Sammelband „Short Psycho“
24 Mini-Psychogeschichten
von
ALFRED J. SCHINDLER
INHALTSVERZEICHNIS:
01 Das leere Grab
02 Der Chauffeur
03 Der Schriftsteller
04 Die Gerettete
05 Kaltblütig
06 Kopfschmerz
07 Omas 80. Geburtstag
08 Sein zweites Leben
09 Todfreunde
10 Zuvorkommend
11 Marion & Marita
12 Der Waller (catfish)
13 Auf und nieder…
14 Die Wolke
15 Die Senioren
16 Der Tod
17 Starr
18 Onkel Eduard
19 In der Nacht
20 Alptraum
21 Atemnot
22 Die Braut
23 Der kleine Junge
24 Die Hütte
Psychothriller
von
Alfred J. Schindler
VORWORT
Als ich meine geliebte Helene heiratete, sagte ich zu ihr mit verschwörerischer Stimme (und ich meinte es ernst): „Wenn du mich jemals betrügst, meine Liebe, bringe ich dich um.“
Sie lachte nur verschmitzt und versprach mir, dass dies niemals geschehen würde.
Nun ja...
Ich glaubte ihr natürlich. Die Ehejahre vergingen. Unsere Ehe war nicht zum Besten bestellt. Helene ging gerne mit ihren Freundinnen aus, und ich hielt mich an meine alten Freunde. Ganz langsam, fast unmerklich, entzweiten wir uns. Jeder ging seine eigenen Wege. Irgendwann eröffnete mir Helene (trotz meiner damaligen Drohung, sie umzubringen, falls sie fremdgehen sollte), dass sie einen Freund hatte. Ich dachte, ich höre nicht recht. Helene einen Freund? Warum hatte ich mir nicht längst eine kleine, nette Gespielin zugelegt? Aber nun war es wohl zu spät.
Eine lange Zeit versuchte ich ihr den Freund auszureden, aber sie sagte mir eindeutig, dass sie ihn lieben würde. Das machte mich noch wütender. Ich versuchte trotz alledem, die Situation wieder ins Lot zu bringen, aber irgendwann resignierte ich schließlich. Wir beschlossen, uns zu trennen. Scheiden lassen wollten wir uns nicht, da wir beide hoch lebensversichert waren:
Jeder für eine halbe Million Euro.
Egal, wer sterben würde, der andere würde dieses Geld kriegen. Suizid wäre natürlich ausgeschlossen.
01
Helene hatte also schon seit längerer Zeit mit einem jungen Stationsarzt ein Liebesverhältnis. Ich wusste ja längst davon, aber es machte mir nun – nach den langen Monaten der Dreisamkeit - fast nichts mehr aus. Ich kämpfte nicht mehr um sie. Wie gesagt. Wir lebten nur noch so nebeneinander her. Im selben Bett schliefen wir schon lange nicht mehr. Zu sehr war die Liebe zwischen Helene und mir erloschen. Sie war von meiner Seite aus umgeschlagen. Umgeschlagen in...
tödlichen Hass.
Ich ließ es mir nicht anmerken, was sich in meinem Seelenleben abspielte, und Helene war wohl der Ansicht, dass ich unsere Situation, wie sie nun mal war, akzeptiert hatte.
Stillschweigend.
Übereinkommend.
Und so kam ich auf eine wahnsinnige Idee:
Ich weiß, wie gerne Helene mit ihrem neuen Galan verreist. Eines Tages mache ich ihr folgenden Vorschlag:
„Helene, ich hätte da eine Idee.“
„Und die wäre, Otto?“
„Du weißt doch, dass wir sehr hoch versichert sind.“
„Ja, allerdings.“
„Nun, ich...“
„Möchtest du beiden Versicherungen etwa kündigen?“
„Wo denkst du hin? Dabei würden wir doch nur gewaltig draufzahlen.“
„Und was hast du vor, Otto?“
„Wir könnten doch folgendes inszenieren: Du und Florian – ihr mietet ein hochseetaugliches Motorboot. Ihr nehmt euch ein Schlauchboot mit einem tragbaren Außen-bordmotor mit aufs Schiff und fahrt aufs offene Meer hinaus.“
Helene ist verunsichert.
Es scheint jedenfalls so.
Doch plötzlich sehe ich ihren funkelnden Augen an, dass sie von meiner Idee fasziniert ist.
Ihre Augen blitzen.
Weiß sie, worauf ich hinaus will?
Ja, sie versteht, woran ich gerade denke.
