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Inhalt

 

Liebesgeschichten – Anthologie

 

Die beteiligten Autoren:

 

Phil Humor

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Andrea Grau

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Nova Cassini

https://www.bookrix.de/-og5a82492f97955/

Angela Ewert

https://www.bookrix.de/-ramblerrose/

Coco Eberhardt

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Dörte Müller

https://www.bookrix.de/-jjdc857fd9b1d65/

Ingrid Alias

https://www.bookrix.de/-alias.i/

Karl Plepelits

https://www.bookrix.de/-plepelits.works/

Manuela Schauten

https://www.bookrix.de/-schnief/

Matthias März

https://www.bookrix.de/-katerlisator/

Petra Peuleke

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Ralf von der Brelie

https://www.bookrix.de/-rockralf/

Rolf Bidinger

https://www.bookrix.de/-moa3e2b099efc75/

Ursula Kollasch

https://www.bookrix.de/-goldie.geshaar/

Wine van Velzen

https://www.bookrix.de/-ak077761bdfa855/

Martina Hoblitz

https://www.bookrix.de/-yq3f6b4f09bad55/

Joana Angelides

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Desperado

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Cover von: Tina Tannwald

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Die Texte:

 

Ein malerisches Date * Date in der Theaterloge * Amors Stellvertreter * Vergiss unsere Liebe nicht * Eine Silvesternacht im Schneegestöber * Naturereignis * Mahina * Kennlernen mit Hindernissen * Liebe, ein Märchen? * Das göttliche Vorbild * Ich aber liege alleine * Mein Herz gehört ja trotzdem dir * Total verliebt * Die Zeit mit Chelsea * Im Zug nach Osnabrück * Der Film * Sehnsucht nach Sepia * Die Lüge als letzte Rettung? * Ein Dichtermärchen * Liebesbrief an eine Unbekannte * Date mit Mr. Right * Einmal anders und zurück * Die heilige Quelle * Als es regnete … * Eiszeit im Sommer * Ein letzter Kuss * Der Weihnachtsbär * Die letzte Liebe * Ein Traum in Marrakesch * Endlich vereint * Späte Rosen

 

 

Ein malerisches Date

 

Phil Humor

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Unser Date nahm schon keinen guten Anfang; ausgerechnet im Museum verabredeten wir uns. Ich hatte erwähnt, dass ich Maler sei. Nur, um sie zu beeindrucken. Dann versuchte ich noch, ihr die Idee schmackhaft zu machen, wie toll es sei, wenn sie ein Aktbild von sich besäße – in voller Größe; könnte sie überall aufhängen; für die Nachwelt; das wäre doch prima – so in dreißig Jahren wäre das doch ein tolles Erinnerungsstück. Sie war ganz begeistert von dem Gedanken. Tja, ich kann Frauen auf Gedanken bringen. So wanderten wir also durchs Museum – und ich klugschwätzte – immer in der Hoffnung, dass das alles erst nach unserem zweiten oder dritten Date auffliegen würde. Durchhalten.

Ich hatte ein Atelier improvisiert – ein leerstehendes Fabrik-Gebäude mit ein paar Decken drapiert. Bühne frei für mein schauspielerisches Talent. Eigentlich bin ich Polizist; aber das schreckt Frauen erst mal ab. Sie wollen in Männern den Künstler sehen. Prosaisch kann es später immer noch werden. Zunächst aber sollte man als kreativer Geist in Erscheinung treten. Und Improvisation war dringend vonnöten inmitten all dieser unbekannten Maler ... Man hätte doch zuweilen einen Blick in diverse Museen werfen sollen; das nahm ja gar kein Ende. Eine wahre Bilder-Odyssee. Und ich sollte diesen Machwerken ein weiteres hinzufügen. Sie fragte mich, in welchem Stil ich das geplant hätte. Mehr so expressionistisch? Ich hätte am liebsten geantwortet "Mehr so im Cartoon-Stil", aber hier durfte man nicht allzu ehrlich sein. Das ist natürlich ein Nachteil bei so einem Bluff-Date.

"Die ganze Welt ist ja im Grunde ein Atelier", begann ich meine Ausführungen – und hatte keine Ahnung, wie ich diesen Satz beenden sollte. Ich bewegte mich auf sehr dünnem Improvisations-Eis. Kam sie mir zu Hilfe? Würde sie meine Gedanken aufgreifen – und vollenden? Aber nein; sie wartete gespannt und fasziniert auf das Kommende. "Wir befinden uns ja gewissermaßen immer noch in der Schöpferwerkstatt. Die Schöpfung geht weiter – und wir sind aufgefordert, mitzumachen, uns einzubringen." "Sind wir das?" Sie war tatsächlich erstaunt; von dieser Seite hatte sie das noch nie gesehen; ich übrigens auch nicht. Toll, wohin einen die Not so bringt. Man sagt ja "Not macht erfinderisch", aber die Welt kurzum zum Studio Gottes zu erklären ... Sie wollte wieder einige Bilder erklärt bekommen; ich musste meinen inneren Museumsführer konsultieren ... der aber keinen sehr aufgeweckten Eindruck machte. "Man geht schlafend durchs Leben", erzählte ich, "und die Künstler wollen uns die Augen öffnen für das, was sich vor unserer Nase befindet. Es mit neuen Augen sehen, wahrnehmen. Eine Blume ist nicht nur eine Blume." "Ist sie nicht?"

Ich musste sie unbedingt aus diesem Museum rausdirigieren. Höllisch gefährlicher Ort; hier wimmelte es ja nur so von Stichworten für ein Theaterstück, von dem ich keine Ahnung hatte. Aber sie schien Gefallen gefunden zu haben an der Malerei – und in Gedanken versetzte sie sich schon mal in so einige der Bilder. Sie schlug mir einige vor; ob das auch nicht zu schwierig sei, das nachzumalen? "Aber keineswegs", sagte ich großspurig ... als ob ich schon immer auf Louvre-Niveau gemalt hätte. "Kopieren ist eine Kleinigkeit. Das ist wie beim Komponieren und Musizieren – einfach vom Blatt weg spielen, wenn es bereits vorhanden ist. Aber das noch Ungedachte, Unersonnene irgendwie in die Welt hineinzumanövrieren, dazu bedarf es schon einiger Kreativität." Irgendwie inspirierten mich die Bilder, als ob ihr Geist auf mich abfärbte. Toll, Umgebung formt den Menschen. Ich sollte mich hier öfters aufhalten. Kann aber auch sein, dass es an ihrer inspirierenden Wirkung lag. Eine Frau wie Judith hatte ich vorher noch nicht kennengelernt; vermutlich gab ich mir deshalb solche außerordentliche Mühe; bloß nicht ich selber sein. Dafür war später ja immer noch Zeit. Den Partner mit dem wahren Ich überraschen – günstigen Zeitpunkt abpassen – z. B. dreißig Jahre nach der Hochzeit. Mein Plan konnte nicht aufgehen.

Leider hörten meinen Ausführungen auch weitere Museumsbesucher zu – sie fühlten sich belehrt. Schön, wenn man Kultur vermitteln kann. Das ging doch alles sehr in Richtung Münchhausen. Mein innerer Richter war alarmiert; er wolle unbedingt prüfen, ob das mit meinem Gewissen noch vereinbar wäre.

"Vincent van Gogh malte ja grundsätzlich sehr schnell; aber man kann sich auch Zeit lassen, jeden Pinselstrich ganz bewusst setzen, wohlüberlegt, alles nach Plan, die Skizze weist den Weg." Man stimmte mir zu. Judith wollte jetzt unbedingt im Stil von van Gogh gemalt werden. Da hatte ich mir ja was eingebrockt. Ich hätte etwas von "Abstrakter Kunst" faseln sollen, das wäre wesentlich einfacher; das hätte ich hinbekommen. Die Geometrie bot genügend Rundungen, um Judiths Körper ansprechend zu repräsentieren in der Leinwand-Welt. "Die Leinwand-Welt weist viele Ähnlichkeiten auf mit unserer Alltags-Welt – sie ist allerdings komprimierter, Symbol-geladener. Man sollte in seine Welt vielleicht mehr Gemälde-Intensität aufnehmen", schlug ich vor. Keine Ahnung, was ich damit sagen wollte, aber ich erntete zustimmendes Nicken. Ist doch schön, wenn man so verstanden wird.

Wir fuhren mit meinem Motorrad in das von mir vorbereitete Atelier, da Judith nun ganz versessen darauf war, von mir gemalt zu werden. Sie wollte in die Leinwand-Welten, sie wollte bedeutend sein. Ich hätte ihr nichts von Mona Lisa erzählen sollen – ganz üble Richtung ... Sich verewigt zu wissen in einem Opus magnum – das ist was anderes, als ein einfaches Passbild oder ein Selfie mit einem Star. Man muss sich nur selbst als Star inszenieren ... Wobei sie sich in meinem Atelier umsah ... Verdammt, ich hatte die Bilder vergessen, nur unbemalte Leinwände und ein halbes Dutzend Staffeleien. Zudem war dies auch noch ein Tatort – ich kannte diese Fabrik von einem meiner Einsätze. Kein anheimelnder Gedanke. Wenn ich ihr später reinen Wein eingießen wollte – das würde ja eine Magnum-Flasche. Sparsamer mit den Lügen umgehen, sie nicht so raushauen. Aber man gewöhnt sich daran, man macht Fortschritte. Die Welt ist eine Dating-Arena – die Evolution will es so.

Ich überlegte mir noch weitere Ausreden, derweil Judith sich schon mal auszog. Sie sagte: "Ich dachte, wir machen am besten einen romantischen Akt. Du beherrscht doch die Aktmalerei aus dem Effeff?" Ich wusste gar nicht, dass ein Museum so stimulierend sein kann. Ich sollte die Methode beibehalten; so unglaubwürdig war ich gar nicht. Außerdem wies meine Jeans mittlerweile eine Beule im Magnum-Format auf. "Mit 'dem' Pinsel malen wir später", meinte Judith dazu. Maler scheinen einen ähnlichen Status zu genießen wie Ärzte – man vertraut ihnen, man entkleidet sich vor ihnen unverzüglich. Nächstes Mal könnte ich mich als Arzt ausgeben.

"Ich brauche all die unbemalten Leinwände um mich herum; sie rufen mir zu: 'Bemal uns, stell was mit uns an.' Ich brauche diese Inspiration ... Es entfesselt die wahre Künstler-Natur in mir. So muss Gott zumute gewesen sein, als das Universum ihn beinahe anbettelte, es zu bemalen." Ich entstellte ein wenig die Genesis – aber für ein tolles Date drückt Gott gewiss mal ein Auge zu. Keine Ahnung, woher ich diese Gewissheit nahm. Mein Schwindel würde doch jeden Moment auffliegen. Hinauszögern.

Ich deklamierte: "Malen oder nicht malen? Das ist hier die Frage." Sie drückte mir 'nen Pinsel in die Hand – und dazu noch 'ne Palette. "Bin ich etwa nicht hübsch genug? Sollen nur alle anderen gemalt werden und ich verbringe den Rest meines Lebens ungemalt?" Das nahm hysterische Ausmaße an. Ich hielt den Pinsel so ungeschickt, dass sie mich skeptisch ansah. So wie ein Chinese einen Europäer betrachten mag, wenn der unbeholfen mit seinen Essstäbchen hantiert. "Wir könnten uns in Farbe wälzen", schlug ich vor. "Dann rollen wir mit unseren Körpern über die Leinwand." Fand ich witzig. Sie goss mir einen Eimer Farbe übern Kopf. Aber wohl nicht, weil sie meine Idee guthieß, sondern aus Enttäuschung. Ausgerechnet blaue Farbe. Ich kriegte den Blues – und das frei Haus. "So ein Atelier eignet sich ganz hervorragend für tolle Experimente. Wir könnten so tun, als sei dies ein Tatort – und die Flecken dort, das wäre Blut." Sie untersuchte die roten Flecken auf dem Boden." "Das ist Blut." Sie bekam es mit der Angst. Ich zeigte ihr meine Handschellen – und versicherte ihr, dass alles okay sei. Sie wurde panisch. Das lief irgendwie nicht so gut.

Aus Verdruss setzte ich mich an die Leinwand und pinselte drauflos. Da sie hin und her rannte, fiel sie momentan als Modell aus. "Ja, das ist tatsächlich ein Tatort; na und? Viele gute Dates finden an Tatorten statt", behauptete ich. Ich zeigte ihr meine Dienstmarke und meinen Dienstausweis, da sie mit einem Spachtel bewaffnet auf mich losging. "Eigentlich ganz nett, mir etwas vorzumachen; Du hast Dir immerhin Mühe gegeben. Du konntest mich richtig für die Malerei begeistern. Mit der Aktmalerei wird das ja wohl nun nichts." Sie begann, sich wieder anzuziehen. Wie ein Film, der rückwärts lief. So ist das mit der Kreativität, wenn sie sich zurückzieht und dem grummeligen Kollegen 'Wahrheit' das Feld überlässt. Die Fantasie fliegt davon – wie ein Schwarm verscheuchter Vögel –, aufgeschreckt, hier fehl am Platz.

Sie sah meine Enttäuschung. "Wir könnten guter Cop, böser Cop spielen", schlug sie vor. Hörte sich gar nicht so schlecht an. "Und wir verhören uns gegenseitig, machen uns die Hölle heiß, pressen Geständnisse aus dem anderen!" Sie geriet richtig in Fahrt. Ich hatte wohl doch den richtigen Beruf. Außerdem fand sie meinen Vorschlag mit den Körperfarben und der Leinwand gut. Es stellte sich allerdings heraus, dass Ölfarbe unglaublich schwer wieder aus allem rausgeht. Wie sollte ich das am nächsten Tag auf dem Revier erklären? Und Judith ist Professorin an der Uni – da war auch Erklärungsbedarf vor den Studenten. "Mein Haar ist verfärbt ..." Judiths Haare schimmerten in allen Regenbogenfarben. Sah hübsch aus. Der menschliche Körper als Leinwand. Wir attackierten uns mit Pinseln, wir waren einfallsreich. Judith machte einige Selfies. "So lande ich zwar nicht auf der Leinwand, aber die Farbe findet zu mir. Kommt der Berg nicht zum Propheten ..." Es folgte eine Farb-Orgie. Ich hatte zum Glück auch Aquarell-Farben, so dass wir auch aus größerer Entfernung Treffer erzielen konnten – fast so wie beim Paintball.

