„Ich dachte, wir essen bei dir“, hatte sie auf die Frage nach ihrem Lieblingsrestaurant geantwortet. Freudestrahlend hatte ich zugesagt. So viel Intimität gleich bei der ersten Verabredung. Das war kaum zu hoffen gewesen. Romantische Musik, Kerzenschein, ein leckeres Abendessen und dann ...
Moment! Mit dem Essen stimmte etwas nicht. Wer sollte es zubereiten? Ich etwa? Mit Dosenfraß würde sich Sonja sicher nicht zufrieden geben. Und das einzige, was ich bisher gekocht und nicht nur aufgewärmt hatte – vom Kaffee einmal abgesehen – waren Nudeln mit Ketchup. Ist ja auch ganz einfach: Nudeln in einen Topf, mit Wasser bedecken, Herdplatte an, irgendwann abgießen, Teller, Ketchup, gut. Nicht sehr beeindruckend.
Anna musste helfen. Sie hatte doch immer alles für mich getan.
Sie knallte den Hörer auf, bevor ich mit meiner Bitte ganz am Ende war. Sie hatte sich aber auch sehr verändert, seit ich sie zwei Wochen zuvor vor die Tür gesetzt hatte. Sonja sah nun mal besser aus. Und sie wollte etwas essen. Ich würde kochen lernen müssen. Bis Freitag. Morgen also.
Erstaunlich, wieviele Kochbücher es gibt. Selbst für Anfänger. Ich musste mich beraten lassen. Man empfahl mir eine dicke Kochschule, in der jedes Rezept reich bebildert Punkt für Punkt erklärt wurde. Da konnte man wohl nichts falsch machen.
Guten Mutes kehrte ich nach Hause zurück und vertiefte mich in das heilige Buch. So viele schmackhafte Sachen. Jetzt packte mich der Ehrgeiz, und nachdem ich etwa zwei Stunden geblättert hatte, entschied ich mich für Schweinebraten mit Rosenkohl und Salzkartoffeln.
Bis auf Salz, Pfeffer und Wasser musste ich alles einkaufen: Schweinebraten, Öl, Zwiebeln, Möhren, Lorbeerblätter, Rosmarin, saure Sahne, Rosenkohl, Butter, Muskat und Kartoffeln. Außerdem einen Bratentopf, einen kleinen Topf und ein scharfes Messer.
Um zwanzig Uhr wollte Sonja erscheinen. Glücklicherweise war im Rezept die Zubereitungszeit angegeben und so begann ich mit meiner Premiere als Sternekoch rechtzeitig um sechzehn Uhr:
Zwiebeln vierteln.
Kein Problem. Aber das neue Messer war wirklich scharf. So etwas kannte ich gar nicht. Pflaster drauf – Indianer sind hart im Nehmen!
Geschälte Möhren in grobe Stücke schneiden.
Möhren schälen? Hallo? Wo bitte ist hier eine Schale? Wahrscheinlich hatte man sie schon beim Bauern oder im Supermarkt geschält – küchenfertig. Also, alle drei Möhren einmal durchgeschnitten.
Kartoffeln schälen, waschen und mit kaltem Wasser bedecken.
So muss eine Schale aussehen. Trotzdem war es nicht einfach mit dem großen Messer – und irgendwie sahen die Kartoffeln nach meiner Behandlung merkwürdig eckig aus. Egal. Nicht aufgeben. Schließlich geht es um was.
Rosenkohl putzen: fleckige und äußere Blättchen entfernen. Strunk etwas kürzen und kreuzweise einschneiden.
Ich fand die Blättchen alle ziemlich fleckig. Was sollte denn da noch übrig bleiben? Nach ungefähr der Hälfte des Rosenkohls schaute ich auf die Uhr. Die Vorbereitungszeit war in dem Buch mit dreißig Minuten angegeben. Jetzt war es achtzehn Uhr. Nun konnten mich die Blättchen kreuzweise! So gab es später wenigstens überhaupt noch was vom Rosenkohl zu essen.
Kochplatte auf starke Hitze schalten.
Super! Das klang nach Action!
3 EL Öl in dem Bratentopf erhitzen.
Ja, das dampfte schön! Ich wartete noch zehn Minuten.
Fleisch von allen Seiten kräftig anbraten.
