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Interview mit Jacques Offenbach

Moderator: "Heute bei uns zu Gast im Studio: Jacques Offenbach. Was mit ein bisschen Feenstaub alles möglich ist. Gespräche mit Abgelebten. Obwohl man als gefeierter Komponist ja nie so ganz weg ist; immer einen Fuß in der Gegenwarts-Tür."

 

Jacques Offenbach: "Wo bin ich hier? Was soll das?"

 

Moderator: "Unsere Sendereihe heißt 'Smalltalk mit berühmten Komponisten'. Ich hoffe, Du hast uns gute Anekdoten mitgebracht."

 

Offenbach ist mit Armkreisen beschäftigt.

 

Jacques Offenbach: "Also meine Gicht ist weg. Das ist ja wunderbar!"

 

Moderator: "Ja, die Feen leisten ganze Arbeit. Sie führen zuweilen Dein Ballett auf 'Le Papillon' – 'Der Schmetterling'. Den Zuschauer in Feerien, Zauberwelten entführen ... Wolltest Du mit Deinen 130 Bühnenwerken die Welt verzaubern oder entzaubern? Fokus auf das Groteske, Absonderliche ... Heiterkeit vermitteln ... Einen großen Bogen machen um alles Erhabene? Misstraust Du dem?"

 

Jacques Offenbach: "Schwerpunkt auf das Leichte. Das Leben ist schwer genug. Warum sollte die Musik das unterstützen?"

 

Moderator: "Die Handlung in den Operetten kann Klamauk sein?"

 

Jacques Offenbach: "Wir sind ja jeden Tag aufgefordert, aus dem Absurden, was das Leben uns so anbietet, was halbwegs Anständiges zu machen. Warum sollte es mir als Operetten-Komponist anders ergehen? Da hält man also sein absurdes Libretto in der Hand ... Ein Leben voller Misstöne; man ist missgestimmt. Und plötzlich entwickelt sich eine alles bezwingende Melodie; sie taucht aus dem Nichts auf – aber besser noch, Du hast sie vorbereitet, angedeutet. Sie schwebt herein – und nimmt Dich gefangen. Sie umtanzt Dich, sie lockt Dich in ihren Bereich. Musik ist wie eine Fee. Und Musik gehorcht dem Dirigentenstab – ein Zauberstab für den Moment."

 

Moderator: "Tut das Groteske nur so harmlos? Will es der Realität an den Kragen? Woran ist ihm gelegen? Wäre es nicht einfacher, was Pompöses zu komponieren? Den üblichen Werten bescheinigen, wie gut sie alles hier im Griff haben? Triumph der Liebe, der Weisheit ... Alles was uns bleibt, ist Galgenhumor?"

 

Jacques Offenbach: "Jeder Tag ist ein Einakter. Er schenkt uns Szenarien – wir singen Arien."

 

Moderator: "Mit Operetten die Welt retten? Inwieweit hilft Deine Musik? Der Romancier Émile Zola bezeichnet Operetten als 'public enemy' und 'monstrous beast'. Was haben Deine Offenbachiaden bewirkt?"

 

Jacques Offenbach: "Die Welt ein bisschen fröhlicher gemacht? Sie ist zuweilen sehr ernst. Ich misstraue dem Pathos. Es bringt uns nicht weiter. Es lähmt. Musik will spielen. Sie prüft, wie weit sie gehen kann. Nachtigall und Spottdrossel zugleich."

 

Moderator: "Du warst extrem fleißig. Unermüdlich. Dirigat des Fleißes. Wird man zur Komponiermaschine?"

 

Jacques Offenbach: "Ich wollte mehr, als nur Cello spielen. Musikwelten in sich entdecken ... Mit dem bloßen Einfall ist es ja nicht getan – er braucht Hege und Pflege, dann wächst er zu was Brauchbarem heran. Manchmal ein sonderbares Gewächs."

 

Moderator: "Friedrich Nietzsche meint: 'Wenn man unter Genie eines Künstlers die höchste Freiheit, die göttliche Leichtigkeit, Leichtfertigkeit im Schwersten versteht, so hat Offenbach noch mehr Anrecht auf den Namen Genie als selbst ein Wagner.' – Unterschätzt man die Operette leicht? Will man in einem Operettenstaat leben? Die Light-Version des Lebens erleuchtet uns?"

 

Jacques Offenbach: "Mag sein, ich bin ein Clown; es ist mein Naturell. Der Nachteil ist, dass es in so einer Welt keine Helden gibt – das Weihevolle verflüchtigt sich ... Vielleicht vertreibe ich es? Meine Musik verändert. Zuweilen wirkt etwas nur bleischwer – durch das Gewicht, das wir ihm beimessen."

 

Moderator: "Nietzsche meint: 'Wagner ist schwer, schwerfällig: Nichts ist ihm fremder als Augenblicke übermütigster Vollkommenheit, wie sie dieser Hanswurst Offenbach fünf-, sechsmal fast in jeder seiner Bouffonneries erreicht.' – Übermut als Ersatz für Mut? Der Gefahr ins Gesicht lachen, sie auslachen. 'Zähne zeigen' ist für den Homo sapiens nicht so wirkungsvoll; es wirkt bei einem Gorilla oder Pavian überzeugender."

 

Jacques Offenbach: "Uns erschließt sich die Welt des Grotesken, des Absurden. Man sollte davon Gebrauch machen. Man füge etwas Liebe hinzu – und die Logik verflüchtigt sich; sie verduftet. Ich kann das Erhabene nirgends finden."

 

Moderator: "Als ob die Evolution eine Aversion gegen Pläne hat. Ab in den Reißwolf mit unseren raffinierten Plänen! Das Leben gerät zur Farce; man entdeckt Ähnlichkeiten zu Deinen Operetten – als Spiegel, als Spiegelbild unseres Daseins. Man versucht es zunächst geduldig mit Planänderungen – aber die Wirrnis ist nicht aufzuhalten. Alles, was einem bleibt, ist: Freude an seinen Duetten und Terzetten zu haben – die sonderbare Herrlichkeit des Lebens gemeinsam besingen. Auf harmonische Art mit den Wölfen heulen."

 

Jacques Offenbach: "Eine Operette mit Hund gibt es von mir: Barkouf."

 

Moderator: "Ja, eine 'opéra bouffe' – oder soll ich sagen: eine 'opéra wuff'? Gibt es auch Operetten mit Goldfischen?"

 

Offenbach macht sich Notizen.

 

Jacques Offenbach: "Gute Ideen muss man festhalten, notieren. Sie fliegen einem zu wie bunte Schmetterlinge. Man hat nicht immer einen Kescher zur Hand. – Ich vermisse meine Pappkartons mit Ideen, Einfällen: Was man so ausgelagert hat; es wartet auf weitere Verwendung. Alles Fragmente. Eine fragmentierte Welt."

 

Moderator: "Man bemüht Antike, Exotik, Historie – nur um dann rumzualbern? Findest Du nichts von Wert auf diesem Planeten?"

 

Jacques Offenbach: "Vielleicht hatte ich Angst vor dem Seriösen? Das Erhabene schüchtert ein. Es lässt einem keine Rückzugsmöglichkeit. So aber ist es ein Spiel. Man weicht aus. Man hat Vorwand, Deckmantel ... leichtfüßig. Mitunter auch plattfüßig."

 

Moderator: "Deine Musik wirkt nie platt. – Mittlerweile gibt es elektrische Violoncelli; es gibt Roboter als Dirigenten; die KI komponiert recht leidlich liederliche Lieder. Das Genie wird verdrängt durch Technik. Die Technik verschafft sich Zugang zum Herz der Kunst. Erstaunt es Dich, dass Deine Operetten immer noch Anklang finden?"

 

Jacques Offenbach: "Man ist ungern ersetzbar. Vermutlich ist es das Bestreben eines jeden, nicht austauschbar zu sein; diesen Status zu erlangen. Krönung des Individuums. Die Kunst macht es einem leicht, sie kommt einem entgegen."

 

Moderator: "Besonders die leichte Muse?"

 

Jacques Offenbach: "Ja, man sollte nicht mit ihr verheiratet sein. Ein lockereres Verhältnis. Wobei das Bürgerliche dabei durcheinandergeraten kann. Eifersucht ist dem Komponieren abträglich. Seelenruhe ist wichtig. Sokrates philosophierte nicht in Gegenwart seiner Xanthippe."

 

Moderator: "Du bist bekannt für eingängige Melodien, Ohrwürmer. Man findet sofort Zugang zu Deiner Musik. Verständlichkeit steht immer im Verdacht der Trivialität. In dieser Hinsicht hat es das Delphische einfacher: möglichst kryptisch. Wer vage bleibt, wagt nicht so viel? Du hast lieber Wagner parodiert, als ihm nachzueifern."

 

Jacques Offenbach: "Ich habe mich um das Ernste ernsthaft bemüht; es entglitt mir wie ein Stück Seife. Steh ich auf Kriegsfuß mit dem 'höheren Zweck'? Kann etwas nicht für sich alleine wertvoll sein? Immer eingebunden in Bezüge; Verweise. Musik als Endpunkt, als reiner Selbstzweck. Heiterkeit nicht als Botschafter, Überbringer der allerneusten politischen Weisheit. Sind uns die Ruhepunkte abhandengekommen? Insofern könnten uns Operetten retten: das Ernste aussperren für die Zeitdauer eines Einakters oder Dreiakters. Musik befreit: Wir verlassen den Raum-und-Zeit-Käfig, begegnen Varianten von uns selbst. Sie malt mit Tönen; sie errichtet uns eine innere Domäne – zu der wir nur Zugang finden durch sie: Musik ist immer auch der Schlüssel zu den ureigenen Gebieten der Seele. Man gelangt nicht so weit ohne sie. Ihre Schwingung ermöglicht es. Wenn wir sie hören, stehen wir etwas außerhalb von Raum und Zeit. Verschoben, nicht mehr deckungsgleich mit dem üblichen Tages-Ich."

 

Moderator: "Ein Komponist neigt wohl dazu, Eigenkompositionen zu verklären. Émile Zola verteufelt die Operette. Ist sie zu harmlos, zu weltfremd, geht sie über Missstände beschwingt hinweg? Mit was sollte man die Operette beladen? Ist es eine Kur für den Misanthropen, wenn er den Auftrag erhält, eine Opéra-bouffe oder eine Opérette-bouffe in Zusammenarbeit mit der leichten Muse zu komponieren? Heiterkeits-Training. Fällt alles Schwerfällige von einem ab?"

 

Jacques Offenbach: "Meine Operetten sind kein Allheilmittel. Sie heilen keinen brüchigen Staat. Vermutlich gewähren sie einen gewissen Schutz: dem Publikum den Glauben, die Überzeugung einimpfen, dass das Leben lebenswert sei. Fröhlichkeit ist für mich eine Form von angewandter Magie. Bei Weitem nicht so wirksam wie Feenstaub."

 

Moderator: "Sind Operetten nicht einfach nur Flucht? Oder steckt in Offenbachiaden Sprengstoff?"

 

Jacques Offenbach: "Der Sprengstoff, aus dem die Alpträume sind: Spott, Hohn. Den Finger in die offene Wunde legen, gelingt mit Offenbach."

 

Moderator: "Machst Du jetzt Werbesprüche für Dich?"

 

Jacques Offenbach: "Man muss die Zeit nutzen. Wer weiß, wann die Feen mich wieder ins Reale hinüberschicken?"

 

Moderator: "Alle 100 Jahre sollte man so ein Interview machen."

 

Jacques Offenbach: "Dann versinke ich also jetzt wieder in meinen Dornröschenschlaf?

 

Moderator: "Schön, solche Erinnerung an versunkene Epochen. – Ein elektrisches Violoncello gibt es als Abschiedsgeschenk."

 

Jacques Offenbach: "Wie schön. Harfenmusik empfinde ich mittlerweile als Folter. Die Engel spielen das in einer Tour. Für meinen Höllen-Cancan, den Galop infernal, muss ich eine Etage tiefer."

 

Moderator: "Ich bedanke mich fürs Gespräch. Unser Orchester spielt zum Abschied die Barkarole: Belle nuit, ô nuit d'amour. Gute Nacht."

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.10.2024

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