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Interview mit der Viermastbark Peking

Reporter: "Man hat ja nicht oft Gelegenheit, mit einem Segelschiff zu sprechen. Dank eines magischen Poseidon-Tranks ist es mir problemlos möglich, die Viermastbark Peking zu befragen. Wir befinden uns hier im Hamburger Hafen. Gut siehst Du aus."

 

Peking: "Ja, ich bin selber überrascht. Bin ja auch nicht mehr die Jüngste. 111 mittlerweile. Aber mir fehlen die Segel. Krieg ich die noch?"

 

Reporter: "Leider nein. Es ist nicht vorgesehen, dass Du noch was unternimmst. 'Museumsschiff' – sagt Dir das was?"

 

Peking: "O unselige Untätigkeit! Früher hab ich Salpeter aus Chile geholt. Kap Hoorn war für mich ein Klacks!"

 

Sie zerrt an ihrer Vertäuung.

 

Reporter: "Genieß Deinen Ruhestand. Das hat den deutschen Staat 38,5 Millionen Euro gekostet."

 

Peking: "Und was soll ich dafür machen? Soll ich mich irgendwie revanchieren? Alle sagen, ich sei nun ein Schmuckstück. In New York hatten sie mich aufgegeben. Wrack-Sache. Ihr habt mich aufgepäppelt. Nie wieder Big Apple! – Und so ein toller Empfang hier in Hamburg: mit Wasserfontänen und Typhonkonzert. Bin davon noch immer ganz taub. Vielleicht besuche ich mal die Passat in Travemünde. Wo sind meine anderen Schwestern?"

 

Reporter: "Die Passat verursacht Kosten von 350.000 Euro jedes Jahr."

 

Peking: "Soll ich jetzt ein schlechtes Gewissen kriegen? Ihr seid die Nostalgie-Freaks. Ich sollte es so machen wie die Pamir – mir den nächstbesten Hurrikan schnappen und mich versenken!"

 

Reporter: "Ein depressives Schiff ..."

 

Peking: "Vier sinnlose Masten! Ihr verschaukelt mich doch alle! Wozu ist das Restaurieren gut, wenn das alles nur Bluff ist?! Klar zur Wende! Ich meutere!"

 

Reporter: "Du kannst nicht meutern. Du bist das Schiff."

 

Peking: "Großsegler? Hah! Ständig werde ich irgendwo hingeschleppt. Ich bin ein Kap Hoornier! Über 800 Schiffe sind da gesunken. Ich nicht!"

 

Reporter: "Die Padua fährt noch. Nennt sich jetzt Kruzenshtern. Ein Segelschulschiff mit dem Heimathäfen Kaliningrad und Murmansk."

 

Peking: "Tüchtig, tüchtig. Streu Salz in meine Wunden! Wo sind die Roaring Forties, die Furious Fifties?"

 

Reporter: "Abenteuer-Romantik wird überbewertet. Hier ist es doch ganz nett."

 

Die Peking singt: "Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn ... To my hooday!"

 

Reporter: "Wenigstens bist Du jetzt wieder in Hamburg. Ist doch was."

 

Peking: "Sind hier Dampfschiffe in der Nähe? Die haben uns immer auf dem Kieker. Die wollen uns versenken, sag ich Dir! Die hassen uns Frachtsegler!"

 

Reporter: "Das ist doch eine ganz alberne Phobie."

 

Peking: "Hast Du Weizen, Baumwolle, Kakao, Tabak, Rum ...? Ich will irgendwas transportieren. Ich bin Transport-süchtig! Container würde ich ungern nehmen."

 

Reporter: "Vielleicht lohnt sich die Frachtsegelei wieder? Wind ist gratis."

 

Peking: "Ich bin ein Flying P-Liner. Zumindest komme ich mir allmählich wieder so vor. Die Zeit in New York war schrecklich. Dem Verfall preisgegeben; nichts dagegen unternommen. Dem Rost zusehen, wie er wächst."

 

Die Peking singt: "De Kombüs weer vull Lüüs, de Kajüt weer vull Schiet ... To my hooday!"

 

Reporter: "Zwei von Deinen 18 Rahen konnten wir retten."

