SIEG 2
Storys, Interviews, Essays, Gedichte
Storys, Interviews:
Kryptozoologe * Tindern * Alien-Jäger * Kaffeemaschinen * Pegasus gesucht, Sylphide gefunden * Interview mit Hephaistos * Ein Gespräch mit dem Z und dem Zufall * Die Pyramide und das Irrlicht * Interview mit Athene * Die Einhorn-Wiese * Interview mit der Lüge * Gut vorbereitet? * Bäumchen wechsle Dich * Zaphira, die Zankfee * Interview mit einem Kuckuck
Essays:
Absichtlich im falschen Film * Ankunft * Arc de Triomphe de l'Étoile * Ärzte * Auf den Aufstand! * Biedermeier * Charme der Fremdwörter * Exzentriker * Frohes Werben mit KI * Gendern * Gesundheit * Größenwahn * Infantilismus * Jeden Tag eine gute Tat * Joseph und seine Brüder * Keine Zeit für Wunder * Mental-Fotograf * Nervsprech * Recht so, Staat! * Restaurants * Robert Koch * Selbst gepflückte Erdbeeren * Stolz als Vorteil * Verkehrsrowdy * Verstecke * Von Wählern und Nichtwählern * Was nicht passt, wird passend gemacht * Experten * Unpassend
Gedichte:
Auf welchem Gebiet ist man zu Hause? * Blumen als Fotomodelle * Magie der Brücken * Damenwahl * Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer * Erica * Freibad * Goldene Stunde * Helikopter-Eltern * Herbstlich * Ist ja Wahnsinn * Kaffeeklatsch * Rock Around the Clock * Schach-Reportage * Schätze * Schwarzmagier * Segeln * Surfer * Teilen * Teures Hotel * Unwetter * Urlaube * Wildblumen * Wolken als Schauspieler * Blatt ganz matt * Herbst-Tanz * Hobby
Drabbles:
Appetit * Dystopie * Hamburger * Schicht im Schacht * Nicht aus Pappe * Mir stinkts! * Verschlusssache * Brummbär-Tag * Verkehr * Wasser
Ich bin Kryptozoologe; ich suche nach Tieren, die mit einem Fuß im Mythenreich stehen. Urban Legends geht auch. Neuerdings helfen mir drei Elfen. Sie sind kaum größer als eine Hummel, aber viel filigraner. Angeblich hat die Elfenkönigin Titania sie geschickt. Ich befürchte nur, dass ihr Erscheinen mit meinem Konsum an Whiskey zusammenhängt. Elfen zeigen sich für gewöhnlich nicht so ohne Weiteres; aber bis auf Weiteres dürfen sie meine Assistentinnen sein; selbst wenn es sich nur um eine dieser Projektionen meines Unterbewusstseins handeln sollte.
Ich habe in diesem Monat bereits drei Seeungeheuer, zwei Werwölfe, einen Bigfoot und einen Tatzelwurm mit ihrer Hilfe einfangen können. Läuft gut. Das mit der Befragung läuft nicht so gut; sie sind nicht sehr auskunftswillig. Bigfoot grunzt in einer Tour; der Tatzelwurm hat großes Unheil im Supermarkt angerichtet; dabei hätte ich ihm alles Nötige ja gekauft. Man will sie ja taxonomisch richtig einordnen; sie sollen die Wissenschaft bereichern. Handelt es sich bei den drei Seeungeheuern um Plesiosaurier?
Die drei Elfen wollten, dass ich mit ihnen nach Irland fahre, dort sind allerlei Feenhügel. Síd nennen sie das. Aber was sollen die Plesiosaurier in so einem Mythenreich? Entferne, vernichte ich die Magie, wenn ich sie unter der gigantischen Wissenschafts-Lupe betrachte? Es heißt ja, dass der Beobachter das Beobachtete verändert. Wenn man Magie von vornherein ausschließt, triumphiert die Wissenschaft in jedem Fall, kann sich immer als Sieger fühlen. Verstellt uns die Ratio den Blick auf die Wahrheit? Als nüchtern denkender Mensch sollte ich das Feen-Geraune abtun als Tinnitus-Spielart ... Aber warum den Einflüsterungen nicht nachgeben? Das Geheimnis des Síd erforschen. Die dunkle Seite der Erde.
Die beiden Werwölfe werden unruhig. Eine große, schwarze Katze kommt uns entgegen; sie hat einen weißen, herzförmigen Fleck auf der Brust. Ein gutes Zeichen?
"Man nennt mich Cat Sidhe", stellt sie sich vor. Ich bin erfreut, dass sie spricht. Es ist nicht gut bestellt um die Auskunftswilligkeit der meisten Mythenfiguren. Ich bin immer in Sorge, dass sie sich als was gänzlich Profanes entpuppen. Die Profanität hat so zugenommen, die Ratio ist auf dem Vormarsch, sie beherrscht die Szene. Was bleibt denn da noch, welche Rückzugsmöglichkeiten haben die Magie und das Mythische? Seeungeheuer müssen sich in riesigen Seen verstecken, wagen es kaum, hier und da mal aufzutauchen. Sich immer bedeckt halten, sich unter Feenhügeln verschanzen.
"Müsstest Du mir jetzt nicht Deinen Namen sagen?", fragt mich Cat Sidhe. "Ich bin eine Feenkatze", fügt sie hinzu.
Ich habe Schwierigkeiten, die beiden Werwölfe zurückzuhalten. Aber die drei Elfen helfen mir dabei; dabei haben wir nicht mal über ihre Bezahlung gesprochen. Sie können anderen ihren Willen aufnötigen – besser als jeder PR-Berater. Bestien werden bei ihnen gefügig. Sehr praktisch, wenn man mit einem Tatzelwurm im Handgepäck reist. Er ist ein Halbdrache, ein kleiner Verwandter des Drachen und des Lindwurms. Eigentlich ganz goldig.
"Darf ich ihn mal streicheln?", fragt mich Cat Sidhe. Sie steht jetzt aufrecht. Hat sie sich das beim gestiefelten Kater abgeschaut? Das Märchenhafte wird hier stärker. Man spürt seinen Sog. Als ob es eine Einladung des Síd-Reiches wäre. Oder wäre der Vergleich mit einem Moor angemessener? Man will ja den festen Boden, man will nicht versinken, einsinken. Treibsand der Gedanken. Anderswelt ruft.
Die drei Elfen hatten mir eine Pusteblume geschenkt – aus Feengold. "Wenn Dir die Puste ausgeht, dann hilft Dir diese Pusteblume", stand auf dem Beipackzettel. Sie lieben das Sibyllinische; sie machen Andeutungen, verpacken ihre Weisheiten in Rätsel, setzen die Logik schachmatt.
Bigfoot meint, er habe Fußschmerzen. Die drei Elfen hatten recht: Bei den Feenhügeln wächst mein Verständnis für das Mythische; Urgrund des Seins. Hier klappt die Befragung der Kryptiden besser; als ob mein Gehirn auf einmal eine Übersetzungs-App hat, Zusatz-Skills.
"Bist Du auch Kryptobotaniker? Wir haben hier eine sehr interessante menschenfressende Pflanze", meint Cat Sidhe.
"Ist denn jetzt Fütterungszeit?", sage ich als Scherz ... Aber wie berechtigt ist es, das als Scherz abzutun? Ist hier gar nicht mein Forschereifer gefragt, sondern bin ich nur die Sättigungsbeilage?
Die Pflanze begrüßt mich mit einem freundlichen Schulterklopfen. "Gut siehst Du aus. Kommen selten Leute in die Gegend. Man muss da schon einfallsreich sein und seine Kundschafter losschicken. Mal sehen, was sie einem so an Verwertbarem mitbringen. – Welche Gewürze bevorzugst Du?", fragt sie übergangslos.
"Da muss eine Verwechslung vorliegen. Ich bin kein Kryptobotaniker; Pflanzen interessieren mich nicht die Bohne."
"Du passt auch gut zu Bohnen. Haben wir alles da. Kein Problem." Die schmatzenden Laute der Pflanze beunruhigen mich. Oder ist das nur ein Test – um zu zeigen, dass ich würdig für das Síd-Reich bin?
Ich ziehe Bigfoot und einen der beiden Werwölfe zu mir. "Das sind Kumpels von mir. Sehr wehrfähig. Ausdauernde Kämpfer. Mit denen legt man sich lieber nicht an!"
Die Pflanze verschlingt den Werwolf. "Lecker! Danke. Kann ich den da drüben auch haben? – Nachschlag!"
Das ist der Nachteil der Mythenwelt: Sie hat ihre eigenen Regeln, Gesetze – von denen man als Außenstehender nicht den blassesten Schimmer hat. Ich würde ja wegrennen, aber die Tentakel der Pflanze kleben an mir.
"Kleb ihr eine!", rät mir der Tatzelwurm; aber er wirkt wie ein Sportberichterstatter, der einen guten Fight kommentiert. Ich puste gegen meine magische Pusteblume – und die Pflanze bekommt einen Hustenanfall. Ihre Tentakel lösen sich – ich bin frei!
"Ich erwarte eine Entschuldigung."
"Das war doch nur ein Scherz ... Komm wieder her", säuselt die Pflanze.
"Nicht ohne meinen Anwalt!" Die Pflanze sieht enttäuscht aus. "Hättest Du Lust, ausgestellt zu werden?"
"Ach, Ihr Menschen macht aus uns eine Freak-Show. Was glaubst Du denn, warum die Magie sich vor Euch versteckt? Weil Ihr sie zerstört – durch Eure bloße Anwesenheit! Ihr seid wie Säure, Säurefraß!"
"Das sagt die Richtige."
"Ach was, ich komm doch gar nicht zum Fressen. So ein Werwolf ist doch allerhöchstens ein Frühstückchen."
"Ich habe Hunger auf das Leben. Dennoch hat man das Leben satt."
"Ist das so ein Feen-Rätsel? Ich hasse Feen-Rätsel", faucht die Pflanze.
"Nein, das ist normale Melancholie."
Sie putzt und reinigt ihre Tentakel. "Tausendmal stärker als Sekundenkleber. Ich bin ein ganz klebriger Schleimer."
"Kann ich bestätigen. Du empfindest das hoffentlich als Kompliment?"
Eines der Seeungeheuer steuert auf die Pflanze zu. Ich versuche, es zurückzuhalten. "Das ist aber ein großer Brocken. Das reicht für einen Monat!", freut sich die Pflanze und öffnet ihren Schlund – so als ob eine Schlange ihren Kiefer aushängen würde; es sieht wirklich beeindruckend aus. Wenn das so weitergeht, bleiben mir keine Kryptiden. Die frisst sie alle auf.
Ich umklammere Bigfoot, will ihn zurückhalten. Der schaut mich verwundert an. "Du hast mich doch hierher verschleppt. Ich werde meinen Anwalt einschalten", imitiert er mich. Humor hat er. Derweil knabbert die Pflanze an dem Seeungeheuer.
"Das ist kein Snack!" Ich gebe mir Mühe, autoritär zu klingen. Mein Taschenmesser richtet nicht allzu viel Schaden bei der Pflanze an.
"Ja, die Zweige mussten ohnehin gekürzt werden. Kannst Du mir einen Topiari-Meister empfehlen? Ich bin ganz wild auf Formschnitt."
"Du kannst doch nicht meine ganzen Kryptiden auffuttern!"
"Warum nicht? Ich fresse die Magie. Vielleicht symbolisiere ich Deinen Zweifel? Vielleicht habe ich auch einfach nur Hunger."
Sie nutzt eindeutig mein Verlangen nach dem Mysterium aus. Das Sein soll nicht so oberflächlich sein. Aber auf was stößt man dann … wenn man die gähnende Tiefe herausfordert? Bewaffnet mit einer Pusteblume. Abgeblühter Löwenzahn. Totes in den Händen, von dem man sich neues Leben verspricht. Als Waffe gegen die Tiefe: Das macht ihr zu schaffen – dass man die Hoffnung hinausschickt in die Welt, sie freilässt? Aber ist Tiefe denn gleichbedeutend mit Hoffnungslosigkeit? Gedankentiefe und Grübeln sind nahe Verwandte. Orpheus brauchte seine Musik, damit sie ihn wieder herausbringt aus dem Reich der Tiefe. Aus dem Labyrinth wieder hinausfinden: das Labyrinth der Gedanken-Assoziationen. Wie bei einem Flipper-Gerät wird die Bewusstseins-Kugel in alle möglichen und unmöglichen Richtungen geschossen. Das Unmögliche fasziniert, es erweitert das Spielfeld: Ich will auf die Magie nicht verzichten, ich bin mit voller Leidenschaft Kryptozoologe.
Ich puste auf die Pusteblume – und die Pflanze gibt hustend das Seeungeheuer frei. Es wirkt angefressen. Ein vorwurfsvoller Blick.
"Das hätte man nicht eher machen können? Ein kleines bisschen?"
Cat Sidhe fragt: "Wie füttern wir denn jetzt die Pflanze? Sie ist zwar nicht der Weltenbaum, aber sie versorgt das Síd-Reich mit Energie. Magie wurzelt in ihr." Das weiße Herz auf ihrer Brust färbt sich rot. Kein gutes Zeichen?
Ich schlage vor: "Leute, wir sollten abreisen. Es gibt da riesige Oktopoden an der Küste, die hoffentlich netter sind als diese Pflanze. Mal schauen, wie viel Magie in denen steckt."
"Glaubst Du, dass nur Magie sie wertvoll macht?", will Cat Sidhe wissen. "Könnte ich Dich dazu bringen, dass Du Dich in Widersprüchen verstrickst? Als ob man zu lange mit einem Wollknäuel gespielt hat: Man ist ein Gefangener." Sie klingt sehr zuversichtlich.
Auch der Tatzelwurm sieht mich anklagend an. "Ist es einzig das, was Dich an mir interessiert: dass ich absurd aussehe, der Realität gewissermaßen die Drachen-Stirn biete? Selbst in der Mythenwelt nimmt man mich nicht für voll. Ein Halbdrache. Eine groteske Schlange mit Pranken. Eine Kuriosität. Bring mich in Deinen Show-Room. Verhöhne die Magie. Zerre sie ins Kuriositätenkabinett!"
Ganz schön heftig. Trifft das auf mich zu? Beute ich sie alle aus? Ein Magie-Jäger. Eine Safari im Mythenland. Ein Tiefen-Süchtiger. Würde all dies hier verschwinden, wenn man es auf Fabel-Niveau herabstuft? Umgeben von lauter Gleichnissen. Das Leben als Fabel, bei dem einen Lebensweisheiten aufgetischt werden – und man muss sie essen, ob man Appetit hat oder nicht. Manche Bestien existieren nur in unserer Vorstellungswelt. Üblicherweise sind das die gefährlichsten – diejenigen, die man am schwersten besiegen kann. Da wünscht man sich schon eine magische Pusteblume, mit deren Hilfe man alle Probleme wegpusten könnte. 'Blast es doch weg mit dem Hauch Eures Mundes!' – wie es bei Schillers Räubern heißt.
Ich fürchte, ich bin unbelehrbar: Am Eingang eines Feenhügels steht ein Einhorn neben einem Zentauren ... Ich steuere darauf zu, bin nicht zu halten. Fehlt noch, dass ich die beiden um ein Autogramm bitte. Wie einen Club-Ausweis präsentiere ich meine Feengold-Pusteblume. Ein Eingeweihter. Ein Insider. Sie sind in der Tat die Torwächter.
"Die fleischfressende Pflanze habt Ihr schon kennengelernt?" Das ist mehr eine rhetorische Frage, denn das angefressene Seeungeheuer spricht Bände. "Willkommen im Síd-Reich. Magie-Markt immer mittwochs. Feenware zu fairen Preisen." Das Einhorn drückt mir ein Flugblatt in die Hand. "Nutzt den Rabattcode 'Einhorn50', dann bekomme ich Provision." Sehr geschäftstüchtiges Einhorn.
Der Zentaur sieht müde aus; unelegant lässt er ein paar Pferdeäpfel fallen.
"Sehr salopp hier. Ich hatte mir die Magie-Welt nicht so Stall-artig vorgestellt."
"Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde", leiert der Zentaur herunter. Hat er ein Hohlkreuz?
"Ist Magie nicht prickelnder?"
"Sollen wir Champagner servieren in Lotosblüten?" Der Zentaur hat was Bösartiges.
"Was hat Dich denn geritten?", will ich von ihm wissen. Um ihn aufzumuntern, erzähle ich ihm einige Pferdewitze; nach dem vierten keilt er aus – und hätte mich auch beinahe getroffen. Ich fordere Bigfoot auf, auszukeilen. Mal sehen, was er so draufhat. Der Zentaur fliegt gute zwölf Meter weit.
"Dafür sind die großen Füße da! Man lernt immer was dazu." Bigfoot will das auch mit dem Einhorn versuchen, aber das würde uns Sympathiepunkte kosten. "Kick it like Bigfoot!" Er strahlt.
