Alchemist Jonas fabrizierte Zaubertränke. Die waren zunächst ein Erfolg ... Die Menschen konnten fliegen, verwandelten sich in ihre Krafttiere – was man von guten Zaubertränken eben so erwartet. Nachlassende Wirkung war nicht das Problem. Es gab Nebenwirkungen ... Jonas versuchte, sie durch andere Zaubertränke zu beseitigen oder zu lindern – aber das führte zu weiteren unschönen Phänomenen.
Sollte er einen Maxi-Trank mixen: alles in einen Kessel und sich überraschen lassen? Damit war er immer gut gefahren: der Zufall als Gehilfe. Aber wer sollte das Gebräu probieren? Sein Blick fiel auf seine Katze Luna.
"Tierexperimente müssen genehmigt werden!", behauptete sie.
Sie hatte schon öfters von einigen Zaubertränken gekostet – die Kessel standen da so rum – und meistens schmeckte es ganz hervorragend.
Jonas ließ sich nicht beirren. "Du hast hier Kost und Logis frei ... Ich finde, Deiner Karriere als Laborassistent und Proband steht nichts im Wege."
"Finde ich schon!", entgegnete Luna, während sie in einem dicken Gesetzesbuch blätterte. "Hier muss es doch irgendwo stehen. Katzen sind heilig – Göttinnen nicht unähnlich."
Jonas nahm ihr das Buch weg. "Hilf mir, die Kanister und Bottiche zusammenzutragen. Der Mega-Maxi-Supertrank wird unser größter Erfolg."
Luna zerbrach absichtlich einige Phiolen. "Siehst Du, ich bin zu tollpatschig dafür. Kann das nicht der Esel Donki machen?"
Esel Donki saß im Lehnsessel. "Meine Tabakpfeife geht immer aus", beschwerte er sich.
"So kann ich nicht brauen!", fluchte Jonas. "Meine Kunden erwarten 1 a Qualität von mir." Er nahm einen großen Schluck von seinem Wunscherfüllungstrank. "Ich wünsche mir, dass Luna mir unter die Arme greift."
Luna war sofort zur Stelle, packte ihn und stemmte ihn mit ihren Pfoten hoch. "Das hatte ich mir anders vorgestellt. Ich muss doch noch genauer auf meine Formulierungen achten."
Donki gab ihm recht. "Formulierungen sind was Feines. Früher bestand mein Vokabular aus zwei Vokalen: I und A – das ist nicht 1 a. Man stelle sich vor ... Unsereins käme damit jetzt nicht mehr klar." Aus Gewohnheit wiederholte er einige Male genüsslich 'IA'.
Luna meinte: "Vielleicht wäre es besser, keine neuen Zaubertränke herzustellen? Die Klagen häufen sich – keiner im Dorf, der uns nicht einen scheelen Blick zuwirft."
"Ist mir egal", entgegnete Donki, "ich kann selber wunderbar böse dreinblicken." Er machte es sogleich vor. "Früher musste ich im Stall rumstehen – jetzt sitze ich in der guten Stube; für mich eine deutliche Verbesserung."
"So, wenn Ihr mal kosten wollt ..." Jonas hielt ihnen einen großen Holzlöffel hin. "Ich habe eine Prise Chili hinzugefügt. Das überdeckt vermutlich den fauligen Geschmack."
"Klingt gut", meinte Hund Doc, der ein Nickerchen vor dem Kamin gemacht hatte.
"Du weißt doch gar nicht, um was es geht", fauchte Luna ihn an. Sie balgten sich eine Weile.
"Es riecht hier wirklich verdammt faulig – schlimmer noch als sonst." Donki übergab sich – direkt vor die Füße von Jonas.
"Also gut – wer diesen Zaubertrank zuerst probiert, der hat eine Woche lang keinen Stubenarrest!"
"Ich habe gerne Stubenarrest", meinte Doc. "Hier ist der Kamin, nebenan ist die Vorratskammer ..."
