es vorhin geregnet? War das wichtig?

Während sie nachdachte, konnte sie nicht ihren Blick von ihm lassen. Doch er sah er ihr nicht zu ihr, im Gegenteil er schloss sogar seine Augen und blickte nach einer kurzen Pause auf einen Sanitäter, der am Fußende von ihrer Liege stand. Ein zweiter stand neben ihm und fummelte an Apparaturen neben sich herum. Erst auf den zweiten Blick sah sie, dass er eine Kanüle aufzog und sie in Sotiras Hand versenkte, der bereits eine Kanüle an der Stelle trug.

"Ich bekam Angst, dass es bereits zu spät war. Deshalb habe ich dich geschnappt, bin die Treppen heruntergerast und habe den Notruf gerufen. Du hattest sehr schwach geatmet, fast stockend, mit kleinerem Atemaussetzern. Ich hatte rissige Angst dich zu verlieren."

Einer der Sanitäter, der am Fußende stand, sah ihn mit traurigen Augen an und sagte zu ihm: "Sie haben gut reagiert. Die saubere frische Luft draußen war das beste, was sie tun konnten. Wir kümmern uns jetzt um sie."

Der Arzt gab dazu einen Kommentar von einer toxischen Vergiftung oder irgendetwas von einer Nadel mit einem Medikament aufziehen, doch das verstand sie nicht, da er mit diesem Kollegen zu sprechen schien. Der Sanitäter auf ihrer rechten Seite bei Sotiras blickte sie jetzt an und sagte leise: "Sie sind erst einmal über den Berg und werden es schaffen. Sie haben einen echten Retter an ihrer Seite." Dann sagte er etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand, ihr doch von der Aussprache bekannt vorkam. "σωτήρας" [sotíras], dabei lächelte er. Sotiras sah ihn an und stellte eine Frage, die sie auch nicht verstand. "Ξερεις να μιλας ελληνικα?" [Xereis na milas ellinika?] Der Sanitäter nickte darauf hin und lächelte wieder. Sie sah ihren liebsten an. "Habe ich etwas verpasst?" Sotiras lächelte. "Ich habe nur gerade jemanden kennengelernt, der die griechische Sprache beherrscht." Das verstand sie nicht und er sah es ihr an. "Ich hatte dir doch mal vor langer Zeit erzählt, dass meine Uroma ursprünglich aus Griechenland stammte. Nun mein Name Sotiras, stammte ursprünglich von da und bedeutet in etwa so viel wie Retter. Der Sanitäter hat es nur gerade übersetzt. Ein paar Worte kann ich auch noch. Ich hab ihn nur gefragt, ob er Griechisch spreche, daraufhin hat er genickt.

Das schien sie gerade nicht zu verarbeiten, eine andere Sorge machte sich in ihr breit. Etwas, was er zuvor gesagt hatte. "Was genau ist passiert? Ist wirklich Gas in unserem Haus?" Sie wusste, dass er die Leitungen erst letzte Woche erneuert hatte und sich um die gesamte Heizungsanlage gekümmert hatte. Sie wurde kalt, blasser als zuvor und schien einen Schock zu bekommen. Gas. Schon wieder Gas. Sie hatten doch erst davon gesprochen.

Doch zu ihrer Verwunderung zog er die Schultern hoch, er wusste es nicht. "Die Feuerwehr ist noch im Haus. Seit der Ankunft der Rettungssanitäter war ich bei dir und konnte mich nicht weiter erkundigen, das ist vielleicht zehn Minuten her, ich weiß es nicht. Ich wollte dich nicht alleine lassen. Aber ich kann gerne nachfragen und komme wieder zurück." Er ließ ihre Hand los und sah den Sanitäter an, der rechts von ihm stand oder saß, das konnte sie nicht genau beurteilen. "Würden sie mich hinaus lassen, ich komme gleich wieder, bevor sie ins Krankenhaus fahren." Der Arzt ihm gegenüber sah ihn zornig an. "Sie gehen jetzt nicht. Auch sie haben eine Vergiftung erhalten und fahren erst mit uns ins Krankenhaus. Die Polizei wird das Gelände absichern und ihre Arbeit aufnehmen, danach können sie in Ruhe mit den Leuten reden." Sotiras ließ sich von seinem Blick nicht einschüchtern. "Kann ich wenigstens eine Freundin anrufen, die danach die Wohnung absperrt und die Schlüssel entgegennimmt? Sonst rennen wir denen ewig hinterher." Der Arzt warf seinen finstersten Blick in seine Richtung und nickte kurz. "Auf ihre Verantwortung. In etwa fünf Minuten fahre ich hier los und nicht ohne sie. Sie werden uns zum Krankenhaus begleiten. Ob sie bis dahin jemanden erreicht haben oder nicht, das ist mir egal."

Sotiras warf ihm ebenfalls, einen du kannst mich mal gerne haben Blick zu und nickte ebenfalls kurz.

Der Sanitäter trat zur Seite, öffnete ihm die hintere Türe und er sprang etwas unsicher, was sie von ihm so gar nicht kannte, aus dem Auto.

 

So stand er vor der Türe. Er war noch immer schwach auf den Beinen, doch er wollte weiterhin für Sashima da sein und durfte nicht schwach wirken. Also vergeudete er keine Zeit und griff nach seinem Telefon, dass er zum Glück noch immer in seiner Hosentasche stecken hatte. Er rief die Sekretärin seiner Arbeit an, sie war eine gute Freundin der Familie und jemand dem er vertraute. Während er telefonierte, sah er sich in Gedanken versunken in der Gegend um. Ihr Nachbar war heute da, das Auto stand vor der Türe und er sah im Schein der Lampen hinter der Gardine im Erdgeschoss jemand stehen.

Einer der Polizisten lenkte ihn aber genau in diesem Augenblick ab, als er genauer hinschauen konnte.

"Die Feuerwehr hat die Ursache gefunden. Es war eine offene Gasleitung im Kellergeschoss. Sie scheinen wohl vergessen zu haben, die Leitungen während der Reparatur abzudrehen." Sotiras verzog das Gesicht. Das war unmöglich, das konnte nicht sein. Sie waren gestern gar nicht hier, denn Geruch hätte er sonst eher bemerkt und während der Arbeiten über die Mittagszeit waren sie auch nicht im Keller gewesen. Dies äußerte er gegenüber dem Polizisten, der dies auf einen Block schrieb. "Für eine genaue Protokollierung werde ich morgen zu ihnen ins Krankenhaus kommen, wenn sie damit einverstanden sind?" Sotiras nickte. "Natürlich. Ich würde sie nur bitten, den Beamten Thomas hinzuzufügen. Dieser ist über die alten Fälle von meiner Freundin bereits informiert und kennt die alten Akten. Er wird ihnen bestimmt bei der Daten Aufnahme helfen. Es wird übrigens eine Freundin von uns hier her kommen und die Türe der Wohnung zuschließen, falls sie bis dahin noch etwas benötigen, sie wird uns über alles Weitere informieren." Der Polizist schien darüber nicht erfreut zu sein, nickte kurz und reichte ihm seine Karte. "Wir sehen uns morgen im Krankenhaus. Ihnen eine gute Besserung." Dann ging er davon und Sotiras drehte sich wieder Richtung Rettungswagen und stieg ein. Die Sorge um Sashima war jetzt sein alleiniger Gedanke. Alles andere konnte warten.

Der Krankenwagen fuhr davon und die Gardinen im Erdgeschoss des Nachbarhauses schlossen sich.

 

 

14 Schock

 

Kapitel 14: Für den einen ist es ein Schock, für den anderen Glück?

 

"Das war ja ein ganz schöner Schreck letzte Woche bei ihnen. Da standen ja eine Menge Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen. Ist ihnen etwas passiert?"

Sashima stand in ihrem neuen Hauseingang. Der Umzug hatte nach einer, für sie sehr anstrengenden Woche stattgefunden. Es waren nur noch Kisten auszupacken und die letzten Dekoartikel aus dem Auto zu laden. Die Topfpflanze stand zu ihren Füßen, als sie sich gerade den Schweiß von der Stirn wischte.

Das Krankenhaus hatte sie bereits nach einer Nacht, zusammen mit Sotiras verlassen dürfen. Es hatte sich herausgestellt, dass seine Vergiftung genauso schwer war, wie ihre. Sie aber als einzige ohnmächtig dabei wurde, was sie nicht ganz verstand. Deshalb hielt sie sich innerlich für schwach, nicht stark genug für ihn. Er war ihr Retter und sie war nur jemand, der ständig in Gefahr geriet und gerettet werden musste. Jedenfalls glaubte sie das.

Sotiras fühlte sich hingegen körperlich ausgelaugt und richtig schwach. Natürlich hatten der Umzug seinen Tribut gefordert und er war erschöpft, doch für seine Liebste würde er auch noch am Nachmittag die Wände einreisen. Natürlich nicht wörtlich gesehen. Er saß derzeitig im Keller und kontrollierte die Heizungsanlage, zum gefühlten hundertsten Mal und versuchte einen Fehler zu finden, wo es keinen gab. So bekam er wieder einmal nicht den Besuch des neuen Nachbarn mit, der sich mit schnellen Schritten in seinem Garten auf seine Liebste zubewegte.

 

Sie schüttelte nur leicht den Kopf, sie hatte seit wenigen Tagen Kopfschmerzen und selbst das schütteln, breitete sich in ihrem Kopf wie eine donnernde Lokomotive aus. Doch mit einem viel zu freundlichen Lächeln antwortete sie ihrem Nachbarn, der wieder in ihren Garten trat, ohne hereingebeten zu werden. "Nein, nein. Nur ein riesiger Schreck. Wir hatten wohl vergessen, den Hahn der Heizungsanlage richtig zuzudrehen." Sie war davon immer noch echt genervt oder waren es nur die Kopfschmerzen, die so fertig machten? Auch wenn sie wusste, dass den ganzen Tag nichts war und sie auch am Vormittag nichts bemerkt hatten und sie vorher einen Tag nicht da waren.... Oh ihr Kopf tat weh vom denken und es verwirrte sie noch mehr, darüber einen Gedanken zu verschwenden. Es ergab alles keinen Sinn. "Das freut mich für sie", er lächelte und sein goldener Zahn kam wieder zum Vorschein. Seltsam, schon wieder erinnerte sie dieses Lachen an jemanden, nur das Lachen passte nicht so richtig hinein. Von irgendwo her kannte sie diesen Mann? Nur woher?

Neugierig trat er näher: "Wie ich sehe, sind sie mit der Renovierung sehr weit gekommen. Darf man fragen, wann sie einziehen?" Sie fand ihn sehr aufdringlich, doch er zeigte keine Form der Unhöflichkeit, deshalb antwortete sie wahrheitsgemäß. "Wir sind seit heute mit dem Umzug beschäftigt. Doch bis wir wirklich fertig sind mit allem, wird es wohl noch eine Woche dauern. Ich denke bis nächste Woche Donnerstag. In der Zeit kommt auch die Mutter meines Freundes mit hier her, falls sie sie wieder treffen wollen? Sie sagten doch, dass sie einander kennen."

Er verzog leicht das Gesicht, zu einer komischen Grimasse, schien sich aber eines besseren zu sinnen und lächelte wieder. "Ich kann ja mal vorbeischauen. Ich finde es immer noch traurig, dass sie die neuen Eigentümer sind. Eigentlich war ich auf einen Kauf des Grundstückes aus. Nehmen Sie es mir nicht übel, ich freu mich über so eine freundliche junge Dame als Nachbarin. Doch als ich gehört habe, dass diese nette Frau ins betreute Wohnen wechselte, hatte ich mich schon auf einen Verkauf gefreut. Mein derzeitiges Haus habe ich auch dadurch günstig erhalte. Es war vor längerer Zeit abgebrannt und musste komplett abgerissen werden. Ich weiß nicht, ob sie sich in dieser Gegend auskenne und so einen Vorfall gehört haben..." Er plapperte einfach weiter und Sashima stockte der Atem. Er hatte das Grundstück günstig bekommen, weil ihre Familie einen schrecklichen Unfall hatte?

Das Grundstück hatte doch ihrer Familie gehört, hatte Herr Bide es nicht von seiner Mutter abkaufen müssen? Das kam ihr seltsam vor. Hier war ein tragisches Unglück passiert und dieser Mann sprach nur von Glück? Der hatte sie doch nicht alle.

"... und am Ende konnte ich mich gegen diesen Bieter auch noch durchsetzen und bin zum Eigentümer des Grundstücks ernannt worden. Sie sehen, es hat mich einen riesigen Aufwand gekostet. Hier wäre es so einfach gewesen. Aber dennoch freue ich mich auf eine gute Nachbarschaft."

"Sashima?" Sotiras rief sie aus dem Haus. Sie drehte sich in Richtung ihrer Eingangstüre und rief zurück: "Ich komme gleich!" Danach kippte sie ihren Kopf vorsichtig in die Richtung ihres nicht angekündigten Besuchers. "Sie entschuldigen mich doch. Wir haben noch einiges zu erledigen. Bis demnächst." Dann griff sie nach ihrer Pflanze und ging ins Haus. Verschloss von innen die Türe und ließ ihn mit einer inneren Freude im Garten stehen. Dieser Kerl war echt sonderbar, dachte sie noch mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht. Diese Freude machten ihre donnernden Schmerzen gleich etwas besser.

15 Anruf

 

Kapitel 15: Anruf

 

Die Tage vergingen wie im Fluge. Sashima nutzt die Zeit ihre Wohnung gemütlich zu machen. Sie besorgte für ihr senffarbenes Sofa ein paar goldene Kissenbezüge und eins davon verzierte sie mit einer speziellen Textilmalfarbe mit einer roten Rose. Die restlichen Styroporflocken aus den Umzugskartons beseitigte sie mit ihrem ohrenbetäubenden Staubsauger. Sie hasste dieses Ding, doch zu einem neuen hatte sie es bis jetzt noch nicht geschafft.

Die Fenster erhielten ebenfalls neue Gardinen, oder besser gesagt, ihre alten Gardinen wurden neu angepasst. Eine alte Nachbarin Frau Miller aus ihrer Straße, die sie eines Tages wiedererkannte bei der Gartenarbeit, übernahm freiwillig für etwas Kaffee und Kekse diese Arbeit. Sie nahm in ihrer kleinen Wohnung Maß und brachte bei einem ihrer Besuche immer ihre eigene ältere Nähmaschine mit. "Diese hab ich mir noch von meinem ersten Lehrlingsgehalt gekauft, als ich damals Zuschneiderin lernte, da war ich noch jünger als du heute." Erzählte sie bei einer dieser kleinen Sitzungen, in der Küche bei Kaffee und Keksen. Sie lachte dabei so herzlich, dass sich das Herz von Sashima leicht vor Trauer zusammen zog. So sehr erinnerte sie dieses Lachen an ihren Vater, an ihre Mutter, an ihre Kindheit, an ihr altes Leben. Alles ausgelöscht innerhalb weniger Stunden...

Doch genau dieses lachen, tat ihr auch gut. Als würde sie wie früher mit ihrer Mutter im Garten sitzen oder in der Wohnstube und kleine Hausarbeiten erledigen. Und so genoss sie diese Nachmittage, in dem ihr neues Zuhause, genau das wurde, ein richtiges Zuhause, indem sie sich wohl zu fühlen schien.

Und so verging die Zeit, der besagte Donnerstag nahte und alle Gäste kamen zum Einzug.

Sotiras Mutter, die von einem Taxi gebracht wurde, fiel ihrem Sohn um den Hals, oder besser gesagt um den Bauch, da sie im Rollstuhl saß, doch dies schien der Freude keinen Abbruch und so weinte sie einige Minuten vor Glück in seinen Armen. Sie tätschelte ihm mehrmals den Arm und meinte zwischen dutzenden Tränen nur: "Ich erkenne es nicht wieder. Es ist wunderschön." Vor allem der Kirschbaum, den sie nach einigen Recherchearbeiten im Hof gepflanzt hatten, schien es ihr besonders angetan zu haben. Sie betrachtet das kleine Wunder. "Ich freue mich schon darauf, wenn meine Enkelkinder hier spielen können." Sotiras verdrehte dabei die Augen. "Mum. Heute nicht und morgen nicht gleich." Das war sein Standardausspruch dafür. "Ja, schon gut. Man darf ja wohl noch Träume haben."

Um ihr die Strapazen des Taxifahrens zu ersparen, hatten sie ihr ein Gästezimmer im EG eingerichtet. Dieses konnte sie ohne Probleme mit dem Rollstuhl erreichen. Sie lachte sogar darüber, als sie erkannte, dass es sich in der ehemaligen Abstellkammer befand. Die alte Kammer wurde in den Keller verlegt, wo auch jetzt die Waschküche mit ihren Elektrogeräten ihren Platz gefunden hatte.

Die kleine Toilette im EG hatte ebenfalls einen Rollstuhlgerechtem Eingang bekommen, dort befand sich früher eine erhöhte Türschwelle. So konnte seine Mutter ohne Probleme nach Jahren alleine das Bad benutzen. Doch hier wohnen wollte sie nicht. "Ich möchte euch nicht zur Last fallen, ich fühle mich wohl in meiner derzeitigen Wohnung. Ihr solltet eure eigene Familie hier groß ziehen, so wie ich meine hier groß gezogen haben." Sie lächelte dabei und Sotiras verzog sein Gesicht bereits zu einem Schmollmund. "Doch dir zu liebe bleibe ich eine Nacht. Morgen bringt mich ein Taxi wieder in meine Wohnung." Sotiras lehnte dies ab: "Nein, lass mich dich nach Hause fahren." Sie streichelte ihm mit einer Hand über die rechte Wange. "Mein guter Junge" und nickte, immer noch mit Tränen in den Augen. Die anderen Gäste waren gerührt und man hörte einzelne Schluchzer in den Reihen.

Zur Freude der Gastgeber hatte Thomas, wie sie nach vielen alkoholischen Getränken erfuhren, ihnen allen ein Spanferkel essen organisiert.

Der Abend wurde ein berauschendes Fest, mit allen Freunden, Nachbarn und Helfern der letzten Wochen.

Wie versprochen blieb Sotiras Mutter über Nacht in ihrem Gästezimmer und ihr Sohn brachte sie, am späten Freitagvormittag nach Hause.

Sashima nutzte die Zeit, um die Wohnung nach der Feier wieder aufzuräumen. Über die weitere Arbeit, schien sie nicht enttäuscht zu sein, denn das Haus gehörte jetzt ihnen gemeinsam und sie war glücklich darüber.