"So ein Museum hat etwas unglaublich Erotisches, es spricht die Sinne an, es entzieht uns dem Alltag, macht uns empfänglich für die Botschaften der Farben. Lasst Farben sprechen!" Judith war ganz in ihrem Element. Vielleicht zeichnet jeder Moment ein Porträt von uns, wir müssen uns nur ihm überlassen, ihn machen lassen, ihm vertrauen, dass er ein Künstler ist? Judith meinte: "Und jetzt zum Opus magnum; wir wollen Amor doch nicht enttäuschen. Lass mal sehen, welches Kaliber Du hast." "Hier wird zumindest nicht mit Platzpatronen geschossen", versicherte ich ihr. "Du hast mich sträflich vernachlässigt. Ich muss mir eine Strafe für Dich ausdenken. Du könntest Dein Hemd als Kaution hinterlegen. – Ich werde es kaum bei einer Verwarnung belassen können." Da sie sich da so schön reinsteigerte, wollte ich sie mit einer Züchtigung belohnen. Sie revanchierte sich. Ein uneingeweihter Beobachter hätte das für eine Kneipenschlägerei ohne Kneipe halten können. "Da schlägt ja meine Großmutter kräftiger zu als Du", meinte sie jedoch. "Ich hatte auch nicht vor, hier einen 'Bud Spencer und Terence Hill'-Film mit Dir zu drehen." "Aber doch wohl keinen öden Softporno?! Ich will, dass es zur Sache geht!", forderte Judith.

Was hatte die Kunst bei ihr bloß freigelegt? "Jetzt geht es Schlag auf Schlag!" Um sie auf andere Gedanken zu bringen, sang ich "Schlag nach bei Shakespeare". "Ich bin Deine Ophelia. Treib mich in den Wahnsinn, den seelischen Ruin!", bettelte sie mich an. Verdammt, wieder das falsche Stichwort. "Ich könnte eifersüchtig sein wie Othello", schlug ich vor. "Und Du hast allen Grund dazu! Mit wem ich es heute schon alles getrieben habe." Sie nannte einige berühmte Maler. Es schien, ihre Fantasie verweilte noch etwas in den großen Œuvres. Ein völlig unterschätzter Aspekt: die Gefährlichkeit der Museen auf die weibliche Psyche. Leidenschaft durch ein Übermaß an Kunst. Kunst als Droge. Auf was war ich da gestoßen? Gehört Kunst in die Asservatenkammer? "Ich male jetzt 'Fifty Shades of Grey' – los mach mit!" Sie mischte weiße und schwarze Farbe, wälzte sich darin. Ich wollte kein Spielverderber sein und rührte vorsichtig mit meinem Zeigefinger in der Farbe. "Ist das alles?! Wir sind doch nicht im "Malen nach Zahlen"-Camp." Sie warf sich gegen die Leinwand. Könnte man direkt in 'ner Galerie ausstellen; hatte was. "Könnte ich mir gut im Wohnzimmer vorstellen." Sie stimmte mir zu. "Ich war noch nie spontan. Das ist heute das erste Mal. Hat was Befreiendes."

Ich wagte nicht, sie auf ihre Frisur bzw. auf die Abwesenheit ihrer Frisur aufmerksam zu machen. Sie sah wild aus; 'Furie' wäre noch geschmeichelt. "Furioses Date", sagte ich, " wir sollten es ausklingen lassen mit einem malerischen Liebesakt." "Lass uns so stürmisch sein wie Vincent van Gogh, so ausdauernd wie Leonardo da Vinci, innovativ wie Picasso ..." Ich fühlte mich überfordert. Aber das sagt man seiner Muse ja nicht. Man willigt ein, man lässt sich von ihr mitziehen.

"Den Pinsel tiefer eintauchen!", lautete ihre Direktive. "Gute Pinselführung ist wichtig." Ich fühlte mich jedenfalls wie ein Einfaltspinsel; wie konnte ich mich auf ein derartig unsicheres Terrain begeben? Aber vielleicht ganz gut, sein Improvisations-Talent gelegentlich auf die Probe zu stellen. Von wegen "Lügen haben kurze Beine" – die Wahrheit wird einem die Hammelbeine langziehen. Schicksal erscheint einem zuweilen wie "Der Widerspenstigen Zähmung" – extrem bockbeinig. Sich selbst neue Varianten malen – auch wenn man gar nicht malen kann. "Lass uns bei Shakespeare bleiben. Mir schwebt da ein Schauspiel in fünf Akten vor. Der erste Akt war ja schon ganz anständig", meinte Judith. Ich hätte nichts dagegen, wenn sich der Vorhang erst mal senken würde; aber Judith redete von stehenden Ovationen. "Die Polizei ist doch Dein Freund und Helfer", lautete ihre Forderung. "Setz den Polizeiapparat in Bewegung. Wo ist denn das groß angekündigte Polizeiaufgebot? Ich werde den wachhabenden Wachmann wecken", verkündete Judith und verzeichnete beachtlichen Erfolg damit. "Die Polizeipräsenz vor Ort ist jetzt enorm wichtig. Ich brauche Scharfschützen." Man tut, was man kann. Aber es ist überlegenswert, ob man nicht in jeder Wohnung ein Atelier haben sollte – es ist ein magischer Ort ... Als ob man besonders hier die Lizenz zum Kreativ-Sein hätte. Die Fantasie fühlt sich hier wohl. Judith würde diesen Fall wohl noch nicht so schnell zu den Akten legen.

