Cover

Egoismus und Altruismus

Als Altruist würde man in einer Ego-Gesellschaft unschön auffallen. Es geht ja um Anpassung, bestmögliche Adaptation, meint Darwin. Survival of the Fittest – Überleben der Angepasstesten.

Wie steht es um die reproduktive Fitness beim Altruisten: Sieht der alt aus? Dschingis Khan hat wohl alles richtig gemacht: 16 Millionen Männer gelten als seine Nachfahren. Ist bislang aber nur eine Vermutung.

Die Religion favorisiert, setzt auf den Altruisten. Liebling der Evolution ist der Egoist. Ihr Motto: "Der Zweck heiligt die Mittel." Der Mensch als Blutsauger, Kultur-Zecke. "Jeder für sich in dieser Wüste des Egoismus, die man Leben nennt", meint Stendhal.

Bei den Genen fängt es ja an: "Das egoistische Gen" – "The Selfish Gene", nennt Richard Dawkins es beim Namen. Wir sind Überlebensmaschinen; Selbsterhaltung ist uns wichtig. "Brille zur Macht" – die richtige Sichtweise, dann brilliert man.

Wie weit kommt man als Gutmensch? Die Gene sind entsetzt. Auf was haben sie sich da eingelassen? Ist kein Megalomane in Sicht – jemand, mit richtig großen Plänen? Altruismus ist kein alterprobtes Konzept. Die Evolution ist mehr als skeptisch. Was will man ihr da andrehen? Macht die Religion ihre Sache nicht gut genug? Wirkt es wenig überzeugend, wenn sie Mitleid, Agape & Co. predigt? Fabeln verheißen ja, dass der Löwe einem hilft, wenn man ihm gefällig war; aber wie endet so eine Situation im Real Life? Sollten Altruisten sich in Märchenwelten zurückziehen – ist da ihre Chance? "Einer frisst den anderen" – klingt nicht nach gemütlicher Teegesellschaft.

Genügt es denn nicht, ein Pseudo-Altruist zu sein – muss es das ganze Programm sein? Sich unnötig mit Empathie beladen – man nimmt Anteil, man ist involviert, man lässt sich in wildfremde Angelegenheiten reinziehen ... Wie oft soll man denn hilfsbereit sein, wie viele Heldentaten im Monat? Als Kavalier fällt man heutzutage unangenehm auf. Wer will übergriffige Mansplainer?  "Selbstlosigkeit bedeutet, die anderen Menschen ihr Leben leben zu lassen und sie nicht zu stören", meint Oscar Wilde zu Recht.

"Da werden Sie geholfen", verkündet der pathologische Altruist. Jemandem was aufdrängen wollen – Meinungen, Waren – ist zurzeit en vogue. Schwuppdiwupp macht man sich zum Sprecher einer Gruppe – unbeauftragter Anwalt einer Minorität. Man weiß, was für die gut ist, man entscheidet für sie. Die Arbeiterklasse kann sich ja auch nicht selbst verwalten oder den Staat – die Partei macht das schon. Als Altruist ist man Herrscher über all die Minoritäten, ist Sprecher, ihr Verkünder. Man reißt das alles an sich. Gut, dass man zu den Guten gehört. Harald Martenstein meint: "Gutsein ist, wie alles, eine Frage der Dosis, wenn man es übertreibt, wird es totalitär."

Nächstenliebe dreht frei. Wer ist ihr nächstes Opfer? Welt retten im Alleingang – macht ja sonst keiner. Dank Omnipotenz-Wahn kein Problem. Aber selbst Superman braucht mal Urlaub. Geld spenden, ist einfacher. Untätig, aber wohltätig. Einer Welt, in der jeder ein Helfersyndrom hat, ist auch nicht mehr zu helfen. Eine Welt voller Genies wäre dumm dran.

Selbstaufopferung als Kult. Ayn Rand meint: "Das irreduzible Primäre des Altruismus, das grundlegende Absolute, ist Selbstaufopferung – was Selbstverbrennung, Selbstverleugnung und Selbstzerstörung bedeutet – was das Selbst als Maßstab des Bösen und das Selbstlose als Maßstab des Guten bedeutet."

Macht der Altruist sich nicht im Übermaß abhängig von der Meinung der Gesellschaft? Ist es letztlich PR für ihn? Für Firmen funktioniert dieses Prinzip: "Tue Gutes und rede darüber". Als Einzelmensch hat man es mit seinem Gewissen zu tun; es fordert, es drängt. Es spielt eindeutig im Team des Altruismus. Es spielt ihm zu. Es fällt dem Egoismus erbarmungslos in den Rücken. Muss 'ne neuere Erfindung sein. Die Dinosaurier waren damit noch nicht ausgestattet. Sie wären begeisterte Fans des Machiavellismus. Zurschaustellung von tugendhaftem Verhalten war nicht so ihr Ding.

Warum mit Güte und Gütern protzen? Reputation ist uns wichtig. Keiner ist gerne gesellschaftlich tot. Das veranlasst uns sogar dazu, Wildfremden zu helfen. Man verinnerlicht sogar das Nettsein. Man verleugnet den Egoismus aufs Abscheulichste. Und das Gewissen klatscht zu all dem auch noch Beifall. Es ist zum Mäusemelken. Aber das macht man als Veganer ja nicht.

Self-Other-Merging, Oneness – alles ist mit allem verbunden. Der Egoist hat da ein echtes Problem. Er will das alles nicht. Wie soll er sein Tagespensum an unsozialen Zielen schaffen? Wann bleibt dann Zeit, unsolidarisch zu sein? Sollte man sich auch zum Sendungswahn entschließen, einfach mitmachen, sich beteiligen?

Das Ego wie Lego betrachten: zusammengesetzt aus Bausteinen, die man bei Bedarf ersetzen kann? Legoismus – auf diese Steine können Sie bauen?

Welches Maß, welches Ausmaß an Altruismus passt zu einem? Hängt ja auch von der Stimmung ab. Ist man brummig, bärbeißig? Ein gewinnendes Lächeln könnte aber die anderen veranlassen, Gefälligkeiten einzufordern. Da hat der Misanthrop gut lachen – keiner will was von ihm. Er kann sich seinem Doomscrolling widmen. Leiden wir alle am Gemeine-Welt-Syndrom? Filme, Serien, Zeitungen berieseln uns mit Schreckensmeldungen und Gewaltexzessen. Brachialgewalt in einer Ellenbogengesellschaft ist angesagt. Der Raffgier-Egoist sagt sich: "Rette, was zu retten ist!"

Interessant ist die Kombination von prosozialem Verhalten und Misanthropie: Man schauspielert das Gutsein. Oder man möchte als Altruistische Persönlichkeit nicht zugeben, dass man gutmütig ist. Wird einem als Schwäche angekreidet. Erstaunlicherweise kann man ein besserer Egoist sein, wenn man kein Egozentrist ist. Statt egozentrisch: alterzentrisch. Alles verstehen, heißt, alles besser ausnutzen zu können. Wie beim Schach: Den anderen durchschauen – und alles gegen ihn verwenden.

Welches Setting fördert den Altruismus, in welcher Umgebung gedeiht er am besten? Ameisen und Bienen würden antworten: im Kreis von Verwandten, die Population nicht zu groß. Aber auch Verwandte würde man zuweilen gerne zum Mond schießen. Zu viel Nähe macht unbestreitbar streitbar. Man wird nicht gerne unverwandt angesehen. "Alle Menschen werden Brüder" – oder genügt es, wenn man über ein paar Ecken verwandt ist?

Will man sich bereichern, die Welt bereichern? Zuschauen beim Kampf der Gene und Meme. Welche Gedankenbausteine schaffen es in die nächste Generation? Die Menschen werden intelligenter, größer – werden sie auch altruistischer? Altruismus lässt sich nicht erzwingen, man kann ihn nicht befehlen. Genauso wie bei der Freundschaft. Der Wille scheitert bei so einem Vorhaben.

Oder soll man mechanisch Mitleid trainieren, sich ins Empathie-Korsett zwängen? Die Liebe lässt nicht mit sich verhandeln.  Agape – die reine, selbstlose Liebe bleibt eine Fata Morgana. Alles, was einem bleibt, ist, zu schauspielern. "Der Egoismus spricht alle Sprachen und spielt alle Rollen, sogar die der Selbstlosigkeit", meint François de La Rochefoucauld.

Man kann ja nicht mal sich selbst bedingungslos anerkennen, sich Beifall zollen für jeden Tag. Höflichkeit ist zur Stelle, sie springt ein: Ersatz für Allsympathie. Alles eine Nummer kleiner. Sich mit Sekundärtugenden behelfen – zu denen muss man sich immerhin nicht bekennen: Pünktlichkeit, Fleiß, Disziplin ... Das müsste zu schaffen sein. Ein Philanthrop en miniature.

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/illustrations/gier-geld-geizhals-banker-reich-9112620/
Tag der Veröffentlichung: 21.10.2024

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /