Andere Weihnacht – Kleines Wunder!
Ich sitze im Schatten der Terrasse und schaue auf die Bucht unter mir.
Sacht streicht der warme Wind vom Atlantik hoch und trägt das Schreien der Möwen und leises Lachen zu mir hinauf.
Es wird heiß werden heute, das ist jetzt schon spürbar.
Mein Blick sucht ganz weit draußen im Ozean den Punkt wo das tiefe Blau mit dem Himmel verschmilzt….
Irgendwo dort draußen – nordöstlich – hinter Afrika, Spanien und Frankreich sind sie, die Höhen der Alpen, und dahinter ist meine Heimat, Deutschland.
Dort ist es jetzt weiß, meine Tochter mailte es mir gestern, sie haben Schnee, reichlich, dauerhaft, seit Tagen schneit es schon und der Wind ist eiskalt.
Es ist der Nordwind, der immer die schlimmsten Wintereinbrüche bringt, mit viel Schnee und eisiger Kälte…..
Ich vermisse das nicht – im Gegenteil: habe ja immer schon lieber geschwitzt als gefroren und wenn ich mir bewusst mache, wie es jetzt dort ist und das wir hier täglich selten unter 20 Grad haben…..nachts, versteht sich, denn tagsüber klettert das Thermometer locker auch mal über 30 Grad!
Nur EINE EINZIGE AUSNAHME würde ich mir wünschen, wenn es denn ginge: WEISSE WEIHNACHTEN…
Leider bin ich, was Weihnachten angeht, eine hoffnungslose Romantikerin,
und als ich noch in Deutschland lebte, war es für mich immer traurig, wenn es Weihnachten mal nicht weiß war! Es gehört für mich einfach dazu, bin damit aufgewachsen und Weihnachten ist ohne Schnee für mich einfach nicht …rund…!
Es wäre einfach ZU SCHÖN, wenn es mir gelingen würde, trotz der tropischen Temperaturen hier auf Martinique weiße Weihnachten irgendwie hin zu kriegen!
Und damit hatte ich es in mir… mein Geist blieb darauf konzentriert, der Gedanke an weiße Weihnacht ging mir nicht mehr aus dem Sinn.
Meine Gedanken schlugen Purzelbäume….ich überlegte sogar, ob ich nicht eine echte Nordmannstanne herkriegen könnte….
Das war natürlich totaler Quatsch, denn wenn diese Bäume in den Tropen wachsen und gedeihen könnten, dann gäbe es sie ja hier!!
Also kommt nur eine Kunst-Tanne als Alternative in Frage – doch die mag ich eigentlich gar nicht –
andererseits….wenn es sie mit natürlichem Duft gäbe – könnte doch sein…
Doch der Schnee – DAS ist nun ganz und gar unmöglich – so was ließe sich nur mit echten Schneekanonen bewerkstelligen und dann ginge das nur mit einem starken Dauer-Schneesturm, denn die Tropensonne würde jedes Schneefeld in Nullkommanix gleich wieder wegschmelzen….
Diese Fiktion scheidet also auch aus – tiefer Seufzer.
Doch die weiße Weihnacht in der Karibik will einfach nicht aus meinem Kopf raus, also erzähle ich Freunden und Bekannten davon.
Klar, dass sie mich alle auslachen. Sicher kennen viele weiße Weihnachten, immerhin gehört Martinique zu den französischen Kolonien und in Frankreich ist Schnee und Kälte genau so normal wie in Deutschland!
Seltsam – keiner scheint den Schnee zu vermissen – ich ja im Grunde auch nicht, ….doch an Weihnachten……
Als ich meinem Partner davon erzähle, lächelt er und meint nur – es war klar, das du irgendwann darauf kommst – du wärst nicht du, wenn es dir nicht doch fehlen würde.
Wenn du magst, dann können wir ja nächstes Jahr Weihnachten mal wieder Zuhause verbringen…
Wie er das sagt ….zeigt mir ganz klar, das er sich selber gar nicht mehr als Einheimischer sieht – er sagte…zuhause… dabei wurde er hier geboren!
Aber er hat dieses wunderschöne Tropenparadies mit 16 Jahren bereits verlassen und lebt seit der Militärzeit in Deutschland, blieb und heiratete eine deutsche Frau.
