Immer neue Verbote – es mit Duldermiene ertragen? Früher gab es lediglich 10 Gebote. Das nimmt überhand. Mit Verboten die Verbotsrepublik verhindern? Was ist geboten? Wird nun jeder unweigerlich zum Rebellen?
"Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten", meinte bereits Rousseau. Wird die Welt dadurch interessanter? "Was man nicht darf, das will man." Überall tun sich plötzlich Verlockungen auf. Mit einem Verbotsschild sieht alles verboten gut aus. Verbotene Früchte stibitzen.
Praktiziert der Staat umgekehrte Psychologie mit seinen Bürgern? Suggestionen und Bitten können da nicht mithalten. Ein direktes Verbot ist wie ein Affront, eine Aufforderung, genau das jetzt zu tun oder zu wollen. Unbedingt! Es ist also gar nicht der Kontrollwahn des Staates. Den Bürger vor allzu großer Freiheit schützen.
Nächste Stufe: Verbote, die automatisch durchgesetzt werden. Das Auto, das sich weigert zu starten, wenn man zu viel getrunken hat. Die Waschmaschine, die sonntags den Dienst verweigert. Der Kühlschrank, der nach 22 Uhr keine Süßigkeiten mehr herausgibt.
Aufforderung zum Kreativsein, sich Schlupflöcher suchen? Fifty Shades of Grey Zone. Grauzonen florieren. Fifty Shades of Moral Grey. Der Mensch wird zum Mini-Revoluzzer. Erst revoltiert man innerlich gegen immer neue No-Gos. Nichts geht mehr – rien ne va plus? In so einer Atmosphäre gedeihen die Tabus prächtig.
Ist man ein Leisetreter, nimmt man das so hin? Für Gesinnungsakrobaten kein Problem. In der Verbotsrepublik behält man seine Meinung besser für sich. "Das Dogma ist nichts anderes als ein ausdrückliches Verbot, zu denken", meint Ludwig Feuerbach. Moraldogmen grassieren. Da wächst kein Gras mehr auf den verbotenen Terrains. "Je mehr Verbote, umso ärmer das Volk", meint Laotse.
Okay, wir sind nur geduldete Gäste auf diesem Planeten. Man sollte sich anständig verhalten. Aber die Natur verbietet uns weitaus weniger als der Staat. Sie ist da lässiger. Verbote prallen bei der Natur ab, sie lässt sich nicht dreinreden. Sich auf seine eigene Natur besinnen, nicht mehr so außengelenkt sein. Frohnatur sein.
Autoritäten lieben Verbote. Gebote gelten als nicht so wirksam. Befolgt man selber das Gebot der Fairness, der Höflichkeit? Für einen selber gelten auch allerhand Gebote: Das Gewissen denkt sich ständig neue aus.
"Du sollst Dein besseres Ich öfter einladen – auch wenn's schüchtern ist." "Du sollst nicht zwischen Prinzipien und Praktikabilität wählen."
Übersieht man bei all den Verboten das Gebot der Stunde? Verbote schaffen Identität: Man definiert sich nicht darüber, was man darf, sondern darüber, was man nicht darf. "Ich bin der, der nicht falsch parkt", "Ich bin der, der nach 22 Uhr nicht mehr staubsaugt".
Wie gehorsam war man? Schafft das die erwünschte Selbstzufriedenheit? Der treueste Befolger aller Richtlinien? Fühlt man sich bereits als Anarchist, wenn man ein Parkverbotsschild ignoriert? Verlangt etwas in uns mehr Regelungen, Verordnungen, Genehmigungen? Der Anschein, dass alles geregelt ist. Es gibt ein Verbot dafür und ein Formular. Hurra!
"Die Freiheit stirbt zentimeterweise", warnte bereits George Orwell. Peu à peu wird es enger. Ordnung ist das halbe Leben – aber doch bitte nicht das ganze!
"Verbote sind wie Medizin – in kleinen Dosen heilsam, in großen Mengen tödlich", frei nach Paracelsus. Aber wer untersagt das dem Staat? Der macht munter weiter; er stellt Verbots-Rekorde auf. Und jede Menge Verbotsschilder. Andererseits erlaubt er sich so einiges.
Man sollte Schritt halten – sich ebenfalls Verbotsschilder für seinen Alltag besorgen: "Betreten verboten – außer mit Snacks!", "Hier regiert die Logik – aber sie ist gerade in der Mittagspause", "Kreatives Chaos. Aufräumen strengstens verboten!". So kommt man besser über die Runden.
Verbote und Gebote für Kreative – für all diejenigen, die die Deadline fürchten: "Du sollst keine Projekte anfangen, um andere Projekte zu vermeiden", "Du sollst Deinen inneren Kritiker nicht zum Chefredakteur befördern", "Du sollst nicht vergessen, dass Spieltrieb Dein wichtigstes Werkzeug ist".
Verbote und Gebote für Influencer: "Du sollst kein Selfie am Abgrund machen – weder wörtlich noch metaphorisch", "Du sollst nicht den Algorithmus anbeten", "Du sollst nicht jede Reise in 47 Insta-Stories zerstückeln".
"Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Verlernt man das so nach und nach, wenn um einen herum die Verbote wuchern? Überall moralische Tretminen. Das Verbieten als Nationalsport. Ein Wald mahnender Zeigefinger.
"Denken verboten!" als großes Ziel der Cancel Culture. Das müsste doch zu schaffen sein. Statt Ghost Riders in the Sky: Paragrafenreiter. Hoffentlich gehen ihnen nicht die Pferde durch.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2025
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