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Totgesagte leben länger

Totgesagte leben länger – oder gilt das nur für Typen wie Lazarus? Manchmal fühlt man sich innerlich mausetot. Wie den Totpunkt überwinden? Der Pep-Vorrat dieses Monats ist bereits aufgebraucht. Was vitalisiert einen? Der Glaube erweckt die Lebensgeister. Ist zu hoffen, dass den Dinosauriern so etwas nicht widerfährt. Deren Comeback auf der Weltbühne wäre für den Homo sapiens mit Unbill verbunden. Der Mensch steht gerne im Rampenlicht; wir wären dann allenfalls Komparsen, Nebendarsteller. Nicht in die Fußstapfen treten müssen von Tyrannosaurus rex & Co. Begnügen wir uns mit Mammuts.

Lieben wir Comebacks, Revivals? Liegt es daran, dass wir eigentlich nichts anderes haben: die ewige Wiederkehr, Wiederkunft des Gleichen? So richtig tot ist keiner – fast so wie unaustilgbare Superhelden? Unaufhörliche Auferstehung von Ideen, Meinungen, totgeglaubten und beerdigten Argumenten ... Eine Welt der Untoten? Man setzt auf Gamechanger; umgeben von Innovationen ... Dennoch alles alter Wein in neuen Schläuchen?

Ein totes Pferd zu reiten, ist natürlich gefahrloser. Aber als Hobby auf die Dauer etwas öde. Umsatteln. Zum Beispiel einen Dinosaurier einreiten. Falls der einen plattmacht, aktiviert man problemlos das Lazarus-Programm. So kann man sich auch gefahrlos totärgern über sich oder den Zeitgeist: Man konzentriert sich auf die zahlreichen Misshelligkeiten, Misserfolge, Missgeschicke, Missstände ... Macht es zu seiner Mission, die zu ergründen und zu durchleuchten mit finsterer Miene. Das Missvergnügen soll ja allumfassend sein.

Sucht man die Totpunkte? Sucht nach dem niedrigsten Energiezustand: Das ganze Universum macht es ja vor. Kein Planet dreht seine Runden just for fun. Man nötigt ihn. Eingeklemmt in die Notwendigkeiten. Das Elektron wird nicht gefragt, ob es auch mal mit anderen Atomkernen abhängen will. Der freie Wille – gönnt man sich den? Oder ist man nur eine tote Gliederpuppe? So wie ein Baum bewegt wird vom Wind – bewegt von Äußerlichkeiten.

Manchmal fühlt man sich lebendiger als sonst; nicht ganz so inkompatibel mit dem Universum. Personifikation der Lebensfreude ... Welcher Grad an Lebendigkeit ist erreichbar? Springlebendig wie ein Känguru auf dem Trampolin? Sich totstellen, sobald die Probleme auftauchen? Fallen die darauf herein?

Seltsamerweise sagt man den Untoten besondere Coolness und Kraft nach: glitzernde Vampire, die unglaublich agil sind. Manchmal begnügt sich der Zeitgeist damit, jemanden mundtot zu machen. Persona non grata kommt aufs tote Gleis – kein schöner Zug. Totschweigen ist angesagt – Tabus grassieren. Tote Gesellschaft voller Erwachter. Alles mit Humor nehmen – sich totlachen? Dann wäre all der Bullshit für was gut.

"Heute mal wird nur gebetet, morgen wird das Fleisch getötet, übermorgen beichtet man, und dann geht das Pilgern an", meint Wilhelm Busch. Schön, wenn man Möglichkeiten hat, mit seinen Unzulänglichkeiten klarzukommen. Nicht, dass einem nach und nach Seelen-Anteile absterben. Spirituell tot zu sein, macht einen zu einem besseren Wissenschaftler? Eine Pilgerreise zum Mittelpunkt des Universums hat die Physik nicht im Angebot. Der Glaube kann einen revitalisieren. Aufladen mit Energie ... Wenn selbst virtuelle Teilchen sofort einen Energie-Kredit bekommen. Man hat so seine Lazarus-Momente. Comeback der Lebensgeister.

Für die Schallplatte läuft es wieder rund. Die Musikbesessenen möchten ihre Musik wirklich besitzen; auch wenn sie nicht erklingt – sie ist präsent. Man benötigt keine Lizenz zum Tönen; inklusive der vertrauten Kratzer und Blessuren. Es ist nicht alles Flatrate. Das Unperfekte macht es perfekt. Sehnsucht nach Authentizität? Musikstücke als Zitate aus dem eigenen Leben: Die Schallplatten-Sammlung sagt einiges über einen selbst aus. Im Grunde alles Lieblingsmusik; persönliche Evergreens. Man kennt die Lieder in- und auswendig.

Beschert uns Nostalgie all die Revivals und Renaissancen? Oder sagt das nur etwas aus über die Qualität der Wiedergänger? "Unkraut vergeht nicht" – einfach nicht totzukriegen. Was für eine Resilienz! Infiziert vom Retro-Virus: rückwärtsgewandt in die Zukunft. Andererseits zukunftsverliebt: Die Hoffnung will es so – man malt sich aus, wie fantastisch das alles wird. Aber man reist eben mit Gepäck. Phoenix aus der Tasche. Das Beste aus der Vergangenheit als Extrakt immer mit dabei. Manches ist zu gut für eine einzige Saison. So ist man am Reanimieren. In Kontakt treten mit den kapitalen Zeitgeistern aus der Historie – es wäre ansonsten totes Kapital. Vielleicht überwindet man so auch am besten seinen toten Punkt: Schwungmasse aus dem Gedächtnis der Menschheit.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 17.07.2024

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