Cover

Ausreden

Man sollte immer ein mentales Notizbuch mit Ausreden bei sich haben. Standardausreden fallen mit der Zeit auf; man muss da unbedingt Abwechslung reinbringen. Glaubhaft wirken, wenn man seine Lügen präsentiert. Es sind gerechtfertigte Schutzbehauptungen: Man kann ja seine Zeit nicht mit jedem Tinnef vertrödeln.

Ausreden müssen immer häufiger an die Front: ein Schutzwall gegen so allerlei Widrigkeiten; tolles Bollwerk. Glaubwürdigkeit wird durch permanente und sture Wiederholungen erzeugt. Von den Werbeprofis und Politikern lernen. So verwandelt man unwahre Argumente in recht brauchbares Material.

Sich Ausreden ausreden? Keinesfalls! Sie sind der Kitt des gesellschaftlichen Miteinanders. Mit Ehrlichkeit brüskiert man nur. Wahlkampfreden gut bestücken mit Ausreden. Die wahren Gründe und Beweggründe gehen nun wirklich niemanden was an.

Sollte man selber seine Ausreden glauben? Man fühlt sich ungern wie ein Faulpelz. Die Kraft der Ausreden lässt nach, wenn man an ihrer Berechtigung zweifelt. Aber mitunter wirken sie arg fadenscheinig. Bessere Qualität – Kurse belegen: Man muss ja auch seinem Gewissen Rede und Antwort stehen. Die Ausflüge ins Land der Lüge genießen können. Das Leben gewinnt an Leichtigkeit.

Aber werden Ausreden überall akzeptiert? An sich sind sie ein universelles rhetorisches Zahlungsmittel. Sich Ausreden versagen? Zu seinem Versagen stehen? Die beschönigte Version gefällt einem besser: Ausreden kleiden einen gut, manche sind maßgeschneidert. Mit passenden Ausreden wirkt man wie ein Gentleman. Ausflüchte sind wie ein diskretes Parfum – sie überdecken, was einem stinkt. Weitaus höflicher als der Stinkefinger.

Selbst Mathematiker verwenden gerne die Milchmädchenrechnung. Was wäre denn die Alternative: fatale Wahrheitsliebe? Die Wahrheit würde einen gnadenlos mit allem Unangenehmen konfrontieren – keine Ausrede, die sich schützend dazwischenwirft. Heftigstes Bombardement mit Geboten, Zwängen, Verpflichtungen ... Wann wäre da noch Zeit zum Chillen?

Statt Aufwand lieber Vorwand. Man kann sich gut dahinter verbergen. Ein Deckmantel macht einen zu einem Superhelden – er verleiht Superkräfte: Er zaubert alles Schlechte weg. Moralische Alibis zu Spitzenpreisen. Mogelpackungen gleich en gros einkaufen.

Ausreden sind bequem. Sie nehmen dem Leben seine Ecken und Kanten: Es läuft rund. Aufprallschutz: wie ein Rundum-Airbag. Warum soll man sich lausig fühlen? Mit wenig Aufwand ist ein Vorwand zur Stelle: verstellt den Blick auf alles Unangenehme, Fürchterliche. Das Leben ist ein Paradies im Ausrede-Park. Betreten der Phrasen verboten? Warum sich das verwehren? Willkommen im Vorspiegelungs-Labyrinth! Ohne Winkelzug kommt man nicht zum Zug. Ist nicht immer ein feiner Zug – aber man kommt ans Ziel.

Sind Ausreden ein Plädoyer für Bequemlichkeit? Auf jeden Fall! Faktenorientierte Argumentation verschreckt die Menschen. Man muss das verdünnen: Selbst Halbwahrheiten sind meist schon zu stark. Der Zuhörer erwartet gut vorgeführte Finten. Faule Ausreden sind wie edler Schimmelkäse. Cremiger Bullshit. Man muss das nur geschickt vermarkten. Mehr bieten als Standardausreden. Ausreden nicht nur als Behelf – sondern im Dauereinsatz. Man muss das üben: manipulieren, irreführen, qualitativ hochwertige Ausreden auftischen.

Der Profi kann gleichzeitig einen Bären aufbinden, einen Floh ins Ohr setzen, Nebelkerzen werfen, einen vom Pferd erzählen. Wie soll man als Anfänger da mithalten? Manche Fanatiker wollen keine Ausflüchte gelten lassen. Sie haben eine Lügenphobie. Das disqualifiziert sie für sehr viele Berufe. Die Fähigkeit, aus dem Stand heraus faszinierende Fake-News produzieren zu können, befähigt einen zu den höchsten Ämtern.

Schön, wenn man Fiktion nicht mehr vom Realen unterscheiden kann: Man hat ganz andere Möglichkeiten als der an seinen Wahrheits-Pflock Gebundene. Ein riesiges Areal steht demjenigen zur Verfügung, der für das Fiktive aufgeschlossen ist. Abseits des Realen finden sich die besten Wahrheiten. Ausreden eröffnen einem diese fantastischen Möglichkeiten. Funkelnde Flunker-Juwelen. Wahr ist, was gefällt.

Alles scheint möglich mit Scheinargumenten. Aus der Luft gegriffene Statements sind allemal besser als Faktenhuberei. Man ist doch kein Faktotum der Fakten! Die schöne Welt der fiktionalen Fakten.

Große Ausreden schwingen mit Grandezza – frisch Ersonnenes ist ausgedienten Tatsachen bei Weitem überlegen. Altersschwache Fakten vermögen nicht mitzuhalten mit feinstem Fantasiegespinst. Mehr Spinner braucht die Welt!

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/illustrations/schild-verkehrsschild-stra%C3%9Fe-417828/
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2024

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /