Das Leben ist kein Kreuzworträtsel. Sonst gäbe es ein Lösungswort; alles würde Sinn ergeben. Eines passt zum andern beim Kreuzworträtsel; es greift ineinander; vollendete Harmonie. Jemand hat das erdacht – heutzutage meist eine KI. Man bekommt Struktur, Ordnung – wenn man sich Mühe gibt; das ist die Zusage, das Versprechen.
Flieht man in die relativ überschaubare Welt der Kreuzworträtsel? Begriffe, die immer mal wieder auftauchen; man kennt sich; alte Bekannte. Worte, die im Real Life Unbekannte sind. Stichwort: Crosswordese. Damit der Wort-Zauber funktioniert. Okay, manchmal muss man den Buchstaben Gewalt antun. Konsonanten, die sich im Real Life eher meiden würden, finden sich jetzt Rücken an Rücken. Die Crosswordese-Sprache zu beherrschen, macht einen zu einem Meister-Kreuzworträtsler. Im Alltag kann man damit nicht punkten, nicht landen. "Komponist mit 3 Buchstaben?", ist kein guter Gesprächsanfang.
Synonyme geistern im Hirn ... Wer kann wen vertreten? Das Schicksal jagt einen kreuz und quer – aber er gibt keinen Abschluss, kein befriedigendes Finish. Das Kreuzworträtsel hingegen hat Ordnung anzubieten – wenn auch mit allerhand seltsamen Worten. Kreuzfidel, wenn es gelingt. Für eine Weile ist man abgelenkt. "Du kannst mich mal kreuzweise!", sagt man zum Stress. Das Leben mit seinen unlösbaren Aufgaben – soll es doch sehen, wo es bleibt!
Die Crux ist, dass es mit einem einfachen Synonym nicht getan ist; das Leben gibt sich mit so simplen Antworten nicht zufrieden. Es ist ein seltsamer Rätselersteller, Rätselkonstrukteur. Wo ist das zugehörige Lexikon? Ein Kreuzworträtsellexikon macht es einem einfach. Heute ein Knobelkönig! Man sammelt Rätselwissen. Das Real Life nennt das lieblos "Ballast".
Vom Wortfieber gepackt, geschüttelt. Man hat es ja gleich … Nur noch 2 bis 3 Lücken ... Großes Interesse an was völlig Belanglosem. Sinnlosigkeit pur. Aber man genießt die Kreuzundquerfahrt. Die Augen wandern über die Felder, die Reihen. Wo passt was, wo geht was? Worte liegen auf der Zunge – und da bleiben sie dann auch. Das Unterste wird nach oben geräumt – wo versteckt sich der Begriff im Oberstübchen? Man fühlt sich fürchterlich dumm – man opfert für dieses Erlebnis sogar einen Teil seiner Lebenszeit. Es gibt ja kein Verdienstkreuz und kein Gipfelkreuz.
Suchbegriffe umschweben einen – eine Wolke von verwandten Begriffen. Und der richtige soll nicht dabei sein? Mentaler Krisengipfel – Beratung mit den Gedächtnispalast-Beamten. Wo bleibt die versprochene Lieferung von peripherem Wissen? Ist das Gedächtnis eine einzige Baustelle?! Abgrundtiefe Wissenslücken tun sich da auf. Wie kommt man überhaupt zurecht? Wo hat man das verdammte Wort hingelegt? Es müsste direkt neben diesem anderen Wort sein, auf das man gerade auch nicht kommt. Das Suchergebnis ist mau – als Suchmaschine wäre man ein Flop. Ist denn gar nichts katalogisiert – was stimmt nicht mit den mentalen Datenbanken? Wieso hat man sich eingeredet, dass dieses Kreuzworträtsel zu schaffen sei – man war auf ein schnelles Erfolgserlebnis aus – und jetzt diese Totalblamage vor sich selbst? Kleinere Brötchen backen – bevor man gar nichts gebacken kriegt? Andere Taktik? Wildes Rumraten. Rummachen mit der Unlogik; man hofft auf Zufallstreffer. Wieso spielt das Unterbewusstsein einem nichts zu? Schaut es da tatsächlich in aller Seelenruhe zu? Will es mit dieser Blamage nichts zu tun haben?
"Das Gedächtnis ist eine Schublade, die andauernd klemmt", meint Peter Ustinov. Ist das Wort-Gedächtnis tatsächlich derart untrainiert? Große Töne spucken – kein Problem –, aber was ist nun mit den 3-buchstabigen Komponisten?
"Der Optimist ist ein Mann, der Kreuzworträtsel sofort mit dem Kugelschreiber ausfüllt", meint Karl Farkas. Man glaubt an sich. Aber man irrt. Auf Holzwegen immer weiter rein ins Buchstaben-Dickicht. Die Worte sehen immer eigenartiger aus; teilweise sind sie echt unwillig. Der Austausch von Vokalen sollte doch kein größeres Problem darstellen? Nimm doch das verdammte U! Aber das Wort weigert sich. Das große Gemurkse – auch bekannt unter dem Namen "Verschiebebahnhof". "Und bist Du nicht willig, so brauch' ich Gewalt!" Hilft zwar auch nicht, aber Wut könnte die kleinen grauen Zellen dazu veranlassen, zu liefern. Ihnen Druck machen.
Warum wirkt im Nachhinein alles so ultraleicht und glasklar? Alle Probleme beseitigt. Kurz vorher war man noch so vernagelt: derart viele Bretter vorm Kopf – sogar kreuz und quer. So unschlau kam man sich schon lange nicht mehr vor. Wenn Buchstaben zu Suchstaben werden. Eine schöne Freizeitbeschäftigung? Man leidet. Kreuzelend und kreuzunglücklich – bis man plötzlich eine dieser vielen Mini-Erleuchtungen hat. Das passt – man ist genial; die Worte in der Nachbarschaft bestätigen die gute Wahl; alles fügt sich; pure Harmonie. Majestät des Augenblicks.
Nach und nach wird man ein Meister des Crosswordese – man spricht beinahe fließend Kreuzwortisch. Man kreuzt auf dem Buchstaben-Meer. Gegen den Wind der Unwissenheit segeln. Aber wo kommt man an? Man spricht eine Sprache, die kaum ein Bewohner des Real Lifes versteht. Nie gehörte Konsonanten-Verbindungen. Noch belangloser als das übliche Quizwissen. Nicht mal ein Nice-to-have. Aber die Felder wollen es so – sie verlangen danach. Man befiehlt den Silben: "Du musst, Du musst – und kostet' es mein Leben!" Sehr viel Dramatik dabei. Ein Kreuzzug gegen das eigene Unwissen. Das nächste Mal hat man die Synonyme parat.
Buchstabendreher? Da hilft ein mentaler Kreuzschlitzschraubendreher. Auch gut, falls man eine Schraube locker hat. Interessiert man sich für Kreuzworträtsel, weil man sich selbst ein Rätsel ist? Hofft man – wie durch Magie –, durch eine Abfolge von richtig gewählten Worten das große Lösungswort zu finden? Ein "Sesam-öffne-Dich"? Auf der Suche nach den inneren Schätzen – wenn da denn welche sind.
Ein Kreuzworträtsel nur mit Unworten? Ein Kreuzworträtsel nur mit Lieblingsworten? Um was soll man die Gedanken kreisen lassen? Über Kreuz liegen mit sich selbst ... Vielleicht tut einem etwas Abstand vom Real Life ganz gut? Was hat man auf dem Kasten – das sagen einem die Kästchen? Man will eine Bestätigung seines fulminanten Wissens; wie ist der derzeitige Wissens-Füllstand? Halbwissen hilft einem hier nicht weiter – die Worte wollen es genau wissen. Viele von ihnen gehören zum Standard-Repertoire: Man kennt sich – die Lieblinge der Kreuzworträtselwörterbücher. Viele von ihnen existieren wohl nur dort. Auf freier Wildbahn findet man sie zum Schießen.
Man hat sich vertan – ein Schuss in den Ofen? Im Leben müsste immer ein Bleistift erlaubt sein ... Aber das Schicksal sieht es nicht gerne, wenn man Fehler ausradieren will. Man sitzt in der Tinte.
Meine Oma hat immer gerne die Kreuzworträtsel in den Zeitschriften gelöst. Hält geistig fit. Einmal begonnen, will man so ein Kreuzworträtsel auch beenden. Das Gehirn will es so. Hasst es Unvollständiges, Unvollendetes? Der Trick besteht darin, mit Unangenehmem anzufangen – die Motivation gesellt sich plötzlich dazu; man macht sich das zunutze, dass das Gehirn eine Aufgabe gerne zu Ende bringen möchte. Man trickst sich selber aus. Unlust-Gefühle vs. Motivation: sie einfach im Ring immer wieder gegeneinander antreten lassen. Ein Kreuzzug gegen die Lethargie. Bringt aber auch mit sich, dass man völlig irrelevante Sachen beenden will – zum Beispiel ein Kreuzworträtsel. Man bleibt am Ball.
Fehlgeleitete Motivation? Macht das Kreuzworträtsel sich das zunutze? Es wartet auf seine Opfer; lockt zunächst mit scheinbar einfachen Begriffen; dann schnappt die Falle zu – und man wird zum Grübler. Eine fiese Kombination von einfachen und sauschweren Fragen? Da steckt doch System dahinter! Oder stößt man nur allzu früh auf die Grenze seines Wissens? Wird zurückgewiesen vom Unterbewusstsein – es verwaltet das Denk-Material, das selten bis nie angefordert wird. Gehirnfolter mit 16 Buchstaben: "Kreuzwortraetsel". Kopfzerbrechen auf die amüsante Art.
Man könnte auch unterstellen, dass das Universum an sich eine riesige Rätselfabrik ist. Das Lösungswort wurde bereits sehr früh bekannt gegeben: "Im Anfang war das Wort". Wir müssen uns das wieder erschließen? Ein Wörterbuch des Himmelreichs wäre hilfreich?
ENDE
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Tag der Veröffentlichung: 02.11.2024
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