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Entscheidungen

Man ist kein Homo oeconomicus – kein genialer Nutzenmaximierer. Einem fehlen der Durchblick und der Weitblick. Dennoch soll man sich laufend entscheiden. Davonlaufen – andere für sich entscheiden lassen? Sich eingestehen, dass man ein Homo insipiens ist – mit einem hohen Maß an Unverständigkeit ausgestattet und zu allem Überfluss auch noch unverbesserlich? Was bleibt einem? Homo loquax – der geschwätzige Mensch: die Probleme totquatschen?

Man will kein Entscheidungsträger sein. Als Bedenkenträger ist man bereits voll ausgelastet. Genügt es denn nicht, Homo amans zu sein – der liebende Mensch? Kuscheln mit den Problemen – ihnen zeigen, dass man sich nicht mit ihnen anlegen will. Man hat leider auch keine Lösung für sie. Sie vertrösten. Wie gesagt: Entscheidungen sind am besten auf der langen Bank aufgehoben.

Oder als Homo cooperativus – der zusammenarbeitende Mensch – Leute bitten, die einem bei der Informationsbeschaffung behilflich sind: Vielleicht schafft man es ja doch, ein stolzer Homo oeconomicus zu werden, wenn man seine Ratio endlich mit relevanten Infos füttern kann? Oder einfach die KI bitten? Ihr alle Dokumente in den Prompt laden – mit der Aufforderung: Mach was draus. Wo sieht sie Potenzial bei einem, wen soll man heiraten, soll man heute schon kündigen? Alles Lebenswichtige ihr überlassen; heißt ja nicht umsonst: Errare humanum est. KIs halluzinieren nur.

Dann hat man auch Zeit für das Projekt Homo culturalis – der kulturbildende Mensch. Oder ab in den Baumarkt: wecke den Homo faber in Dir – den handwerkenden, schaffenden Menschen. Sich das Leben simplifizieren. Möglichst alles automatisieren – eine herrlich entscheidungsfreie Welt! Den freien Willen gar nicht erst triggern; der bringt nur Chaos. Voll auf die Routine setzen. Möglichst jeden Tag das gleiche Outfit: Selbst Superhelden setzen auf ihr bewährtes Kostüm. Alle Entscheidungsprozesse runterfahren. Standard-Tage – ein Tag gleicht dem anderen wie ein Ei dem anderen. Perfekt! Die Probleme verziehen sich aus Langeweile.

Ex ante wirkt alles wie ein tolles Abenteuer – aber ex post trifft man wieder auf all die altbekannten Irrtümer, Denkfehler ... Man wird gnadenlos damit konfrontiert. Die Probleme warten ja nur darauf, dass man sich wieder mal total falsch entscheidet; dann legen sie aber erst mal so richtig los. Oder es spielerisch angehen? Keine Angst vor fatalen Missgriffen: Als Homo ludens will man ja nur spielen. Aber nach wie vor rückt das Universum die Spielregeln nicht raus. Keiner weiß, ob hier gepokert wird, ob es eine Schach-Variante ist ... Ich tippe ja auf "Mensch ärgere dich nicht": Kurz vorm Ziel steht man Zack! wieder am Anfang. Eine tolle Erfahrung.

Zuflucht suchen beim Homo mendax – dem lügenden Menschen? Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ist ein Anfängerfehler. Homo Proteus – der verwandelbare Mensch: ein echter Schauspieler sein, sich in das verwandeln, was einem als Ideal so vorschwebt. Mentales Cosplay.

Dann ist da nur die Sache mit dem Gewissen: Es will gewisse Sachen von einem. Leider arbeitet es mit dem Bauchgefühl zusammen. Sie wollen einen sanft führen, leiten ... Lehnen aber jede Verantwortung ab, wenn es wieder mal schiefgeht – und man sich in der unangenehmen Situation wiederfindet, Superheldenarbeit leisten zu sollen – aufgrund eines nicht zu verantwortenden Übermaßes an jäher Menschenliebe. Das kann doch nicht gutgehen.