"Ja, ist mir auch aufgefallen; alle sind hier versammelt; verdammt eng hier", meinte Jonas.
"Platz ist in der kleinsten Hütte", sagte der Hahn Henry; er quetschte sich durch die Katzenklappe.
"Wir brauchen ein Schloss, was Größeres! Ich wünsche mir ein Schloss!", rief Jonas. Schwups! Ein eisernes Schloss schnappte zu – es umschloss seine Arme. "Das läuft so was von verkehrt!" Jonas tobte. Allerdings war sein Toben durch das Schloss etwas erschwert. "Es kann doch nicht so schwer sein, sich Magie dienstbar zu machen! Muss ich erst einen Tobsuchtsanfall bekommen?"
"Ich heiße zwar Doc, aber ich bin kein Arzt", antwortete Doc, da er sich angesprochen fühlte. Er bezog meist alles auf sich; eine Angewohnheit, die ihm schon viel Ärger eingebracht hatte.
"Es ist ein Zahlenschloss", stellte Donki fachmännisch fest.
"Das kann doch jeder Esel erkennen!", meinte Henry; er war immer noch wütend, weil seine Idee mit den Bremer Stadtmusikanten so schlecht aufgenommen worden war. Er wollte endlich in der Pyramide ganz oben stehen. Stellte er sich toll vor. Tonangebend sein. Er musste unbedingt etwas von diesem Wunscherfüllungstrank haben. "Vielleicht sollte ich es mal mit dem Wunscherfüllungstrank versuchen? Hähne sollen ganz hervorragende Wünscher sein. Vielleicht muss man wunschlos glücklich sein, damit das mit dem Wünschen klappt?", philosophierte er. "Mein Cousin ist Wetterhahn. Der denkt viel über so etwas nach."
Jonas meinte: "Mein Verstand steht still. Noch eine Stunde mit diesen Tieren zusammen – und mein Verstand sagt für immer servus." "Ist das jetzt ein Wunsch?", wollte Luna wissen. Es wäre ihr gar nicht so unrecht, wenn Jonas weniger experimentieren würde. Oft war sie die Leidtragende. Ihr Fell war momentan rosa; vorigen Monat war es knallrot. Es schien, als würden die Nebenwirkungen wie eine dunkle Wolke über ihrer Hütte kreisen. Als ob irgendetwas Dunkles sie anziehen würde. Andererseits waren die Gespräche mit den anderen Tieren nicht übel – man verstand sich, es ging in die Tiefe, Sprache vereinte sie. – Also gut, sie würde Jonas den Gefallen tun und seinen allerneuesten Zaubertrank probieren. Man sah ihr zu, wie sie sich den Holzlöffel nahm – sie kam sich vor wie eine Heldin.
Aber Donki kam ihr zuvor. Er wollte nicht ihr allein die Show überlassen. Er stürzte sich kopfüber in den Kessel mit dem Zaubertrank. Henry nahm Deckung hinter einem Besen. Er stellte fest, dass das keine gute Deckung war. "Scharf! Ist das scharf!!"
"Zu viel Chili im Zaubertrank?", wollte Jonas wissen.
Donki galoppierte in der Stube – die Wände rauf und runter. "Ich Esel!", schimpfte er. Plötzlich flog er. Er hatte ein paar prächtige weiße Flügel.
"Ein geflügelter Esel; was es nicht so alles gibt", staunte Henry.
Jetzt wollte jeder was von dem Chili-Zaubertrank. Jonas kämpfte mit seinem Schloss; ihm fiel ein, dass er sich was wünschen könnte. "Ich wünsch mir einen Schlüssel!" Ein riesiger Notenschlüssel kreiste um ihn. "Das darf doch alles nicht wahr sein!"
