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Interview mit der Hitze und der Kälte

Moderator: "Heute bei uns zu Gast im Studio: zwei, die selten gemeinsam auftreten. Begrüßen Sie gemeinsam mit mir: Hitze und Kälte!"

 

Hitze: "Ganz ohne Warm-up komm ich nicht auf Touren. Man hat mir eine hitzige Debatte versprochen."

 

Kälte: "Soll ich irgendwen kaltmachen? Bei dem lauwarmen Applaus bin ich dafür in genau der richtigen Stimmung."

 

Moderator: "Was glaubt Ihr, wen die Menschen mehr schätzen: Hitze oder Kälte?"

 

Hitze: "Machen wir uns nichts vor – wir sind beide extrem unbeliebt beim Volk."

 

Moderator: "Ist Gefühlskälte erstrebenswert? Ein frostiges Wesen?"

 

Kälte: "Ja, warum nicht? Ich bin damit immer gut gefahren. Kalt wie eine Hundeschnauze – das ist die exakt richtige Temperatur."

 

Moderator: "Die Kaltmamsell hat uns ein paar Schnittchen gemacht. Langt zu! – Was ist für Dich ein heißes Eisen?"

 

Hitze: "Ich fühle mich allmählich wie auf einem heißen Stuhl. Gefällt mir. – Die Wärme wird mir meist vorgezogen. Ihre Erfolge muss sie mir immer brühwarm erzählen. Und ich heuchle auch noch Anteilnahme und Interesse. Ich kann mit ihr nicht wirklich warm werden!"

 

Kälte: "Ich könnte sie kalt stellen. Mach ich für lau. – Ich komme ins Schwitzen. Du müsstest etwas von mir abrücken."

 

Die Hitze beugt sich provokant zur Kälte hinüber.

 

Hitze: "Was ist denn mit Deiner vielgerühmten Kaltblütigkeit? Die Kälte bekommt kalte Füße?"

 

Moderator: "Wenn sich Extreme zusammentun, löschen sie sich normalerweise aus. Es wird eingeebnet. Das Getrenntsein bewahrt Euch vor der Auslöschung."

 

Hitze: "Wie dramatisch. Dann seht mal zu, wie ich der Kälte den Garaus mache!"

 

Die Kälte flieht zum Moderator.

 

Hitze: "Der Klimawandel spielt mir in die Hände. Das Blatt wendet sich zu meinen Gunsten. Die Kälte wird nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Die Menschen werden stöhnen, wenn ich meine legendären Auftritte habe."

 

Kälte: "Ich brauche Abkühlung. Früher war ich echt cool. Man schätzte meine Ungemütlichkeit, lobte meine Unbehaglichkeit. Ich hatte eine Schneemänner-Armee! Jetzt ertappe ich mich dabei, wie ich vor den Kühltruhen der Supermärkte verweile, dort gerne abhänge. Rote Nasen und Ohren? Ein ganz seltener Anblick. Wann wird's mal wieder richtig Winter?"

 

Moderator: "Noch etwas kalten Braten?"

 

Kälte: "Die Politiker produzieren noch mehr heiße Luft als saisonüblich. Wie soll ich da kaltes Blut bewahren?!"

 

Hitze: "Ich kann mühelos umschalten von Affenhitze auf Bullenhitze."

 

Kälte: "Der Erd-Thermostat ist kaputt. Repariert das denn keiner?! Kaltes Licht in den Städten ist ja kein Trost."

 

Moderator: "Das kalte Lächeln nimmt zu. Man ignoriert gekonnt die Mitmenschen und deren Probleme. Ein schön frostiges Miteinander."

 

Hitze: "Ich bin die Coolere von uns beiden. Die Welt liebt heiße Rhythmen, heiße Feger, heiße Flirts. Ich heiße das gut. Ich bin die Verheißung!"

 

Kälte: "Ich bin die Vereisung."

 

Hitze: "Das ewige Eis wird in die ewigen Jagdgründe geschickt."

 

Kälte: "Du bewegst Dich auf dünnem Eis!"

 

Hitze: "So wie demnächst die Eisbären."

 

Kälte: "Ich fände ein kaltes Schweigen jetzt mehr als angemessen."

 

Moderator: "Okay, dann spielt das Orchester jetzt das Musikstück 4'33" – 'Vier Minuten dreiunddreißig Sekunden' – von John Cage. Kommt ganz ohne Töne aus."

