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Heile Welt

Der Wille zur Idylle ist ja da; dennoch ist der Bau einer heilen Welt komplizierter, als es die religiösen Baupläne oder politischen Heilspläne vermuten lassen. Auf die Schnelle wird das nix. Keine "Maggi Fix"- oder "Knorr Fix"-Hilfsmittel.

Oder man blendet wie bei der Postkartenidylle alles Störende einfach aus. Nicht zu genau hinsehen, den Blick schweifen lassen, sich an Details erfreuen: Wird es so etwas mit dem Heile-Welt-Gefühl? Augenblicke können schön sein. Eine Zeitspanne bis zum nächsten Malheur. Der Moment macht echt was her. Auskosten, was sich da so anbietet. Eine Fragmente-Heile-Welt. "Erstklassige Patchwork-Arbeit", nennt es die Erinnerung. Man kann sich seine persönlichen Highlights wie bei einer Dia-Sammlung immer mal wieder anschauen.

Einen echten Heilsplan fürs eigene Leben hat man nicht. Man läuft immer geradewegs am Glück vorbei – beinahe schon zielsicher. Idylle mit der virtuellen Brille? Soll die KI was anbieten. Der Locus amoenus ist vermutlich im Cyberspace, im Metaverse einfacher hinzubekommen. Im Real Life misstraut man der Idylle; man hinterfragt einfach so lange, bis von ihr wirklich nichts mehr übrig ist. Bis auf die Knochen abgenagt – man wünscht sich Waidmannsheil beim Erlegen der Idylle. Sehr clever wirkt das nicht. Blattschuss für alles, was nach Frieden riecht. Waidmannsheil, Petri Heil! – wohl auch immer eine Frage der Perspektive. Der Hirsch und der Karpfen finden das nicht so lustig.

Verlangt das eigene Heil immer das Unheil von anderen? Die Evolution würde dem vorbehaltlos zustimmen. Ein Ort kann ein Locus terribilis und Locus amoenus zugleich sein – eine Betrachtungsweise, ob man sich in der Hölle oder im Himmel befindet? Wie weit geht die Verwandlungsmacht der inneren Einstellung? Kann der Mikrokosmos dem Makrokosmos irgendetwas befehlen, wie weit reicht seine Kompetenz?

Die Kunst liegt in der Begrenzung: sich auf Ausschnitte konzentrieren, Detailansichten, sein Heil in der Flucht ins Kleinbürgerliche suchen? Kleinstadtidylle – warum nicht? Die täglichen Apokalypsen kleinbekommen – sollen die sich in Acht nehmen! Zuweilen ist man nicht der Protagonist seiner eigenen Story – sondern irgend so ein Kleindarsteller. Wie klein darf so eine Idylle sein – eine Idylle im Miniformat ist immerhin besser als gar keine. Oder man ist ein Idylliker – komme, was da wolle – so als Lebenseinstellung? Idylle hat leider den großen Nachteil, dass man ihrer schnell überdrüssig wird. Eine länger andauernde Idylle schlägt um in Langeweile. Idylle ist nur was für Zwischendurch? 3 Tage Idylle – darf es etwas mehr sein?

Was verlangt man vom Leben? Und welchen Preis müsste man für diese Idyllen-Belieferung zahlen? Was verspricht man sich von Idylle und heiler Welt? Ein bisschen Frieden? Aber man hat kein Talent für Friedfertigkeit. Liegt einem nicht, muss an den Genen liegen oder an den selten dämlichen Ansichten der anderen. Selten, dass man sich nicht aufregen muss. Idylle klappt wohl nur in völliger Einsamkeit. Auf der Insel der Seligen ist immer nur Platz für eine Person? Paradies im Kleinformat. Paradies to go wäre schön: einen Teil seiner Seele für eine Parzelle des Garten Edens reservieren; einen Seelen-Schrebergarten. Rückzugsort bei Übellaunigkeit und beim plötzlichen Verlangen zum Affront.

Charme und Zuversicht versprühen als Alternative zum Pfefferspray. Seligkeit verwirklichen – aber wohin mit der Feindseligkeit? Die Stinkwut parfümieren? Irgendwas trennt einen immer vom Idyllischen. Ist wohl so etwas wie eine Fata Morgana – kein gutes Leitbild. Zwischendurch trifft man Romantiker, die auf der Suche nach ihrer blauen Blume sind.  Blau wie ein Veilchen als Notlösung? Gibt wohl keine Wünschelrute für die Sehnsuchtsorte. Wo vermutet man sie, ist das noch im Diesseits? Lebensfreude als Bewertungsmaßstab? War es ein erfülltes Leben, wenn man viele Lebensfreude-Punkte sammeln konnte? In der Nähe des Kühlschranks ist das Land, wo Milch und Honig fließen. Na immerhin. Oasen des Genusses.

Wen verlangt da noch nach Bukolik – kein heftiges Verlangen nach Hirten- und Schäferdichtung? Lieber auf die Alm statt Alma Mater? Wird Idylle immer seltener – wo ist noch unberührte Natur? Die heile Welt kränkelt, wenn zu viele sie bedrängen, zu viele was von ihr wollen – allen voran die Heerscharen an Influencern? "Et in Arcadia ego" – "Auch ich war in Arkadien", will jeder von sich sagen können. Mit Gebrüll ins Idyll! Jäger der verlorenen Idylle.

Heil landen im Paradies, wenn man auf den Heiland hört? Oder die Idyllen verhüllen – wir würden sie ohnehin nur zumüllen? Sich bewusst mit Idyllischem umgeben – färbt das ab auf einen? Stück für Stück Idylle heranschaffen? Was spricht einen an – was tut der Seele gut? Seligkeit in kleinen Dosen. Oder schauspielern – so tun, als wenn alles in bester Ordnung sei; das beruhigt das Gemüt. Im Nu ist eine Märchenwelt aufgebaut – und noch etwas blauen Dunst vormachen. Oder soll man der kaputten Welt 'ne Chance geben – sie einfach machen lassen, sich ihr nicht in den Weg stellen? Insel der Unseligen, Oase des Missmuts, Garten Eden voller Unkraut.

Als Kind glaubt man an das Konzept der heilen Welt – später findet man sie zum Heulen? Die beste aller Welten kann doch nicht so kaputt sein? Repariert das denn keiner? Ist das ein Konstruktionsfehler? Unheil, nimm Deinen Lauf?

Genügt einem ein goldenes Zeitalter mit einem Auftrag aus Blattgold? Ein edler Touch. Ein Tick Humor – und man hat eine gute Zeit? Nicht alles auf die Goldwaage legen – Zugeständnisse ans Unechte. Falsche Klunker statt Beryll – dann hat man sein Idyll.

 

ENDE

 

Impressum

Cover: Cover-Bild von Manuela - https://old.bookrix.de/-schnief/
Tag der Veröffentlichung: 07.11.2024

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