Welche Einstellung wäre nach einem Misserfolg die richtige? Alles einstellen? Die innere Einstellung überarbeiten, Feinjustierung? Störrischkeit maximieren? Motto: "Jetzt erst recht!"? Morgens ein Schuss in den Ofen – war leider ein Rohrkrepierer; zur Abwechslung ein Schlag ins Wasser inklusive Reinfalls ... Ein Meister darin, sich selbst einen Bärendienst zu erweisen. Lernt man aus alldem was? Inzwischen müsste Menschheit blitzgescheit sein; so viel Trial and Error, was wir hinter uns haben. Mit Vorliebe stürzen wir uns immer wieder auf die beliebtesten Fehler. Wer ist zuerst da am Fehler-Buffet?
Leider machen Misserfolge missvergnügt. Wie genießt man so etwas? Mehr Achtsamkeit beim Vermasseln? Man wäre gerne der Held seiner Geschichte; aber man stellt fest: Man erzählt keine Erfolgsgeschichte, eher so etwas wie eine Tragikomödie; und man entwickelt Sympathien für den Antihelden und den Antagonisten. Sehr übel das Ganze.
Misserfolge ignorieren? Oder sie sammeln. Ein Museum des Scheiterns – gibt es in Los Angeles und Helsingborg. Gute Anregung, um seine prächtigsten Desaster und Debakel in einem mentalen Museum zur Schau zu stellen. Gleich beim Aufstehen schon betrachten, ein kurzer Blick darauf – das hilft wunderbar gegen Hyper-Ehrgeiz.
Vielleicht sabotieren wir uns oft selbst? Hindernisse, die urplötzlich auftauchen, weil man sich vor dem Erfolg fürchtet oder meint, man habe ihn nicht verdient? Das Ziel ist auch immer Endpunkt; man wäre angekommen; man will aber ein Reisender bleiben? Man will weiterhin unterwegs sein. Man spürt noch nicht die innere Übereinstimmung mit dem Ziel?
Das Leben als Challenge – aber was tut man, was stellt man an, wenn die Challenge gemeistert ist? Aufgabe erledigt, abgehakt. Next Game? Wenn das Leben eine Story wäre, hätte der Held die allergrößte Mühe, würde es letztlich aber schaffen. Will man so ein Konstrukt, die Zusicherung eines Happy Ends, einen Endgegner, der mit der selben Besessenheit kämpft wie man selbst? Wäre ja witzig, wenn es einen nächsten Level gäbe, eine Fortsetzung, ein Sequel. Sich Fähigkeiten aneignen, sich Strategien zurechtlegen, ein Fundus an Möglichkeiten – für immer stärkere Gegner, neue Challenges.
In einem größeren Rahmen betrachtet, sind Misserfolge wertvoll. Man weiß zumindest, wie es nicht geht. Es geht jetzt vor allem darum, die Konstellationen, die Muster zu begreifen, Ähnlichkeiten der Spielzüge zu erkennen. Ansonsten sind Misserfolge wertlos; was soll man mit ihnen? Es muss einen Grund geben, warum sie besonders sorgsam verwahrt werden im Neuronen-System. Sie dienen jedenfalls nicht dem Ansporn; man muss drüber wegkommen. Man muss an sich glauben. Der Glaube versetzt innere Berge.
Yhprums Gesetz anwenden: "Alles, was funktionieren kann, wird auch funktionieren"?
Murphys Gesetz ignorieren: "Anything that can go wrong will go wrong" – "Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen"?
Zur Auswahl steht auch noch Finagles Gesetz: "Anything that can go wrong, will – at the worst possible moment" – "Alles, was schief gehen kann, wird schief gehen – und das im ungünstigsten Moment".
Extrem-Pessimist sein, Gelegenheits-Optimist? Ein Realist – ganz wild auf Objektivität? Die Subjektivität bietet den interessanteren Blick auf die Welt, auf das Problem; man ist mit Interesse dabei; man wertet, man gewichtet ganz individuell. Es ist eine persönliche Mission. Man ist ja keine KI. Wen als Berater zulassen? Ausschließlich die guten Gefühle und die Tugenden? Ist, als ob man nur mit der halben Mannschaft antreten würde.
Hat man Angst vor dem Scheitern? Die allseits bekannte Tücke des Objekts. Bereit für "Epic Fail"? Bei jedem Versuch, Probleme zu lösen, leisten sogar die unbelebten Dinge plötzlich unerwarteten Widerstand. Als ob Chaos dem System inhärent sei – man will da keinen Störenfried, keinen ordnungsfanatischen Problembewältiger, der überall nur Mängel sieht. Man tut sich schwer damit, das Chaos gutzuheißen: Der Mensch liebt Ordnung, System. Historie als eine Aneinanderreihung von Aufräumaktionen. Sintflut als so etwas wie göttlicher Frühjahrsputz, Großreinemachen?
Jetzt, mit der KI an unserer Seite, machen wir Jagd auf alle relevanten Probleme. Nehmt Euch in Acht! Oder zeugt jedes gelöste Problem zwei neue – so wie bei Hydra? Vermehren wir die Probleme, nehmen sie überhand? Das ideale Universum für Rätseltüftler: Rätsel, wohin man schaut. Und auch hier: Mit jedem gelösten Rätsel entstehen zwei neue. Damit sind wir erst mal beschäftigt. Ein reines Beschäftigungsprogramm für Homo sapiens? Wovon soll uns das ablenken? Vor dem Monster Langeweile? Dann doch lieber wie bei Sisyphos: Jeder bekommt seinen Felsblock.
Die Probleme verstellen uns geschickt die Sicht auf das wahre Elend: ein ödes Universum. Wir unterstellen ihm Faszinationskraft, statten es mit Charisma aus. Dabei ist es sterbenslangweilig – und ihm selbst ist wohl auch sterbenslangweilig. Vermutlich deshalb sein Wunsch, unterhalten zu werden von Geistern, die was Lustiges anstellen. Es streut Probleme über uns – wir baden darin; fast so wie in einem Bällebad. Sind wir Spielverderber, wenn wir das an eine Superintelligenz delegieren? Sind wir die Probleme satt, keine Lust mehr auf Thesen-Spiele?
"Per aspera ad astra" – "Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen" – aber selbst Nachbar Mars kreist außerhalb unserer Komfortzone. Was läuft schief? Ist es die Unmöglichkeit, den Moment als solchen würdigen zu können? Der Moment hat einem Zweck zu dienen, man will auf etwas hinaus, man nutzt den Moment mehr oder weniger geschickt – aber er hat sich einem größeren Plan unterzuordnen. Er ist verplant, eingebaut, er ist Baustein, Stufe, wenn es gut läuft: Förderband.
Sind die Ambitionen schuld, soll man alle Ziele zerschlagen? Wo wohnt das Glück? Erfolge liebt man, man will sie. Misserfolge erhalten ihren Wert nur in Bezug zu möglichen Erfolgen; man würde sie nicht herbeisehnen, man erträgt sie; aber man ist nicht gut darin, sie zu achten als Teil des Lebens.
Man wird misstrauisch bei allzu langanhaltenden Glückssträhnen. Die Ballade "Der Ring des Polykrates" handelt davon. Man erwartet den Wechsel von Erfolg und Misserfolg, wir sind so drauf. Erfolg nur in kleinen Dosen, dosieren wir zu vorsichtig?
Dies Zeitalter könnte paradiesisch sein: KI und Roboter sorgen dafür, dass alles läuft wie geschmiert, ein automatisiertes Paradies. Aber unsere Würde steht auf dem Spiel, wenn wir vor KIs und Robotern dastehen als Loser: Sie können alles besser, sie übertreffen uns – alles nur eine Frage der Zeit, bis wir vollends inkompetent wirken.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar" – aber sie wird hinweggefegt. Die Krone der Schöpfung ist nur noch Ramsch. Es scheint so, als hinge unser Menschsein mit der Existenz unserer Probleme zusammen. Sobald die gelöst sind, hören wir auf die eine oder andere Art auf, ein Erfolg oder ein Erfolgsmodell zu sein. Probleme machen uns aus – es scheint, wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen. Eine Gesellschaft gelangweilter Primaten, ambitionslos ... Allenfalls ein paar Pseudoprobleme stünden parat; nicht würdig eines Philosophen, Ingenieurs, Denkers … Die Welt ist angekommen im ultimativen, problembefreiten, problembereinigten Endzustand. Plötzlich sehnt man sich dann nach lohnenswerten Zielen für seine Ambitionen?
Aber die KIs und die Roboter sagen: "Lass mal, wir machen das schon. Wir sind jetzt ja da. Du hast keine 700.000 Bücher gelesen. Deine Datenbank und Dein Speicher sind zu klein. Sind so kleine Menschen mit so kleinem Geist ..."
Vermutlich brauchen wir unsere Flops. KI kann auftrumpfen mit GigaFLOPS. Mit diesen "Floating Point Operations Per Second" macht sie das Rennen. Uns bleiben keine gigantischen Flops. Zum Ausflippen!
ENDE
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Tag der Veröffentlichung: 07.09.2024
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