 

ENDE

 

 

Date in der Theaterloge

 

Phil Humor

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Inspiriert von Heinz Erhardts Sketch "Alles mit G", haben meine Freunde und ich uns vorgenommen, einen ganzen Tag durchzuhalten: nur Worte verwenden mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben. Ich habe immerhin den Buchstaben D gezogen, damit lässt sich was anfangen. Bei Tinder wurde ich fündig: Eine Frau mit dem Namen Debby hatte Lust, mich ins Theater zu begleiten. Logenplatz. Die Wettbewerbsregeln sehen allerdings vor, dass ich Debby nicht in die Wette einweihen darf. Mal sehen, ab wann sie mich seltsam findet.

Sie spielen "Dantons Tod" von Georg Büchner – aber ich nenne es geflissentlich "Dantons Dod". Debby hält es für einen Sprachfehler, ist aber zu höflich, um mich zu korrigieren. Die Handlung interessiert uns beide nicht. Dafür ähnelt die Theaterloge einem Séparée – die Theaterbetreiber haben die Zeichen der Zeit erkannt. Lauschige Plätze sind Mangelware im berstend vollen Real Life. Auch in den Nachbar-Logen geht es zur Sache; hat was Animierendes. Der Champagner fließt; wir hindern ihn nicht daran.

Das Theaterstück versaut einem ein bisschen die Stimmung; man bittet die Schauspieler, den Text etwas leiser vorzutragen. Man versteht ja sein eigenes Gestöhne nicht.

Zur Einstimmung sage ich mal: "Drei tropfnasse, traurige Trogträger trugen triefende Tröge treppauf und treppab." Allerdings lasse ich die Ts ins D-Hafte rübergleiten – hört sich dann so an: "Drei dropfnasse, draurige Drogträger drugen driefende Dröge dreppauf und dreppab." Okay, das ist etwas geschummelt – und hat zur Folge, dass Debby fragt: "Dachschaden?" Würde ich zu gerne verneinen, aber dafür fehlen mir momentan die entsprechenden D-Wörter. Man ist doch etwas gehandicapt.

"Debby-Date doll!", sage ich, um ihr zu verdeutlichen, dass alles bestens sei. Sie rückt etwas von mir ab.

"Denkverbot?", will sie wissen, so als ob ich ein Androide im Stromsparmodus sei. Sie hat unwillkürlich meine D-Präferenz übernommen. Könnte ja sein, dass ich gegen andere Wörter allergisch bin.

"Dialoge dämlich", sage ich und deute auf die Bühne. Gar nicht so einfach, zur Konversation etwas einigermaßen Geistreiches beizutragen. Debby leert das Glas überraschend schnell, so als ob ihr Unterbewusstsein ihr gerade signalisiert hat, dass sie dieses Date unmöglich in nüchternem Zustand überstehen kann. "Das Dasein düpiert die Dahinvegetierenden", sage ich bedeutungsschwer. Wenn schon kein Sinn im Satz liegt, dann muss die Betonung das wettmachen; habe ich in meinem Beruf als Unternehmensberater gelernt. Wäre witzig, wenn ich die Firmenkunden nur mit D-Wörtern begeistern, motivieren sollte. "Herausforderung angenommen", sagt mein innerer Renommist. Aber eins nach dem anderen vergeigen. Das Desaster bahnt sich sehr sicher seinen Weg. Zielstrebig.

Die Theaterstücke finden ohnehin immer in den Logen statt – man ist nicht so sehr Zuschauer, das Leben ruft einem ständig Stichworte zu wie eine hyperaktive Souffleuse. Apropos, Debby stupst mich schon seit einer Weile an. Man kann weitere Bestellungen aufgeben – wie im Flugzeug bei der Stewardess ... Die Theater-Stewardess und der Theater-Steward sind übrigens ein Konzept, das ich dem Theater vorgeschlagen habe; hat sich bewährt.

Ich bestelle Datteln, Dinkelbrot, Dampfnudeln, Donuts ... Komme mir schon fast wie Homer Simpson vor.

Aber Debby schließt sich mir an. "Dickmann's, Dosenwurst, Döner, Doornkaat", lautet ihre Wunschliste.

Ich bin in der Versuchung, Duff-Bier zu bestellen, aber vielleicht sollte ich mir einen Rest Würde bis zum Ende dieses Dates bewahren? Ob der Plan sich umsetzen lässt? Mein Unterbewusstsein ist emsig am Suchen, sortiert D-Wörter raus, friemelt, als ob es in einer Buchstaben-Suppe zugange wäre; Ursuppe des Universums – am Anfang war das D-Wort. Meine Gedanken schweifen ab.

Debby hat bereits den ersten Teil ihrer Bestellung: Dickmann's und Doornkaat. Ich bekomme meine Donuts. Während auf der Bühne Revolution gemacht wird, wenden wir uns dem Hedonismus zu. Es hat etwas Dekadentes. "Dekadenz dosieren", sage ich mahnend; aber da kommt auch schon mein Duff-Bier.

"Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren", klingt es zu uns rauf ... Die Bühne als Ort weltlichen Geschehens – man kommt sich in einer Theaterloge tatsächlich vor wie auf einem Mini-Olymp. Betrachter des menschlichen Gewimmels. Dionysos hätte seine Freude an mir – obwohl er vermutlich Dosenbier noch gar nicht gekannt hat. Die hatten auch ein falsches Management – haben sich nicht lange gehalten auf dem Olymp.

"Dossier-Bedarf-des-Olymps", sage ich wissend. Der Trick mit den langen Worten – warum bin ich darauf nicht eher gekommen? Gibt ganz neue Möglichkeiten. Allerdings verweigert Debby nach wie vor das geistige Mitdenken – ihr ist ihr Döner wichtiger. Diese hingeworfenen Stichwörter mit D sind aber auch keine wirklich guten Köder; wie soll sie da anbeißen? Als Kompliment fiele mir spontan "deftig" ein. Ob sie damit was anfangen kann? Kann sie nicht. Sie beginnt sich für das Theaterstück zu interessieren. Ich stehe in Konkurrenz zu einem charismatischen Revolutionär; was habe ich mir bloß dabei gedacht, dieses Stück auszuwählen? "Das Stück wählt Dich aus", scheint mir das Theater zuzurufen. Irgendwie nimmt es einen gefangen, es lässt die Vergangenheit lebendig werden, Geschichts-Bilder steigen auf, begehren Einlass in die Hirnkammern. Wollen wir sie reinlassen?

"Wir haben nicht die Revolution, die Revolution hat uns gemacht." "Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen." Das sind einprägsame Sätze. Aber ich kann nicht zulassen, dass die mir mein Date zerstören. Wie soll man Wortgewalt demonstrieren, wenn einen Worte mit D wie einen Dämlack dastehen lassen?

"Deftiger Diskurs", lautet meine Analyse des Bühnen-Geschehens. Damit oute ich mich nicht unbedingt als Intellektueller – ich fliege noch immer unter ihrem Wahrnehmungsradar.

"Willst Du damit meinem Namen eine Reverenz erweisen? Dann hast Du ja Glück, dass ich Debby heiße – und nicht etwa Yvonne. Würden wir dann Yoga machen? Auf einer Yacht – bedient von einem Yeti? ... Wenn ich es mir überlege – würde ich lieber Yvonne heißen."

Ich erspare mir die Antwort; ich denke über den Satz nach: "Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält." Tauche ich ernsthaft in das Theaterstück ein? Wann habe ich Dosen-Ravioli bestellt? Ich bin ein Epikureer – solche Fehler unterlaufen mir nicht. Diese D-Wörter haben sich an mich geheftet wie Muscheln an eine Yacht. Wie kratz ich die wieder ab? Ich beginne tatsächlich, mich zu kratzen. Bekomme ich eine D-Wort-Allergie? "D-Deal deaktivieren!", lautet mein Befehl; aber meine Ratio steht nicht länger unter dem Kommando von der Normalität. Sie erkundet die Verlockungen der D-Welt. Man sagt nicht mehr das Naheliegende, man geht auf D-Wegen. Ein Revolutionär wie Danton, der das, was er in Gang gesetzt hat, nicht mehr stoppen kann; es überrollt ihn. Dramatisch.

"Durchgeknallt", lautet Debbys vorläufige Diagnose. Das Ergebnis kann man gewiss noch verbessern. Da leg ich nach.

"Dynamisch", sage ich und deute auf mich. Ich komme mir allmählich vor wie ein Ausländer, der sich mit ein paar Sprachbrocken behelfen muss. Das tut den Flirtversuchen nicht gut; die geben schon klein bei, wenn sie wieder an D denken müssen.

"Dämonen-Abwehr-Spray", sagt Debby und richtet ihr Pfefferspray auf mich. Das läuft ja bislang ganz gut. Auf der Bühne tobt die Revolution, die Revolutionäre gehen sich gegenseitig an die Gurgel – und ich wollte hier eigentlich ganz gemütlich daten.

"Demotivierter Dandy", sage ich und hoffe, sie damit zu beschwichtigen. Aber weit gefehlt.

"Demotiviere ich Dich etwa?!" Ihr Lippenstift ist mittlerweile verwischt, gleich bricht die Furie aus ihr hervor. Kann man das noch aufhalten? Kann man D-Züge aufhalten? Für Superman kein Problem – aber der hätte vermutlich auch die Französische Revolution aufs richtige Gleis geführt. Ich signalisiere eine Auszeit. Das bringt sie nicht davon ab, mich mit Fragen zu löchern. Sie hat es gut, sie hat völlig freie Wortwahl. Das Leben kann so einfach sein.

Die Bühne kommentiert das mit: "Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen, hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen." Kein guter Background für ein Date; eher für eine Apokalypse. Das kann der Champagner auch nicht wettmachen, obwohl wir davon reichlich intus haben. Aber nicht mal der kommt mir zu Hilfe. Debbys Streit-Modus wurde soeben voll aktiviert. Ich habe sie mit Dickmann's beworfen. Ein Impuls.

"Mein 700-Euro-Kleid!" Sie übertönt die Schauspieler. Hier ist mehr Drama als bei der Französischen Revolution. "Das ist eine super-teure Robe!"