Autsch! Das spritzte aber! Der Herd, die Wand, eigentlich die ganze Küche inklusive meiner Kleidung und meines empfindlichen Gesichts trieften vom Fett. Nur im Topf war keines mehr. Leider hatte ich ihn durch die körperliche Reaktion auf den plötzlichen Schmerz auch noch von der Herdplatte geschubst und mit dem angehenden Braten auf den keineswegs sauberen Küchenboden befördert.
Nach einiger Überlegung beschloss ich das Fleisch nicht weiterzuverwenden und Ersatz zu beschaffen.
Diesmal wartete ich nicht so lange mit dem Öl und drehte den Braten mehr oder weniger geschickt im Topf, bis er eine knusprig schwarze Farbe hatte.
Gemüsestücke zugeben und ca. drei Minuten mitbraten.
Wunderbar. Nur der Topf war wohl doch ein bisschen klein. Aber mit etwas Gewalt bekam ich alles unter.
Vorsichtig einen halben Liter Wasser aufgießen.
Diesmal war ich wirklich vorsichtig.
Lorbeerblatt und Rosmarinzweig hineingeben. Pfeffern. Aufkochen. Kochplatte auf geringe Hitze herunterschalten. Deckel aufsetzen. Bis zu drei Stunden schmoren.
So viel Zeit hatte ich nicht mehr! Viertel vor sieben. Also: doppelte Hitze, halbe Zeit!
Kartoffeln in einen Topf geben und mit kaltem Wasser bedecken.
Scheiße! Die waren doch schon im Topf: Gemüsestücke zugeben und ca. drei Minuten mitbraten.
So hatte es da gestanden. Ich schaute mir nochmal das Bild an. Es waren nur die Möhren und die Zwiebeln zu sehen – dass die Möhren kleiner geschnitten und die Zwiebeln ohne Schale waren, registrierte ich nur am Rande. Also, die Kartoffeln und auch den Rosenkohl wieder aus dem Bratentopf gefischt – verbrannt hatte ich mich ja heute schon – alles abwaschen und weiter im Text!
Leicht salzen. Zugedeckt bei starker Hitze aufkochen. Bei geringer Hitze ca. zwanzig Minuten garen.
Es könnte bis acht Uhr klappen.
Wasser in einem großen Topf zum Kochen bringen. Rosenkohl hineingeben und ca. 7-10 Minuten sprudelnd kochen lassen. In ein Sieb schütten.
Mann, das dauerte vielleicht, bis das Wasser kochte. Als es so weit war, sollte ich schon wieder die Kartoffeln abgießen und auf der heißen Herdplatte abdämpfen.
2 EL Butter schmelzen und den abgetropften Rosenkohl darin schwenken. Leicht salzen, pfeffern und mit einer Prise Muskat würzen.
Gerade fragte ich mich, ob der schärfer werdende Geruch aus dem Topf mit meinem Turbobraten normal sei, da klingelte es an der Tür.
Vor Schreck schwenkte ich den Rosenkohl weit über den Topfrand hinaus – das müsste ich später korrigieren – schloss die Küchentür und versuchte, beim Einlassen Sonjas möglichst entspannt auszusehen.
„Was stinkt denn hier so?“
„Das muss so“, versuchte ich zu überzeugen. „Da muss nur noch Sahne ran. Ist gleich fertig.“
Sonja schien mir nicht zu vertrauen, rannte dem Geruch nach, in die Küche, schaffte es mit gekonnter Körperbeherrschung nicht auf dem Rosenkohl auszurutschen, hob den Deckel des Bratentopfes, verharrte einen Moment und brach dann in schallendes Gelächter aus.
„An den schwarzen Klumpen brauchst du keine Sahne mehr verschwenden! Und die Kartoffeln bekommst du vermutlich nie mehr aus dem Topf raus. Der Rosenkohl sieht gut aus, aber da hapert es an der Präsentation. Ich würde vorschlagen, wir essen außer Haus!“
Für diesen Vorschlag war ich sehr dankbar. So wurde es noch ein gemütlicher Abend. Allerdings hätte Sonja auch vorschlagen können, die Kochplatten auszuschalten. Aber mit den Töpfen konnte ich ja sowieso nichts anfangen.
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Texte: Cover: © Andreas Stix / PIXELIO
www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2008
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