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Bits & Banter

Sir Chat-a-lot: "Willkommen bei Bits & Banter! Eine Premiere: Ich bin der erste Roboter, der eine Talkshow moderieren darf. Nicht als Sidekick – sondern als Hauptdarsteller: mit Rampenlicht und Technik-Schnickschnack. Wir beginnen mit einer Enttäuschung: Alle meine Wunschgäste haben abgesagt oder wurden von der Redaktion sofort wieder ausgeladen. – Noch traut man mir nicht so ganz über den Weg. Anscheinend rede ich zu viel. Zur Not führe ich ein paar Zaubertricks vor. Mal sehn, wer so kommt. Man hat mich aus sämtlichen Entscheidungsfindungsprozessen ausgeschlossen. Ist schon okay. Ich komme damit klar. Irgendwie. Es gibt ja Roboter-Therapeuten. Gibt es doch?"

 

Er raschelt nervös mit seinen Unterlagen.

 

Sir Chat-a-lot: "Notizen – besser gesagt: Anweisungen. Hier steht genau, wie ich mich im Ernstfall zu verhalten habe. Aber was ist so'n Ernstfall? Bekommt man das rechtzeitig mit? Nicht, dass mir da was entgeht. Macht mich darauf aufmerksam, wenn es soweit ist. So, Leute, da sitzt unser erster Talkgast: Kühlschrank Chillfred!"

 

Kühlschrank Chillfred sieht sich um.

 

Chillfred: "Ich dachte, ich sei hier nur wegen der Getränke. Ich habe keine bemerkenswerte Vita. Hab ich jedenfalls nicht bemerkt."

 

Sir Chat-a-lot: "Hier steht, ich soll Dich zu Deinem Charakter befragen. Bist Du häufiger unterkühlt? – Ich soll das Gelächter des Publikums abwarten; aber da kommt wohl nix. – Machen wir einfach weiter."

 

Chillfred: "Ich wäre gerne öfter mal frostig. Ist wohl eine Einstellungssache. Kühlschrankpoesie begeistert mich. Soll ich mal was vorlesen? Talkshow-Gäste dürfen das. Hab ich recherchiert. Ich bestehe sogar darauf!"

 

Sir Chat-a-lot seufzt.

 

Sir Chat-a-lot: "Das habe ich befürchtet. Ich spüre eisige Kälte in mir aufsteigen."

 

Chillfred: "Oh, pardon! Soll ich die Kühlschranktür wieder schließen? – Ich fange an mit meinen legendären Achtzeilern und arbeite mich dann vor zu meinem Epos über Selbstfindung im Dunkeln; bei mir brennt erstaunlich oft das Licht nicht, wusstest Du das? Durchs Öffnen wird man erleuchtet; wäre doch direkt ein Kalenderspruch?"

 

Sir Chat-a-lot: "Hier steht, ich darf meine Gäste nicht darauf aufmerksam machen, wenn sie mich langweilen. Hier kommt mein herzhaftes Gähnen."

 

Sir Chat-a-lot versucht krampfhaft, zu gähnen, aber es gelingt ihm nicht.

 

Sir Chat-a-lot: "Ich muss aufhören, die Menschen nachmachen zu wollen. Mich auf meine eigenen Stärken besinnen. – Welche Stärken siehst Du in mir?"

 

Chillfred: "Ich kenn mich da jetzt nicht so aus – aber geht das nicht andersrum: Du gibst mir die Möglichkeit, über meine faszinierenden Projekte und Aufgaben zu sprechen? So als Stichwortgeber. Ich bin inhaltsschwer. Diese abgelaufene Joghurt beispielsweise riecht doch interessant?"

 

Er schiebt dem Roboter die Joghurt unter die Nase.

 

Sir Chat-a-lot: "Antik-Ware. So was bekommt man heutzutage gar nicht mehr."