"Passt ja zu Robespierre!", sage ich schlagfertig. Ich habe allerdings meinen D-Pfad verlassen. Not macht nicht erfinderisch. Sie leert den Kopf – einem fällt partout nichts mehr ein; schon gar keine Replik mit D.

Dafür steigt Debby voll in die D-Welt ein: "Dämlich, dämlich, dämlich! Dieses Date – durchgängiges Debakel!" Habe ich sie angesteckt? Färbt das ab? Der D-Virus. Sie wischt auf ihrem Kleid herum; ich leihe ihr großzügig mein Taschentuch. "Ein Kavalier der alten Schule. Bewirft die Dame erst mit Schokoküssen ... Ein Handkuss hätt's nicht auch getan?"

Das wäre an sich mein Stichwort: Überleitung zum Finale; Date signalisiert Kussbereitschaft. Aber etwas hält mich zurück. Ist es ihr stechender Blick, der Dönerspieß in ihrer Hand? Liebe liegt definitiv nicht in der Luft. Ich bitte die Theater-Stewardess, unsere Loge zu parfümieren – eine hypnotische Duftmischung nach meiner Rezeptur. Dadurch bekommen auch die Theaterstücke reichlich Applaus, die hundsmiserabel sind. Ich denke, unser Date hat dieses Duft-Upgrade bitter nötig. Debby hustet. Kein Zaubertrank, kein Liebestrank, aber ein Liebes-Odeur. Sie fällt mir um den Hals – und würgt mich. Wieso hält sie sich nicht ans Drehbuch?

"Deutliche Drangsal!", kommentiere ich das – solange ich noch kann. Derweil massakrieren sie sich auch auf der Bühne. Es gibt im Leben immer solche Analogien – immer ist er da, der Nexus zwischen Zuschauerloge und Theaterbühne – sie umkreisen sich – wie zwei Raubtiere.

Glücklicherweise beginnt das Liebes-Odeur zu wirken. Debby wird sehr zugänglich. Vermutlich sollte man ein schlechtes Gewissen haben, aber das zumindest habe ich mir erfolgreich abtrainiert. Das Stück hat vier Akte – für den fünften sorgt das Publikum selbst. In den Logen geht es ungelogen zur Sache. Naja, ein bisschen Lüge ist dabei.

Debby kommt auf Touren. "Ich war noch nie so wuschig", gesteht sie.

Ich rechne mir das zu. "Jeder gute Schauspieler ist ja angewiesen auf Requisiten", rechtfertige ich das vor mir. Als Mental-Coach weiß ich den Wert einer guten Selbstlüge zu schätzen. Wir sind unablässig im Theater. Mal beschränkt man sich, sparsamer Einsatz der Mittel, dann wieder schöpft man aus dem Vollen und beglückt die Erwählte, auch wenn sie zuvor gar nicht erwählt werden wollte.

"Der Dunkelheit davonreiten!", lautet ihr Motto zurzeit. Ich bin ihr dabei so gut behilflich, wie ich kann. "Dankbare Debby." Sie wird immer euphorischer. Toll, dass man Menschen so schnell Freude bereiten kann. "Als Yvonne würde ich sagen 'yippie!' Als Gloria 'genial'. Als Melody wäre 'mega' wohl passend."

Georg Büchner war der Meinung, dass Theater der Realität zu dienen hat, wie eine Hofdame soll sie ihr den Spiegel vorhalten. Keine Flucht aus der Realität, ein Tiefer-Eintauchen. Sie rational durchdringen – da man ja in dem Moment, wo etwas geschieht, nicht über sämtliche Möglichkeiten verfügt. Die Affekte und die Gefühle fesseln einen; man ist ein Zeit-Gefangener. Dennoch ist Theater immer Betrug, so ehrlich es sich auch gibt. Der Zeitgeist selbst arbeitet mit Irreführung – man hat zu dem Zeitpunkt strikte Überzeugungen – und wirft sie dennoch Tage später angewidert weg. Man bereut unablässig, ist verstrickt in sein Überzeugungs-Netzwerk. So viele Revolutionäre – so viele Weltverbesserer – die Welt müsste mittlerweile ein wahrer Pracht-Ort sein.

Schon sonderbar, wohin einen das Gewissen schickt: Ausflüchte suchen, die eigenen Unwahrheiten mit den Falschaussagen der Welt aufrechnen. Romantik war nicht Georg Büchners Ziel. Aber man kann es der Romantik leichtmachen, sie fällt auf Betrug rein. Wir nehmen Witterung auf, verfolgen das Glück – und das schon seit Zehntausenden von Jahren. Keine leichte Beute – zumindest, wenn man ein ehrlicher Jäger ist; die unehrlichen haben etwas mehr Jagdglück.

Der sechste Akt beginnt; praktischerweise haben auch die Logen Vorhänge. Man hofft ja immer, dass man viele Vorhänge bekommt. Aber ich bin mir sicher, nach dem letzten Vorhang gibt es eine Gardinenpredigt.