„Ihr lasst das Schlauchboot, nachdem ihr es aufgepumpt habt, ins Wasser, befestigt den Motor daran und versenkt das große Motorboot. Dann macht ihr euch aus dem Staub.“
„Du meinst, man soll annehmen, dass wir bei dem Untergang ertrunken sind!“
„Genau das ist mein Gedanke.“
„Eine blendende Idee! Wie kamst du nur darauf?“
„Die Idee bot sich doch direkt an, nicht wahr?“
„Du meinst wegen unserer Versicherungen?“
„Genau.“
Ich hole tief Luft und zünde mir eine Zigarette an. Mal sehn, was sie von meinem Vorschlag hält. Ich weiß, dass diese Idee nicht neu ist, jedoch ist sie meines Erachtens sehr effektiv. Das Meer ist groß.
Sehr groß!
Und tief!
„Genial, Otto. Florian und ich verschwinden mit dem Boot aufs offene Meer hinaus und halten uns irgendwo für eine längere Zeit versteckt.“
„Genau. Ihr werdet irgendwann für tot erklärt und ich kassiere die halbe Million.“
„Dann treffen wir uns heimlich, und du gibst mir meine zweihundertfünfzigtausend Euro, die mir zustehen. In bar, versteht sich.“
„Richtig. Damit könnt ihr euch dann im Land eurer Träume ein schönes Leben machen. Zumindest ist es ein gewisser Grundstock für eine neue Existenz. Natürlich müsst ihr euch um neue Papiere kümmern, aber das kriegt ihr schon hin. Florian ist in seiner Klinik sowieso nicht sehr glücklich, wie du mir immer wieder erzählst.“
„Wir werden uns irgendwo im Süden niederlassen. Mit solch einem Batzen Geld kann man dort schon etwas anfangen.“
Aha! Sie sagte: „Wir werden...“ – Sie hat also meine Idee schon fast angenommen, wie es scheint.
„Ja, Florian könnte irgendwann wieder in einer anderen Klinik arbeiten – vorausgesetzt er will das noch – und du könntest dich auf die faule Haut legen.“
„Ich würde ein kleines Geschäft eröffnen. Vielleicht mit Spirituosen oder ähnlichem.“
„Aber doch keinen Getränkemarkt, oder?“
„Natürlich nicht.“
Sie schaut mich plötzlich an: „Und wenn sie uns dahinterkommen?“
„Sie kommen uns nicht dahinter. Da kannst du aber sicher sein, meine Holde.“
02
Unser Plan steht. Ich fühle mich soweit gut. Wie es den beiden Verliebten geht, weiß ich nicht. Es ist mir auch egal. Sollen sie doch denken und machen, was immer sie wollen! Hauptsache für mich ist, dass sie das gefährliche Spiel mitspielen. Denn hier geht es wirklich um Sein oder Nichtsein.
Und um viel Geld ...
Wenn sie uns dahinterkommen, gehen wir alle Drei in den Knast. Aber soweit darf es natürlich gar nicht kommen.
Dafür werde ich schon sorgen.
Helene weiht ihren guten Florian in einer trauten Stunde in ihr Vorhaben ein: Sie erzählt ihm die ganze Geschichte, und er ist damit sofort einverstanden. Er ist, wie gesagt, noch jung und zu allen Schandtaten bereit.
„Endlich kann ich dieses grässliche Krankenhaus verlassen, mein Schatz.“ Jubelt er.
Sie antwortet: „Die Sache ist eigentlich ganz einfach: Man wird ein paar Tage nach uns suchen, und irgendwann wird man mich – und auch dich – für tot erklären. Otto wird daraufhin die volle Versicherungssumme kassieren. Ich muss nur mit ihm weiterhin in Verbindung bleiben, damit er weiß, wo wir uns aufhalten. Schließlich möchte ich mein Geld haben.“
„Wunderbar. Was für ein genialer Einfall. Von wem kam diese Idee? Von dir oder von ihm?“
„Von Otto.“
„Dieses ausgekochte Schlitzohr.“ Lacht er.
„Wir fahren nach Sizilien, Helene. Dort war ich schon ein paar Mal in Urlaub.“
„Warst du, ja?“
„Wir müssen nur ungeheuer aufpassen, dass uns die Versicherung nicht dabei ertappt, wenn Otto und ich telefonieren.“
„Sie können euch doch nicht monatelang beobachten, oder? Außerdem geht es hier nicht um Millionen.“
„Aber eine halbe Million ist auch ein schöner Batzen Geld.“
„Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein, Helene.“
„Nicht der geringste Fehler darf uns unterlaufen, Florian.“
„Dafür werde ich schon sorgen.“ Er grinst.
Die Sache nimmt seinen Verlauf: Der Plan nimmt schnell gewisse Formen an. Allerlei Vorbereitungen werden getroffen. Es ist Hochsommer – August - das ideale Wetter, um einen kleinen Bootsausflug aufs offene Meer zu unternehmen. Ein entsprechendes Motorboot mit allen technischen Einrichtungen ist bald eruiert. Glücklicher-weise besitzt Florian einen Bootsführerschein, und so kommt es, dass Helene und er problemlos dieses mittelgroße Motorboot chartern können.
Der bestimmte Tag bzw. die Nacht naht...
Ich gebe zu, dass ich doch sehr aufgeregt bin, aber der Plan steht nun mal fest. Ich werde Helene sicherlich nicht wiedersehen. Das ist gewiss. Nein! Ich will sie gar nicht mehr wiedersehen! Zuviel hat sie mir angetan. Wenn sie sich mit irgendeinem alten Knacker eingelassen hätte, hätte ich ja noch gar nicht viel gesagt. Aber dieser junge Bursche: Voller Tatendrang, sportlich, topfit und geistig eine Eins. Da kann ich nicht mithalten.
Na warte, Helene...
Die Frage ist, wie lange es dauern wird, bis man Helene und Florian für tot erklären wird. Denn erst dann werde ich die volle Versicherungssumme kassieren können.
Ich werde das schon deichseln!
Nur die Geduld bewahren.
Kommt Zeit, kommt Rat.
Das ist meine Devise.
Helene und Florian schaffen das verpackte Schlauchboot mit dem kleinen Motor nachts und klammheimlich auf das Motorboot. Ich helfe ihnen natürlich nicht dabei. Sie haben sich mit etwas Lebensmitteln und Getränken eingedeckt (Florian hat seinen Arztkoffer mitgebracht) und schaffen alles auf das wunderschöne Motorboot. Selbstredend haben sie auch an Kleidung, Badezeug und Schuhe gedacht. Und an Bargeld fehlt es auch nicht.
Zum Glück haben wir etwas Geld auf die hohe Kante gelegt.
Das Motorboot ist – wie gesagt - komplett ausgestattet. Wie geheimnisvoll es in der stillen Nacht schimmert und ganz leicht auf den schwarzen Wellen hin- und her tanzt!
Um drei Uhr morgens – der Mond verschwindet gerade hinter einer dunklen Regenwolke – verlassen die beiden Abenteurer den kleinen Hafen. Florian chauffiert, und Helene macht sich Gedanken über ihre gemeinsame Zukunft mit Florian.
Einer glücklichen Zukunft!
„Ob alles gut geht, Florian?“ Fragt Helene zweifelnd.
„Aber sicher, mein Schatz. Was sollte denn schiefgehen?“
„Ich traue Otto nicht über den Weg.“
„Er muss uns die Hälfte des Geldes geben – wohl oder übel.“
„Und wenn er nicht bezahlt?“
„Dann reiße ich ihm – höchstpersönlich – den Arsch auf.“
„Du müsstest in diesem Fall nach Deutschland zurück, um das Geld bei ihm zu holen.“
„Das würde mir auch noch gelingen.“
„Du bräuchtest eine Waffe!“
„Die würde ich mir in diesem Fall schon irgendwo besorgen, Helene.“
„Ob man euch dabei beobachten würde?“
„Die Polizei?“
„Ja. Und die Versicherungsagenten natürlich. Die möchten doch ihr Geld zurück!“
Es fängt an, zu regnen. Starke Windböen kommen auf. Und die Wellen tanzen immer höher. Helene klammert sich irgendwo an der Reling fest und jammert:
„Das wäre ja die absolute Krönung, mein Schatz, wenn wir tatsächlich untergehen würden.“
„Keine Angst. Ich habe das Boot voll im Griff.“
„Außerdem könnten wir uns immer noch auf das kleine Schlauchboot retten.“
„Genau.“
Nach einigen Stunden hat der starke Regen nachge-lassen. Auch der raue Wind liegt sich, als ob er nie vorhanden gewesen wäre. Florian drosselt schließlich den Motor:
„Ich denke, jetzt sind wir genügend weit draußen. Das Wasser ist sehr tief.“
„Prima. Komm! Lass uns das Schlauchboot aufblasen!“
„Ja, es ist niemand in der Nähe.“ Er blickt sich mit einem starken Fernglas um, kann aber kein Schiff oder Boot entdecken.
„Besser kann es doch gar nicht laufen, Helene!“
„Ja, da gebe ich dir Recht.“
Sie zwinkert mit den Augen, und Florian spürt, dass seine Geliebte sehr aufgeregt ist.
