Prolog
Ich lebe von dir, obwohl du es nicht merkst. Manchmal nehme ich mir sogar jemanden aus deinen Reihen, und du denkst, es wäre nur ein trauriger Zufall. Aber so vieles auf dieser Welt ist kein Zufall, sondern Schicksal.
Und das ist für gewöhnlich ja unberechenbar. Ein gutes Beispiel bin ich - tot, und doch lebendig. Fast so, als hätte sich jemand nicht entscheiden können, was er mit meinen Leben machen sollte.
Ich dagegen weiß, was ich gewollt hätte. Ein gewöhnliches Leben mit Familie, vielleicht auch mit Gasthof, in meinem Zeitalter. Mit sechzig, vielleicht auch siebzig sterben und auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken.
Aber wir waren nicht im Himmel. Nein. Ich war genau das Gegenteil von dem, was ich wollte, und das eine verflucht lange Zeit. So ist das eben. Find dich mit allem ab, oder verrecke.
Wenn ich mir so den letzten Teil durchlese empfehle ich jedem, der noch halbwegs an seinem Optimismus hängt, niemals ein Vampir zu werden.
Alte Zeiten
Ich saß mit dem Reporter in dem kleinen Zimmer, das ich vor zwei Tagen gemietet hatte. Es war heruntergekommen und ziemlich spärlich eingerichtet, aber für die kurze Zeit die ich bleiben wollte reichte es völlig aus.
Bei dem Gedanken, jemanden meine Geschichte zu erzählen, wurde mit schon unwohl, aber ich hatte trotzdem vor sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wie würden die Leute darauf reagieren? Den meisten müsste ich wohl beweisen, das ich wirklich ein Vampir war. Sei’s drum. Dann tat ich das eben.
“Und sie denken tatsächlich, das sie das Blut anderer Leute trinken müssen um zu überleben? Ist das nicht ein wenig… nun ja, skurril?”
Und da war er ja auch schon: der erste Ungläubige.
“Ich lebe schon seid 200 Jahre mit dieser Denkweise, und sie hat sich niemals verändert. Natürlich habe ich auch anders probiert am Leben zu bleiben, aber nur Menschenblut gibt mir die Kraft und Energie, die ich brauche.”
Ich lächelte dem Reporter aufmunternd zu, aber weil das die Skeptik nicht aus seinem Blick verscheuchte, seufzte ich laut.
“Sie brauchen wohl einen Beweis dafür, das ich nicht übergeschnappt bin.”
Ohne auf eine Antwort zu warten hob ich die Hand, setzte meine Finger in die Position einer Kralle und bohrte sie in die Fläche des Tisches.
Die Geräusche drangen schnell an mein Ohr. Ein schreckliches Kratzen. Mein Gegenüber, wie er nach Luft schnappte und aufsprang. Und der Tisch, wie er in zwei Hälften zersäbelt auf den Boden knallte.
“Oh mein Gott!”, der Reporter taumelte erschrocken zurück. “Wie haben… wie haben…?”
“Ich ersetze den Schaden später.”, grinste ich. Dann wurde ich wieder ernst. “Bezweifeln sie immer noch, das ich ein Wesen der Nacht bin?”
Der Mann schüttelte den Kopf.
“Keineswegs“, hauchte er und sah mich überrumpelt an.
“Sie fürchten sich jetzt wahrscheinlich vor mir“, mutmaßte ich und hielt ihm die Hand hin “aber das hält sie doch nicht davon ab, meine Geschichte anzuhören, oder?”
Dem Mann stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Man wusste, was er dachte.
Soll ich die Hand nehmen, oder nicht?
Jedoch entschloss er sich, sich mir wieder zu nähern, und so nahm er auf seinem Stuhl platz. Aus seiner Tasche holte er ein Aufnahmegerät und betätigte einen Knopf daran.
“Sie können jetzt anfangen, zu erzählen“, sagte er mager.
Ich lächelte erneut. Er glaubte mir. Sogleich begann ich zu reden, und bei jedem Wort versank ich immer tiefer in der Vergangenheit, erlebte sie ein zweites Mal.
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2011
Alle Rechte vorbehalten