Es war für sie ein angenehmer Stress, etwas das ihr bedeutend angenehmer vorkam, sie konnte es mit Worten nicht beschreiben.

Während der Arbeit ging sie die Ereignisse des gestrigen Abends durch. An welcher Stelle hatte sich die kleine Familienfeier in eine Party verwandelt? Sie konnte es nicht mehr sagen, sie war einfach zu glücklich darüber, auch jetzt noch.

Plötzlich wurde sie durch ihren Handyklingelton in der Küche abgelenkt. Sie rannte dem schrillen Ton nach und erblickte etwas verwundert die Nummer auf dem Telefon. Es war ihr Freund bei der Polizei, Thomas und einer der spendablen Gäste gewesen. Hatte er doch bei einem Getränkemarkt in der Nähe Bier und alkoholische Getränke besorgt, und wie ihr noch einfiel sogar noch das Spanferkel. Hatte er gestern Abend etwas vergessen? Wann war er eigentlich losgemacht? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, es war einfach zu viel los gewesen.

"Hallo?", fragte sie vorsichtig, als sie auf den Annahmeknopf drückte. Die bekannte Stimme meldete sich.

"Hallo Sashima. Ich habe bedauerliche Nachrichten für dich. Dein Freund uns seine Mutter hatten einen Autounfall und fahren gleich ins Krankenhaus." Sie erschrak zu tote und griff sich aus Reaktion an den Mund, die Tränen schienen sich bereits einen Weg nach oben zu bahnen. Wie konnte das sein, sie waren doch erst vor weniger Zeit hier abgefahren? Nein, das durfte nicht sein. Nicht schon wieder ein Unfall? "Was ist passiert?" Ihre Stimme klang schwach, erdrückend und brach am Ende. Die erste Träne rollte bereits über ihre Wange. "Ich weiß es noch nicht genau. Du kannst nur von Glück sein, dass ich zufällig in der Nähe war und den Krach bemerkte. Sotiras ist laut Augenzeugen bei Rot über die Kreuzung gefahren und in ein anderes Auto dabei gekracht. Der war bestimmt von gestern noch betrunken und..."

Die Worte ungebremst, betrunken und rot halten in ihrem Kopf wieder.

Sotiras war ein sehr vorsichtiger Fahrer, er würde nie bei Rot über die Ampel fahren. Im Gegenteil, er fuhr nicht einmal bei Gelb. Hatte noch nie einen Strafzettel für schnelles Fahren erhalten und Alkohol trank er sowieso noch nie, nicht einmal zu Familienfeiern. "Das ist unmöglich", sagte sie halb schreiend zu ihm. Er verstummte am anderen Ende. Sashima hatte gar nicht bemerkt, dass er im Hintergrund weiter über unvorsichtige Autofahrern und alte Autos geredet hatte. Doch von seinem "Aber" ließ sie sich nicht beeindrucken. "Sotiras fährt immer sehr vorsichtig und rücksichtsvoll. Er würde nie bei Rot über die Ampel fahren, geschweige den Alkohol anrühren." Sie wurde wütend und schrie trotz dicken Tränen ins Telefon. "Egal was du denkst Thomas. Mir sind das in letzter Zeit zu viele Zufälle auf unserem Leben. Ich werde mir jetzt ein Taxi rufen und ins Krankenhaus fahren." Damit legte sie auf. Ihr Herz raste, ihre Wut schien hoch zu kochen und danach machte sich die Sorge um ihre Liebe breit.

Es war ihr egal, ob Thomas bei der Polizei arbeitete oder nicht, das konnte doch nicht sein Ernst sein. Sotiras würde so etwas nie tun.

Sie rief bei ihrem bekannten Taxiunternehmen an, packte ihre wichtigen Dokumente ein und fuhr ins Krankenhaus. Während der Fahrt hörte sie in den Nachrichten vom Unfall. Zusätzlich zu Sotiras und seiner Mutter, im Radio wurden sie als jungen Mann Mitte zwanzig und seine ältere Beifahrerin beschrieben, waren ein Mann mit einem Kind in den Unfall verwickelt. Der Mann war zum Zeitpunkt der Rettungskräfte ansprechbar gewesen und äußerte, auf dem Weg zum Krankenhaus zu sein, da seine Tochter erhöhte Temperatur hatte. Beide wurden ebenfalls ins Krankenhaus gebracht, ihre Verletzungen waren aber nur leicht, beide standen aber noch unter Schock. Ihrem Freund und seiner Mutter ging es schlechter, sie hatten schwere Verletzungen erlitten, das Auto hatte einen Totalschaden.

Sotiras war ihnen in die rechte Seite gefahren. Vater und Tochter saßen zum Glück beide auf der linken Seite.

Ein genauer Unfallhergang wird noch erstellt, Zeugen werden noch gesucht.

 

Sashima verstand es nicht, wie konnte das nur passieren? Nach allem, was sie in den letzten Wochen erlebt hatte, konnte sie einfach an keinen normalen Unfall denken. Sie musste etwas unternehmen. Doch das wichtigste war, erstmal nach ihrem Freund und seiner Mutter zu schauen, denn das war das wichtigste.

16 Langsam

 

Kapitel: 16: Langsam habe ich genug von dir. Déjà-vu.

 

Zu sagen, dass sie sich hier mittlerweile wohlfühlte. Kam nicht wirklich der Wahrheit nahe. Mit jedem neuen Besuch, die sie in diesem Krankenhaus verbringen musste, wurde es zu ein Nervenraubenden Angelegenheit.

Der Druck und die Sorge ließen ihre Kopfschmerzen wieder Migräneartig werden und sie versuchte dennoch bei all diesem Stress die Ruhe zu bewahren.

Eine nette Schwester am Eingang der Klinik verwies sie, nachdem sie alle Daten und sämtliche Chipkarten eingelesen hatte, in die Notfallchirurgie auf einen weißen Plastiksessel. Das Einzige, was sie an dieser Situation lustig fand, war die Tatsache, dass sie heute auf dem Stuhl saß und Sotiras auf dem Bett liegen musste. Sonst lag sie immer flach.