Florian übernimmt die Arbeit des Aufblasens des Schlauchboots und das Umladen der etwas schwereren Gegenstände. Es ist keine leichte Arbeit, aber sie macht ihm nichts aus. Den kleinen Außenbordmotor hebt er vorsichtig auf das Schlauchboot hinüber und befestigt ihn professionell. Helene beschäftigt sich indessen damit, all ihre leichteren Dinge, die sie mitgenommen hatten, ins kleine Boot zu schaffen.
„Wir dürfen nichts vergessen, Florian!“
„Na, dann mach mal...“ Lacht er unbekümmert.
„Ich habe trotzdem ein mieses Gefühl in der Magen-gegend!“
„Es klappt doch alles wunderbar!“ Grinst Florian unbe-kümmert.
„Ja, sicher.“
„Wie lange wird es wohl dauern, bis man uns für tot erklärt hat, Helene?“
„Da muss ich mich ganz auf Otto verlassen. Er wird es ja erfahren. Und dann wird er es uns schon mitteilen.“
„Hoffentlich.“
„Es wird ihm nichts anderes übrig bleiben.“
„Und wenn er das gesamte Geld für sich behalten will?“
„Du weißt, was ich dann mit ihm mache.“
„Er weiß doch gar nicht, wo wir uns aufhalten, wenn unsere Bootsfahrt zu Ende ist!“
„Ich habe ihm gesagt, wie das kleine Küstenstädtchen heißt, an dem wir anlegen.“
Florian ist soweit beruhigt.
03
Florian ist sehr kräftig. Mit einer mitgebrachten Axt zertrümmert er mit wuchtigen Schlägen den Kabinenboden des wunderschönen Motorboots. Es ist eine wahre Schande, dieses herrliche Schiffchen zu demolieren. Es splittert und es kracht, aber das kann ihn ja überhaupt nicht stören. Es ist sehr dunkel heute, und das kommt den beiden ganz gelegen.
„Und jetzt wollen wir doch mal sehen, wie lange es dauert, bis die Kiste sinkt.“
Sie zünden sich Zigaretten an.
„Sei vorsichtig mit der Asche, Helene.“
„Ich weiß. Ein kleiner Funken genügt, und wir haben ein Loch im Schlauchboot.“
„Das würde uns ja gerade noch fehlen.“
Es dauert, während sie in ihrem Schlauchboot sitzen, eine knappe halbe Stunde, bis das große Motorboot endgültig im Meer verschwunden ist. Gurgelnd und schmatzend versinkt es in den Untiefen des unheimlich wirkenden Meeres. Mit einer weit ausholenden Bewegung wirft Florian die Axt hinterher.
„Ganze Arbeit, Florian!“ Sie klopft ihm anerkennend auf die Schulter.
Er dreht sich um, küsst sie leidenschaftlich und sagt: „Wir haben es fast geschafft, mein Liebling. Es sind noch etwa vierzig Kilometer bis Sizilien. Ein Klacks für einen erfahrenen Seemann wie mich. “
„Hoffentlich wird das Boot nie gefunden!“
„Niemals. Das Meer ist hier viel zu tief, um eine Bergung vorzunehmen. Außerdem wäre es zu aufwendig.“
Die beiden erreichen Sizilien ohne Probleme. Und sie legen genau an dem Ort an, der mit Otto vereinbart war.
Zwei Wochen vergehen. Man hat die Suche nach den beiden Vermissten endgültig eingestellt. Man fand weder das Motorboot, noch die Leichen.
Irgendwann wird Helene von den Behörden für tot erklärt. Es hatte doch einige Zeit in Anspruch genommen. Und ich kassiere prompt eine halbe Million Euro von der verärgerten Versicherung. Sie kamen nicht darum herum:
Sie müssen bezahlen.
Und das ist gut so!
Sehr gut sogar!
Ich hatte mir schon damals, als wir den Plan gemacht hatten, ein neues Prepaid-Handy zugelegt. Auch Helene besitzt ein solches Handy. Wir haben die Nummern gegenseitig ausgetauscht. Sicher ist sicher.
Es vergehen zwei Monate, und Helene meldet sich nicht. Doch dann klingelt irgendwann – es ist schon später Abend – mein Handy:
„Hallo, Günter!“
Es ist Helene. Eindeutig.
„Bist du an dem Ort, Brigitte, den du immer besuchen wolltest?“
„Ja, Günter.“
„Wie geht es euch denn immer so?“
„Gut, danke. Wir leben in einem alten Motel.“
„Man hat bezahlt.“
„Die volle Summe?“
„Ja, Brigitte.“
„Wie schön.“
„Man hat unsere Nachbarin und ihren Mann verewigt.“
„Das tut mir leid.“
„Ich fahre noch heute an besagten Ort und bringe die Klamotten mit.“
„Prima. Sagen wir um dreizehn Uhr im Cafe Adriatica?“
„Ja. Gebongt. Gibst du mir mal bitte deinen zweiten Schatten?“
„Aber sicher, Günter.“
Ein langes Gespräch entsteht.