Doch das ist Vergangenheit, denn seit wir uns begegneten, stand fest, wir wollen unseren Lebensabend in der Karibik verbringen – einfach, weil das Leben hier leichter ist und wir großen Wert auf Lebensqualität setzen!
Nun ist das schon seit einiger Zeit unser Alltag, und wir haben diesen
Entschluss nie bereut!
Weihnachten unter Kokospalmen, mit dem Meer vor der Haustür –
Viele geben sehr viel Geld aus, um dies einmal zu erleben!!!
Und wir haben es und statt dankbar dafür zu sein, wünsche ich mir meine weiße Weihnachten!
Ich schimpfe mich selbst eine Närrin und versuche, meine fixe Idee zu vergessen!
Nicht jede Idee ist eine gute Idee und diese hier scheint schlichtweg unmöglich zu sein!!
Also verlagere ich meine romantischen Anwandlungen darauf, den Kindern im Heim davon zu erzählen.
Sie lieben meine Geschichten, jeden Abend gibt es eine und dies ist zu einem festen Ritual für sie geworden, damit lässt sich jeder Tag gut ausklingen.
Doch ich spüre, bei meinen Geschichten von der weißen Weihnacht haben sie doch echte Probleme – keines von ihnen kennt ja Kälte und Schnee!
Sie sind hier geboren, waren noch nie woanders und kennen daher nur ihre kleine Inselwelt.
Mein Versuch, ihnen zu erklären, wie ein Schneeball sich anfühlt und das er wie eine Kugel Kokoseis in den Händen schmilzt und wieder zu Wasser wird,
erzeugt nur ungläubige Blicke.
Und als ich erzähle, das dann ALLES unter einer Schicht aus kaltem Schnee verborgen ist und man darauf ganz toll mit Schlitten Abhänge herunterfahren kann, meinen sie, ich denke mir das alles nur aus.
Jetzt ist guter Rat teuer und ich suche in Gedanken nach einem Schnee-Ersatz, mit dem wir wenigstens was Ähnliches machen können!
Sei’s drum – ich will nun einmal weiße Weihnachten in der Karibik und auch wenn dies unmöglich scheint, habe ich einfach mit den Vorbereitungen angefangen.
Zuerst einmal muss für die Beleuchtung gesorgt werden. Viele Lichterketten werden nötig sein, um das *echte* Weihnachtsgefühl im und am Haus entstehen zu lassen. Also bestelle ich mithilfe meiner Kinder entsprechendes Zubehör –
was wir hier auf der Insel bekommen, wird meinen Ansprüchen einfach nicht gerecht – und überteuert ist es zudem, denn Saison-Artikel, noch dazu europäische, kann jeder Händler zum doppelten Preis verkaufen, weil er genau weiß, die Leute *brauchen=wollen* es unbedingt!
Als echte schwäbische Hausfrau ist da natürlich klar, das wird von meinen erwachsenen Kindern eingekauft und in einem Paket verschickt, das ist trotz aller Gebühren günstiger und besser! Ich platze fast vor Freude, als ich meine Einkäufe stolz meinem Partner vorführe!
Er stöhnt, schüttelt den Kopf und meint: „Du meinst das tatsächlich ernst mit der weißen Weihnacht hier – und ich habe auf die Fragen der Freunde gesagt, das sei sicher nur ein Scherz von dir gewesen!“
Zerknirscht schaute er mich an. “Ich hätte es besser wissen sollen. Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, dann tust du das auch! Und ich kann mir jetzt was einfallen lassen, wie ich aus der Nummer sauber wieder rauskomme!“
Leichter Ärger schwingt in seiner Stimme mit, dennoch fragt er mich:
„Wie hast du dir das denn nun genau vorgestellt? Es gibt ja wirklich wichtigeres zu tun hier, doch wenn du dir das als besondere Weihnacht für die Kinder ausgedacht hast, dann kann ich dich doch nicht alleine damit hängen lassen!“
DAS ist ganz mein Alfred: auch wenn mal was überhaupt nicht glatt läuft, er hat da die gleiche Einstellung wie ich – stets das Beste aus einer Sache zu machen!
Zärtlich umarme ich ihn und erzähle ganz genau, was ich mir alles überlegt habe.
Trotz mehrmaligen Kopfschüttelns meint er am Ende anerkennend: „Auch wenn das ne ganz verrückte Nummer wird, ich bin sicher, es wird ne tolle Sache. Du musst dir nur darüber klar sein, das du da was in Gang setzt hier bei und eventuell auch in den Leuten, und es wird an dir kleben bleiben –
und keiner kann dir sagen, was daraus dann noch wird –
im nächsten Jahr, meine ich!!“
Die nächsten Tage und Wochen sind voller intensiver Vorbereitungen.
Der Kunstschnee in Bahnen muss für die Fensterbänke zurechtgeschnitten werden, die Mini-Zypressen, die mein Tannen-Ersatz für die Außen-Deko sein sollen, werden mit rotem Filz umwickelt und mit Kugeln dekoriert
und mit den Kindern bastele ich aus Pinien- und Kiefernzapfen (einer reizenden Spende aus Deutschland), weiß beschneite Zapfen in dem ihre aufgespreizten Lamellen mit Kleister bepinselt und mit Zucker bestreut werden! So entstehen ganze Mini-Wälder auf Tabletts, die mit losem Schnee aus Salz bestreut werden.
Öllichter in roten Hüllen stehen zwischen mit weißem Lack besprühten Zapfen, Nüssen und allerhand anderen Deko-Artikeln auf den Fensterbänken, geweißte Zweige werden ebenfalls mit künstlichem Schnee bestreut und überall am und im Haus aufgehängt.
Die Kinder sind mit Feuereifer dabei, als wir aus Salzteig lauter Stern-Anhänger backen und mit roten Schleifen und Glöckchen an die Zweige hängen.
Täglich wird unser Haus ein wenig weihnachtlicher und sieht etwas mehr verschneit aus, woran die Eiszapfengirlanden aus weißem Volumenvlies an der Regenrinne einen großen Anteil haben.
Unterstützt werden meine Ideen durch Alfred und seine Freunde, die mit Freude die diversen Lichterketten und –Netze anbringen und alle gefährlicheren Arbeiten übernehmen. Schließlich soll keines der Kinder zu Schaden kommen.
Apropos Kinder: seit Beginn der Aktion habe ich immer wieder mal das Gefühl, es seien mehr geworden. Da es mir nach wie vor schwerfällt, die kleinen dunklen Gesichter mit den großen Kulleraugen auseinander zu halten, wundere ich mich nur und denk mir meinen Teil!
Inzwischen hat sich auch Hilfe eingefunden, über die wir uns sehr freuen, denn die Nachbarn, die anfangs alles nur verwundert beobachtet haben, scheinen Gefallen an der *winterlichen Verwandlung* unseres Hauses zu finden und so kommt es, das auf der überdachten Terrasse eine Menge großer und kleiner Leute Tontöpfe rot und grün bemalen und mit allerhand Zapfen, Grünzeug und weißen Ästen dekorieren, die dann später nicht nur unser Haus, sondern auch deren eigenen Eingänge verschönen sollen!
Wir haben mit meiner/unserer Idee einen richtigen *Boom* ausgelöst, ständig kommt Neues hinzu und es nehmen nicht nur meine Ideen mehr und mehr Gestalt an!!
Da es ja nicht möglich ist, Kunstschnee dauerhaft auf den Rasenflächen zu fixieren, dachte ich mir, wenigstens Schneemänner wollen wir noch am Hauseingang hinstellen und so bauen wir aus Styroporkugeln, Luftballons und Pappmaché mit viel Spaß mehrere kleinere und größere Schneemannfiguren, die zusammen mit Jutesäcken, den Besen und Lichtern unserer weißen Weihnacht den letzten Schliff gaben!
Drinnen stellten wir natürlich den großen künstlichen Tannenbaum auf (leider ohne Duft!) und er wird reichlich und innig liebevoll von uns allen dekoriert!
Im ganzen Haus sind weiße Zapfen, Zweige und mit Gewürznelken gespickte Orangen verteilt, deren Duft auch ohne Tannenzweige echtes Winter-Weihnachts-Gefühl aufkommen lässt!
Und die großen weißen beleuchteten Papiersterne, die aus jedem Fenster heraus ihr Licht in die Winternacht schicken, überstrahlen alles mit ihrem warmen Schein.