Doch die Sorge um ihre zwei Lieben, ließ ihre Sorge die Oberhand gewinnen. Ihr Magen schien sogar etwas zu rebellieren, obwohl sie zusammen noch ein ausreichendes Frühstück gemacht hatten. Doch der Tag hatte bereits einige Kalorien gekostet und so fühlte sie sich müde, schlaff und nicht ganz wohl bei der Sache. Sie hatte sogar das eigenartige Gefühl, dass ihr bei diesem "Sauberen Geruch", der Desinfektionslösung die Nase brannte.

Doch sie musste sich gedulden. Es dauerte ungefähr weitere vierzig Minuten, bis eine Schwester sie von ihrem harten Stuhl befreite und sie in ein Zimmer führte. Dort musste sie sich die Hände mehrmals waschen und einen grünen Kittel anziehen, sowie Handschuhe, einen Mundschutz der ihr den Atem raubte und eine Art Mütze für ihre Haare. Mittlerweile war sie schon mehr als drei Stunden hier und sie fühlte ihre Ängste noch mehr als sonst. Doch die Schwester schien nicht auf ihre Ängste einzugehen und schien nur wie eine leere Hülle ihrer Aufgaben nachzugehen.

Nachdem sie die ganze Prozedur durchgezogen hatte, führte sie die Schwester durch einen langen Korridor vor eine hellbraune Türe. Sie sah genauso aus, die wie der Nachbarzimmer. Wie sie dies wohl schaffen, sich zurechtzufinden? Ich glaube, ohne Kompass würde ich mich hier verlaufen. Dachte sie noch für sich, als sie das Zimmer betraten. Dort sah sie zwei Betten stehen. Sotiras lag zur linken und seine Mutter zur rechten Seite. Sie waren jeweils in weiß-blauen Bettwäschen eingepackte Betten gelegt und an die Fensterfront geschoben wurden. Seine Mutter hatte einen dicken Arm, sie vermutete eine Schiene darunter und dann sah sie einen großen weißen Verband um ihren Kopf. Sotiras schien es nicht besser zu gehen. Seine Beine schienen doppelt zu groß zu sein, jedenfalls was sie an der Bettdecke sah und hatte mehrere Schnitte im Gesicht. Er und seine Mutter hatten jeweils einen Schlauch an der Nase hängen, sowie an den Armen. Die Geräte, die sie am Bett stehen hatten und an denen sie vermutlich hingen, piepte in einem leisen Ton vor sich hin.

Die Schwester, die noch immer vor ihr herging und sie als Erstes zu ihrer Schwiegermutter brachte, sie hatte noch nie so über sie gedacht, verwies auf den dicken Arm. "Sie hat mehrere Frakturen am linken Arm und einige Quetschungen erlitten. Sie leidet unter einem Schädel-Hirn-Trauma. Wir mussten sie beide vorsichtshalber in ein künstliches Koma versetzen, da sie eine schwere Hirnblutung hatten, wir hoffen damit die Heilung zu verbessern." Dann trat sie ein paar Schritte zu Seite, lief an einen der Monitore und ließ ihr Platz. Sie wusste vor Schreck nicht, was sie sagen sollte. Deshalb streichelte sie zaghaft das Gesicht ihrer Schwiegermutter, an einer freien Stelle. "Ich hoffe du kommst bald wieder über den Berg, ich wollte doch noch ein paar Tipps zur Baumpflege von dir."

Die Schwester drehte sich zu Sotiras Bett und lief dort ebenfalls zum Monitor. Drückte kurz darauf auch an diesem Gerät herum, das nacheinander mehrmals kurze Pieptöne von sich gab. "Ich überprüfe nur die Werte. Es scheint aber derzeitig alles stabil zu sein." Sie drehte sich zu ihr und Sashima ging ein paar Schritte auf sie zu. "Ist er ihr Freund? Oder sind sie verheiratet?"

Sie blickte ihren Geliebten an und lief ein paar Schritte auf ihn zu, bis sie seinen Arm erreichen konnte. Dann sah sie die Schwester an, die noch immer wartend ihren Blick auf sie hatte. "Nein, wir sind noch nicht verheiratet. Sind aber gerade gemeinsam in ein Haus gezogen. Er hat mich bis jetzt noch nicht gefragt." Sie merkte wie ihr Blick neblig wurde, Geistes gegenwärtig zog sie sich auf den nächsten Stuhl neben dem Fenster, setzte sich, als auch bereits ihr Blick schwarz wurde. Nach ihrem Gefühl, wenige Sekunden später, schlug sie die Augen auf und sah in das Gesicht der Schwester. Diese kniete vor ihr und sah sie mit sorgenvollem Blick an. "Geht es ihnen wieder besser? Sie waren kurz ohne Bewusstsein. Wollen sie mit mir vor die Türe gehen und etwas trinken? Sie sehen blass aus. Ihr Puls ist ganz schwach und etwas unregelmäßig." Da bemerkte sie, dass eine Hand der Schwester und ihrem Handschuh am Handgelenk ruhte und sie wahrscheinlich ihren Puls fühlte. "Es geht schon." Versuchte sie diese zu beruhigen. Doch so fühlte sie sich nicht. Sie war müde, fühlte sich ausgelaugt und wollte einfach nur ins Bett. "Wir hatten gestern eine Feier zur Wohnungseinweihung, heute der Unfall... der ganze Tag war wohl etwas viel für mich", versuchte sie der Schwester zu erklären. Diese Blickte weiter das Gesicht, die Augen an und machte "Mmmhhh. Wie sie meinen. Sie könne ja gerne erst einmal hier sitzen bleiben. Wenn sie sich aber weiterhin unwohl fühlen, wäre es mir lieber, wir schauen auch mal nach ihnen. Zu viel Stress ist auch nicht gut für ihren Zustand." Ich zog deutlich meine Augenbrauen nach oben. "Wie meinen sie das bitte?" Die Schwester erschrak: "Oh Entschuldigung. Ich dachte, sie seien schwanger. Falls ich zu weit gegangen bin, möchte ich mich gleich entschuldigen. Ich hatte nur das Gefühl, da sie bereits vorhin so blass und müde aussahen. Deshalb auch meine neugierige Frage mit dem Ehemann." Sie zeigte ein freundliches Lächeln und es war nicht wirklich zu verstehen. Schwanger? Eher unwahrscheinlich... Oder doch? Möglich... Ja? Aber eher unwahrscheinlich.

