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Ein grauer Freitag. Herr Rottmann, der grimmige Postbote, brachte die Post wie jeden Tag der Woche hinauf in den zweiten Stock in die Atelierwohnung, deren Eingangstür fast immer ein Stück geöffnet war. Er klopfte zweimal, trat in den großen Raum, legte den Brief auf die Lehne des Sessels neben dem Klavier, tippte an seinen Hut, als er den Künstler nackt vor der Leinwand sitzen und in seine Arbeit vertieft sah, und verließ den Raum, wie er hineingekommen war, ohne ein Wort. Gelegentlich tranken sie zusammen ein paar Schnäpse, bevor er weiterzog, doch nicht heute.
Als Herr Rottmann die Treppe hinab schritt, hörte man seine Absätze hart auf dem Betonboden klacken, bis sie irgendwann verstummt waren.
Der Künstler hatte die ganze Nacht hindurch bei Kerzenlicht gearbeitet. Schlaflosigkeit und seltsame Gedanken hatten ihm Anlass gegeben. Merkwürdige Träume der letzten Monate waren so größzügig an fratzenhaften Gestalten gewesen, er wollte sie malen, jede einzelne, und mit der furchtbarsten von ihnen, die ihn immer und immer wieder heimsuchte, dem Schwarzen Crav, wie er sie nannte, hatte er diese Nacht begonnen. Ein finsterer Engel aus Pech und Blut mit Flügeln aus Kadavern und Knochen. Das Gesicht entstellt, verkrustet, mit Augenhöhlen ohne Augen. Er hatte diese Nacht wie im Rausch gemalt, fünf Stunden lang, und was Herr Rottmann gesehen hatte, mußte ihn wahrlich erschreckt haben. Sogar den Künstler selbst ängstigte der Anblick der großen Leinwand mit der hageren Gestalt.
Er erhob sich von seinem Hocker und ging hinüber zum Sessel, wo der Brief lag. Er öffnete ihn, doch er war verwundert, da weder seine Anschrift auf den Umschlag geschrieben, noch eine Briefmarke darauf geklebt worden war. Er faltete das Papier auf und begann zu lesen.


»Mir ist oft in meinem Kopf, als wäre dort nur Leere. Triste Dunkelheit, in der ich vergeblich umher irre auf der Suche nach einem Funken, der es wohl endlich vermag mich zu erleuchten, oder zu verbrennen, Was ihm eben lieber ist, denn mir ist´s gleich.
Ich renne gegen Winde, die mich schon längt fortgeweht haben, wie Laub ohne Ziel.
Ich griff nach Halt, doch alles war ohne Wurzeln, und es war, wie ich, fortgerissen im Sturm.
Er kommt. Er kommt und holt mich.
Ich kann ihn atmen hören.«



Als Herr Rottmann am nächsten Freitag das Attelier betrat, fand er den Künstler tot auf. Er lag in der Mitte des Raumes, nackt, umgeben von zwanzig Bildern, die er in der Woche gemalt hatte. Zwanzig Fratzen, die auf den kalten Körper starrten. Neben dem Leichnam lag der Brief.

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Tag der Veröffentlichung: 29.04.2009

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