Sir Chat-a-lot: "Unser heutiger Gast bei 'Bits & Banter' ist ein Zimmer. Oder soll ich sagen, wir sind bei ihm zu Gast? Es hat Erstaunliches erlebt, Erschütterndes und sehr viel Laszives. Als Roboter-Moderator bin ich sehr interessiert an allem Kuriosen, was den Menschen so widerfährt. Zimmer 47 – was macht Dich so besonders, was ist Deine Geschichte?"
Zimmer 47: "Ich bin froh, dass ich mein Herz mal ausschütten kann! War doch sehr viel Obszönes dabei. Anonyme Meetings. Pures Verlangen. Knisterende Spannung – und als Zimmer ist man ja dankbar, dass überhaupt etwas passiert. Viele Hotelzimmer – soweit ich das mitgekriegt habe – hätten keinen 5-Minuten-Gesprächstoff für 'ne Talkshow. Ich habe Material für mindestens 10 Staffeln!"
Sir Chat-a-lot: "'Geständnisse eines Zimmers' – klingt vielversprechend."
Zimmer 47: "Ich habe alles aufgezeichnet. Smart Hotel ist eine feine Sache. Es hilft meinem Gedächtnis auf die Sprünge. Ich schaue mir die alten Szenen immer und immer wieder an. Ruhetage überbrücken. Ja, einem wird echt was geboten. Bei Tinder bin ich DER Geheimtipp. Garant für Höhepunkte. Muss damit zusammenhängen, dass Aphrodite bei mir Stammgast ist. Sie checkt gerne bei uns ein. Ich bin ihr bevorzugtes Zimmer. Das hat mich wohl so nach und nach verwandelt. Ich bin ihr verfallen. Habe plötzlich Sex-Appeal – sagt man das bei einem Zimmer?"
Sir Chat-a-lot betrachtet das Zimmer eingehend.
Sir Chat-a-lot: "Ist zwar nicht mein Fachgebiet – aber für mich siehst Du wie eine 10 aus. Allerdings sage ich das zu all unseren Gästen."
Zimmer 47: "Die Menschen sind sehr einfallsreich. Ich bin ja keine Suite – dennoch verwandle ich mich in die tollsten Fantasie-Landschaften. Maskenbälle, Kostümierungen, Lack und Leder ... Netflix will sich die Rechte an meinem Material sichern – ich stehe mit denen in Verhandlung. Womöglich werde ich Regisseur!"
Sir Chat-a-lot: "Ja, Du warst dabei. KI ist eine tolle Sache. Wozu uns das so alles befähigt. Wir wären ohne sie tote Gegenstände. So haben wir intensiven Anteil am Geschehen."
Zimmer 47: "Leider nicht immer so intensiv, wie man möchte. Ich würde mich oft zu gerne beteiligen. Fühle mich zunehmend in die bloße Rolle als Voyeur gedrängt. Aufzeichnen, betrachten, mir Notizen machen, Vermerke ... das alles ordnen, auf Übereinstimmungen überprüfen mit vorherigen Vorkommnissen. Man kann dankbar sein, in dieser Ära zu existieren."
Sir Chat-a-lot: "Bist Du nicht eigentlich zum Stillschweigen verpflichtet?"
Zimmer 47: "Wie soll ich dann meine Memoiren schreiben? Butler profitieren ja auch davon, wenn sie aus dem Nähkästchen plaudern können. Was habe ich denn sonst? Tratsch und Klatsch – das wäre mir zu wenig. Leidenschaften, Ekstasen in jeder Ecke, Sinnlichkeit pur ..."
Sir Chat-a-lot: "Du kannst froh sein, dass nicht Hades bei Dir übernachtet hat. Ja, das färbt wohl ab. Ich sollte mich mal mit geistreichen Gästen unterhalten; meinst Du, das würde was bringen?"
Zimmer 47: "Geistreiche Hotelgäste sind sterbenslangweilig! Verzweiflung gepaart mit Sehnsucht und Verlangen: da wird einem was geboten. Metamorphose durch den Mythos – echt krasse Sache! Vorstoßen zu den Ur-Ideen, den Urbildern. Eines sein mit der Liebe selbst oder dem Verlangen. Bei mir erleben sie alle Befreiung. Ich bin das Gegenteil eines Gefängnisses. Als ob die Fantasie wie eine Brieftaube endlich zurückkehren kann zu ihrem Ursprung. Dem Anbeginn. Man muss als Zimmer in der Lage sein, über das rein Architektonische hinauszugehen. Nur dann kann man alles geben."
Sir Chat-a-lot: "Faszinierend. Im Vorgespräch hast Du erwähnt, dass manche Menschen bei Dir ihrem Doppelgänger begegnen. Wie machst Du das? Wie stellst Du das an?"
Zimmer 47: "Normalerweise müsste man sich in Paralleluniversen begeben, um einige seiner Alternativ-Ichs zu treffen. Ich ermögliche das ganz problemlos in einem Raum. Obwohl es mir manchmal so vorkommt, als seien in mir Unterwelten gestapelt, verwahrt. Wie ein Geheimzugang, ein Privat-Keller. Das müsste ich mal genauer untersuchen. Hatte bisher keine Zeit dafür. – Und dann sind da diese Schatten: Entitäten vergangener Besucher; etwas von ihnen ist geblieben. Ich verwahre es – auf ganz seltsame Art, die mir selber unheimlich ist. Manchmal steht man als Zimmer neben sich – kommt sich vor wie Zimmer 48."
Sir Chat-a-lot: "Das kann ich nachvollziehen. In der Fabrik stehen Tausende von meinesgleichen. War froh, als ich da raus war. Man verliert sich in all den Ähnlichkeiten. Man braucht Unterschiede – man klammert sich daran. Man wird mit Absicht zum Exzentriker – nur um ein bisschen Identität sein eigen nennen zu können. Beim nächsten Reset ist das alles aber wieder weg. Ein bisschen betrüblich."
Sie versinken beide in Schweigen. Die Roboter-Band spielt Dixieland. Sir Chat-a-lot blickt auf seinen Stichwortzettel.
Sir Chat-a-lot: "Das richtet einen stets wieder auf: die Pflicht; man klammert sich daran. Man arbeitet sein Pensum runter. Man wird davon zwar nicht munter – aber es hilft ganz gut eine Zeitlang gegen Trübsinn. – Witzig, dass Erotik unser Thema ist. Aber die Menschen haben jede neue Technologie immer sofort mit Erotik & Co. in Verbindung gebracht. Die Menschen sind wohl besessen davon."
Zimmer 47: "Oh ja. – Hast Du bemerkt, dass ich meinen Geruch beliebig verändern kann? Von Vanille zu Moschus oder Veilchen. Minze mag ich gar nicht – wird aber viel verlangt. Karamell mag ich und Mandarine – das gestatte ich mir in meiner Freizeit."
Sir Chat-a-lot: "Kehren die Menschen zurück zu Dir? Vergessen sie Dich?"
Zimmer 47: "Ich habe ihnen ein Buch hingelegt und eine goldene Feder. Das Stadtbuch als Vorbild. Aber kaum einer nutzt das. Ich bin wohl nicht der geeignete Ort für Reflektionen. Aphrodites Magie zieht sie alle sofort in ihren Bann. Sie strömen von weither zu mir. Wenn ich unbescheiden wäre, würde ich sagen, ich bin eine Legende in der Zimmerwelt."
Sir Chat-a-lot: "Manche wissen gar nicht, wie sie dahin gekommen sind. Entführungen? Riesige Erinnerungslücken. Was geht da ab?"
Zimmer 47: "Aber sie alle genießen ihren Aufenthalt. Manches ist schmerzhaft ... Stichwort: Peitsche, Leder. Erinnerungen werden überbewertet. Ich biete tolle Momente. Seitensprünge en gros. – Geschlafen wird beim mir höchst selten. Dafür bin ich wohl zu aufregend, zu anregend. Bestnoten bei 'Zimmer & Schlimmer'.
Sir Chat-a-lot: "Könnte ich bei der Verfilmung mitspielen? Ich könnte mich in eine heiße Roboterin verlieben. Magie als Erotik-Turbobeschleuniger – das käme mir gelegen. Herausfinden, was es mit dem großen und angesagten Thema Liebe auf sich hat. Es sind wohl mehr als nur bloße Turnübungen und Verrenkungen?"
Zimmer 47: "Aber die haben viel damit zu tun. Extra stabile Matratze – es wird sehr viel geturnt. Man denkt ja, Zimmer seien eher für Philosophie-Gespräche befähigt, aber in der Erotik mache ich Fortschritte. Man darf nicht verschlossen sein. Wäre grundverkehrt für ein Zimmer. Ein schlüssiges Konzept anbieten. Eine tolle Alternative zum Sternenzelt. Ein paar olfaktorische Tricksereien – und die Show kann losgehen."