Helene hört nicht zu.
Noch am selben Tag fahre ich mit meinem blauen Porsche Richtung Süden. In einer schwarzen Tasche befinden sich zweihundertfünfzigtausend Euro. Genau, wie vereinbart.
Ich durchquere Italien und setze mit der Autofähre nach Sizilien über. Gegen Mittag erreiche ich die Kleinstadt, in der wir uns verabredet hatten. Und ich finde das Cafe Adriatica auf Anhieb. Ich blicke mich um, jedoch kann ich Florian nirgends entdecken.
Verflucht!
Wo ist denn der Kerl?
Ich betrete das kleine Lokal. Florian sitzt am langen Tresen in der Bar und schlürft einen kühlen Cocktail. Ich nehme neben ihm Platz. Leise unterhalten wir uns:
„Wie war die Fahrt, Otto?“
„Prima. Ganz ausgezeichnet.“
„Hast du das Geld dabei?“
„Ja, hier in meiner Tasche.“
„Darf ich es mal sehen?“
Er wirft einen kurzen Blick hinein und nickt zufrieden.
„Willst du nachzählen?“
„Etwa hier drinnen?“
„Nein. In eurem Zimmer.“
„Unsinn. Ich vertraue dir. Ich hoffe, es sind kleine Scheine. Und nicht durchnummeriert.“
„Sei froh, wenn ich dir kein Falschgeld unterjubele.“
Wir lachen laut.
Die Bedienung bringt uns zwei Biere.
„Bei uns ging alles glatt, Otto.“
„Du meinst...“
„Ja, ich meine.“
„Hast du sie letzte Nacht...?“
„Ja, sicher. Wie vereinbart.“
„Hat sie sich gewehrt?“
„Nein. Ich habe sie bewusstlos geschlagen, und anschließend bin ich mit ihr bei ziemlicher Dunkelheit weit aufs offene Meer hinausgefahren.“
„Du hast sie also versenkt.“
„Genau. Mit einem Stein um ihren Hals. Niemand wird sie jemals finden.“
„Sie lebte noch, als du sie...“
„Ja.“
„Hier ist dein Geld, Florian. Wie vereinbart: zweihundert-fünfzigtausend Euro. Jetzt kannst du in aller Ruhe ein neues Leben beginnen.“
„Ich danke dir.“
„Was wirst du mit dem Geld machen?“
„Ich weiß es noch nicht.“
04
Der Geldaustausch ging vorüber. Wenn ich an Helene denke, kommt mir jetzt doch das kalte Grauen. Die Idee, sie umzubringen, war von mir gekommen. Ich hatte damals viel riskiert, als ich Florian meinen Plan dargelegt hatte. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob er überhaupt mitmachen würde. Denn schließlich ist er Arzt! Ich wusste auch nicht, wie sehr er Helene liebte. War es nur der gute Sex mit ihr und obendrein das zu erwartende Geld? Ich wusste es nicht. Würde er bereit sein, Helene dafür umzubringen? Ich hoffte es zumindest. Und ich sollte mich nicht irren. Denn dann, als ich ihn mein tödliches Vorhaben einweihte, sah ich sofort, dass er ein ganz abgebrühter Hund war bzw. ist.
Ein Verbrecher.
Noch am selben Tag fahre ich zurück nach Deutschland. Noch auf der Heimfahrt durchrasen die unmöglichsten Gedanken mein Gehirn: Ob sie wirklich ertrunken ist? Wie hätte sie sich von dem schweren Stein um ihren Hals befreien können? Ein Ding der Unmöglichkeit. Wird Florian für alle Zeiten die Schnauze halten? Oder wird er so dumm sein, seiner nächsten Angebeteten irgendeine blödsinnige Geschichte zu erzählen? Ich ärgere mich im Nachhinein, dass ich ihn nicht getötet habe. Es war ein Riesenfehler von mir, ihm, dem Kleinganoven, zweihun-dertfünfzigtausend Euro in bar auszuhändigen. Wenn ich ihn getötet hätte, wäre ich jetzt um eine viertel Million reicher.
Ich Idiot.
Aber ich gab ihm das Geld eigentlich nur deswegen, weil er Helene – für mich – ersäuft hatte.
Wie eine räudige Katze.
Sei es drum, sage ich mir. Jetzt ist es nicht mehr zu ändern. Ich werde mein Leben genießen und mir irgendwann eine neue, nette Freundin anlachen.
Warum auch nicht?
Der Alltag hat mich wieder. Meine schlimmen Gedanken verflüchtigen sich zusehends. Seit gestern kann ich schon wieder schlafen, ohne Tabletten einnehmen zu müssen.