Der krönende Abschluss ist unsere gemeinsame Back-Aktion, bei der mich
etliche Nachbarsfrauen tatkräftig unterstützen und die mich dann doch noch
fast an den Rand meiner Nervenkraft bringen, weil unsere hiesigen *Weckenmänner* und die verschiedenen Rezepte für Gebäck dort doch eher unbekannt sind und es vieler Vorgespräche mit den Frauen bedarf, damit es nicht in ein einziges Chaos entartet, wenn die Kinder dabei sind und *mithelfen* wollen!
Dieses Weihnachtsfest ist uns Allen bis heute unvergessen, denn am Heiligen Abend erwartete uns eine ganz besondere Überraschung:
Ein wenig enttäuscht saß ich mit den Betreuerinnen und den Kindern zusammen bei Kinderpunsch und Tee und las ihnen aus der Weihnachtsgeschichte vor – immer wieder unterbrochen von den Übersetzungen einer befreundeten Lehrerin, die ins Kreolische übersetzte, das ich noch nicht konnte.
Alfred fehlte noch immer, er hatte mich am frühen Nachmittag angerufen und gesagt, es gäbe bei ihm eine geschäftliche Verspätung, er sei aber ganz sicher zur Bescherung zurück!
Langsam wurde ich unruhig, denn dies alles ohne ihn zu erleben, konnte ich mir absolut nicht vorstellen!
Immerhin war das Kinderheim für verlassene Kinder auf Martinique sein Lebenstraum, den wir gemeinsam in die Realität geholt hatten und noch weiter aufbauten, denn er verarbeitete damit seine eigene Kindheit!
Mehrfach versuchte ich ihn auf dem Handy zu erreichen – vergeblich.
Wahrscheinlich war es mal wieder leer – ich ärgerte mich, weil ihm das immer wieder passierte!
Draußen wurde es dunkler und die Kinder begannen zu quengeln –
wie überall, egal wo auf der Welt.
Um die Kinder abzulenken, zündeten wir alle Lichterketten, Girlanden und alle Kerzen an und begannen gemeinsam Weihnachtslieder zu singen……
Es sah alles schön und festlich aus, doch ich konnte mich nicht so recht daran erfreuen, als auf einmal eines der Kleinsten rief:“ schaut mal, was ist das denn da draußen???“
Ich folgte den Blicken und durch das aufgeregte Geplapper und zupfen an meinen Armen erkannte ich, das es schneite……
sachte fielen kleine Schneeflocken vom Himmel – das konnte doch gar nicht sein!!!!
Die Kinder drängten sich aufgeregt schnatternd an den Fenstern, und egal, wohin ich mich drehte, es schneite….
Ich rannte zur Haustüre und lief hinaus…..lief durch den Schnee ein paar Meter und drehte mich um:
Da sah ich es: Überall knieten Männer auf dem Dach…… rings ums ganze Haus verteilt, und schütteten aus großen Plastiksäcken überall künstliche Schneeflocken aus!
Alfred grinste breit und rief mir zu:
„Frohe Weihnachten, Liebes! Ich konnte doch nicht zulassen, dass du dir weiße Weihnachten wünschst und alles daran setzt, das für die Kinder wahr werden zu lassen und das Wichtigste fehlt!! Ich habe auch meine Kontakte nach Deutschland!“
Wir lachten und tanzten durch die Flocken – die Kinder waren total fasziniert, tollten umher, lachten und hüpften und versuchten die Flocken zu fangen –
und es war völlig egal, dass es kein echter Schnee war!!
Er kletterte runter und ich fiel ihm um den Hals: „Joyeux Noel, Mon Amour!“ raunte ich im ins Ohr „du bist und bleibst ein Schlitzohr – aber ein sehr liebenswertes!“
Er küsste mich und sagte sanft: „Schau in ihre Augen – DARUM wolltest du es – sie sind glücklich wie nur Kinder glücklich sein können – und das hast du gesät mit deiner verrückten Idee!! Ich danke dir das du so bist, wie du bist!!“
Und dann feierten wir mit den Kindern und allen anderen die noch vorbeikamen – so was ist dort normal! – gemeinsam unsere erste weiße Weihnacht in der Karibik – und nach den Weihnachtsliedern wurde es das, was es eigentlich sein soll: eine fröhliche Feier mit Musik und Tanz, ganz so, wie es der karibischen Mentalität entspricht!!
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2010
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