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Prost!

Realität pur – ist auf Dauer ja kaum zu ertragen. Man sucht den Rausch – auch als Befreiung von der extrem nüchternen Art des Reallifes. Muss es gleich ein Bacchanal sein? Wird man spiritueller durch Sprit? Den Spritverbrauch drosseln? Der Spritverbrauch steigt beim Nachdenken – man will in die hochgeistigen Gefilde. Wie befreit man den Esprit am besten? Ein Symposion einberufen – ein schönes Trinkgelage. Der Philosoph braucht das ihm angemessene Ambiente. Im Andron, im Männergemach, liegt man stilvoll auf der Kline – der Ruheliege. Ist bequemer als ein Barhocker. Leider völlig aus der Mode gekommen.

Vielleicht ist es deshalb so schlecht um die Philosophie bestellt? Man begegnet ihr nüchtern, kommt ihr mit Logik, will sie mit der Mathematik an seiner Seite in die Enge treiben. Man sollte sie einladen – sie ist mehr der gesellige Typ. Ein Trankopfer für die Götter – und für die Philosophie auch ein Schlückchen. Den Statuen zuprosten. Lasset das Brainstorming beginnen! Die Kylix lässig in der Hand – eine Trinkschale mit zwei Henkeln. Sich selbst reinen Wein einschenken. Was gärt in einem? Okay, Alkohol ist cytotoxisch und neurotoxisch. Die Leber ist gar nicht gut auf ihn zu sprechen. Aber man will hinter den Schleier der Welt blicken – oder was man sonst so an Ausreden für exzessives Trinken hat.

"Der Teufel hat den Schnaps gemacht, um uns zu verderben." Ist das eine gesicherte Erkenntnis? Lieber Binge Watching als lieber Binge Drinking? Wir haben einen Hang zum Übermaß, das Exzessive liegt uns. Manchmal fühlt man sich wie ein NPC – so ganz ohne freien Willen; alles nur Programme, die da ablaufen. Man funktioniert, aber man will mehr. Sind Männer unternehmungslustiger, legen sie sich gerne mit dem Wirklichkeits-Konzept an? Fasziniert von Science-Fiction, dem Weltraum, von Philosophie und möglichen Parallelwelten ... Es zieht einen ins Abstrakte – schon immer diese Verbundenheit der Männer zur Philosophie, dem völlig Abwegigen, dem Realitätsfernen .... Alles nur Flucht aus dem Alltag – oder steckt mehr dahinter? Ist es Auftrag, eine Mission?

Aber Alkohol als Begleiter? Wie weit kommt man als beschwipster Dionysosdiener? Dem Glück zuprosten … "Prost!" das wirkt beinahe wie ein Zauberspruch, eine Zauberformel. "Es nütze" – "Es sei zuträglich" – man erhofft sich was vom Rausch. Den Verstand benebeln für eine klarere Sicht auf die Welt? Dem Trunkenen fallen manche Widersprüche nicht so auf, die fallen kommen noch ins Gewicht, man ist großzügiger gegenüber der Unlogik. Soll sie mitfeiern! Man macht den Welterklärer, hat voll den Durchblick – leider ist man außerstande, das einigermaßen der nicht-besoffenen Welt zu verklickern. Die Worte tanzen auf ungewohnte Art, halten sich kaum noch an ihre Grammatik-Strukturen; Neologismen tauchen auf – noch nie gehörte Wortkombinationen, deren Sinn doch sehr flüchtig ist – man selbst weiß nach einer Minute bereits nicht mehr, was das bedeuten sollte. War aber sehr inhaltsschwer. Schade. So geht sie hin: Die Weisheit – ist alles doch sehr flüchtig.

Ja, im Wein liegt jede Menge Wahrheit – aber doch nicht im Blümchenkaffee! Härtere Sachen. Das ist ein Fall fürs Komasaufen? "Der Wein wandelt den Maulwurf zum Adler", meint Charles Baudelaire. Das ist es doch: eine andere Sichtweise gewinnen, abheben, endlich über den Dingen stehen oder kreisen. Aber dann kommt der Adler und frisst von der Leber. Typisch für uns Menschen ist wohl das Schwungvolle, die Begeisterung, das Prometheische. Alles erforschen, bis ans Limit gehen – und wenn der Alkohol dabei behilflich ist … Man abenteuert durch Assoziationswelten. Kein Zutritt für Nüchterne! Die müssen draußen bleiben.

Alkohol ist immerhin der schnellste Weg zur Trunkenheit; trunken vor Freude oder Glück: Da sind ganz andere Anstrengungen erforderlich – das ist mit Disziplin verbunden ... Da ist der Alkohol verlässlicher; er liefert. Er hält, was er verspricht. "Gut, besser, Paulaner" – "Gut. Besser. Gösser" – "Beck's löscht Männerdurst" – "Das Flenst!" "Die erste Pflicht der Musensöhne ... ist, dass man sich ans Bier gewöhne", meint Wilhelm Busch völlig zu Recht.

"Bohre den Brunnen, ehe du Durst hast." Also Vorräte im Haus haben; nichts ist ärgerlicher als unfreiwillige Abstinenz. "Jugend ist Trunkenheit ohne Wein", meint Goethe. Die Jugend bevorzugt Alkopops. Der Zeitgeist berauscht sich auf immer neue Art. Zu welchen Schlüssen wären Sokrates und Co. mit Alkopops gekommen auf ihren Symposien? Vermutlich hätte die Philosophie einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Der Wein hat ihr einen besonderen Drall mitgegeben. Hat die Philosophie noch genug Esprit? Auftanken mit Aprikosengeist, Kirschgeist? Wird es irgendwann wieder geistreicher?

Ist Trinkfreudigkeit eine Tugend? Durchs Trinken wird man jedenfalls debattierfreudig. Weinkenner sind etwas umständlicher – sie kippen das Zeugs nicht so rein. Anderen genügt ein Trinkspruch – ein Toast, wenn's denn sein muss. Oft bleibt keine Zeit fürs Zuprosten. Der erfolgreiche Kampftrinker will nicht zurückfallen hinter die anderen Kombattanten. Dionysos wäre begeistert. Trinkfestigkeit stärken. Trinken wie ein Loch – das reißt aber auch ein großes Loch in den Geldbeutel. Philosophen trinken selbstverständlich rein aus Erkenntnis-Gründen – vom Wissensdurst getrieben. Der Welt ein Loch in den Bauch fragen. Rausch nicht als Selbstzweck – als angenehme Nebenwirkung.

Dem Gefängnis der Realität entkommen, eine Außenschau der Welt. Mal kein NPC sein. Wie weit kommt man? Hängt von der Größe der Trinkgefäße ab. Nicht zu kleinlich sein. Sich im Rauschland alle Sehenswürdigkeiten anschauen – ist ja fast so was wie eine Heldenreise – Aufbruch ins Fantastische; eine schwankende Welt.

Sind die Götter mittlerweile beschwipst von all den Trankopfern? Eine Libation nach der anderen? Alkopops als Trankopfer? Wein predigen und Wein trinken. Der Rausch hat nie eine Medaille bekommen; wird er genügend gewürdigt? Eine ausgezeichnete Inspirationsquelle ohne Auszeichnung.

Alkohol macht gesellig und aggressiv – er kombiniert das elegant. Man umkreist die Sphäre der Weisheit – und liegt dennoch sturzbesoffen auf dem Boden. Ein Meister des Paradoxen; er hat's echt drauf. Die Bibel rät: "Berauscht Euch nicht mit Wein – das macht zügellos –, sondern lasst Euch vom Geist erfüllen!" Vermutlich ist der Alkoholrausch nur ein billiger Abklatsch vom echten Rausch: begeistert vom Leben und all seinen Möglichkeiten, es allumfänglich erfassen bzw. erahnen. Man will ja beschwingt sein.

Trunken von Musik – könnte ja vorerst ein Behelf sein. Begeisterung für ein Fachgebiet. Sollte man von der Musik den Göttern auch was opfern? Ihnen was Gutes zukommen lassen? Süchtig werden nach was Gutem. Die Realität herausfordern – mit ihrer Nüchternheit, ihrem prosaischen Geist … Ein Prosit der Gemütlichkeit – inklusive Katerfrühstück.

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/photos/alkohol-trinken-brille-getr%C3%A4nk-428319/
Tag der Veröffentlichung: 16.06.2024

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