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Sinn

Wo steckt der Sinn? Wie findet man ihn? Seltsamerweise entwickelt man Trübsinn, wenn man ohne ihn auskommen muss. Er gilt als notwendiger Begleiter auf der Lebensreise.

Alle Ideologien wurden enttarnt; sie galten bislang als zuverlässige Sinn-Lieferanten. Die Wissenschaft vermag nicht zu liefern; hatte sie noch nie im Angebot. Ob die KI einen Rat weiß? Ihr macht Stumpfsinn nichts aus; sie ist immun gegen so etwas. Hilft der sechste oder siebte Sinn weiter – weiß er Genaueres? Scharfsinn genügt nicht für die Sinnsuche.

Man vermutet den Sinn im Jenseits, verortet ihn dort. Im Diesseits alles abgeklappert. Was wäre im Sinne des Universum-Erfinders – woran ist ihm gelegen? Geht es letztlich um den Ruhm Gottes, Ihm zur Ehre was Gescheites vollbringen? Oder ist das nur eine erbärmliche Ausrede, eine Verlagerung des Problems? Viele Religionen empfehlen diesen Weg: Überwindung der eigenen Begrenztheit, Erfüllung finden in der Leere des Ichs, das Ego gewissermaßen auf Sparflamme, dem Universum zuarbeiten, ein Diener höherer Mächte. Ist das bereits Irrsinn?

Oder Zuflucht zur Sinnenfreude – unverhohlen ein Hedonist sein. Die Momente wertschätzen; jeder ist ein Juwel ... Oder ist das ein Reichtum, bei dem man spirituell verarmt? Das große Ganze fehlt nach wie vor. Es ist eine Flucht ins Miniaturreich der Augenblicke. Sehr sinnstiftend ist das noch nicht – Sinn und Zweck gehen beide stiften.

Sich retten in den Unsinn – Zynismus und Humor als passable Antwort auf die große Sinnfrage? Wie weit kommt man mit der Antwort "42"? Genügt das als vorläufiges Ergebnis? Welcher Prüfer kann das widerlegen? Wahnsinn ist nach wie vor enorm beliebt – verwertbar für tolle Scheinargumente. Eine gute Immunisierungsstrategie braucht man als Ideologe, dann brummt der Laden. Immun gegen Kritik – gefeit gegen Widersacher; man ist fein raus. Hoflieferant für Sinn & Co. Berührungspunkte mit der Realität müssen ja nicht unbedingt sein. Das geben die Worthülsen wirklich nicht her.

Die Welt macht es den Ideologien leicht, sie kommt ihnen entgegen: Ihr Ausmaß an Absurdität verstört die Menschen. Im Angebot zurzeit nur das Sisyphos-Modell. Seltsam, dass in uns so ein starker Wunsch – so ein starkes Verlangen – nach Sinn ist. Sinn-Süchtige. Dschinn fragen? Die Qarin gelten als Geister-Doppelgänger des Menschen – unser Gegenstück im spirituellen Bereich.

Vermutlich leiden wir, wenn wir unseren Schwerpunkt zu sehr auf das Materielle verlagern. Da kommt etwas anderes zu kurz. Die Wissenschaft leugnet das kurzerhand. Sie kann es nicht messen, nicht erfassen, ihre Instrumente zeigen das nicht an. Sie lässt uns allein mit unserer Sehnsucht zum Sinn, der Einbettung in das große Sinngefüge. Sich ins gemachte Sinn-Bett legen: Damit werben die Ideologen.

Man soll seinen Daseinszweck finden; bekommt man ein paar Suchhinweise? "Jetzt wird's übersinnlich!" – so einen Faust-Moment hat wohl jeder mal. Die Grenzen der Ratio sind schnell erreicht. Sie verwertet das Material der Sinne; aber damit erschließt sich einem nicht der Sinn des Lebens. Welcher Schlüssel passt für dieses Portal? "Klopft an, so wird Euch aufgetan." Sprüche klopfen, genügt also nicht. Sich durch Klopfzeichen bemerkbar machen.

Warum hat die Evolution in uns diesen Sinn-Wunsch implementiert? Durch keine Schönheitsoperation kann man sich den vom Leibe schaffen. Vermutlich würde uns ohne diesen Sinn-Wunsch etwas fehlen; wie ein Phantomschmerz. Der Sinn-Wunsch ist ein Teil von uns. Warum sich nicht als Diener Gottes bewerben? Wenn die Evolution so sehr darauf erpicht ist ... Sie drängt uns in die Außenbereiche, sie macht uns zu Suchenden, wir durchstöbern das Diesseits ... Es ist tatsächlich, als ob das Pendant, das Gegenstück, fehlen würde. Mit Qarin sich beratschlagen, sich kurzschließen? Wie zwei verschiedenartige Magnetpole – es ruckt, es zuckt ... Da wollen zwei zusammenkommen.

Sinnkrise ist auf Dauer nicht schön. Hat man überhaupt die nötigen Ressourcen, um was Sinnvolles auf die Beine zu stellen? Coping lernen. Wie mit Stress und Belastung locker fertig werden? Stress-Stratege sein. Gelingt einem ein Sinneswandel? Heuchelt man vorerst? Sich selbst zu verändern, das bleibt ein schwieriges Unterfangen. Man braucht in Bezug auf sich selbst sehr viel Sinn für Humor. Mit Sorgfalt und Sorgenfalten sich dem scheuen Sinn nähern ... Wie ein Reh auf der Lichtung – es flüchtet in großen Sprüngen. Man ist kein guter Jäger, die fünf Sinne umzingeln vergebens den Lebenssinn.

Die Angelegenheit erfordert eine angelegentliche Beratung. Gemeinsinn wäre schön – sensus communis –, intensiver reflektieren, die Sinnesgarben zeitnah bündeln, bevor man ein Nervenbündel ist. Was die Ratio zusammengefügt hat, soll die Emotion nicht trennen. Emotion spielt ihre Trumpfkarte: Bauchgefühl! Bauchgefühl toppt alles? Ist der Bauch jetzt der Kapitän? Ständige Kurswechsel – wie soll das Bewusstsein seiner Rolle als Kapitän gerecht werden? Keiner nimmt es ernst, man spricht ihm die Kompetenz ab, es soll über die Planke gehen. Meuterei der Unterbewusstseins-Mannschaft.

Vorläufiger Zielhafen: Zufriedenheit und Glück. Eudämonie als Ersatz, als Surrogat für Sinn. Schon erstaunlich, dass der Mensch bei der Glückseligkeit nicht Halt macht, dass er darüber hinauswill; wie ein Gipfelstürmer, dem ein Achttausender nicht genügt.

Man versucht es mit Sinnieren. Jetzt geht es ab in die Tiefe. Gute Mine machen zum bösen Spiel: Trifft man auf eine Goldader? Grübeln und graben. Man setzt auf die Philosophie: Ist sie eine Goldgrube? Der Philosoph kann sich jeden beliebigen Claim abstecken. Er kann da in Ruhe werkeln. Eine werkgerechte Interpretation des Daseins wird ihm vermutlich nicht gelingen. Es beim Kampf ums Dasein belassen? Was hat es mit dem Daseinszweck auf sich? Eine KI hinterfragt das nicht; sie erledigt ihren Job. Eine Ameise oder eine Biene ebenso.

Helfen Sinnsprüche weiter? Das Glück beeindrucken mit Bonmots. Der Logik ein paar scharfsinnige Sentenzen schenken. "Im Ganzen – haltet Euch an Worte!", rät Mephisto. "Dann geht Ihr durch die sichre Pforte zum Tempel der Gewissheit ein." Klopfen gar nicht nötig.

Führen einen Sinnbilder zum Sinn? Symbolfiguren in die mentale Vitrine stellen. Wo vermutet man den Sinn am ehesten? Ideologen haben einen Geschäftssinn – sie wissen, was der Markt will, nachfragt. Einfach deren Angebot annehmen? Leider muss das übereinstimmen mit der inneren Vorgabe. Man hat ein Modell, eine Ahnung. Es ist wie bei einem Wort, auf das man momentan nicht kommt. Man weiß, welches es nicht ist. Oder wie bei einem Namen, der einem entfallen ist. Vielleicht ist es wie bei der Liebe auf den ersten Blick: sofort ein Treffer?

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/illustrations/konferenz-besprechung-sinn-leben-1886026/
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2024

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