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Fahrrad

Auf einem Fahrrad fühlt man sich wie ein Rebell. Ausweichen auf den Bürgersteig, Ampeln ausblenden, sich woanders wieder einfädeln – man ist außerordentlich flexibel. Ein treues Gefährt dieser Drahtesel. Nie wirklich unwillig.

Toller Moment, als man das erste Mal ein paar Meter fuhr, ohne umzukippen. Wackelige Sache ... Aber so nach und nach entwickelt man ein richtig gutes Verhältnis zur Balance. Der Dämon des Scheiterns radelt gerne mit, bleibt vorerst gerne bei einem.

Es gibt ja Vorstufen: Man tastet sich da ran – erst mal Tretroller, Trecker, Traktor fahren ... Aber wozu lernt man all das, wenn die Autos demnächst alles selber können? Wozu lernt man Lesen und Schreiben, wenn man mit der KI locker chatten kann? Welche Fähigkeiten sind demnächst noch erforderlich? Keine Notwendigkeit mehr, an seine eigenen Grenzen zu gehen. Es sich absichtlich schwerer machen: ein Einrad – oder auf Stelzen gehen. Auf dem Hüpfball einen Marathon bewältigen.

Ein E-Bike mit Unterstützung einer KI – das könnte so etwas sein wie K.I.T.T. bei Knight Rider: Ein Gefährte, der einem beisteht, der einen versteht, der einem sogar dabei hilft, die eigene Balance wiederzufinden. KI entwickelt sich zu so etwas wie Stützräder fürs Denken. Wir kippen sonst um. Fürs denkerische Gleichgewicht ist es wichtig, beide Seiten wahrzunehmen, nicht falsch gewichten.

Durch eigene Kraft so viel schneller und müheloser voranzukommen als zu Fuß: Das Fahrrad verblüfft einen, übertrifft den Tretroller. Man ist bereit, die Welt zu erkunden – zumindest die nächsten Straßenblocks. So weitläufig plötzlich alles.

Ein einfaches Zahlenschloss sichert den Drahtesel, damit er nicht entführt wird. Im Dunkeln die Zahlenkombination zu ertasten, ist nur am Anfang knifflig. Bergab stehen manchmal Bäume im Weg. Mehr Tempo, als gut für einen ist. Mit Karacho ohne Tacho. Später gab es dann einen Tacho – ein Ansporn, eine ständige Herausforderung, das Allerletzte aus dem Fahrrad herauszuholen. Der Hometrainer kann da nicht so mithalten. Kein wirkliches Vorankommen. Eine Pseudo-Welt.

Fahrrad: Man erfährt sich das Leben. Um sich alsdann grotesk immer wieder zu verfahren. Was widerfährt einem da bloß? Eine simple Sache so ein Fahrrad. Dennoch ist Menschheit Jahrtausende lang nicht darauf gekommen. Fußgänger, Reiter, Segler – aber keine Pedalritter. Goethe auf dem Tretroller? Jedes Gefährt hat seine Aura. Auch ein altes Fahrrad hat seinen Charme.

Der Erzfeind aller Fahrräder: der Regen. Die gute Stimmung verfliegt. Ein weiterer Gegner: Gegenwind. Alle Hoffnung fahren lassen? Aber wohin fährt sie? Sich das Radeln schwermachen: ohne Gangschaltung, querfeldein ... Langeweile als Gegner im Leben – ein paar Schwierigkeiten pro Tag ist man nicht abgeneigt. Die KI beseitigt alle Hindernisse, Menschheit steht bald ohne Probleme da. KI operiert, schreibt, fährt ... K.I.T.T. ohne Knight Rider. Wir perfektionieren unser Vorankommen – beseitigen dabei aber auch alle Challenges. Ankommen im Sinnlos-Land.

Per pedes kommt man nicht schnell voran – aber man hat was von der Gegend, man ist Teil des Weges. Jakobsweg im Rennwagen wäre nicht dasselbe. Ein Fahrrad verknüpft einen mit der Landschaft, man hat Zeit, sie zu betrachten. Dieselbe Strecke wirkt immer wieder anders; da sind Nuancen.

Der Hektik entgegentreten – mit dem Tretauto, dem Tretboot. Kräftig die Pedale treten ... Aber will man so viel Training? Das Unangenehme mit dem Langsamen kombinieren? Bei Schmuddelwetter wirkt man zerfahren. Man wäre lieber in einer Luxuslimousine unterwegs. Kommt vor: der Wunsch nach Komfort.

Gebrauchte Radfahrer günstig abzugeben. Man will umsatteln auf Gemütlichkeit. Radfahrer werden immer gebraucht? Als Gesinnungsakrobat unterwegs. Radfahrer sind wunderbare Mitläufer. Warum ein Versager sein, wenn man auch ein Ja-Sager sein kann? Der Zeitgeist will das Radeln adeln. Läuft doch.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 12.03.2025

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