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Dinos

Woher kommt diese Sympathie für Dinosaurier? Schlechtes Gewissen, weil für sie beim besten Willen kein Platz in der Arche war? Die Vögel können mit ein bisschen gutem Willen als Mini-Dinosaurier durchgehen. Sie sind erstaunlich clever, so dass man sich fragt, ob die Dinos nicht auch recht aufgeweckte Burschen waren – mit beachtlichen taktischen Fähigkeiten. Willkommene Unterstützung für jede Armee; das wäre ein ganz anderes Kaliber als Hannibals Elefanten.

Die Dinomanie grassiert. Man will sie aber lieber im Jurassic Park sehen als im Stadtpark. Vermutlich würden wir sie im Nullkommanix ausrotten. Niederwalzen mit Panzern. Keiner käme auf die Idee, ihnen auf Siegfried-Art entgegenzutreten mit einem erbärmlichen Schwert. Sie kämen unter Drohnen-Beschuss.

Wie fossil sind wir selbst? Unser Erbe reicht weitaus weiter zurück als 12.000 Jahre. Wir sind nicht durch und durch Kinder des Holozäns. Es gibt den Begriff "Lusus naturae" – "Launen der Natur". Weitab vom Herkömmlichen ... Die Natur scheint sich da in etwas verrannt zu haben, eine Spielerei, eine Narretei: der Mensch als außer Kontrolle geratenes Experiment. Wir passen nicht zur sonstigen Flora und Fauna. Übergroße Intelligenz ... Was die Dinosaurier auf körperlichem Gebiet waren, sind wir auf geistigem: überdimensioniert, Giganten. Da kommt so ein Meteorit wie gerufen – und löscht all diese Übertreibungen und Auswüchse aus. Tabula rasa – wieder einmal.

Man will kein Dinosaurier sein. Vorwärtsgewandt, bloß kein Blick zurück – sonst versteinert man. 250.000 fossile Arten wurden erfasst – das hört sich viel an. Aber das ist nur ein Prozent von dem, was je existiert hat auf der Erde. Bisherige Bilanz der fleißigen Natur: über eine Milliarde Tier- und Pflanzenarten. Aussterben ist für sie Routine: Extinktion ohne Intention. Ob wir 170 Millionen Jahre überdauern? Die Dinos haben es vorgemacht. Ist das ein Ansporn? Challenge accepted?

Wir lieben das DIN-Gerechte, sind ganz versessen auf DIN-Normen. Vermutlich weil wir für die übrige Fauna nicht normgerecht wirken: krasse Außenseiter. Freigegeben zur baldigen Vernichtung durch einen Meteoriten? Ohne Dinosaurier wären unsere Mythen ärmer: als Drachen tauchen sie dort auf. Der Mensch ist angewiesen auf gute Antagonisten. Es gibt das Phänomen der Inselverzwergung: Wenn keine Gegner da sind, wenn alles paletti ist, besteht kein Grund und kein Druck, Größe zu zeigen. Bekämpfen wir uns deswegen so leidenschaftlich und furios: Angst vor dem Stillstand, dem geistigen Verfall? Wir haben ja sonst kaum andere Gegner. Keiner, der es mit uns aufnehmen will. Selbst die Stiere in der Arena muss man meist erst ermuntern. Ein Drachentöter ohne Drachen ist schlichtweg arbeitslos.

Jetzt bleibt uns nur noch Schnitzel im Dino-Format oder ein Dino-Plüschtier. Notfalls auch ein Dino-Toilettenpapierhalter oder ein Dino-Luftballon. Früher waren sie die Krone der Schöpfung. Gecancelt von den Veranstaltern dieses Universums. Keine Auftrittsmöglichkeit mehr für sie – außer den Piepmätzen. Unehrenhaft entlassen. Einfach so ausradiert zu werden – das zeichnet die Natur aus: ihre Willkür, ihre Launenhaftigkeit. Das verunsichert uns, das gibt zu denken. Die Natur hält sich nicht an DIN-Normen. Unsere Gesetze sagen ihr nichts. Jetzt erst mal das Holozän hinter uns bringen – dann schauen wir mal.

Die meisten Tiere sind zufrieden, wenn sie ihre Nische gefunden haben, der Mensch ist nicht gemacht fürs Nischendasein: Uns zieht es zum Epizentrum des Geschehens. Bei unserer Art ist es wohl besser, wir verlagern das weitere Geschehen ins Virtuelle; anderenfalls sind die vorgelegten 170 Millionen Jahre der Dinos nicht zu toppen. Uns würden jede Menge raffinierter Alternativen zum 10 km großen Meteoriten einfallen. Gar kein Problem. Weltmeister im Auseinandernehmen. Probleme aus der Welt zu schaffen, ist unsere Spezialität – aber wir erschaffen auch gerne zig neue. Das geht so Hand in Hand. Vielleicht können die Dinos doch noch unsere Lehrmeister sein? Das wäre ein echter Drachenschatz.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 03.08.2024

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