Die Schwester riss sie wieder aus ihren Gedanken. "Sie können gerne noch etwas hier bleiben. Reden Sie mit ihrem Freund. Aber wenn sie sich wieder unwohl fühlen, klingeln sie oder kommen sie vor ins Schwesternzimmer, diese finden sie rechts von hier, drei Türen weiter. Ich bin heute noch bis zum späten Abend da, falls sie etwas brauchen. Notfalls fragen sie einfach nach Schwester Stefanie." Wieder zeigte sie ein freundliches Lächeln, löste ihre Hand von meiner und ging langsam Richtung Türe. Blickte noch einmal auf die beiden Schlafenden, danach zurück auf ihr Gesicht. "Nochmals Entschuldigung, falls ich zu weit gegangen sein sollte." Danach verließ sie das Zimmer und Sashima blieb mit ihren Gedanken alleine zurück. Schwanger von Sotiras? Möglich oder Wunsch?

Unfall nach unserer Wohnungsfeier? Unfall Gas, Unfall Auto. Wo ist die Gemeinsamkeit?

Ein langer Alptraum, der irgendwie nicht zu Ende geht. Sie atmete schwer ein, versuchte es jedenfalls durch die Maske hindurch, rutschte danach näher ans Bett ihrer großen Liebe und griff nach seiner Hand. "Komm zu mir zurück, mein Retter. Ich weiß nicht wie ich das alleine schaffen soll. Komm zu mir zurück, ich brauche dich. Ich liebe dich."

17 Krankenhausalltag

Kapitel 17: Krankenhausalltag

 

Jeden Tag, es kam ihr wie eine Ewigkeit, fuhr sie mit dem Taxi in die Klinik und jeden Tag hoffte sie auf gute Neuigkeiten. Das Warten am Bett bereitete ihr die größten Schwierigkeiten. Einfach nur zuzusehen wie sie beide dalagen und es wirklich nichts passierte. Weder die Atmung setzte bei beiden von alleine ein, noch ihre Finger oder Zehen bewegten sich. Sie lagen einfach nur da, wie zwei stumme Puppen.

 

Zwischendurch, es musste der zweite oder dritte Krankenhaustag gewesen sein, fiel ihr der Vater mit seiner Tochter wieder ein, die ebenfalls am Unfall beteiligt waren.

Sashima erkundigte sich bei der Oberschwester nach ihrem Befinden, doch diese äußerte ihr gegenüber keine Details. "Hörn sie." Versuchte sie bereits zum wiederholten male, mit drängen. "Ich möchte doch keine privaten Daten von den beiden. Mir würde es wirklich reichen, wenn sie mir sagen könnten, ob es den beiden wenigstens gut geht und sie den Unfall ohne weitere Probleme überstanden haben?"

Die Schwester verdrehte die Augen. Sashima blickte auf das Namensschild der dort sitzenden, weiß-blau gekleideten Dame. "Schwester Ursula, würden Sie bitte wenigstens meine Telefonnummer weitergeben. Wenn ich der Familie etwas Gutes tun kann, sollen sie es mir wenigstens mitteilen. Sie können ja selbst entscheiden, ob sie sich bei mir melden, oder nicht?"

Wieder verdrehte die Hausdame, die hinter einer Glaswand saß, die Augen. Bis sie ihr wenige Sekunden später, einen tiefen Seufzer und weniger freundlichen Worten entgegenwarf: "Aber nur das, mehr nicht." Doch dies reichte ihr und sie hinterließ ihr, ihre Handynummer, doch keiner meldete sich und sie hoffte, dass dies etwas Gutes war.

Die einzige Freundliche in diesem Krankenhaus war für sie selbst, nur die Spätdienstschwester Stefanie. Diese konnte es sich natürlich nicht nehmen, ihr sogar einen Schwangerschaftstest mitzugeben, der aus beider Enttäuschung negativ ausfiel.

 

Am vierten Tag nach dem Unfall, meldete sich ihr Freund von der Polizei bei ihr, um sie über den Unfallhergang aufzuklären. Sie vereinbarten einen Termin in der Klinik und trafen sich dort im Vorzimmer der Intensivstation.

"Hör zu. Das mit dem Unfall von Sotiras tut mir leid und damit meine ich, dass ich ihn am Telefon schlecht gemacht habe." Die Entschuldigung kam zwar etwas spät, dachte sie, aber sie war dankbar darüber. Wie sie bereits über die Ärzte erfahren hatte und ihre Aussage auch bestätigte, hatte Sotiras keinen Tropfen Alkohol im Blut gehabt. "Also, ich meine... Na ja, es tut mir leid, dass ich vorschnell reagiert habe. Da hat mich wohl mein siebter Polizeisinn fehlgeleitet, aber du hattest ja recht, was ihn betraf.

Aber deshalb wollte ich mich eigentlich nicht mit dir treffen, ich wollte dir die Ergebnisse vom Unfallbericht mitteilen. Die Bremswanne war defekt gewesen und die Bremsbacken waren durch das Auslaufen des Öls durchgeweicht, er konnte so nicht anständig bremsen und ist deshalb wohl bei Rot über die Ampel gefahren." Sie sah ihn verständnislos an. Dies konnte trotzdem nicht sein. Sotiras war immer sehr hinterher mit seinen Werkstattbesuchen und selbst der letzte Termin war noch nicht allzu lange her.

"Ich bleibe dabei, Thomas, irgendetwas stimmt an der Sache nicht. Aber im Augenblick hoffe ich nur darauf, dass es den beiden bald wieder besser geht. Am Wochenende werden wir wissen, ob die Schwellung im Hirn zurückgegangen ist oder nicht. Bis dahin, möchte ich deine Theorien nicht mehr hören, das nervt echt."

"Mein Gott, sind wir heute aber schlecht gelaunt. Ich geh ja schon. Denn Bericht schick ich dir demnächst einfach zu." Er drehte sich um und sie rief ihm noch hinterher. "Und ich schaue nach dem letzten Werkstattbesuch, ich weiß, dass Sotiras nicht schuld am Unfall ist."

 

Sashima wusste, dass nach ungefähr einer Woche, heute oder morgen, beide aus dem künstlichen Koma zurückgeholt werden sollten und dass dies eine große Entscheidungsphase war.