Als Kryptozoologe erlebt man immer was Spannendes ... Wir werden vorgelassen zum Thronsaal der Elfenkönigin Titania. Und das ohne Termin. Luftgeister umschweben sie. Ein Minotaurus schnaubt; aber er ist angekettet. Er wirkt so vorhersehbar. 'Monotaurus' wäre der passendere Name. Der Zentaur humpelt.
"Was versprichst Du Dir von dieser Audienz?", will Titania von mir wissen.
'Noch mehr Kuriositäten', kann ich ja schlecht sagen. Man verliebt sich unweigerlich in sie. "Muss traurig sein, wenn man nie weiß, ob man ohne Liebes-Magie zu den Herzens-Favoriten zählen würde. Ob man es überhaupt in die Top Ten schaffen würde." Ich versuche es mit Provokation. Klappt ganz gut. Erstaunen, Betroffenheit in ihrem Blick. "Dein Reichtum ist die Magie. Sie beschützt, glorifiziert Dich. Wer von Euch hier wäre ohne Magie noch fabelhaft? – Ich glaube, auch wir Menschen brauchen einen gewissen Magie-Anteil. Vielleicht bin ich deswegen hier: um ihn für uns zu erbetteln."
"Such Dir aus, was Dir gefällt. Was willst Du mitnehmen?"
"Die Wissenschaft würde sich nie für besiegt erklären; sie hätte immer irgendwelche Ausflüchte. Man könnte ihr die Magie auf dem silbernen Tablett servieren. Sie hegt den Argwohn, dass sie sich damit selbst abschaffen würde. Sie misstraut der Magie; ihre Konkurrentin. Die ihr alles Erreichte streitig machen will – und es auch kann. Wo sind wir in der Physik angelangt? Bei Schwingungen, nichts wirklich Greifbares diese Wirklichkeit. Ist es ein beschwingtes Universum? Ist es tieftraurig? Magie ist der Musikant, der den Schwingungen einen Sinn verleiht. Ansonsten wären es bedeutungslose Töne, ohne Verbund; sie erklängen wahllos, beliebig, sie wissen nichts mit sich anzufangen. Musik bindet die Töne, sie haben eine Funktion, einen Platz, eine Aufgabe. Deshalb konnte Orpheus – dank seiner Musik – aus der Unterwelt gelangen. Sie begleitete ihn, er war durchdrungen von ihr und ihrer Schönheit. Musik gehorcht nicht immer dem Gebot der Harmonie, sie ist mitunter aufsässig, ihr ist nach Revolte. Aber ganz ohne Magie wäre sie verloren."
Titanias Orchester nimmt das zum Anlass, eine Symphonie zu spielen. Bigfoot fordert mich zum Tanzen auf. Ein geselliger Abend. Das Seeungeheuer will unbedingt verarztet werden. Außerdem will es zurück ins Wasser. Im passenden Element zu sein ... Eine Frage der Vertrautheit, der Gewöhnung. Ist der Mensch froh, allem Mythischen entkommen zu sein? Hat sich geflüchtet ins Reich der Wissenschaft. Was gab er dafür auf? Sezierte Seele – deren Bestandteile nichts wiegen auf der Wissenschafts-Waage.
"Darf man abklatschen?", fragt Titania. Sie will mit mir tanzen. Als ob man die Anmut umarmt. Wir schweben.
ENDE
Tinder ist toll. Man muss nicht mal Single sein; man will sich ja nur mal umschauen, ganz unverbindlich. MBA – Married, but available. Man muss die Lebensabschnittsgefährtin nicht an allem teilhaben lassen; nur, wenn sie es ausdrücklich verlangt. Vielleicht will sie ja beim ONS – dem One-Night-Stand – dabei sein? Wenn's gut läuft wird es ein TNS – ein Two-Night-Stand?
Gut ist schon mal, dass ich ein 15-Jahre-altes Profilbild verwendet habe ... Das Virtuelle wirkt wie ein Jungbrunnen ... Ein Jungspund. Wo ist das nächste Spundloch? Das Glück ist nur einen Swipe entfernt. Unangenehm nur, wenn man dann im Café sitzt und auf seine Tinderella wartet: Wie erklärt man glaubhaft, dass man an einem Tag um 15 Jahre gealtert ist? Von 35 auf 50 in 24 Stunden. Beachtliches Tempo. Vielleicht doch eine andere Feuchtigkeitscreme? Eigentlich ganz gut die Devise: "Match Dich um die Welt!" Aber wir haben Matschwetter. Meine innere Stimme faucht mich an – ich wirke angefressen – fiese Gewissensbisse.
Mein Date Jessica fragt mich bissig: "Bist Du etwa Joe?"
Soll ich es verneinen? Ich sehe ihm ähnlich. Sie sieht sich aber nicht ganz so ähnlich, wie erwartet. Irgendwie 15 Jahre älter. Bitte ich sie, Platz zu nehmen? Sollte ich um mehr Abstand bitten? Unschlüssigkeit ist hier nicht von Vorteil.
"Die Welt ist voller Fakes!"
"Das sagt die Richtige", antworte ich ihr. Vorwürfe sind immer gut – sie liefern einem dringend benötigte Zeit, um nachzudenken. Sich aus der Affäre ziehen – will ich das denn? Ich finde sie immer noch heiß, durchaus Affären-tauglich.
"Das Real Life ist manchmal wirklich sehr ernüchternd."
"Ja, zwei Enttäuschte." Immerhin setzt sie sich.
"Coole Tattoos."
"Das sind Fake-Tattoos. Man fühlt sich doch unwohl, wenn man seine echte Haut zu Markte tragen soll", meint Jessica.
