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Möbel

Ohne Möbel ist die Wohnung keine Komfortzone; man haust da allenfalls. Trautes Heim, Glück allein – aber doch nicht unmöbliert! Möbel verwandeln eine Steinzeithöhle im Nu: ein Fauteuil in die Ecke – gegenüber vom Ohrensessel. Schirmständer am Eingang. Schirme eignen sich auch zur Bärenabwehr. Die Illusion von DIY – Do It Yourself – gelingt mit einem Inbusschlüssel und Ikea. "Sitzt, passt, wackelt – und hat Luft" – alles paletti.

Die Kommode sieht futuristisch aus – verwegener Neigungswinkel: schöne Reminiszenz an den Schiefen Turm von Pisa. Das Umfallen hält sie sich als Option vorerst offen. Sollen Möbel vor allem funktionell sein? Ein ewiger Kampf gegen das Stilvolle, Verspielte, Überladene. Minimalismus ist nicht was für jedermann. Der innere Messie will sich durchsetzen – auch auf durchgesessenem Lehnstuhl. Haben die Fans Ikea die Lehnstreue geschworen? Magie der Spanplatten. Formaldehyd gibt's gratis dazu. Ikeas Verkaufsfläche als Verlaufsfläche: spannendes Labyrinth – gut, wenn die Freundin Ariadne heißt.

Der IKEA-Katalog war mal das "meistverbreitete Buch der Welt": Auflage von 220 Millionen. Ende 2020 eingestellt. Hellmuth Karasek verfasste 2015 eine humorvolle Rezension: "Man könnte dem Ikea-Buch vorwerfen, dass es mehr Bilder als Personen hat. Es erzählt viel, aber es ist sozusagen vollgemüllt mit Gegenständen. [...] Es ist ein möblierter Roman." Die Figuren heißen Billy, Karlstad, Salmi, Ivar, Gorm, Emilia, Tindra, Roskilde ... Gewinnen die Einrichtungsgegenstände dadurch an Persönlichkeit? Verleimten Holzwerkstoffen auf den Leim gehen? Zu wissen, dass es Regal Billy fast 100 Millionen Mal gibt – raubt das der eigenen Wohnung ihre besondere Note? Egal? Ein Me-too-Haushalt – ist das der Wunsch, der dahintersteckt?

Aus welchem Holz ist man geschnitzt? Spanholz-Ära. Ein Thron aus Spanplatten? Wäre das Trojanische Pferd aufgeflogen? Die Muse nimmt Platz auf dem Divan – selbstverständlich in West-Ost-Richtung aufgestellt. Es spielt eine Rolle, mit welchen Möbeln man sich umgibt. Das Interieur wird nach und Teil der Seele; man hat es vor Augen. Die Wohnung als Haus der Seele. Will man da einen Allerwelts-Billy mit "hochwertiger Papierfolie"? Massivholz – eine bessere Würdigung des Baumes? Für was hat er sein Leben gelassen? Span findet er nicht so spannend.

Möbel, Mobiliar – kommt von beweglich. Heißt aber nicht, dass das immer einfach vonstattenginge. Manche Möbelstücke sind erstaunlich unbeweglich, bleiben stoisch auf ihrem angestammten Platz, denken gar nicht daran, Platz beispielsweise für den Sauger zu machen. Tischrücken? Helfen Geister beim Schrankrücken – oder haben sie's mit dem Kreuz? Ein beliebtes Gesellschaftsspiel: ein widerspenstiges Klavier in den vierten Stock geleiten. Das muss ein Impuls sein: auch Truhen, Kühlschränke, Sitzgruppen veranstalten ein Sit-in – sie befällt der jähe Wunsch, im Erdgeschoss bleiben zu wollen. Möbel machen es einem schwer.

Plötzlich ist man ein Fan des Minimalismus. Man ist umgeben von Plunder. Am besten, man entsorgt sich auch gleich selbst. Das, was eine Wohnung wohnlich macht: sind das tatsächlich der Tinnef, die überquellenden Schubladen, die Bücher und Schallplatten in ihren Regalen, denen man sich kaum noch widmet? Alles online verfügbar – auch die Möbelkataloge. Hocker aus dem 3D-Drucker – nach einem Entwurf einer KI? Wird es damit persönlicher, findet der Charakter seine entsprechende Fortsetzung, Verlängerung in den Räumen? Möchte man ein Katalog-Leben leben? Dazu eine Bilderbuchkarriere. Corporate Design fürs Ich. Eine Influencer-taugliche Wohnung. Alles picobello.