Monoton und gar nicht weiter darüber nachdenkend, ging sie, wie die letzten Tage zuvor, in ein extra Zimmer und zog sich für den sterilen Bereich um. Über ihre Straßenkleidung kam ein Schuhschutz, Haarschutz, Handschuhe, ein blauer Mundschutz und einen ebenso blauer - fast durchsichtiger Kittel.

Ihre Handtasche kam in einen Spinnt, danach klingelte sie und es öffnete sich die Zwischentüre. Dann lief sie, nach einer kurzen Rücksprache über die Sprechanlage, in den ihr mittlerweile bekannten weißen Gang entlang, bis zum Zimmer mit der gleich aussehenden braunen Türe, indem die beiden lagen.

Mittlerweile wählte sie ihre Besuchszeiten immer so, dass sie nicht der Oberschwester in die Arme lief und sie bereits nach ihrer Übergabe nach Hause gegangen war. Diesem Hausdrachen wollte sie nicht wirklich noch einmal freiwillig begegnen.

Sie öffnete die Türe und sah etwas Neues. Das Atemgerät bei ihrem Liebsten waren entfernt, nur noch die künstlichen Ernährungsgeräte waren angeschlossen und die piepsenden Monitore zur Überwachung. Der besagte Tag war also heute gewesen. Für die eine Seite schien, dass ein gutes Zeichen zu sein. Sotiras Mutter dagegen war weiterhin an die Atmung angeschlossen, was sie etwas traurig machte, deshalb setzte sich Sashima als Erstes zu ihrer zukünftigen Schwiegermutter. Dort erzählte sie ihr vom Wetter, von ihrem Garten und streichelte ihr Gesicht und über die Arme. Danach lief sie an das andere Bett und setzte sich dorthin, um ebenfalls ihm alles zu erzählen, ihn zu berühren und seine Hand zu halten. Alles genau so, wie es ihr vom Arzt empfohlen wurde.

Auch ihm erzählte sie von ihrem Tag, von der lieben Schwester und von ihrem Garten. "Ich habe es heute früh nicht lassen können und habe um unseren kleinen Kirschbaum etwas Gras entfernt, denn du hast ja einmal zu mir gesagt, er brauch Platz zum Atmen. Diese Woche bin ich noch nicht einmal auf dem Markt gewesen, es war einfach zu warm draußen und ich war einfach zu kaputt, die letzten Tage waren sehr anstrengend. Übrigens, die liebe Schwester, die abends immer da ist, hatte mir einen Test gegeben, ob ich schwanger bin, da es mir zurzeit nicht so gut geht, er war aber negativ, vielleicht hoffe ich doch etwas darauf..."

In diesem Augenblick bemerkte sie einen leichten Druck auf ihre Hand und sie sah, dass sich seine Hand um wenige Millimeter bewegt hatte.

Vor Freude sprang sie fast auf und schrie: "Sotiras, mein Sotiras. Hörst du mich? Ich bin hier! Schwester! Deine Sashima ist hier! Schwester, er hat sich bewegt!"

Vor Freude drückte sie ihm noch fester die Hand und mit der anderen auf die Schwesternrufklingel. Wenige Augenblicke später erschien ihre Lieblings-Spätdienstschwester.

Dieser fiel sie in voller Montur in die Arme und erzählte ihr von der Erfahrung. Daraufhin zeigte diese ihr ein strahlendes Lächeln und tätschelte ihr den Arm. "Mach sie sich um ihn keine Sorgen, er ist ein Kämpfer, er wird es schaffen. Spätestens morgen wissen wir mehr." Schwester Stefanie überprüfte die Geräte, die Monitore und die Schläuche am Arm. Nickte sich kurz selbst zu und tätschelte ihr danach wieder den Arm und schob sie wieder zurück auf den Stuhl. "Erzählen sie weiter mit ihm, vielleicht von dem letzten, was sie ihm gerade gesagt haben, das schien ihn zu dieser Reaktion bewegt zu haben."

Daraufhin wurde sie rot und lächelte, was man ihren Augen ansah, da sie immer noch die Maske trug. "Das werde ich."

Daraufhin verließ sie wieder das Zimmer und Sashima konnte ihr Glück kaum fassen. "Hast du gehört, das war die liebe Schwester, von der ich dir erzählt habe.

Sotiras komm zurück zu mir. Vielleicht kann dann unser Traum von einer gemeinsamen Familie doch noch wahr werden."

 

Und wieder nahte ein Donnerstag, der ohne Marktbesuch auskommen musste.

18 Vogel

 

Kapitel 18: Ein Vogel kann auch etwas anderes sein, als ein Tier.

 

Der gestrige Tag gab ihr Hoffnung, doch schien sie immer noch Angst zu haben, was ihre Zukunft betraf. Nach so einem Unfall, ihre Gedanken so einfach sprichwörtlich wegzustecken oder ruhen zu lassen, fiel ihr deutlich schwerer als ihm.

Wenn er hier wäre, würde er sie jetzt beruhigen und sie ermahnen, dass sie bereit schon schlimmere Zeiten überstanden hatten.

 

Sie rief bei ihrem vertrautem Mechaniker an und ließ sich, die letzten TÜV-Berichte und Reparaturlisten zuschicken. Sie fragte auch direkt an, ob es möglich sei, dass eine defekte Ölwanne so einen Schaden verursachen könnte. Leider wurde ihr dies dort bestätigt.

Sie fühlte sie ausgelaugt, kaputt, müde und es fehlte ihr an Appetit. Innerlich gab sie sich selbst ein paar Ohrfeigen, für ihre mitleiderregende Art, sie ließ sich viel zu sehr hängen.

Mit gesenkten Kopf und deprimierter Stimmung lief sie in die Küche und holte sich aus Frust einen Joghurt und ein paar Weintauben aus dem Kühlschrank, um so ihren Magen zu beruhigen. Viel mehr gab er im Augenblick nicht her. Sie war so beschäftigt gewesen, dass sie sogar die Einkäufe vergessen hatte. Sotiras würde sie so etwas nicht durchgehen lassen, ihm gefiel es nicht, wenn sie zu wenig an sich dachte. Ein wenig musste sie darüber lachen. Dafür dass sie noch gar nicht so lange offiziell zusammen wohnten, kannte sie seine Gewohnheiten schon ziemlich gut.

Aber sie kannten sich ja auch, bereits seit ihrer Kindheit.