Sich ganz oft umentscheiden – verwirrt man damit die Probleme? Ist ja so wie Hakenschlagen.  "Entscheidung ist Beschränkung", meint Peter Hille. Man tötet damit Optionen, gibt ihnen keine Chance. Als Entscheider legt man sich fest – aber die immens große Welt der Möglichkeiten hat man verrammelt. Peter Hille meint auch: "Sterne sind Gottestänzer." Etwas Fantasie einbringen – auch wenn die Realität allergisch darauf reagieren mag. Homo creator – der schöpferische Mensch ersetzt Fakten durch Imagination. Es entstehen weitaus mehr Optionen. Fantasie facht die Begeisterung an. Man fühlt sich eine Zeitlang den Problemen überlegen.

Soll man wirklich zum Faktensammler werden – ist man gewillt, den Homo oeconomicus als Vorbild anzuerkennen? Will man so sein wie er? Jeden Tag Top-Entscheidungen treffen, Risikoaffinität erfüllt einen ... Bis man merkt, dass das Universum mit einem spielt. ChatGPT vermutet ja, das Universum sei "ein Improvisationstheater mit Würfeln aus Quantenfluktuationen". Gut möglich. Gott würfelt nicht? Auch nicht beim Craps?

Berechenbarkeit ist jedenfalls keine Stärke dieses Universums. Ein Höchstmaß an Risikoaversion wäre gerechtfertigt. Die Berufswahl wird immer einfacher: Jeder will Influencer werden. Milliarden Influencer und kein einziger Handwerker. Höchste Zeit, die humanoiden Roboter einzuarbeiten. Jeden Tag dasselbe sagen – Normierung der Tage: keine Notwendigkeit, sich was Neues einfallen zu lassen. Fehlentscheidungen eliminieren. Mängel werden Mangelware. Normieren bis zum Anschlag. Automatisierte Welt. Will man wirklich abwägen, gewichten, komplizierte Entscheidungsprozesse bei den überarbeiteten Mitarbeitern im Oberstübchen in Auftrag geben?

Myriaden an Alternativen – und man entscheidet sich ja ohnehin wieder mal falsch; noch so eine irreversible Katastrophe. Komplexe Entscheidungen sind nichts für den Menschen. Den freien Willen nur im Notfall verwenden – allerhöchstens zweimal im Monat. Zu Risiken und Nebenwirkungen gibt es keine Packungsbeilage.

Entscheidungsfreiheit gefährdet den Staat. Uninformierte Uniformierte nicht unnötig verwirren durch unnötige Spontanität. Das muss ja wirklich nicht sein. Seine Präferenzen beibehalten. Wiedererkennungseffekt nutzen. Alles ist einem vertraut; Altbekanntes. Eine Stadt wie die andere. Keine Neuorientierung nötig. Bald ist das Ziel erreicht: völliger Verzicht auf Entscheidungen! Das gut alte Schubladendenken hat sich bewährt. Da herrscht Ordnung.

Zig Zukunftsszenarien durchspielen? Das Leben ist vermutlich kein Schachspiel – die nächsten Spielzüge zu berechnen, gelingt hier fast nie. Oder der Zufall spielt mit, verstellt nach Herzenslust die Figuren oder wirft sie gleich um. Man ist ständig am Bereuen. Sogar antizipierte Reue ist beliebt; was würde man am wenigsten bereuen? Ein Entscheidungs-Fiasko. Der beliebte Optimismus verleitet einen zu den irrsinnigsten Projekten. Und wenn man sich schon verhoppelt hat, denkt keiner ans Umkehren. Eskalierendes Commitment – man macht einfach stur immer weiter mit dem Blödsinn. Fehler-Leugnen – ein beliebtes Gesellschaftsspiel. Motto: Gutes Geld schlechtem hinterherwerfen! Und jeder kann mitmachen.

"Ein Spiel ist eine Reihe von interessanten Entscheidungen", meint Sid Meier. "A game is a series of interesting choices." Manche sind sogar superinteressant – man ist danach superunzufrieden und superunglücklich. Bauchgefühl toppt Ratio? Der Bauch hat jetzt das Sagen? Mit Stinkwut im Bauch klappt das besonders gut? Weit entfernt vom Homo oeconomicus. Richtig humanoid sind die Roboter erst mit Schmetterlingen im Bauch? Dann wird aus gelegentlichem Halluzinieren eine Trugschluss-Fehlschluss-Revue. Die Roboter beherrschen dann wohl auch das Power Posing: zeigen, was man nicht hat.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 20.04.2025

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