Oder ist Chaos für den Kreativen nützlicher: Überall Anregung, ein Assoziationsnetz spannt sich sofort auf, fängt den Taumelnden? Ordnung hat was Zerstörerisches: Man wagt keine Veränderungen, das Perfekte scheint ja schon erreicht zu sein, man verharrt. Die Wohnung lädt nicht ein zu Gedankenexperimenten, sie ist steril, clean – und schön beige. Geordnetheit als Haltepunkt, als Endstation. Der Geist will basteln ... Vermutlich deshalb so beliebt: der Ikea-Hack. Möbel-Tuning Man macht was draus, man arrangiert und kombiniert neu. Deko ist eine Frage des Einfallsreichtums. Das Vorgefundene ist eine Ausgangsstation; die Möbel finden eine neue Bestimmung, einen neuen Daseinszweck. "Ist ja irre!", denken sie sich. "Was in mir alles steckt? ..." Alles kann plötzlich Teil eines Bausatzes sein. Da genügt allerdings nicht der Inbusschlüssel: Es wird gesägt, gebohrt, gefeilt. Wie Magie: "Werkbank bist Du gewesen – sei fortan Servierwagen!" Verwandlungskünstler ... Das traut man sich bei Massivholzmöbeln nicht. Da ist mehr Respekt – vor allem im Hinblick auf die eigenen tischlerischen Fähigkeiten.

Es hat was Shakespearehaftes: "Der Widerspenstigen Zähmung" – die Kommode sieht das allerdings nicht als Komödie. "Wo ist denn der Scherbolzen für den Trulleberg?" Es wird sogar zunehmend Faustisch: "Du musst! Du musst! und kostet es mein Leben!" Manche Möbelstücke machen es einem echt schwer. "In des Schrankes Knirschen nicht zu zagen." Schöne Devise. Aber er kippt! Hält ihn denn keiner? Beim Kronleuchter stellt man fest: "Es zucken rote Strahlen mir um das Haupt!"

Auch das Büro neu einrichten? "Hoch auf dem gelben Aktenwagen sitz ich beim Lager vorn." Was soll der Schreibtischstuhl?! Her mit dem Clubsessel! Oder ein Thron? Bei der Team-Besprechung sitzen alle in Hollywoodschaukeln – das hat was Entspanntes. Zeitungsständer werden wohl nicht mehr benötigt – sie stehen sinnentleert, brüten vor sich hin ... Das Leben hat sich ins Internet verlagert, der Schwerpunkt liegt jetzt im Virtuellen. "Wie man sich bettet, so liegt man" – Alkoven sind aus der Mode gekommen; nicht jedes Möbelstück findet seine Nische.

Raum ist in der kleinsten Hütte – zumindest mit Ausziehbett und Ausziehtisch. Gibt es auch Himmelbetten in der Hölle? Schade, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen – Ikea hätte dann noch mehr Holz für Spanplatten. Im siebten Himmel mit Möbeln, die zu einem passen? Wählen einen die Möbel aus? Drängt sich die Frisierkommode auf? Findet sie, man hätte sie bitter nötig? Derzeitiger Lieblingsschrank: der Kühlschrank. In der Nähe vom Esstisch.

Auch die Garage will einen Kronleuchter – sie will edler aussehen, sie hat Ambitionen ... Immerhin wurden viele legendäre Firmen in Garagen gegründet. Praktisch, wenn der Werkzeugschrank gleich neben dem Medizinschrank steht. Das macht mutiger.

KI-Möbel bauen sich vermutlich demnächst von alleine auf. Ihnen bloß nicht zeigen, wo der Hammer hängt. Früher hielten Möbel Generationen. Haltbarkeit? Unhaltbare Zustände für die Möbelbranche. Man umgibt sich mit Sperrmüll in spe.

Beige ist das neue Grau? Loriot: "Da haben Sie 28 Grautöne in jeder Qualität, da werden Sie bestimmt zufrieden sein: Mausgrau, Staubgrau, Aschgrau, Bleigrau, Zementgrau ..." "Soll ich mal so ein frisches Steingrau empfehlen?" Oder: "Eher so ein Braungrüngrau, das ins Bläuliche spielt?"

Möbel bewegen uns. Die Immobilie wird durch sie belebt. Schrecklich, wenn man auszieht – und in der nackten Wohnung sich umsieht: kaum wiederzuerkennen die Räume; wie tot. Die Seele hat diesen Ort bereits verlassen. Oder man möbliert im Geiste schon ein neues Appartement, man malt sich aus, wie man es anfüllt mit Möbeln, Hoffnungen, Träumen.

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/photos/m%C3%B6bel-wohnzimmer-modern-998265/
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2024

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