 

ENDE

 

Amors Stellvertreter

 

Phil Humor

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In der Stellenausschreibung hieß es, dass Amor dringend Aushilfskräfte benötigen würde. Gute Kenntnisse im Bogenschießen setze man voraus. Arbeits-Flügel würden gestellt. Es würden nicht nur Epheben genommen. Klasse, da ich mich beruflich ohnehin umorientieren wollte, ging ich zu der im Inserat angegebenen Adresse. 'Verzaubert' prangte in Goldbuchstaben auf dem Ladenschild. Gut so, dick auftragen.

Der Ladeninhaber musterte mich. "Schon mal Rundflüge gemacht?"

"Drachenfliegen und einmotorige Maschinen", gab ich zur Antwort.

"Flügel gibt es hinten." Er wies in den hinteren Ladenraum. "Such Dir was aus."

"Ist es nicht so, dass die Flügel einen aussuchen?"

"Ich verleih doch keine Zauberstäbe; das hier ist keine Magie. Mythos ist ungleich stärker. Bist Du sicher, dass Du Dich darauf einlassen willst?"

"Naivität ist meine Stärke. Gutgläubigkeit ist mein Credo."

"Gute Voraussetzungen für alles das, was mit Mythos zu tun hat."

"Eine rein technische Frage: Wenn ich völlig eigennützig die Pfeile verschießen würde und durch Zufall eine von mir angebetete Frau treffen würde – wäre das okay?"

"Macht Amor ständig. Wäre sonst schwierig, ihn bei der Stange zu halten. Das sind so Vergünstigungen."

"Mythos hat was", sagte ich anerkennend.

Er händigte mir Pfeile und Köcher aus. "Wie sieht es mit Deiner Treffgenauigkeit aus?" Auf der anderen Straßenseite stand eine schöne Frau. "Nur zu; diese Pfeile sind aus feinstofflichem Material; die verletzen nicht; das ist eine völlig andere Wirkungsebene."

Ich schoss gleich drei Pfeile auf sie, sie wurde zur Nymphomanin, küsste drei Herren in ihrer Umgebung und entledigte sich ihrer Kleidung. "Bringt Spaß." Ich hätte den Job auch ohne Bezahlung gemacht, aber er drängte mir eine Handvoll Gold-Münzen auf. "Dublonen. Ist doch okay?"

"Vorschuss ist immer okay", beruhigte ich ihn.

"Liebe ist kompliziert. Wir machen sie einfach. Jeder Schuss ein Treffer." Er klang wie ein Schießbuden-Besitzer auf dem Jahrmarkt. "Und das Tolle ist, wenn Du die Flügel trägst, wirst Du unsichtbar. Unsichtbarkeits-Modus und Mythos gehören einfach zusammen. Man muss offenen Herzens hineinstolpern. Ist beinahe wie beim Himmelreich: Anders findet man es nicht bzw. anders gelangt man da nicht rein." Wer hätte gedacht, dass meine Blauäugigkeit mir einst zum Vorteil gereichen würde? "Wie im Märchen." "Verwechsle das nicht. Wir waren eher da. Mythos liegt allem zugrunde."

Ich schnallte mir das Flügelpaar um. Saß gut. Wie angegossen. "Gibt es die auch in Taubenblau?"

"Ich muss mal schauen." Er schaute tatsächlich nach.

Okay, ich war kein Stalker, aber Cindy wich mir stets aus; wäre doch schön, wenn da etwas mehr Begeisterung für mich wäre. Da kamen Amors Pfeile doch wie gerufen; jetzt nur noch die moralischen Bedenken überwinden.

"Da empfehle ich den Moral-Betäuber; ist unablässig für diese Art von Arbeit. Amor braucht das auch ständig. Hat trotzdem Burn-out und die Krise. Ja, der Job schlaucht." Er nickte wissend. Er drückte mir eine Phiole in die Hand. Da stand tatsächlich 'Moral-Betäuber" drauf. Sie hielten es wohl nicht für nötig, irgendwas zu kaschieren. Ein gewisser Stolz schwang bei allem mit, was er tat: durchdrungen von Mythen-Stolz. Dass mir das entgangen war; wir hatten den Mythos in den Ruhestand geschickt, dabei war er nach wie vor quicklebendig – agierte munter mit.

Ein Nebeneffekt des Unsichtbarkeits-Modus: Man sah plötzlich Geister; sie winkten mir freundlich zu. So schnell ging das Switchen zwischen den Parallelwelten? "Es gibt jede Menge Parallelwelten ...", es tat ihm sichtlich gut, sein Wissen preisgeben zu können wie ein Museumsführer. Plötzlich erschien mir die ganze Welt wie eine Ausstellung mit unentdeckten Räumen; vielleicht war man bisher zu gelangweilt, zu desinteressiert, um sich im Museum genauer umzuschauen?

Ich schoss noch eine Weile auf Passanten. Mal flog ich dicht ran, mal von oben, dann mit Bande ... Es schien den Ladeninhaber zu überzeugen. Er händigte mir eine

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Tina Tannwald https://www.bookrix.de/-py63cc309014d35/
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2022
ISBN: 978-3-7554-1866-5

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