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Ich kenne Claudia schon seit vielen Jahren. Wir waren immer beste Freundinnen gewesen. Nach der gemeinsamen Schulzeit, in der wir wirklich alles gemeinsam gemacht hatten, entschieden wir uns für das gleiche Studium an derselben Universität und bezogen zusammen eine Zweizimmerwohnung.
Ich weiß nicht, ob es an der WG lag, doch mit der Zeit lebten wir uns mehr und mehr auseinander. Eigentlich begann alles ganz harmlos. Aber was ist schon harmlos, wenn es um Schuhe geht?

Wir schlenderten nach unserer letzten Vorlesung durch die Stadt nach Hause, als mich ein herrlich hellblaues Paar Prada aus einem Ladenfenster anlächelte. Leider stand ein großes Preisschild daneben, das breit grinsend eine 299.90 präsentierte. Ich verliebte mich auf Anhieb in dieses hübsche Pärchen, und nachdem ich mit einem entzückten Aufschrei darauf aufmerksam gemacht hatte, ging es Claudia nicht anders. Wir hatten eben denselben Geschmack. Natürlich spielten diese Traumtreter nicht einmal annähernd in unserer Preisklasse und so mussten wir betreten weiterträumen.

Einen Monat später hatte Claudia Geburtstag. Stolz führte sie mir Muttis Geschenk vor. Es waren die hellblauen Prada! Ich war am Boden zerstört. Sie hatte tatsächlich die Frechheit besessen, sich meine Schuhe zum Geburtstag zu wünschen. Da hörte die Freundschaft auf. Ich hatte sie schließlich zuerst gesehen. Ich weiß nicht, ob ich sie jemals geschenkt bekommen hätte, doch da bis zu meinem Geburtstag ein weiterer Monat ins Land gegangen wäre, hatte sie mir nun jede Chance versaut. Denn nun würde ich als die Nachahmerin dastehen, was schlimmer wäre, als überhaupt keine Schuhe zu besitzen.

Tagtäglich trug Claudia ihre neuen hellblauen Prada. Und da wir tagtäglich zusammen waren, wurde ich tagtäglich mit ihnen konfrontiert. Dass sich meine Enttäuschung mehr und mehr in Wut verwandelte, ist wohl unter diesen Umständen verständlich. Zunehmend bekam ich das Gefühl, sie trüge sie mit voller Absicht – nur, um mich zu provozieren. Ihr scheinheiliges Angebot, ich könne mir die Schuhe gern mal ausleihen, trug nur dazu bei. Denn natürlich wusste nach spätestens einer Woche jeder, wem die Schuhe eigentlich gehörten.

In mir stieg das Verlangen auf, mich zu revanchieren. Claudia zeigte seit einiger Zeit gesteigertes Interesse an einem gewissen Marc, den wir regelmäßig in der Disko trafen. Bei Jungs hatten wir seltsamerweise nie denselben Geschmack. Aber Jungs sind ja auch nichts wirklich Wichtiges. Marc jedenfalls war leicht zu beeinflussen. Als sich mein Plan erstmal festgesetzt hatte, brauchte ich nur eine knappe Woche und ich hatte einen neuen Freund. Und Claudia Liebeskummer. Ich genoss die Zeit nach außen hin, auch wenn ich mir eigentlich im Klaren darüber war, dass Claudia mit den hellblauen Prada den besseren Schnitt gemacht hatte, während ich mich zum Schein mit diesem Idioten abgeben musste.
Es fiel mir nicht leicht und Marc war für einen Idioten nicht gerade unsensibel. Und bei wem heulte er sich mit seinen Beziehungsproblemen aus? Natürlich bei meiner besten Freundin Claudia. Und diese falsche Schlange nutzte das schamlos aus. Vermutlich hat sie ihm die unglaublichsten Lügengeschichten über mich erzählt. Jedenfalls bekam sie ihn rum und ich war wieder solo. Meine erneute Niederlage wurmte mich noch mehr, aber ich hütete mich, mir das anmerken zu lassen. Im Gegenteil: Ich machte Claudia glauben, es wäre das Beste, was sie je für mich getan hätte. Ein echter Freundschaftsdienst, weil ich nicht gewusst hätte, wie ich den anhänglichen Marc sonst auf so sanfte Weise losgeworden wäre. Ich versprach ihr, wie schon so oft, sie könne jederzeit mit meiner Hilfe rechnen.

Die Gelegenheit kam. Claudia und ihr Schatz wollten einen Wochenendtrip nach Berlin unternehmen, weshalb sie mich bat, ihre Tiere zu versorgen. Es ist erstaunlich, aber es braucht nur ein Wochenende und ein ganzes 200-Liter-Aquarium gibt jeden fröhlichen Tumult auf, um dem Betrachter einen Blick auf dreiundsechzig kleine, bunte Rückenschwimmer zu gewähren. Bei Claudias Rückkehr konnte ich weder ihr noch mir das plötzliche Bauchfrei erklären und hatte alle Mühe, mir wegen ihres Gesichtsausdrucks nicht in die Hose zu machen.
Es ist aber gar nicht immer ein ganzes Wochenende nötig, um solche Ergebnisse zu erzielen. Manchmal braucht es nur einen besonders tiefen Schlaf. Denn schon am nächsten Morgen fand ich meinen süßen Kanarienvogel Herbie für immer in der bequemen Rückenlage. Zwar wusste ich, dass in diesem Fall Strunz, Claudias hässlicher Kater, nur zu gern der Übeltäter gewesen wäre, dennoch bezahlte er die ihm entgangene Tat mit seinem Leben.
Nun war langsam Vorsicht angesagt und daher traute ich dem Braten nicht, als mir Claudia einen Tag vor meinem Geburtstag anbot, schon aus Vernunftsgründen das Kriegsbeil zu begraben, und sie mich zu einem Versöhnungsessen einlud. Ich zeigte ihr einen Vogel, als sie mir den Teller mit dem Gericht aus selbst gesammelten Pilzen vorsetzte. Sie vertauschte die Teller. Ich meinte, das sei ein alter Trick. Sie vermischte die Portionen. Es ist mir nicht klar, wie sie es geschafft hat, jedenfalls quälten mich die ganze Nacht unvorstellbare Bauchschmerzen.

Nun liege ich auf dem Küchenfußboden und schaue Claudia in die Augen.
„Happy Birthday, Anja“, stöhnt sie, dann wird sie wieder von Krämpfen geschüttelt.
„Danke.“ Mir geht es nicht besser.
„Strychnin?“, fragt sie.
„Genau.“
Sie lächelt: „Wir waren uns schon immer sehr ähnlich.“
„Stimmt.“ Auch ich muss lächeln.
„Glaubst du“, will Claudia wissen, „glaubst du ...“, sie muss husten, leidet unter Atemnot. „... glaubst du, wir haben das Falsche getan?“
Ich spüre, dass es das Letzte sein wird, was ich von mir geben kann. „Nein. Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen.“


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Impressum

Texte: Titelfoto: Aleksandr Frolov
Tag der Veröffentlichung: 06.04.2009

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