Cover

Romantik

"Wollen wir mal die Fantasie nach vorne lassen", sagt sich die Romantik. "Ein bisschen Romantik kann so schlimm nicht sein", sagt sich der Sportsmann. Was kann so schlimm daran sein, die Welt konsequent zu entdämonisieren, ihr einen Hauch von Blaue-Blume-Duft zu verleihen? RomanTikTok – ein gefährlicher Trend?

Romantik legt sich gerne an mit der Klassik. Sie hat es nicht so mit der Vernunft. Die Fantasie soll gegenhalten; es geht in die Tiefe, Höhe, Breite – dorthin, wohin die Ratio kaum folgen kann; sie macht dort schlapp. Wirkt bei ihr wie Höhenluft für einen ungeübten Bergsteiger.

Das Gesicherte interessiert die Romantik kaum; sie ist interessiert an dem Unbestimmten, dem, was sich nur ahnen lässt. Wandern im Nebel, umgeben von Raureif; Figuren sehen, die es nie gegeben hat, die Natur ansprechen – und gegebenenfalls für sie antworten. Kontaktaufnahme mit dem Unbelebten, sich hineinfühlen in das Sein – all das bereitet dem Romantiker kaum Mühe.

Die Klassik steht daneben und staunt. Wo ist die Form, das Gesetz? Sie vermisst all das. Angewiesen sein allein auf das Genie, das den Weg vermeintlich kennt? Ihr ist das alles nicht geheuer. Außerhalb ihres begrenzten Bereichs fühlt sie sich unsicher; sie leugnet es schlichtweg. War da was?

Die Romantik liebt die Ferne. Sie besucht sie meist nur im Geiste. Die meiste Zeit über ist sie ein Träumer. Alles würde sie gerne romantisieren, verklären. Alles Schlimme wird zwar so nicht ungeschehen – aber zumindest erträglich? Ist das ein Ausweg: Flucht in die Romantik antreten? Sich angezogen fühlen vom Unheimlichen, es inhalieren, es zu einem Teil von sich selbst machen? Eine Nebelgestalt werden; sich auf diese Art vereinen mit dem Universum, mit der Welt.

Eins sein mit sich selbst – das gelingt dennoch nicht so ohne Weiteres. Die Harmonie lässt sich von der Romantik nichts befehlen. Man kann sie nicht einfach so herbeizitieren; sie hat zur Stelle zu sein, wenn Herr Romantik es wünscht? Der Romantiker hat ein Abo auf das Sehnen; er sehnt den ganzen Tag. Eine Unzufriedenheit mit dem Momentanen; alles auflösen wollen. Die Brüchigkeit der Welt und des Seins als Möglichkeit nutzen – es als formbares Material begreifen. Lass die Fantasie mal ran! Mal sehen, was ihr Schönes einfällt. Was die Fantasie in ihre Hände bekommt ...

Selbst dem Unbewussten wird's unheimlich: so viel geballte Subjektivität. Wie kommt der Romantiker klar mit all der Verworrenheit, die ihn umgibt und von der er fleißig immer mehr einsammelt? Ein regelrechtes Hamstern von Unklarem, Unerforschbarem. Alles Material für die Fantasie? Kann sie das verdauen, was mutet man ihr zu? Harte Nuss.

Andererseits stärkt das womöglich die Seele: eine echte Challenge für sie; jenseits, abseits des Üblichen. Man kennt es, da ist kein Bedarf an echter Virtuosität. Sich nicht begnügen mit Wiederholungen. Das Klassische, Althergebrachte, Herkömmliche nicht als alleinigen Maßstab gelten lassen.

Die Seele befragen – was ist ihre Meinung zu all dem? Man weicht dem Schaurigen nicht aus; man romantisiert sogar seine Dämonen-Schar. Ist denen vermutlich gar nicht recht. Als ob sie niedliche Kleider angezogen bekämen – mit viel Plüsch, Tüllschleier und Häkelspitze. Die Welt erbarmungslos verniedlichen, sie entdämonisieren durch besondere Hinwendung zum Rätselhaften und Schleierhaften.

Sich nicht kirre mache lassen von Goethe, der meint: "Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke"? Ist das so einfach? Ist das schlichtweg die Hybris der Ratio? Man will auf sicherem Grund stehen; die Welt ist kein Roman mit dem Romantiker als Autor. Oder doch? Lebenseinstellung und Welt bilden eine sonderbare Einheit. Mit Romantik-Filter, mit Weichzeichner veredelt man auf einfache Art das Sein. Die gewünschten RomanTikTok-Effekte auswählen.

"Im Roman ist Platz für Philosophie – alles kann da rein", lautet die Forderung der Romantiker. Handlung, Form, Regeln sollen sich nicht so wichtig nehmen. Entdecke die Romantisier-Möglichkeiten. Was blieb vom Romantisier-Eifer verschont? Das Mittelalter romantisieren, die Kindheit, das Landleben, das Großstadtleben, die Piraten, den Wald, die Natur ... Was konnte nicht rechtzeitig fliehen aus der Romantisier-Zone? Alles wird davon erfasst.

Das Märchenhafte freilegen ... Eine Romanze mit der Welt. Freie Bahn dem Schwärmer! Wie lange hält die Wirkung an: Bricht sich der Alltag – seine graue Eminenz – Bahn? Wie lange erträgt man Gefühlsduselei? Aufbruch zum Numinosen – diese Sehnsucht steckt in jedem Menschen. Aber was ist der richtige Weg, was bringt einen dorthin? Bringt einen Romantik auf die schiefe Bahn? Dem Klassisch-Handelsüblichen den Vorzug geben? Keine Scheu vor Vermessenheit; die schöpferische Fantasie zu ihrem Recht kommen lassen?

Das Unbegrenzte imponiert bei der Romantik; sie ist interessiert an den Mysterien, sie wendet sich ihnen zu. Welche Rolle spielt die Imagination in diesem Universum? Welcher Part kommt ihr zu? Novalis meint: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es." Mit Hilfe der Imagination geht es in beide Richtungen: Dämonisieren und Romantisieren. Braucht die Welt ein Rüschenkleid oder einen Latex-Catsuit?

Wie wichtig ist einem Realität? Kommt man nicht umhin, sich bei passender Gelegenheit zu heroisieren? Erlaubt der Klassiker sich Ausflüge ins Wildromantische? Blumige Sprache zum Wohle der blauen Blume – sie damit herbeibeschwören? Romantiker sein – dann klappt es auch mit den Nachbarreichen. Die Historie wird brav verklärt – alle Probleme wunderbar geklärt.

Umgekehrt lässt sich trefflich alles das dämonisieren, was man ohnehin ablehnt. Die Gräben vertiefen. Romantisch – nur ein Beistelltisch, etwa ein OP-Tisch? Jedenfalls ein Verkaufstisch – manchmal ein Wühl- und Grabbeltisch. Grüner Tisch mit blauer Blume – mehr Praxisferne ist kaum denkbar.

Romantik – ein liebenswerter Tick. Einen Tacken davon tut der Welt ganz gut.

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.01.2025

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /