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Mein Keller ist mein Keller. Niemand außer mir hat das Recht, ihn zu betreten. Nicht jeder möchte es. Viele haben es schon versucht. Manche erhaschen einen kurzen Blick. Doch den wenigsten gewähre ich einen tieferen Einblick.

Selbst ich kenne nicht all seine verwinkelten Ecken und unergründlichen Tiefen, werde wohl nie jeden Winkel aufspüren können. Denn er ist groß und er reicht weit hinab. So bleibt er immer offen für neue Überraschungen und verschließt sich dem suchenden Blick.
Ja, verschlossen ist er, mein Keller, gut verschlossen. Nur ich habe den Schlüssel, der nicht immer passt und den ich oft nicht finde. Habe ich ihn bei mir, bin ich nicht immer sicher, ihn zu benutzen. Will ich ihn benutzen, fehlt mir hin und wieder die Sicherheit im Umgang mit ihm. Die Handhabung ist kompliziert.
Gelingt es mir, den Schlüssel im Schloss in der richtigen Weise zu betätigen, zögere ich meist, den ersten Schritt zu tun. Mal einen kurzen Moment, mal eine ganze Weile stehe ich dann vor der aufgeschlossenen Tür, bevor ich langsam die Klinke hinunterdrücke und die Tür so weit öffne, dass ich durch den entstandenen Spalt schlüpfen kann.
Nie weiß ich dann genau, was mich erwartet. Mal stehe ich einfach vor einer Wand, mal vor einer weiteren Tür, mal in einer dunklen Kammer, dann wieder in einem weiten Saal, den ich trotz seines trügerisch hellen Lichts kaum überblicken kann. Es kommt vor, dass ich nichts finde als einen absolut leeren Raum. Hier kann ich vieles hineinstellen, doch ob es dauerhaft dort bleibt und ob ich es je wiederfinde, wage ich nie vorauszusehen. Manchmal stürzen tausende von Dingen auf mich ein, die es mir unmöglich machen, sie zu ordnen. Selten finde ich mich zurecht.
Immer ist es ein Wagnis, in meinen Keller hinabzusteigen. Mich treibt die Neugier, nicht selten die Notwendigkeit. Ich suche ihn auf, um etwas Bestimmtes oder Unbestimmtes zu suchen. Oder um es zu finden. Manchmal einfach nur so. Ich freue mich, wenn ich etwas auftreibe, das mir Mut macht, und weiß doch, welche Gefahren dort lauern. Genauer: Ich weiß nicht, welche es sind, doch die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es gefährlich ist.
So durchwate ich ein Wechselbad aus Freude und Angst, mache ich mich auf den beschwerlichen Weg dorthin. Denn wie fast jeder Keller ist mein Keller mehr als nur ein Keller. Also ein ganz typischer, wenn auch mein ganz eigener. Er ist eben nicht nur Abstellkammer für Gerümpel und alte Erinnerungen. Hier warten manchmal gute Bekannte, manchmal aber lauern dort auch meine meist gefürchteten Monster. Immer, wenn ich denke, alles zu kennen, tun sich mir neue Rätsel auf. Unergründlich ist er, mein Keller, und auch unerschöpflich.

So liebe ich ihn und hasse ihn zugleich. Denn meist bin ich allein in ihm. Oft will ich dort auch allein bleiben. Doch es heißt, und wahrscheinlich stimmt das auch, es sei nicht gut allein zu sein. So gebe ich den Schlüssel zu meinem Keller manchmal aus der Hand. Nicht immer ist das so gewollt, oft ist es nicht freiwillig. Auch habe ich den Verdacht, dass sich manch einer heimlich einen Zweitschlüssel anfertigt. Vielleicht braucht der eine oder andere gar keinen Schlüssel, um den Weg hineinzufinden. In jedem Fall ist es unrecht. Doch es gibt kein Gesetz, das mich schützen könnte. Ich habe auch nicht immer etwas dagegen. Aber fragen könnten sie schon.

Immer häufiger bist du es. Mal führe ich dich in meinen Keller, mal begleitest du mich einfach und nicht selten schlüpfst du von mir unbemerkt hinein. Du hilfst mir, die Einsamkeit aus meinem Keller zu vertreiben, die ich hasse und liebe. Wenn ich beginne sie zu vermissen, verteidige ich sie, um dich gleich darauf zurückzurufen. Gemeinsam wandern wir dann durch meinen Keller. Ich zeige dir, was ich dir zeigen will und du findest, was du finden willst. Oft zeigst auch du mir Dinge. Dinge, die ich übersehen, Dinge, die mir verschlossen. Dinge, die ich nicht sehen wollte. Manchmal tut dein Blick gut, doch oft schmerzt er auch. Er interessiert sich nicht immer für dieselben Dinge wie ich und vieles, was sich ihm öffnet, bleibt mir wohl für immer verschlossen.
Vor allem hoffte ich, dass du meine Monster nicht findest. Je mehr ich es fürchtete, desto mehr war ich gezwungen, mich ihnen zu stellen. Aus Angst, du könntest sie entdecken, musste ich ihnen entgegentreten und sie hinter weiteren Türen verriegeln. Doch je weiter du stöberst, desto mehr verliere ich die Kontrolle, die ich nie gehabt und mir nur selten vorgetäuscht habe. Schon stehst du vor den Türen in den hintersten Ecken meines Kellers und horchst auf das Brüllen, das aus ihnen hervordringt. Schon greift deine Hand nach den Riegeln.
Sicher wirst auch du nicht alle Türen öffnen können. Und nicht immer sind es Monster, die sie verbergen. Ich sollte froh sein, dass du es bist, die so weit in meinen Keller vordringt. Doch nicht immer gelingt mir das.

Kann ich es weiterhin zulassen? Ich weiß nur wenig über meinen Keller und vieles gefällt mir nicht. Ich bin nicht sicher, ob du nicht Weiteres findest, das mir nicht gefällt. Vielleicht sind Dinge darunter, die auch dir nicht gefallen. Verliere ich dich dann? Oder verliere ich dich, wenn ich versuche ihn vor dir zu versperren? Vielleicht verliere ich mich.
Doch vielleicht lerne ich meinen Keller in deiner Begleitung besser kennen. Dann teilst du mit mir die Freuden, die sich dort verstecken und stehst mir bei gegen die Monster. Schön wäre es. Und doch bleibt ein wenig die Angst.

Und wie ist es mit deinem Keller? Es scheint, als stünde die Tür weit offen. Oft dachte ich schon, ich hätte hindurchgeschaut, hinein in deinen Keller. Ich wagte einige Schritte und wähnte mich bereits in seinen Tiefen. Gerade war ich mir sicher, ich würde mich auskennen. Doch erkennen musste ich, dass ich noch immer vor der scheinbar geöffneten Tür stehe. Mir fehlt wohl doch der richtige Schlüssel. Hältst du ihn zurück oder habe ich ihn nur noch nicht gefunden?


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Texte: Cover: © Dusan Dobes
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2008

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