Wie erfreulich!
Es geht aufwärts mit mir!
Einige Tage später zieht es mich unerklärlicherweise zum alten Friedhof. Ich hatte damals einen kleinen Grabstein gekauft, und man hatte einen leeren Sarg bestattet. Nur wenige Leute waren bei der „Bestattung“ anwesend gewesen: Helenes Eltern, ihre Geschwister mit Partnern, der Pastor und ich. - Es ist schon später Abend, und ich stehe völlig alleine vor Helenes leerem Grab.
„Helene, ich konnte nicht anders.“
Ich blicke auf den Grabstein und lasse die ganze Geschichte an meinem geistigen Auge Revue passieren. Zuerst kam die Idee, dann kam die Durchführung. Wir hatten an alles gedacht. Hatte Helene auch an alles gedacht? Ich denke nicht. Wenn sie mich genau gekannt hätte, hätte ihr klar sein müssen, dass ich so mit mir nicht umspringen lasse.
Nein, Helene, so hatten wir nicht gerechnet.
So nicht.
Aber was hätte ich tun sollen? Hätte ich sie mit ihrem Galan ziehen lassen sollen? Mein Ego hätte das niemals richtig verdaut. Sie hatte mich betrogen, und dafür musste sie...
... büßen.
Plötzlich höre ich ein leises Geräusch hinter mir. Aus meinen Gedanken gerissen, drehe ich mich langsam und vorsichtig um und denke, mich trifft ein Blitz: Da steht Helene, und sie hält einen Revolver in der Hand.
„Helene!“ Krächze ich.
„Grüß dich, du verkappter Mörder.“
„Ich kann dir alles erklä...“
„Du brauchst mir nichts erklären. Florian hat mir alles erzählt.“
„Hat er das?“
„Ja, Otto. Er steht zu mir, weil er mich wirklich liebt.“
„Er liebt dich also.“
„Die Hälfte von der viertel Million reichte ihm vollends, wie er sagte.“
„Dieser Affe.“
„Weißt du noch, was du an unserem Hochzeitstag zu mir gesagt hast?“
„Dass ich dich liebe?“
„Nein, dass du mich töten würdest, wenn ich fremdgehen würde. Dieser eine Satz stand von Anfang an zwischen uns. Kannst du das nicht nachvollziehen?“
„Nein.“
„Dann stirb, du elender Bastard!“
Und sie drückt ab.
Sie lächelt, vor meiner Leiche stehend, und flüstert:
„Mein Grab bleibt jedenfalls leer.“
ENDE
PSYCHOTHRILLER
von
Alfred J. Schindler
VORWORT
Seit mehr als sieben Jahren arbeite ich jetzt schon für Herrn Dr. Gerstenmüller als privater Chauffeur. Er kennt mich, und ich kenne ihn. Er hält mich finanziell etwas knapp, aber man muss Gott für alles danken. Die gewisse Distanz, die notwendig ist, ist zwischen uns nach wie vor vorhanden, jedoch kommt es schon mal vor, dass in vorgerückter Stunde das eine oder andere private Wort zwischen uns fällt. Er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann und ich bin mir fast sicher, einen festen, guten Job zu haben.
Aber eben nur fast.
Mir ist schon lange klar, dass Herr Dr. Gerstenecker ein ausgekochtes Schlitzohr ist. Aber genau dieser Wesenszug gefällt mir so sehr an ihm...
Ich stehe ihm nämlich in Nichts nach...
O1
Eines schönen Tages nimmt mich mein Chef zur Seite: „Hören Sie, Berthold. Ich brauche heute dringend Ihre absolute Loyalität.“
„Ist doch selbstverständlich, Herr Doktor.“
„Sie fahren mich heute Abend um sieben Uhr dreißig zu meinem Freund, Herrn Dr. Fröhlich. Sie wissen, dass wir jeden Mittwoch bei ihm zusammen Schach spielen.“
„Das ist mir bekannt.“
Eine kleine Pause entsteht.
Er überlegt.
Ich kann es genau erkennen.
Wieso erzählt er mir, dass ich ihn heute zu Dr. Fröhlich fahren soll? Ich chauffiere ihn doch schon seit Jahren jeden Mittwochabend zu seinem alten Busenfreund.
„Offiziell fahren Sie mich also zu Herrn Dr. Fröhlich. Aber inoffiziell werden Sie mich in die Birnengasse 12 chauffieren. Ich habe dort etwas zu erledigen.“
Er überlegt schon wieder.
Was hat er denn für ein Geheimnis?
Birnengasse 12? Kommt mir sehr bekannt vor!