"Wäre jetzt ein geeigneter Zeitpunkt, wie die Bremer Stadtmusikanten zu singen?", wollte Henry wissen. Er haschte nach dem Notenschlüssel. Der müsste immer um ihn sein. Das würde ihn zu einem besonderen Hahn machen.
"Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, sie alle zum Kuckuck zu wünschen?", dachte Jonas. Schwups! Ein riesiger Kuckuck materialisierte sich in ihrer Hütte.
"Nicht der auch noch! Ich habe ja gar keinen Platz zum Fliegen", beschwerte sich Donki.
Der Kuckuck wirkte verwirrt. "Die Magie-Abteilung schickt mich. Ich soll hier den Stein der Weisen abliefern. So, hier bitte unterschreiben."
"Den schicken die mir einfach so?" Jonas betrachtete den eiförmigen Stein. "Das ist auch sicherlich kein Kuckucks-Ei?" Er unterschrieb dennoch. Was sollte heute noch schiefgehen?
"Es riecht faulig und nach Erbrochenem. Was ist hier los?", wollte der Kuckuck wissen.
"Alles bestens. Die Magie-Abteilung kann beruhigt sein; wir haben alles im Griff."
"Das Schloss hat Dich im Griff. Das muss ein Symbol sein: Die Magie hat Dich zu sehr im Griff, Du bist ihr Opfer, ihre Beute. Sie hat Dich in ihren Krallen", erläuterte Donki.
"Esel belehren die Alchimisten – so soll es sein", meinte der Kuckuck.
"Die Macht der Magie ist stark in uns", versicherte Doc, der sich vom Hahn hatte überreden lassen, die Bremer-Stadtmusikanten-Nummer zu üben. Entschlossen wollte er Donki auf den Rücken springen, aber der wich aus. Er landete auf Luna.
"Das ist die falsche Reihenfolge!", belehrte ihn Henry.
Aus dem Stein der Weisen schlüpfte ein Drache. "Oh, das ist gut; Drachengift brauche ich als Zutat für meinen nächsten Zaubertrank." Jonas freute sich.
"Fabeltiere müssen angemeldet werden", sagte der Kuckuck. "Macht 20 Dollar."
"Das wirkt wie einer meiner Alpträume", meinte Jonas. Er hoffte, dass hinter diesem Alptraum eine bessere Realität auf ihn warten würde. Aber es tat sich nichts – er hatte sich selbst hineinmanövriert in eine Magie-Welt, deren Regeln und Rezepturen ihm im Grunde nicht vertraut waren. Der Zufall hatte die Regie übernommen; er selbst war nicht mal mehr Gehilfe – geschweige denn der Meister. Er probierte selber von dem Mega-Maxi-Supertrank. "Ich spüre keine Veränderung", meinte er. Aber die Tischplatte auf die er sich stützte, verwandelte sich. "Ist das Gold? Wird alles, was ich berühre jetzt zu Gold?"
"Es ist Katzengold", meinte Luna.
"Durch all die Nebenwirkungen stehe ich heute irgendwie neben mir", meinte Jonas. In der Tat: Neben ihm hatte sich ein zweiter Jonas materialisiert. Jonas II wirkte noch verwirrter als Jonas I.
"Ich habe jede Menge Fragen."
"Wer hat die nicht? Irgendwo müssen doch auch die zugehörigen Antworten sein." Jonas I schaute unter dem Tisch nach, dann unter der Couch. "Der Segen der Zauberei wird maßlos überschätzt. Zu Risiken und Nebenwirkungen lese man mein Tagebuch."
"Es ist eben die Zeit des faulen Zaubers. Und ich glaube, den beherrschen wir", meinte Donki.
"Geflügelte Worte von einem geflügelten Esel."
Jonas I las ihnen aus seinem Tagebuch vor, das Jonas II für ihn hielt. "Vorliebnehmen mit Budenzauber – warum nicht? Auch ein Alchemist hat eine Schwäche für das Biedere und Spießige."
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2025
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