Man will ein interessantes Leben – sonst droht der Abstieg in die Apathie. Andererseits verhindert Desinteresse, dass man sich zu sehr engagiert, verausgabt, überall einbringt. Gezieltes Desinteresse könnte dabei mithelfen, die wahren Interessen freizulegen. Wie bei einer Marmor-Skulptur. Den Marmorblock mit dem Meißel des Desinteresses so bearbeiten, dass die eigentliche Figur sichtbar wird, offenbar wird.
Was berührt unser Wesen, wo sind die eigentlichen Interessen? Jeder behauptet von sich, interessant zu sein: Bücher, Institutionen, Marken – alle wollen was von einem. Sie alle wollen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Aber man kann diesen Platz nicht allen und allem zugänglich machen. Sich abschirmen, Filter und Barrikaden davor.
Wovon lässt man sich leiten – von der Wissbegierde? Unbegrenzte Neugier ... Alles bleibt an einem haften – wie bei einem superstarken Magneten? Man zieht zu viel an, man müsste das abschwächen. Motivation als Gut. Man darf nicht zu spendabel damit umgehen. Time is money. Da tummeln sich allerlei Zeitdiebe.
Kann man sich Interesse andressieren? Sich für etwas bewusst motivieren? Wäre praktisch. Oder wird man zur Maschine, zum Automaten, wenn man so leicht steuerbar ist? Sein eigenes Wesen ignorieren – sich ganz neue Interessensgebiete erschließen? Sich neu definieren. Interesse als Speerspitze, als Phalanx. Oder reißt einen das Interesse in Abgründe? Zottelt man hinterdrein wie der Halter eines übergroßen Hundes? Interessen können eine Eigendynamik entwickeln. Man will partout das Rätsel lösen. Man bleibt am Ball. Man ignoriert den Irrsinn, die sich dazugesellende Unlogik. Man jagt womöglich einem falschen Hasen nach in diesem Windhundrennen.
Desinteresse bei Bedarf hinzuschalten, einschalten zu können, würde der Ratio gefallen. Was die Gefühle ihr da alles aufbürden, unterjubeln wollen! Nie interessiert man sich für feuchten Kehricht? Man muss sich ständig Gründe einfallen lassen, um auf dem gewünschten Kurs bleiben zu können. Die extrinsische Motivation macht einem das Leben schwer. Man spürt nichts dabei: Jemand will, dass wir wollen.
Ist man interessant für die Welt, ignoriert sie einen etwa? Letztlich ist man wohl so etwas wie ein Markenprodukt – eines von vielen. Der Auftrag lautet: sei interessant, wirke vielversprechend. Wirkt wie eine Einladung zum Hochstapler-Dasein. Man baut sich eine interessante Fassade. Man hat nichts gemein mit Max Mustermann. Ganz im Gegenteil: Man ist außergewöhnlich – man fällt aus der Reihe und immer auf die Füße.
Wo liegt der derzeitige Interessensschwerpunkt – wie verlagert man den unauffällig? Muss ja nicht jeder mitbekommen. Man muss sich verändern – dann bleibt man auch für sich selbst interessant. Das Gleiche langweilt das Gehirn – man sieht da kaum noch hin beziehungsweise man sieht da durch oder darüber hinweg. Veränderungen fallen auf, die sind per se interessanter. Wo bewegt sich was? Stillstand ist öde. Den Gedankenfluss zu stoppen, fällt einem schwer. Das Gehirn will unterhalten sein; es sträubt sich gegen aufgezwungene Monotonie. Ablenkungen sind hochwillkommen – was wird da in die Timeline gespült?
Bewusst mal etwas auswählen, wo Langeweile garantiert ist? Das Gehirn triggern. Der freie Wille macht es möglich: Man greife zu beim Buffet der Langeweile! Man distanziert sich von seinen bisherigen Interessen – bekommt etwas Abstand. Der Blick von außen, von außerhalb – Desinteresse hat etwas Befreiendes, man ist nicht mehr so an die Welt gebunden. Wünsche ketten einen an das Sein, Wünsche treiben einen voran – aber man ist so was wie ein Schaf, das vom Hütehund nach Willen und Maßgabe des Schäfers dirigiert wird. Wunschgetrieben.
Sich Interessen abtrainieren – hat man diese Verfügungsgewalt? Interesse ist wie ein Lebewesen: Man kann es wecken, es verlieren; es kann wachsen. Welches Futter gibt man ihm? Futterneid bei den divergierenden Interessen? Wer wird zuerst gefüttert, wer kriegt die größten Portionen, wessen Futternapf wird regelmäßig gefüllt? Manche Interessen sind gut im Futter, manche verweigern ihr Futter trotzig.
Ordnet man seine eigenen Interessen unter, so wird man selber zum Kanonenfutter? Interessen ausbalancieren – nationales Interesse, Gemeinschaftsinteresse, persönliches Interesse. Alle Rollen wollen bedient werden. Man tanzt immer auf mehreren Hochzeiten zugleich. Interessante Interessenkonflikte.
Für eine Firma wirkt man interessanter, wenn man sich beim Bewerbungsgespräch kaum interessiert zeigt. Man lässt die Qualifikationen sprechen. Je mehr man sich um etwas bemüht – umso mehr wendet es sich von einem ab: ein Paradoxon?
Das Uninteressante hat für uns kein Gewicht, keinen Reiz – es steht einem aber frei, sich vom Interessen-Diktat zu lösen, sich davon zu befreien. Andere Vorgaben, andere Zielkoordinaten. Was entdeckt man außerhalb des interessanten Bereichs? Zunächst stellt man fest, dass man auf verdammt vielen Bereichen unwissend ist. Ein gebildeter Ahnungsloser. 1001 Bereiche, die einem wildfremd sind. Das Interesse hat einen bislang das alles meiden lassen. Kennt man nicht; ein Blick über den Wissens-Zaun; dahinter das weite Land des Halbwissens, danach eine riesige Wüste des Unwissens. Ist man stolz auf sein Ignorantentum?
Interesse leitet, aber es verleitet auch dazu, in seiner Bubble zu bleiben. Das Fachfremde hat man erfolgreich ausgeblendet. Das Interesse narrt einen – muss man als Fachidiot enden? Ist das das Schicksal aller Experten?
Interesse ist ein zweischneidiges Schwert. Man wirkt schneidig. Offenheit und Konzentration auf eine Sache als Gegensatzpaar? Man ist kein Wald von Koryphäen.
ENDE
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Tag der Veröffentlichung: 13.11.2024
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