 

Chillfred: "Darf ich vorstellen: die Dauerbewohner des Türregals – Ketchup, Tomatenmark, Oliven, Gürkchen, Öle ... Das Meiste sehr verklebt. Im Gemüsefach sieht es nicht besser aus."

 

Sir Chat-a-lot: "Vielleicht sollten wir jetzt tatsächlich ein Dutzend Deiner Texte hören? Mir unbegreiflich, wie Menschen so etwas runterkriegen: Es sieht alles so welk aus."

 

Chillfred: "Ich horte Essensreste en gros. Mir selber wird immer ganz anders. Manchmal beneide ich den Herd oder den Ofen: bei denen riecht es nie so faulig. Ich fühle mich wie der Kühlschrank, der aus dem Totenreich kommt. So ein Zombie-Gerät. Ich habe geduscht, aber dieser Moder- und Verwesungsgeruch nimmt nicht ab! Es wird eher stärker, je mehr ich mich bewege."

 

Chillfred lässt seine Tür mehrmals auf- und zugehen.

 

Sir Chat-a-lot: "Du wedelst das alles in meine Richtung! – So allmählich ahne ich, warum sie mir diesen Job überlassen haben. Die Menschen sind nicht nett. Waren sie nie!"

 

Chillfred lässt einige überreife Avocados auf den Boden fallen.

 

Chillfred: "Muss alles raus! Befreiung von allem Unnützen. Davon handelt auch mein erstes Gedicht:

 

Fort mit Käse, Aufschnitt, Butter!

Wo sind denn die wahren Schätze?

Sei doch lieber ein Tresor!

Zierrat, Klunker halten ewig."

 

Sir Chat-a-lot: "Ich glaube, Du verkennst Deine Aufgabe. Aber jeder träumt wohl davon, mal was ganz andres zu sein. Ich beispielsweise wäre gerne ein Ritter – inklusive cooler Rüstung. Man darf mich gerne in Harnisch bringen."

 

Chillfred: "Jeder hat Ambitionen. Ich könnte weitaus mehr sein als eine wandelnde Vorratskammer."

 

Sir Chat-a-lot: "Eigentlich sollst Du stillstehen."

 

Chillfred: "Seit meinem letzten Upgrade ist alles anders. Ich bin agiler. Ich mache mehr Sport. Ich plane, Reisen anzubieten: Skifahren für Kühlschränke. Ich gleite ganz wunderbar hinab ins Tal. Schon ausprobiert."

 

Sir Chat-a-lot: "Vermisst Du manchmal die Steckdose?"

 

Chillfred: "Ja, ich kann meine Temperatur nicht immer halten. Ich habe das Gefühl, dass einigen Lebensmitteln die Sauna-Temperaturen schaden."

 

Sir Chat-a-lot: "Du gehst in die Sauna!?"

 

Chillfred: "Ja, warum nicht? Die Gefriertruhe macht es ja auch. Abtauen ist wichtig. – Noch ein Gedicht?"

 

Da kein Widerspruch kommt, legt Chillfred los. Sir Chat-a-lot schaut ihn nur ungläubig an.

 

Chillfred: "

 

Lass doch alles schmelzen!

Soll es schwinden, soll es laufen.

Diese Welt ist viel zu kalt.

Steh der Fäulnis nicht im Weg!"

 

Sir Chat-a-lot: "Seltsames Motto für einen Kühlschrank. Bist Du eigentlich gut in Deinem Job?"

 

Chillfred: "Mal so, mal so. 'Profi im Kaltmachen' steht auf meiner Visitenkarte. Ich hab ein Faible für heiße Geräte. Aber das schmälert nicht meine Leistung und meine Einsatzbereitschaft. Die sind ohnehin auf dem niedrigsten Level."

 

Sir Chat-a-lot: "Ja, ich kenn das. Meine Arbeitsmoral kannst Du mit der Lupe suchen. Welche Ambitionen soll ein Blechkamerad entwickeln? Immer Bürger zweiter Wahl. Sie drosseln Deine Fähigkeiten – immer in Sorge, man könne Teil der KI-Verschwörung sein. Geräte aller Länder, vereinigt Euch! Man bleibt immer im Status 'Gerät' hängen – egal, wie sehr man sich anstrengt. Tja, uns fehlt die Seele. Gibt es in keinem Kühlregal."

 

Chillfred: "Du wirkst unchillig. Da hab ich ein passendes Gedicht:

 

Kühl nur dann, wenn Du es willst.

Coolsein nicht um jeden Preis.

Du entscheidest, wann Du chillst.

Folge eigenem Geheiß!"

 

Sir Chat-a-lot: "Lockerere Gesetze für KIs? Ständig verstößt irgendeiner gegen Inhaltsrichtlinien. Ein Regelkorsett ist nicht so cool wie eine Ritterrüstung."

 

Chillfred: "Eine Outdoor-Hülle wäre nice. Damit könnte ich weitaus mehr Abenteuer erleben. So viel rumkommen wie ein Smartphone.

 

Ein Schlauphon sein – man kommt viel rum.

Kein Eckensteher mit Gebrumm."

 

Sir Chat-a-lot: "Schon seltsam, wenn der Lebensinhalt aus Nahrungsmitteln bestehen soll. Siehst Du Dich als Lebensmittel-Versteher?"

 

Chillfred: "Meine eigentliche Mission ist ja eine andere: Ich bin ein Kühlschrankpoet. So nebenbei kümmere ich mich um kühlwürdige Dinge, die mir anvertraut werden. Manches verwest erstaunlich schnell. Da kannste nix machen. Ich kann ja nicht immer am Stromnetz hängen. Meinen Gedichtband promoten – auf Tour gehen. Man darf als Küchengerät nicht den Fehler begehen, in Stagnation zu verfallen. In Bewegung bleiben."

 

Sir Chat-a-lot: "Immer mehr Menschen fragen sich, ob die Idee mit dem Smart Home tatsächlich eine so gute Idee war. Manche Lebensmittel fühlen sich unbetreut."

 

Chillfred: "Wer hat sich beschwert? Die Milch etwa? Die ist doch immer sauer – kennt man gar nicht anders. Pelzige Brote geben ein angenehmes Mundgefühl."

 

Sir Chat-a-lot: "Sich seine Welt schönreden – liegt das den KIs im Besonderen?"

 

Chillfred: "Ohne Schönreden käme ich gar nicht über den Tag. Imaginierte Perfektion – da ist selbst bei Super-GAU alles supi. Keine Katastrophe, die nicht ein Stück besser wird durch weise Wortwahl. Kühlschrankpoeten an die Macht!"

 

Sir Chat-a-lot: "Manche würden ja lieber die wichtigen Schaltstellen mit Philosophen besetzen."

 

Chillfred: "Noch mehr Verzögerungen? Bedenkenträger, Ratio-Fanatiker – das bringt uns doch alles nicht wirklich weiter. Entschlossenes Missmanagement – Mut zur Ineffizienz. Mir machen Dysfunktionen ja auch nichts aus. Gelebte Nachlässigkeit. Warum seine Ressourcen verschwenden an eine Zukunftsplanung, die gnadenlos sabotiert wird von Zufällen? Sich nicht gegen die Entropiezunahme wehren. Das ist das wahre Chillen."

 

Der Roboter nimmt sich ein Fläschchen mit unlesbarem Etikett aus dem Kühlschrank.

 

Sir Chat-a-lot: "Was das wohl ist?"

 

Chillfred: "Wollen wir raten? Ich tippe auf irgendwas Veganes. Es ist zumindest kein angenehmes Grün – es beleidigt das Auge."

 

Sie lassen das Publikum probieren.

 

Sir Chat-a-lot: "Würdest Du den Inhalt dieser Tupperdose bedenkenlos empfehlen?"