 

Peking: "Ich hatte 4.100 qm Segelfläche. Jetzt hat jedes Surfbrett mehr: Ich bin völlig segellos! Ein Millionengrab. Ihr seid in die Restaurations-Falle getappt! Auch die 260 Tonnen Beton sind weg – ich bin ein Leichtgewicht! Ich weiß nicht mehr, was ich bin! Muss mich völlig neu erfinden. Ich will wieder ins Trockendock! Oder ich leg mich zur Preußen – die wurde auch von einem Dampfschiff ganz unvorschriftsmäßig zerstört. Nicht am Pier will ich liegen, sondern auf dem Grund! Huckepack auf dem Dockschiff Combi Dock III – wie demütigend ist das denn? Ich habe diese Atlantiküberquerung psychisch noch nicht ganz überwunden. Als würde ich am Rollator gehen, hinkend, humpelnd. Eine Rückkehr hat feierlicher zu sein, würdiger. Für 100 Dollar habt Ihr mich gekauft. Die Summe ist lächerlich. Wie soll ich mich damit fühlen? 115 Meter Elend."

 

Reporter: "Sieh das Restaurieren als Chance – Du bist aufgeblüht. Schmuck anzuschauen. Denk an das Märchen von Dornröschen. Die war nach 100 Jahren topfit."

 

Peking: "Es ist verderblich, sich mit der Zeit anlegen zu wollen. Ich bin nicht wie einst. Ich habe gelitten, ich bin zerfallen. Man kann es überdecken mit den Künsten eines Restaurators. Aber Reparaturfähigkeit ist doch ein sehr weiter Begriff. Ich fürchte, meine Seele hat mehr gelitten als mein Stahl. Vieles nachgebaut – das Original als Leitbild. Aber ich bin es nicht mehr; ein Austausch-Ich steht vor Euch."

 

Reporter: "Du hast noch 35 Prozent Deiner Drahtseile. Beschwer Dich nicht. Das Sandstrahlen tat Dir doch gut?"

 

Peking: "Ja, wie im Kosmetikstudio. Früher war ich schnell: 31 Kilometer pro Stunde – 17 Knoten. 32 Segel. Wer ist jetzt der größere Nostalgiker? Meine Vergangenheit ist mir präsent – aber sie ist mir Mahnung, ich vergleiche mich mit meinem früheren Ich. Vermutlich bin ich undankbar. Ihr wolltet für mich ein Wunder bewirken; habt mich aus dem Tartaros geholt. Aber ich bin nicht mehr der Titan von einst. Ich soll ihn darstellen, eine Vorstellung nach der anderen geben für die Touristen. Eine Attraktion. Ein Kap Hoornier, der jetzt huckepack fährt – statt selbst das Meer zu durchpflügen. Ewiger Hafen. Meine Traurigkeit wird auch von 1000 Wasserfontänen nicht weggespült; mein Seufzen von keinem Typhonkonzert übertönt."

 

Reporter: "Der Star eines großen Hafenmuseums zu sein, ist doch gar nicht so schlecht. Du musst Dich in die Rolle reinfinden. Hat auch seine Vorteile."

 

Peking: "In New York habe ich mich mit Schwimmkränen angefreundet. Ja, man sucht sich neue Freunde. Nicht ganz so cool wie Helden-Schiffe."

 

Reporter: "Immerhin hast Du jetzt keine Asbest-Verkleidungen mehr; und bleihaltige Mennige als Rostschutz war ja auch nicht das Gelbe vom Ei."

 

Peking: "Ja, Ihr habt mich befreit! Als Windjammer liegt mir das Jammern. Aber nicht schön, zu hören, dass man zur Verschrottung freigegeben wird. Das schockt. Dann setzt man all seine Hoffnung auf die Kunst der Restauratoren. Wenn die das versauen?! Man nannte mich 'Ein Wolkenkratzer unter Segeln' – das gefällt mir. Da schwingt das Majestätische mit, von dem ich annahm, dass es längst von mir abgebröckelt ist – Stück für Stück. Vielleicht habt Ihr mir zu oft 'Mast- und Schotbruch!' gewünscht? – Welches Schiff wärst Du gerne?"

 

Reporter: "Ein Rennboot?"

 

Peking: "Ich dachte, Du bist eher der Typ Rettungsboot. Willst andere immer retten. Wirfst ihnen laufend Rettungsringe zu. Den Eindruck machst Du mir. – Ich wäre gerne mal ein Katamaran. Man wird nicht so schnell verschaukelt. Breitbeinig. Aber selbst eine Luftmatratze ist freier, als ich es nun bin! Ich klebe an Piers und Kais. – Ja, vielleicht sind Frachtsegler bald wieder en vogue? Unsere Zeit kommt wieder? Ein paar tausend Container laden – ganz neuer Typus. Das war bisher eine schöne Coming Home Party. Gute Rederei. Du weißt, ich schätze gute Reedereien."

 

Reporter: "Die Peking schweigt. Kann auch daran liegen, dass mein Poseidon-Trank aufgehört hat, zu wirken. Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn – und der hat mich beeindruckt."

 

ENDE

 

Impressum

Cover: Cover-Foto selbst gemacht
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2022

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