Er machte sich immer Sorgen um sie, doch nun war sie einmal an der Reihe.

Eigentlich wollte sie noch etwas laufen gehen, vielleicht zum Markt? Ihre innere Uhr schrie förmlich nach dem Donnerstag, doch eigentlich hatte sie gar keine Lust dazu. Also entschied sich erst einmal zu Essen und danach zu gehen, mit leerem Magen einkaufen zu gehen, war nicht wirklich die beste Lösung. Zusätzlich war sie viel zu aufgeregt, wie es jetzt mit ihren zwei Liebsten wohl in Zukunft weiter gehen würde.

 

Sie setzte sich an ihren Küchentisch und nahm sich ihrer Mahlzeit an. Danach warf sie ihren verschmutzen Löffel in die Küchenspüle, der Abwasch konnte warten und zog sich etwas über.

Nachdem sie ihre Geldbörse, einen Stoffbeutel, sowie ihren Einkaufskorb nahm, lief sie in Richtung Markt, natürlich nicht ohne die Haustüre zweimal abzuschließen, so wie sie es kannte.

Dort angekommen, lief sie zu ihrem beliebten Händler Antonio. Er war gebürtiger Italiener, der in ihrer Wohngegend Fuß gefasst hatte und zusammen mit seiner Familie nach Deutschland gezogen war. Doch einmal im Jahr fuhr er für längere Zeit in seine Heimat und brachte Zitrusfrüchte für seinen Stand mit. Sotiras liebte den Geschmack von frischen Zitronen auf ihrem Kuchen oder zu verschiedenen Mahlzeiten. Sie nahm sich deshalb vor, ihm bei Gelegenheit, natürlich erst, wenn er von der Intensivstation war, ein paar Zitronen mitzubringen und wenn es am Ende nur zur Verbesserung der Raumluft war. Aber auch die anderen Händler aus der Gegend begrüßten sie, da sie fast alle mit Namen kannte und größtenteils die Familie dazu. "Hallo Matthäus, wie geht es deiner Frau?" Ein grauhaariger Mann über sechzig lächelte sie durch seinen großen Vollbart an. "Soweit ganz gut, danke der Nachfrage. Renata meinte heute früh, dass ihr Rheuma mal wieder anschlägt und sie schmerzen in den Fingern hätte, es soll also bald regnen." Sashima lächelte, Matthäus Frau war eine kleine rundliche alte Dame mit langem schneeweißem Haar, sie war die gute Seele dieses Hausstandes und immer für private Probleme da. Renata trug schon immer ihre Haare zu einem strafen Dutt zusammen gebunden und ihre Finger waren die beste Wettervorhersage, die sie kannte. "Gut zu wissen", sagte sie lächelnd an ihn gewandt, "dann mach ich heute nicht zu lange und lauf gleich nach Hause, ich habe keinen Schirm mitgenommen." Matthäus nickte eifrig, gab ihr noch ihren Einkauf in die Hand und meinte: "Mach das, aber sei vorsichtig, du gefällst mir heute gar nicht. Du siehst wirklich blass um die Nase aus."

Dankend nahm sie ihren Beutel entgegen und versprach ihm, vorsichtig und auf direktem Wege nach Hause zu laufen. Also wieder kein Spaziergang durch die Stadt. Dies tat sie danach auch.

 

Vor ihrem Haus angekommen, bot sich ihr ein Schauspiel, dass so überhaupt nicht in ihren Ablauf passte. Ihre Türe stand offen und sie hörte Schritte aus der Wohnung, irgendjemand hielt sich in ihrem Haus auf.

Mit zitternden Fingern griff sie in ihren Korb und angelte das Telefon zum Vorschein, langsam wählte sie, die ihr bekannte Nummer der Polizei, als ihr ein Mann aus der Türe entgegenkam, denn sie sehr gut kannte.

"Thomas, was machst du den hier? Wie bist du in mein Zuhause gekommen?" Dieser zuckte kurz zusammen, als er sie auf dem Gartenweg stehen sah und lächelte sie danach an. "Susanna hatte mir die Schlüssel vor langer Zeit gegeben, als ich sie noch bei Kleinigkeiten unterstützt habe. Ich hatte mir, seit unserem letzten Gespräch, etwas Sorgen um dich gemacht und wollte nach dir sehen." Susanna war ihre zukünftige Schwiegermutter und die Vorbesitzerin dieses Hauses. Sie konnte verstehen, warum sie damals den Schlüssel weiter gereicht hatte. Als Rollstuhlfahrer war es nie einfach, in einem Haus, mit mehreren Türschwellen. Aber sie verstand nicht, warum dieser Schlüssel nicht schon längst ihren Besitzer gewechselt hatte.

Sashima war skeptisch und zog ihre linke Augenbraue nach oben. "Du hattest doch bemerkt, dass die Türe abgeschlossen war, du hättest doch ahnen müssen, dass ich nicht zu Hause bin." Er nickte ihr etwas zu übereifrig und kam ihr auf dem Gehweg entgegen. "Das schon, aber du hättest ja auch aus Angst die Wohnung zusperren können und ich war ja eh noch nicht lange drin."

Ihr gefiel das nicht. "Dann ist es ja gut, dass ich wieder zurück bin. Mir wäre es übrigens auch lieber, du würdest die Schlüssel an mich aushändigen, denn wie du weißt bin ich zusammen mit Sotiras die neuen Hausbesitzer und nicht Susanna. Und wie du auch wissen solltest, befindet sich Susanne derzeitig in keiner ansprechbaren Lage und ich würde gerne den Schlüssel deshalb übernehmen."

Wieder nickte er etwas zu viel. "Natürlich, natürlich. Ist ja auch dein gutes Recht. Also wir sehen uns, bis die Tage."

Er reichte ihr den Schlüssel und damit verabschiedete er sich und verschwand einige Straßen weiter.

Wo hatte er nur sein Auto stehen gehabt?

Etwas seltsam kam ihr die ganze Sache schon vor, vor allem da er ihretwegen gekommen war und ihr nicht einmal mit dem Einkauf geholfen hatte, die Tasche hatte sie noch immer in der Hand. Ein sehr seltsamer Kauz war das schon.

Die mussten hier alle in der Gegend mittlerweile einen Vogel haben.

Es gibt schon komische Vögel...

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Tag der Veröffentlichung: 30.01.2021

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