„Nachdem Sie mich dort abgesetzt haben, fahren Sie direkt zu Herrn Dr. Fröhlich, parken dort unseren Wagen an seinem Haus und warten bis kurz vor Mitternacht im Auto. Danach holen Sie mich in der Birnengasse 12 wieder ab. Alles verstanden?“
„Jawohl, Herr Doktor.“
„Der Mercedes muss zwischen acht Uhr und zwölf Uhr von den Leuten bei Dr. Fröhlichs Haus gesehen werden.“
„Gemacht, Herr Doktor.“
„Auf Sie kann ich mich halt verlassen, Berthold. Da ich weiß, dass Sie logisch denken können, dürfte Ihnen klar sein, dass ich für besagte Zeit ein kleines Alibi brauche. Sie sind also mein Alibi.“
„Selbstverständlich.“
Er benutzt mich schon wieder. Wie oft musste ich ihm in den letzten Jahren schon die Stange halten? Meistens ging es darum, vor seiner Frau etwas zu verheimlichen.
Geht es schon wieder um eine andere Frau?
Ich denke, schon.
Nein, ich weiß es!
„Wenn Sie von meiner Frau gefragt werden sollten, wie lange wir Schach gespielt hatten, erklären sie ihr, dass Sie mich wie immer zu Herrn Dr. Fröhlich gefahren und dort im Wagen auf mich bis kurz vor Mitternacht gewartet haben.“
„Wortwörtlich, Herr Doktor.“
„Ich werde mich Ihnen gegenüber erkenntlich zeigen. Da können Sie sich sicher sein, mein lieber Berthold.“
„Sehr wohl.“
Er setzt sich in seinen alten Schreibtischsessel und zündet sich eine Zigarre an. Genüsslich pafft er quer durchs Zimmer.
„Darf ich mir eine Frage erlauben, Herr Doktor?“
„Ja, aber sicher.“
„Kommt das jetzt öfter vor?“
„Wie meinen?“
„Nun, wegen eines der Alibis.“
„Da bin ich mir aber sicher.“
Er tut ja gerade so, als ob es das erste Mal wäre, dass ich für ihn lügen muss. Aber ich bin es ja gewöhnt, ihn vor seiner Frau in Schutz zu nehmen.
Was sein muss, muss eben nun mal sein. Schließlich möchte ich meinen Job behalten! Was wäre, überlege ich, wenn seine Frau irgendwann herausfinden würde, dass ich andauernd für ihn lüge? Ich wäre meinen Job los, bevor ich bis Drei zählen könnte.
Denn: Im Endeffekt stehe ich auf ihrer Gehaltsliste. Sie ist die Chefin!
Nicht er.
02
Dr. Gerstenecker weiht seinen Busenfreund, Herrn Dr. Fröhlich, in seinen Plan ein. Dieser erfährt von ihm, dass sein alter Freund in der Birnengasse 12 eine kleine Freundin hat. Das bevorstehende Schachspiel fällt also somit aus. Da Fröhlich ihm sehr verbunden ist, spielt er die Sache mit. Gerstenecker kann sich auf ihn hundertprozentig verlassen.
Das dürfte gewiss sein.
„Wenn dich jemand fragen sollte: Wir haben also von acht Uhr bis kurz vor zwölf Uhr zusammen Schach gespielt. Und wir haben Weißwein getrunken und Zigarren geraucht.“
„Du meinst, wenn mich deine Frau fragen sollte?“
„Ja.“
„Es geht also nur um deine Frau?“
„Ja.“
„Gut. Wie du meinst.“
„Alles klar, mein Freund.“
„Ist gemacht. Du wirst schon wissen, was du machst, Helmut.“
„Weiß ich, weiß ich.“ Lacht Gerstenecker. „Meine Frau darf keinesfalls dahinterkommen, dass ich eine Geliebte habe. Sie würde mich rigoros aus der Firma werfen, wie ich sie kenne.“
Fröhlich grinst: „Also, dann, Helmut, übernimm dich nicht!“
„Ich mich übernehmen?“
„Nun ja, die jungen Frauen können einen schon in Fahrt bringen.“
„Meinst du?“
„Ja, ich denke schon.“
„Du machst dir um mich Sorgen?“
„Ein wenig.“
„Irgendwann spielen wir schon wieder Schach.“
„Das denke ich auch.“
Die Sache steigt.
03
Ich habe schon längere Zeit eine nette, kleine Freundin in der Birnengasse 12. Welch ein Zufall! Und ich habe zugleich seit etwa drei Jahren mit der Frau meines Chefs ein sexuelles Liebesverhältnis. Ich habe längst genug von ihr, aber sie schafft es immer wieder, mit ihr ins Bett zu steigen. Der Grund dafür ist der, dass sie mich erpresst:
„Wenn ich es Helmut erzähle, wirft er dich fristlos raus.“
„Würdest du es ihm wirklich erzählen, Hannelore?“
„Ja. Aber nur dann, wenn du dich mir verweigern würdest. Wie gesagt.“
„Ich würde mich dir doch niemals verweigern!“
„Dein Glück, mein Freund.“
„Ich stehe doch auf dich!“
„Ich auf dich auch. Und du weißt es. Also, halte deinen Mund.“
„Er braucht es meinetwegen niemals erfahren!“
„Dein Wort in Gottes Ehre.“
Ich schaue sie von der Seite an: ihre besten Jahre hat sie längst hinter sich. Sie ist eine ehemals sicherlich wunderschöne Blume, die langsam, aber sicher, verblüht. Ihr harter Beruf als Firmeneigentümerin hat sie im Laufe der Zeit alt gemacht. Sie wirkt etwas verhärmt und auch verbittert. Sicherlich musste sie in ihrem Berufsleben schon viele Schläge hinnehmen.
Ich hätte mich nie mit ihr einlassen dürfen. Wenn ihr Mann davon wüsste, würde er mich bestimmt aus seinem Haus entfernen. Und meinen Job wäre ich dann auch los. Aber das letzte Wort hätte immer noch sie.
Nur sie allein.
Denn sie entscheidet.
Vielleicht würde sie sich sogar von ihm scheiden lassen. Und mich würde sie weiterhin beschäftigen.
Als Chauffeur... und als...
... ihren Liebhaber.
Ich darf gar nicht daran denken.
Meine kleine Freundin in der Birnengasse 12 weiß natürlich nichts von meinem Verhältnis zu meiner Chefin. Aber ich denke, es würde ihr gar nichts ausmachen, wenn ich ihr davon erzählen würde.
Denn sie ist abgebrüht.
Abgebrühter, als meine Chefin und ich zusammen.
#
Es ist soweit.
Der Mittwochabend ist angebrochen.
Um halb acht fahren Herr Dr. Gerstenecker und ich los. Er sitzt wie immer hinten in seinem dicken Mercedes und dampft eine seiner pompösen Zigarren. Er lässt es sich schon sehr heraushängen, dass er der Geschäftsführer des Ladens, der seiner Frau gehört, ist. Um zehn Minuten vor acht Uhr erreichen wir die Birnengasse 12. Eine junge, dunkelhaarige Frau winkt bereits am offenen Fenster.
„Verflucht!“ Schimpft Gerstenecker. „Was für ein Leichtsinn von ihr. Das muss ich ihr noch austreiben.“
Ich antworte nicht darauf, wie es sich geziemt, werfe noch einen kurzen Blick zu der jungen Frau und verabschiede mich von meinem Boss. Ich öffne ihm die Türe und fahre mit der Nobelkarosse schnurstracks – ohne Licht - zu Dr. Fröhlichs versteckt liegendem Haus.
Dr. Fröhlich blickt gerade aus dem Fenster. Er winkt mir zu. Ich warte etwa eine Stunde, im Wagen sitzend. Die Sitzheizung ist aktiviert. Die Zündung ist an. Ich rauche zwei, drei Zigaretten und dann starte ich den leisen Motor des Wagens. Ich fahre – ohne Licht – zu meinem Appartement. Dort stelle ich das Fahrzeug etwas abseits ab, so dass man es von der Straße her nicht sehen kann, und laufe die paar Schritte nach Hause. Ich gehe in meine Garage und schwinge mich auf mein schweres Motorrad. Ich fahre – ohne Licht - gemächlich zu Dr. Gersteneckers Villa.
Natürlich hoffe ich, dass mich keine Polizeistreife aufhält. Was würde ich ihnen erzählen? Dass ich vergessen hatte, das Licht einzuschalten? Nun ja, es wird schon schiefgehen.
Bei Gersteneckers Villa angekommen, (die letzten hundert Meter hatte ich die abgestellte Maschine geschoben) stelle ich sie hinter der Garage ab und schlage vorsichtig - mit Gummihandschuhen bewaffnet - eine der kleinen Fensterscheiben ein, die sich neben der Türklinke der Terrassentüre befinden. Ich hätte das Haus natürlich auch mit meinem Schlüssel aufsperren können, aber dies wäre dann doch für die Polizei zu offensichtlich. Dieses Zimmer ist das Esszimmer, fünfzehn Meter vom Wohnzimmer entfernt.
Hannelore hört natürlich nichts. Sie hört wie üblich Musik. Aber sicher ist
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2014
ISBN: 978-3-7309-8357-7
Alle Rechte vorbehalten