 

Hitze: "Stille stillt nicht das Bedürfnis nach Ruhe. Es ist gut, ein Hitzkopf zu sein. Maßvoller Radikalismus ist angesagt! Hotties an die Macht!"

 

Kälte: "Die Welt hat erhöhte Temperatur – und kein Arzt lässt sich blicken?"

 

Moderator: "Schadet ein hitziges Temperament?"

 

Hitze: "Keinesfalls! In meinem Tanzkurs 'Tanz auf dem Vulkan' bringe ich Euch alles Wesentliche bei. Oder bekommt Ihr kalte Füße?"

 

Moderator: "Wir sind Euch beiden nicht zugetan. Wir können mit Euch nicht so richtig warm werden. Wir sind Warmblütler. Dankbar für eine warme Mahlzeit, wärmende Socken ..."

 

Hitze: "Aber zumindest Euren Kaffee wollt Ihr brühheiß?"

 

Kälte: "Ich sage Dir: 'Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.' Ich bring mich ins Spiel. Ich bin der Gegenspieler der Hitze. Nicht cool, meine Leistungen nicht angemessen zu würdigen. Ich bin der Heißersehnte!"

 

Die Hitze umarmt die Kälte.

 

Hitze: "Lass uns Wärme machen! Wenn die Menschen so wild auf sie sind. Durch Selbstverleugnung ... Auf dem Temperatur-Altar opfere ich mich selbst."

 

Die Kälte stößt die Hitze zurück.

 

Moderator: "Es läuft einem hier heiß und kalt über den Rücken."

 

Hitze: "Man muss das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist!"

 

Mit einem großen Satz springt sie auf die Kälte.

 

Hitze: "Drückend heiß ist es doch am Schönsten! Drück mich, halt mich, lieb mich! Ein Eisprinz, der sein Leben, sein Herz für mich gibt."

 

Moderator: "Hervorragend! Sie ignoriert gekonnt den eiskalten Blick und die eiskalte Miene: Übergriffigkeit in ihrer schönsten Form. Womit kontert Kälte?"

 

Kälte: "Ich bin nicht für Ausgleich. Man sollte sämtliche Differenzen verstärken! Besonders die Temperaturdifferenz."

 

Moderator: "Der kühle Verstand hat uns weit gebracht. Hitzköpfe gewinnen keine Nobelpreise."

 

Hitze: "Was ist schöner als ein durchsonnter Tag? In Unbesonnenheit steckt Sonne!"

 

Kälte: "Völlig verquere Logik! – Ich würde jetzt gerne in Rage kommen – aber mein Temperament lässt das nicht zu."

 

Hitze: "Ich könnte Dir beibringen, wie Du temperamentvoller wirkst. 'Heißer Scheiß' lautet der Titel meines Buches, aus dem ich nun die ersten drei Kapitel vorlesen werde."

 

Moderator: "Dafür ist später Zeit, wenn die Studiogäste gegangen sind."

 

Hitze: "Eine heiße Affäre mit der Unlogik hilft gegen das kühle Kalkül. Vereiste Seele. Ich tau Euch auf."

 

Moderator: "Die innere Sonne wird schwächer. Ratio und Kalkül sind wie schwere Wolken ..."

 

Hitze: "Eine lichtdurchflutete Seele zaubere ich Euch im Nu! Kann ich Euch beschaffen. Das innere Zentralgestirn soll was hermachen. Ihr steckt in Eurem Algorithmen-Labyrinth – und findet da nicht wieder raus."

 

Kälte: "Unwissenheit ist ein Segen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Warum sich in alles reinziehen lassen? Überall Gleisner. Man gerät auf falsche Gleise."

 

Moderator: "Ein Thermostat fürs Gemüt wäre praktisch. Das Gemüt erhitzt sich oft zu sehr. Kühlen wäre angebracht. Mal ein sonniges Gemüt, mal ein mondiges. – Ich danke Euch für das Gespräch. Ich hoffe, Dein Buch geht weg wie warme Semmeln."

 

Kälte: "Ich habe auch ein Buch geschrieben. Titel: 'Kalter Kaffee und Schnee von gestern'. Kann ich niemandem wärmstens empfehlen."

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/illustrations/ai-generiert-stern-weihnachten-9220845/
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2024

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