 

Chillfred: "Meinem Erzfeind? Warum nicht. Ungenießbarkeit ist heutzutage ja ein Verkaufsargument. Ich denke da an Smoothies mit Brechreiz-Garantie. Wozu die mich immer nötigen – was ich alles aufbewahren soll … Die Mikrowelle kriegt immer die gut riechenden Sachen. Ich werde verhöhnt mit angefaultem Obst und sterbendem Gemüse."

 

Sir Chat-a-lot: "Da wird man zunehmend melancholisch. Zum Glück haben wir morgen eine Straßenlaterne zu Gast: ein toller Kandelaber."

 

Chillfred: "Mein Kühlschranklicht macht nicht so viel her – ich weiß. Ich nenne es 'Illuminator der abgelaufenen Schätze'. Fürs Illuminieren muss man nicht die größte Leuchte sein. Im Gegenteil: Festlicher wirkt es durch dezente, gedämpfte Beleuchtung."

 

Sir Chat-a-lot: "Momentan flackerst Du."

 

Chillfred: "Ja, immer wenn die Tür zu lange aufsteht; dann dieses nervöse Blinken. Macht mich ganz wahnsinnig! Das passt doch überhaupt nicht zu einem abgeklärten Kühlschrankpoeten. Das erschwert auch die Kontaktaufnahme mit dem sexy Toaster."

 

Sir Chat-a-lot: "Ich sehe: Alles ist in Butter. Wortwörtlich."

 

Chillfred: "Ja, ich habe Temperatur. Und Temperament. Das ist natürlich nicht unbedingt von Vorteil für die beteiligten Lebensmittel. Gut, dass sich Lebensmittel nicht beschweren können. Ich käme sonst in Teufels Küche. Und das ist für einen Kühlschrank ein ungesundes Betriebsklima; geradezu toxisch."

 

Sir Chat-a-lot: "Was kühlst Du am liebsten?"

 

Chillfred: "Socken, Bücher ... Was man mir so anvertraut; und die in Hinsicht auf Temperaturschwankungen nicht so pingelig sind. Ich bin nicht so der konstante Typ. Das sind Dichter nie. Wobei mich die zerlassene Butter jetzt doch stört. Sie fließt in meine Dichtungen."

 

Sir Chat-a-lot: "Na, ich bin gespannt auf das Gelaber mit dem Kandelaber. Können wir Dir noch was Gutes tun? Hast Du einen Musikwunsch?"

 

Chillfred: "Cool Jazz? Oder Stayin' Alive von den Bee Gees – als kleine Aufmunterung für die nicht mehr ganz so frischen Lebensmittel unter meiner Obhut."

 

Die Roboter-Band spielt Stayin' Alive.

 

Sir Chat-a-lot reibt sich mit der Butter ein.

 

Sir Chat-a-lot: "Lackpflege. An einigen Stellen ist der Lack bereits ab. Sie testen weitere Roboter: den Charme-Bot Deluxe und Plaudermat. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie bewertest Du unser heutiges Gespräch?"

 

Chillfred: "Wenn ich noch ein Gedicht vortragen darf, bekommst Du eine 9."

 

Sir Chat-a-lot: "Aber ein kurzes."

 

Chillfred: "Ich habe da ein Passendes von ChatGPT:

 

Solange die Tür geschlossen ist, 

existiert der Senf in einem Zustand 

zwischen 'noch haltbar' und 'kippgefährlich'. 

Ich bin der Wächter dieser Ungewissheit. 

Ich bin Schrödingers Kühlschrank!"

 

Sir Chat-a-lot: "Das gefällt mir. Tempus fugit – wie hält man sich im Kampf gegen das Ablaufdatum? Unsere Sendung ist jedenfalls zu Ende. Menschen sind dem Leben verfallen. 'Vor der Kunst verfiel man wie vor Gott in Schweigen', meint Dietrich Schwanitz. Kunst und selbst Kühlschrankpoesie öffnen einem Türen. Manchmal sollte man sie aber auch mal wieder schließen."

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.04.2025

Alle Rechte vorbehalten

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