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Macht der Bilder

Bilder haben Macht über einen; manche Bilder wird man gar nicht wieder los; sie verfolgen einen – als ob sie einen Stammplatz im Gedanken-Theater haben. Bilder haben Überzeugungskraft. Selbst wenn ihre Heimat die Fantasie ist, wirken sie frisch der Realität entsprungen.

Die Worte wollen es ihnen gleichtun: möglichst bildhaft sprechen, schreiben. Das abstrakte Denken geht einen Bund ein mit den Bildern: Das Abstrakte wird vorstellbar. Das Zeitalter der Selfies – Ikone sein, angemessene Huldigung des Ichs.

Das Selbstbild begleitet einen – manchmal dominiert es einen. Man würde eine PR-Agentur damit beauftragen, das Image regelmäßig aufzupolieren ... Aber wichtiger noch als das Image ist einem das Selbstbild. Da sind die Narzissten echt im Vorteil. Eine Schönheits-OP ist vergleichsweise einfach zu einer Korrektur des Selbstbildes. Andere übertölpelt man recht einfach, man kann der Welt was vormachen – ein Image ist veränderbar, man kann es mitgestalten. Das Selbstbild trotzt diesen Versuchen.

Wir sind Bildgläubige – "Ich glaube nur das, was ich sehe" – ganz versessen auf Bilder. Das macht sich die Magie zunutze: Für sie ist das ein Einfallstor. Die Poesie zaubert mit Sprachbildern; ein Bilderbogen an Gefühlen. Was gerät alles ins kollektive Bildgedächtnis? Wie bekommt man es da wieder raus? Wäre eine Löschtaste fürs Gehirn praktisch? Im Nu wäre das Selbstbild repariert. Diktatoren und Ideologien betätigen gerne die Löschtaste für das kollektive Gedächtnis. "War da was?"

So weit unsere Fantasie reicht ... Aber mit der KI reicht sie jetzt viel weiter; unvorstellbar weit. Sie erweitert unseren Bild-Horizont. Nicht mehr nur angewiesen auf die mentale Leinwand. Anstrengend, sich etwas einzubilden. Man ist schrecklich realistisch; die Fantasie kommt schwer los von der Realität, sie orientiert sich an ihr, sie ist ihr Mentor. Die KI ist kühner; sie stößt das Tor auf zu Unglaublichem: der wahren Macht der Bilder, einem Bilder-Eldorado.

Warum das Bilderverbot? Bestünde die Gefahr, dass dem Abbild ähnliche Verehrung und Bewunderung zuteilwerden würde wie dem Original? "Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen" – aber wird es dann nicht doch sehr abstrakt? Wir sind Bildgläubige; das Wort hatte es schon immer schwer mit uns. Wir haben ihm misstraut von Anfang an. Worte lieben die Ausflüge ins Lügenreich, sie passieren anstandslos die Grenze. Sie bringen es fertig, dass man gebildet klingt: Ein tolles Wort-Kostüm trägt man stolz zur Schau.

Bildung nur mit Worten – kommen die Bilder nicht zu kurz? Bilder prägen einen, sie prägen sich besonders tief ein. Besondere Augenblicke sind ein Bild für die Götter. Zeitalter der Memes – neue Zusammenhänge herstellen, alles ist mit allem witzig verbunden. Was man so aufschnappt an Bildern – Bilder als Gedanken-Nahrung. Ob das Bewusstsein damit was anfangen kann? Welchen Bildern gestattet man es bewusstseinsbildend zu sein? Was ist in diesem Sinne Junk-Food? Wir sind Bilder-Junkies.

Albert Einstein meint: "Phantasie ist wichtiger als Wissen. Sie ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein realer Faktor der wissenschaftlichen Forschung." Das tut der Fantasie sichtlich gut – so geadelt zu werden; kein bloßes Fun-Produkt; sie kann Wertvolles leisten. Imagination üben – immer deutlichere Bilder im mentalen Kino.

Aber man würde auch gerne aussortieren: einige der gespeicherten Bilder löschen, Bilderstürmer sein, Ikonoklast. Entbildern ist gar nicht so einfach. Jetzt nun die KI-Bilderflut. Ist was Ikonisches dabei? KI-Erzeugnisse anstelle von Fotos. Ähnlichkeiten mit der realen Welt wären rein zufällig? Es muss kein mentales Ölgemälde sein, meist genügt eine Skizze: Man kann damit gut arbeiten.

Bilder sind eine Lingua franca – wenn man mit seinem Latein am Ende ist, nimmt man Zuflucht zu Zeichnungen und Illustrationen. "Alles, was Du Dir vorstellen kannst, ist real", meint Pablo Picasso. Die Quantenwelt macht es einem echt schwer: ein abstraktes Gebilde. Wir können sie uns nicht vorstellen: Für uns ist sie nicht real. Sie entzieht sich unserem Wunsch nach Bildern von ihr. Kommt ja fast einem Bilderverbot gleich.

Wie bei den Programmiersprachen: Das Gehirn übersetzt sich das von einer Sprache in die andere – Text wird umgewandelt in gut speicherbare Bilder. Deswegen all die Traumbilder? Unermüdlich am Übersetzen. Das allsehende Auge ist ein Symbol Gottes. Es zeichnet uns aus, dass wir zu Vorstellungsbildern in der Lage sind. Wieso haben wir das innere geistige Auge?

"Gott erschuf den Menschen als Sein Bild, als Bild Gottes erschuf Er ihn." Ein Abbild, Ebenbild des Schöpfers – so etwas wie ein Selbstporträt, ein Selfie? Dann hätten wir ja bereits das Bild Gottes – das Bilderverbot heißt dann nur: "Du sollst Dir kein Bild machen, weil Du ja schon eines hast"? Eine große Verheißung der Bibel: Gottebenbildlichkeit.

Die Bibel insgesamt ist sehr bildhaft. Wobei Bilder viele Bedeutungsebenen haben können. "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte." Und manche Bilder sprechen einfach weiter, wenn man sie lässt – und wenn man bereit ist, ihnen zuzuhören.

 

ENDE

 

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Cover: https://pixabay.com/de/illustrations/traum-m%C3%A4dchen-feuer-ziel-mystische-4293806/
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2024

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