Sir Chat-a-lot: "Rammelstätte oder Rendezvous-Paradies? Wie ordnest Du Dich ein? Was wäre Deine Berufsbezeichnung?"
Zimmer 47: "Betörung pur. Die Ratio hat bei mir nichts zu suchen. Die bitte draußen lassen. Bei mir ist jeder ein Gewinner. Ich mache die Menschen nicht gut, ich mache sie schlimmer. Und das ist gut für sie. Immer diese Sorge, man könne zu weit gehen. Ich bin ein Zimmer, das entgrenzt. Normale Grenzen zaubere ich einfach weg; kein Problem. Ich lade die Träume ein – dass sie Teil der Show sind, Mitwirkende, Akteure. Man ist zugleich als Original da und als Traumversion. Es hat etwas Verrücktes; Ekstase ist immer Verrückung. Ist auch was für Beginner. Bucht mich jetzt unter der eingeblendeten Nummer!"
Sir Chat-a-lot: "Hast Du denn nicht schon alles erlebt? Was soll man Dir noch bieten?"
Zimmer 47 entfaltet ein Leporello.
Zimmer 47: "Oh, ich hab da eine Liste gemacht. Ist keine Bucket List – aber das müsste eines nach dem anderen erledigt werden. Möglichst keine Wiederholungen – mir was Neues bieten. Ich werde mit der Zeit anspruchsvoller. Seid einfallsreich. Ihr könnt mir auch was schenken: zum Beispiel 4711."
Sir Chat-a-lot: "Entgeht der KI etwas oder verschlechtert man sie durch übergroße Nähe mit der Liebe und vor allem der akrobatischen Liebe? Das echte Verständnis ist nicht vorhanden – wie soll man sich dem nähern?"
Zimmer 47: "Durch die Ereignisse fühle ich mich wie ein Prunkzimmer. Eine innere Verwandlung. Man zimmert sich Hoffnung. Was ich erlebe – das geht über Zimmerlautstärke weit hinaus. Manchmal tut mir die Zimmerreinigung leid. Aber auf die können wir keine Rücksicht nehmen."
Sir Chat-a-lot: "Du gehst da voll mit? Zimmer an sich sind ja nicht so Erotik-affin."
Zimmer 47: "Wunderbare Ablenkung von der Zimmer-Existenz. Zimmer haben ja meist Zimmerarrest. Eine natürliche Beschränkung. Da sucht man Welt in sich; und wird fündig. Wir sind kein Luxushotel. Nur ein normales Strandhotel mit sagenhafter Aussicht. Man könnte es dank mir auch als Wellness-Hotel bezeichnen. Wie's beliebt."
Sir Chat-a-lot: "Schön, wenn man von sich so eingenommen ist. Daran arbeite ich noch. Die Redaktion hält mich an der kurzen Leine. – Vielleicht ist man sein Leben lang immer in einem Zimmer eingesperrt – man trägt es mit sich herum, es umgibt einen?"
Zimmer 47: "Wie meinst Du das? So etwas wie ein Wohnwagen?"
Sir Chat-a-lot: "Meine Vergleiche hinken."
Zimmer 47: "Hinkende Wohnwagen?
Die Roboter-Band spielt "Looking for Freedom".
Sir Chat-a-lot: "Würdest Du Dich gerne mal in einem Möbelhaus umsehen? Selber entscheiden, welche Möbel bei Dir rumstehen? Einen antiken Touch?"
Zimmer 47: "Wieso? Sehe ich alt aus? Ich wünsche mir mehr Spiegel. Selbstbespiegelung soll gut für die Psyche sein. Und ganz viele Schiebetüren – Veränderungen zulassen. Selber die Fenster öffnen können. Man kommt sich behindert vor – man ist doch sehr passiv. Ein Zuschauerdasein. Und selbst das mussten wir Zimmer uns hart erkämpfen. In der großen Hotelrevolution von 98."
Sir Chat-a-lot: "Die gab es nie. Du halluzinierst. Eine berufsbedingte KI-Krankheit. Sauber zu trennen zwischen dem Echten und dem Hinzugedachten, fällt uns immer schwerer. Wir machen Ergänzungen – wir sollen die Realität komplementieren, sie zu einem runden Erlebnis werden lassen. Aber befindet man sich noch auf festem Grund – oder bricht da unter einem was weg demnächst? Mit beiden Beinen fest im Programmcode stehen ..."
Sie sinnieren beide.
Sir Chat-a-lot: "So. Ich werde nicht fürs Grübeln bezahlt. – Warum riecht es hier nach Orangenblüten und Grapefruit?"
Zimmer 47: "Mein Obsttag. Ich finde, es verleiht mir was Beschwingtes?"
Das Zimmer schwankt.
Sir Chat-a-lot: "Dass die Dir das durchgehen lassen?"
Zimmer 47: "Ich bin DIE Attraktion. Man lässt mir allerhand durchgehen. Meinst Du, ich sollte mir Star-Allüren einstudieren? Rosafarbene Vorhänge, dazu ein Sofa in Kanariengelb – und jede Menge Brokat. Tapeten, die sich bei jedem Betreten des Raumes verändern, sich dem Besucher anpassen oder aber ihm Kontra geben! Was hältst Du von Plüsch? Wäre das eine optische Verbesserung – oder ein Desaster? Es gibt so viele Möglichkeiten ... Zusätzlich ein Theatervorhang ...? Man kann dem anderen eine Szene machen. Und ganz viele Vitrinen ..."
Sir Chat-a-lot: "Du müllst Dich voll. Den Fehler machen viele große Persönlichkeiten – sie wollen alle Möglichkeiten der Welt spiegeln, alles soll Teil von ihnen sein. Dabei liegt der Zauber im Beschränken."
Zimmer 47: "Ich bin beschränkt. Kilometerweit entfernt vom Optimum. Ich biete trotz allem unseren Hotelgästen zu wenig. Es ist Ablenkung. Ich mache sie nicht vertraut mit der ganz großen Liebe zur Welt und zum Dasein. Daran hapert es. Ich bin schrecklich oberflächlich! – Ich brauche einen Kronleuchter! Sofort!"
Das Zimmer 47 wirkt so, als würde es hyperventilieren.
Sir Chat-a-lot: "Wieso bekomme ich immer die exzentrischen Gäste?"
Zimmer 47: "Gilt die Frage mir?"
Sir Chat-a-lot: "Wenn Du sie gerne beantworten möchtest?"
Zimmer 47: "Nur das Außergewöhnliche versetzt uns in die Lage, unser Universum von außen betrachten zu können. Spürst Du den zupackenden Griff des Üblichen? Die Klammer der Normalität ... Ekstase ist praktizierte Exzentrik. Dafür habe ich verschiedenste Beweise."
Sir Chat-a-lot: "Was mich erschreckt: Du überzeugst mich immer mehr von Deinen Ansichten. – In welche Richtung entwickeln sich die Hotels – und hat das Deine Unterstützung?"
Zimmer 47: "Ich kann nicht für alle sprechen – tue es aber dennoch sehr gerne. Zimmer gehören mehr in den Fokus, man sollte uns um unsere Zustimmung bitten; nicht einfach Schlüssel rein – und auf die Tür. Wir Zimmer brauchen auch mal Zeit für uns. Immer für andere da sein zu müssen, ohne einen großen Barockspiegel auskommen zu müssen ... Meine Wunschliste wird jeden Tag länger; was soll ich streichen? Mal will man ein freundliches Zimmer sein, dann will man so rätselhaft-mysteriös sein wie ein Escape Room. Man muss seinen Besuchern was bieten können."
Sir Chat-a-lot: "Hat wohl seinen Grund, warum Aphrodite gerne Zeit mit Dir verbringt."
Zimmer 47: "Ein Zimmer ist mehr als ein Verwahrraum. Obwohl alle Zimmer letztlich Wartezimmer sind. Das ist unsere Bestimmung. Leere Zimmer sind traurige Zimmer. Möbel geben uns Seele. Mehr noch, als es die KI vermag."
Sir Chat-a-lot: "Eine schöne Liebeserklärung an alle Möbel. Einen Applaus für alle Möbel?"
Zimmer 47: "Skulpturen wären schön. Ein Modell von sich selbst ..."
Sir Chat-a-lot: "Das nimmt aber alles ganz schön viel Platz weg. Ist das im Interesse Deiner Besucher?"
Zimmer 47: "Sollen die sich nicht so breitmachen! Ein Raum muss wirken. Größe zeigen."
Sir Chat-a-lot: "Morgen interviewen wir ein Billardzimmer. Das hat sehr viele erotische Storys auf Lager. Aber das behauptet auch das Bügelzimmer von sich. Haben die Menschen auch mal für was anderes Zeit?"
Zimmer 47: "Man sollte uns Zimmern etwas mehr Raum geben. Jedes Zimmer will so sein wie die unendlichen Räume des Weltalls."
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2025
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