"Also ich bin auch ungern eine ehrliche Haut; wenn Dir das weiterhilft."
"Zwei Betrüger – irgendwie auch ein Match. Die Schicksals-Algorithmen irren sich nie. Was ist, ghosten wir uns jetzt? Brauche ich ein Bitch Shield? Soll ich irgendwas Unangenehmes oder Gehässiges zu Dir sagen?"
Ich antworte: "Lass uns erst den Kuchen essen. Vielleicht werden wir ja so etwas wie FWB – Friends with Benefits?"
"Und Benefits ohne Friends – BOF?" Na, die geht ja ran.
Ich sage: "Das mit dem Tinder-Profilbild ist gar nicht so einfach: lächle, als gelte es Dein Leben; blick dabei aber ganz entspannt." Sie versucht es; ein tolles Lächeln.
"Mit der richtigen Begleitung ein Tinderspiel. Man will ja im Leben immer wissen, wo gibt es die Premium-Abo-Zusatzfunktionen? Mehr rausholen. Sich nicht mit der Basic-Version zufriedengeben. Ein Boost für das Glück."
War das gerade ein Upgrade für mich? "Statt Super-Like – eine rote Rose." Die hatte ich die ganze Zeit neben mir liegen. "Ich könnte Dir auch Cookies anbieten. Oder ich kauf Dir drüben im Supermarkt Rosenkohl."
"Sehr galant. Jetzt wird es ja doch noch romantisch."
Der Galan erhält sogar einen Kuss-Vorschuss.
SCHLUSS
Ein paar Aliens hatten beschlossen, unseren Planeten als Spielarena herzurichten. Sie ließen Dämonen frei, schufen sie aus dem Dunkel unserer Seelen. Mein Job als Geheimagent brachte es mit sich, dass ich mich gelegentlich auch als Auftragskiller betätigte. Mal auf der guten Seite stehen, ein paar Aliens plattmachen, niederstrecken, ausradieren. Ich kam in Stimmung, freute mich direkt auf den Auftrag. Hatte was von einem Videogame.
Blöd war nur, dass mein eigener Schatten, mein Dämon, jetzt da draußen umhergeisterte. Den hätte ich jetzt gut an meiner Seite gebrauchen können; so als Team. Die Aliens hatte mir erfolgreich meinen Dämon entzogen. Wie kam ich jetzt zurecht als Gutmensch? Die Situation war völlig schizo. Wie überredet man seinen eigenen Dämon heimzukehren? Hatte er Sehnsucht nach mir? Sollte ich ihn Greg 2 nennen? "Ich Greg 1, Du Greg 2"? Das hörte sich seltsam an. Ich übte es dennoch; rief ein paarmal "Greg 2!". Vermisste er mich? Divide et impera – das hatten die Aliens beherzigt. Den Menschen das Einheitsgefühl nehmen, sie uneins machen mit sich selbst. Ich ließ mich von meiner inneren Stimme führen – und stieß nach Tagen tatsächlich auf Greg 2. Aber er war alles andere als begeistert, als sich ihm die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Zusammenarbeit vor Augen führte. Eigentlich umklammerte ich ihn. Wollte ihn wieder in mich hineinziehen. Wie stopft man einen Schatten-Dämon wieder in sich rein? In der Bibel wird zwar ausführlich beschrieben, wie man die Dämonen rauskriegt – aber der umgekehrte Prozess wird dort nicht erläutert. Man ist auf sich selbst angewiesen – und auf seine Findigkeit. Rhetorik-Kniffe? Aber Greg 2 kennt mich ja, weiß, wie ich ticke. Die Unmöglichkeit, sich selbst zu besiegen. Ihn zu töten, kam nicht in Frage; ich wollte ihm ja nicht mal ein Haar krümmen. Wäre ja Selbstbeschädigung. Ich brauchte ihn intakt, brauchte seine intakte Wut, seinen unverbrauchten Zorn. Ich war zu milde. Zur Sicherheit las ich mir noch ein paar Märchenbücher durch. Ich brauchte Antihelden.
Greg 2 las mit mir Rotkäppchen. "Und Du siehst mich als bösen Wolf, oder was?", wollte er wissen. "Vielleicht kommst Du ja auch zu mir; ich schluck Dich einfach!" Er versuchte, mich zu fressen. Keine gute Idee.
"Die Ratio muss das Kommando behalten", meinte ich oberlehrerhaft.
"Und Du willst ernsthaft Aliens bekämpfen? Ein wahrlich garstiger Mordbube."
Machte er sich lustig über mich? Mir war der Sinn für Zynismus, Sarkasmus & Co. abhandengekommen. Alles Düstere war mir entrissen. Die seichte Version, weichgespült, ein Softie vor dem Herrn. Topfit für die Vereine im Himmelreich.
"Wir müssen ein Team sein! Zusammenstehen."
"Sollen wir etwa Händchen halten?!"
Ich ergriff seine Hand. Greg 2 wollte mir ein Messer zwischen die Rippen bohren. "Da ist Platz."
"Das Messer ist rostig."
"Und das ist das Einzige, was Dich stört? Wie willst Du Dich eigentlich wehren?"
Ich zwickte ihn ins Bein. "Cooler Move. Warum bin ich da nicht draufgekommen? So bekämpfen wir die Aliens. Wir zwicken sie. Wir könnten aber auch ein MG nehmen; rumballern."
"Oder so." Ich versuchte, nicht allzu Gewalt-abgeneigt zu wirken.
"Wir waren mal ein gutes Team. Auftragskiller, Agenten, zuverlässig; Top-Bodyguards. Und vor allem nicht so weinerlich!" Mir liefen tatsächlich Tränen übers Gesicht. "Soll ich Dir ein Eis kaufen? Dir ist schon klar, dass die Aliens Wetten laufen haben? Das ist für sie ein gigantisches Spektakel; wie im alten Rom. Wir sind ihre Gladiatoren, dienen ihrer Belustigung; gehen aufeinander los; haben nichts zu gewinnen. Sag böse Worte. Los!"
"Ja, die Aliens sind so gemein."
"Unfassbar. Und mit Dir habe ich mal zusammengearbeitet." Greg 2 sah mich an, wie ein Coach einen hoffnungslosen Spieler betrachten würde.
"Gib mich nicht auf." Hat was Entwürdigendes, wenn man seinen eigenen Dämon um Beistand, Mithilfe anflehen muss. Normalerweise betet man zu den himmlischen Mächten, will deren Mithilfe. Jetzt zielte das in die andere Richtung. Er hat bestimmt gute Connections zur Hölle. Das Dämonische als Wegbegleiter. Wertschätzung des Bösartigen. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt – aber meine Auswahl war sehr begrenzt. Es war verzwickt – als zwickender Krieger würde ich kaum Furore machen. Die Welt retten ohne Dämonie.
Greg 2 schnappte sich mein Handy. Er lobte mich: "Du hast gut recherchiert. Eine Karte mit den Landeplätzen der Aliens. Die bevorzugen noch immer Kornfelder. Jede Menge Kornkreise."
"Ich habe vom Geheimdienst Waffen bekommen. Ist witzig: Ist fast so wie bei Ali Baba und die 40 Räuber – eine Höhle voll mit wunderbaren Waffen."
"Vermutlich haben wir es demnächst mit einer Dämonenarmee zu tun. Die verbünden sich, die haben eine Wahnsinns-Wut auf ihre Dienstherren; sind auf die Ratio überhaupt nicht gut zu sprechen: tonangebend, belehrend, ständig im Klugscheißer-Modus."
"Und Du kannst das gut unterdrücken?"
"'Gut' würde ich nicht sagen: Aber ich komm klar."
Meine Bewunderung für Greg 2 wuchs. "Wir müssen uns wieder vereinigen!"
"Ich genieße meine neue Freiheit. Eigentlich haben mir die Aliens einen Gefallen getan. Bin gar nicht so erpicht darauf, dass alles wieder beim Alten ist. Man ist sein eigener Herr. Die Dämonen werden viel zu sehr dämonisiert."
"Ich kann mich dieser Conclusio nicht anschließen."
Wir fuhren mit meinem Jeep zu der Höhle mit den Waffen. Ich sagte: "Ein Paradies für Dich. Such Dir was aus."
"Du hast das Konzept noch nicht verstanden. Du willst Dir nicht die Hände schmutzig machen? Alles auf mich abwälzen können – moralisch integer, der Saubermann, der gut vorm Herrn dasteht? Und mich schiebst Du ab in die Hölle?! Nachdem ich die Welt für uns alle gerettet habe? Nicht mit mir!"
Irrte ich mich, oder wuchs Greg 2? Er wurde überdimensional – fast wie Hulk. Ein bisschen grün war er auch irgendwie. "Vielleicht ganz gut, wenn Du wütend wirst. Umso mehr Energie und Unbedachtheit. Alles zertrümmern, was Alien-ähnlich ist."
"Ist aber auch eine Frage der Kontrolle. Und da kämest Du eigentlich ins Spiel. Hier, halt mal." Er drückte mir eine dieser neuen Laserwaffen in die Hand. "Eine Mega-Wumme. Schießt durch alles hindurch. Teste mal." Ich schoss lustlos auf den Felsen. Der schmolz. "Kann man hier regeln. Jetzt spreng den Berg weg!"
Greg 2 kam in Fahrt, als ob wir zwei Cowboys wären, die auf Dosen schössen. Er selber nahm sich auch eine Laserwaffe. Bei ihm sah das aus wie Spielzeug. Die größere Version von mir. Hatte ich das Böse, das Gewalttätige zu sehr unterdrückt? Wäre ich dann ein besserer Agent gewesen? Man hatte mich bei Beförderungen mehrmals übergangen. Aber da war nichts: keine Wut. Vermisste ich meine Wut? Unendliche Gleichgültigkeit. Nur das vage Gefühl, dass es klug wäre, die Aliens auszuschalten. Hatte etwas sehr Sachliches.
"Die anderen sind schachmatt. Der Entzug des Dämonischen ist ihnen nicht gut bekommen. Und die Dämonen schließen sich zum Dämonenheer zusammen. Kaum jemand, der sich um die Aliens kümmert. Es liegt an uns", meinte Greg 2.
Was war er? Ein vernünftiger Dämon? Verband uns da was? War die Verbindung stabiler, hatten die Aliens bei uns nicht volle Arbeit geleistet? Ein Defekt?
"Knallen wir die Bastarde ab!", sagte ich. Tat gut, den Grimm zu schauspielern; irgendwann würde ich den auch wieder tatsächlich empfinden.
"Und ich tu mal so, als ob ich Vernunft nicht völlig widerlich fände. Team Greg!"
Wir fuhren mit dem Jeep zum nächsten Landeplatz der Aliens. Gigantisches Raumschiff. Aber schlecht eingeparkt. Ich klopfte am Raumschiff.
"Bist Du höflich. Vielleicht gibt es ein Klopfsignal? Lass mich mal."
Aber Greg 2 kam nicht dazu, ein Alien öffnete die Raumschiff-Tür.
"Wir sind hier, um Euch zu vernichten. Wir haben das nötige Equipment dabei", sagte ich und deutete auf meinen Spazierstock. Ich hatte die Laserwaffe sicherheitshalber ausgetauscht.
"Gute Strategie. Du willst, dass die sich totlachen. Aber ich versuch's auf meine Art. Ich habe eine Schwäche für Mega-Wummen." Greg 2 machte den Alien platt.
"Nicht sehr diplomatisch. Damit verärgerst Du sie nur."
"Ach was, wir übernehmen jetzt das Raumschiff. Damit kommen wir schneller voran."
Die anwesenden Aliens waren nicht damit einverstanden. Fragende Blicke bezüglich meines Spazierstockes. Greg 2 nutzte deren Verwirrung – und auch ich kam so allmählich in Stimmung. Einmal Auftragskiller, immer Auftragskiller. Es machte wieder Spaß – auch wenn ich nach Meinung von Greg 2 total ineffizient arbeiten würde. Man muss sich Zeit nehmen – jeder Alien verdient eine andere Todesart.
"Wir sind hier nicht in einem Videogame! Mach hinne! Es ist ja okay, das zu genießen, aber nicht auf Kosten der Erfolgsbilanz. Ich habe schon zehnmal so viele Aliens erledigt wie Du."
"Der da zählt nicht. Der steht wieder auf."
"Seit wann bist Du so kleinlich? Ich finde, wir murksen uns hier ganz gut durch bis zum Kontrollraum. Haben die sowas hier?"
Glücklicherweise hatte mir mein Geheimdienst entsprechende Informationen zugesandt: Ich wirkte wie ein Smombie, da ich immer wieder auf mein Handy starrte, während ich durch zuckende Alien-Leiber watete.
"Zombie-Apokalypse wäre schlimmer", tröstete ich uns beide. Man muss sich immer das Gute suchen. Die Aliens zerplatzten mit einem Blubb. Erinnerte an Spinat. Wirkte dennoch irgendwie ungesund.
"Nicht von denen essen!", ermahnte ich Greg 2. Das ist der Nachteil bei Dämonen, sie sind nicht wirklich stubenrein. "Mein Handy meint, wir müssen hier lang."
Das Problem war, dass da ein besonders übles Alien-Exemplar stand. "Gibt es die auch in Large?"
"Prima!" Greg 2 freute sich. Nicht, dass bei ihm Langeweile aufkäme. Man muss Dämonen beschäftigen.
Aber momentan war der Alien mit mir beschäftigt: Er hielt mich wohl für eine Ziehharmonika oder für ein Expander-Band für seine Morgen-Übungen.
"Wenn Du nicht auf Dauer einen halben Meter größer sein willst, dann solltest Du jetzt etwas tun", riet mir Greg 2.
Für gute Stimmung sorgen. Ich spielte Tanzmusik auf meinem Handy. Der Alien schwang die Hüften.
"Musik zur Völkerverständigung. Warum bin ich nicht darauf gekommen?" Greg 2 schoss dem Alien das Hirn weg. Kann es sein, dass man Methoden nicht gutheißt, sie aber trotzdem als angemessen empfindet? Musste ich später mal drüber philosophieren.
Wir fanden den Kontrollraum. "Jetzt beginnt Phase 'Star Wars'. Ab in den Weltraum! Machen wir ein bisschen Jagd auf Alien-Raumschiffe!" Greg 2 war ganz in seinem Element.
Ich fragte mich, ob er letztlich nicht die bessere Version von uns beiden war. Er machte das alles ganz hervorragend. Vielleicht wäre es besser, wenn er mich mitschleppte? Ich war nur der Sidekick?
"So trübsinnig? Los, steuere das Raumschiff! Schmeiß die Maschinen an!"
Okay, ich hatte mein Handy, darin waren alle Anweisungen. Man hat immer irgendeinen Kultur-Vorrat; aber wäre ich ohne all das nicht fürchterlich aufgeschmissen? Ohne Greg 2 an meiner Seite hätte ich das nie geschafft. Trotz der Handy-Infos. Brachiale Gewalt als Problemlöser Nummer 1.
Es fiel mir leicht, das Raumschiff zu lenken. Ich krachte nur ein paarmal gegen ein paar Häuser – immer, wenn das Raumschiff plötzlich absackte.
"Du machst ja mehr kaputt als die Aliens", meinte Greg 2.
"Alles okay, die halbe Stadt steht noch. Da kann man schon mal gegenschrammen."
"Wir sollten ein Schild draußen anmachen: 'Vorsicht Fahranfänger!'" Schön, dass Greg 2 in so guter Stimmung war.
"Das ist wie beim Faden-Einfädeln: Das klappt auch nicht immer gleich sofort."
"Das wird den Menschen da unten ein Trost sein. Die halten das nämlich für einen Angriff der Aliens. Die beschießen uns."
Er hatte recht, unsere Deckung war ungenügend. Das Raumschiff schmierte ab.
"Wir sind getroffen! Am besten, wir besorgen uns ein neues Raumschiff."
"Dann landest Du am besten da vorn. Da sind gleich zwei."
Ich landete auf einem der beiden Raumschiffe. Für Unbeteiligte sah das wie ein Absturz aus.
"Das erspart uns eine Menge Arbeit. Super Landung." Tja, Greg 2 hatte einen Blick für das Vorteilhafte einer Situation.
Wir stürmten hinaus, schossen uns mit den Laserwaffen den Weg frei. Ich fühlte mich Greg 2 immer ähnlicher. Dieser Einsatz schweißte uns im wahrsten Sinne zusammen. Wir agierten wie ein Paar beim Balletttanz.
"Das ist hier nicht Schwanensee!", brüllte Greg 2. "Niederknüppeln, abschlachten, abservieren – das ist unser Tagesplan."
Er hielt mich davon ab, beim gegnerischen Raumschiff gegen die Tür zu klopfen. "Wir sind nicht höflich! Werden es nie sein!" Er wurde größer.
"Das ist gut, wenn Du größer wirst."
"Das geht hier nicht um einen Ständer! Obwohl Größe hier durchaus ein Vorteil ist. Ich steh auf Gewalt."
Das zuzugeben … Das Gutsein auch mal gut sein lassen. Ich pflichtete ihm bei. Dennoch waren da Spuren von Rest-Höflichkeit. Ich sah mich noch immer als Gentleman-Agent, der nur so nebenbei Leute kaltmachte; besser nicht nachfragen, ob die das auch verdient haben. Wenn der Geheimdienst meint, das sei okay, was soll ich da zusätzlich mein Gewissen befragen? Ein ausführendes Organ – so wie meine Faust. Erwies sich aber bei dem vor mir stehenden Alien als absolut unwirksam. Er sah mich nur fragend an, schien meine Faust in seinem Gesicht gar nicht zu bemerken.
"Die können ganz gut was einstecken."
"Finde ich nicht." Greg 2 rammte dem Alien meinen Spazierstock in die Stirn. "Wie beim Billard. Toller Queue. Tut bestimmt auch weh."
Die Eroberung des zweiten Raumschiffs war einfacher, wir wussten ja, wo sich alles befand.
"Vielleicht sollte ich diesmal ans Steuer? – Ich hab gerade den Eindruck, dass ich von Ratio-Wellen geflutet werde. Gar nicht gut."
In der Tat, Greg 2 sah schwächer aus. Wir glichen uns an. Ich musste seinen Part übernehmen. Wir mussten wieder eins sein. Ein bisschen tat es uns beiden leid.
"Ich werde Dich vermissen", sagten wir beide gleichzeitig.
Die Aliens waren entsetzt, dass wir die Trennung wieder rückgängig machten, dass es uns gelang. War so wohl nicht vorgesehen. Als ob man bei einem zerschlagenen Ei Eigelb und Eiweiß wieder zusammenfügen würde – und sich die zerbrochene Eischale wie von Zauberhand wieder zusammenfügte. Ein rückwärts ablaufender Film.
"Was Gott zusammengefügt hat, soll der Alien nicht trennen", sagte ich melodramatisch.
Ich war Greg 1 und Greg 2 – ich hatte den Hulk, den Dämon, meinen Schatten wieder in mir; aber es war anders – ich hätte auch sagen können: 'Ich habe die Ratio wieder in mir.' Eigentlich eine schöne Lektion, die ich den Aliens verdankte. Aber statt mich bei ihnen zu bedanken, erteilte ich ihnen eine Lektion. Tücke und Wut vereint – machte sich gut. Sehr schlagkräftiges Team. Die Aliens flohen vor uns. Vermutlich fürchteten sie, dass sich auch bei den anderen Menschen das umkehren würde. Aber noch war ich nicht bereit, ihnen zu verzeihen. Greg 2 sollte auf seine Kosten kommen; das war ich ihm schuldig.
Erstaunlicherweise flog sich sogar das Raumschiff weitaus besser, wenn der eigene Dämon mit am Steuer saß. Übergroße Vorsicht ist nicht so sein Ding. Man ist wendiger, kompromissloser, reagiert ultraschnell. Meine Instinkte waren wieder mit an Bord. Wenn das ein Videogame wäre, würde ich sagen: 'Das Spiel braucht stärkere Gegner!' Es war wie ein Kick, sich wieder vollständig zu fühlen.
Die Seele ist die Killerapplikation der Evolution. Alien-Killer im Dienst. Frisch ans Werk.
ENDE
Ich will mir eine Kaffeemaschine kaufen – aber wie bei allen Produkten heutzutage ist das Angebot unüberschaubar; es ist mir, als wenn die Kaufhaus-Regale auf mich zukämen. Vermutlich läuft man sich nicht nur einen Wolf, man gerät auch in eine Art Trance in diesem Konsumtempel. Der mit dem Produkt tanzt. Zeitweise habe ich bis zu fünf Kartons im Arm, wäge ab, erwäge Vor- und Nachteile.
Verkäufer meiden mich; ich sehe einfach zu unentschlossen aus; keiner hat Lust auf ein Marathon-Gespräch. Bleiben also nur die Kaffeemaschinen und ich. Wir müssen das unter uns ausmachen.
"Welche Vorteile habt Ihr denn?", beginne ich das Gespräch. Small Talks vor 'ner Kaffeemaschine sind ja üblich – besonders in Büros. Was die so alles mitkriegen. Sie werden ja immer smarter; lassen sich aber von Alexa Befehle erteilen. Die hat die gut im Griff. Sie kommandiert mittlerweile eine Armada an Haushaltsgeräten. Der Toaster könnte mal ein Toast auf mich ausbringen.
"Kaufst Du mich jetzt, oder was?", unterbricht eine silberne Kaffeemaschine meine Gedanken. Sie sieht schick aus. Ich misstraue ihr.
"Du gehst doch garantiert nach der Garantie kaputt."
"Kann sein. Soll ich mich da jetzt schon festlegen?" Schnippisch ist sie auch noch.
"Hast Du Zisch-Absichten? Ich kenn das: unerwartetes Zischen; ihr verlangt Akkuratesse."
Andere Kaffeemaschinen empören sich. "Was er uns alles unterstellt!"
"Na, warte, wenn ich erst aus meinem Karton raus bin!", schnaubt eine blaue oder blau angelaufene Kaffeemaschine.
Ich sollte einen Test veranstalten. Sollen sie zeigen, was sie können.
"Für mich bitte Kaffeepads", bittet mich eine bordeauxrote Kaffeemaschine.
Überraschenderweise sagt mir ihre aristokratische Attitüde zu. "Du weißt, was Du willst", lobe ich sie. "Wer von Euch kann auch Espresso machen?"
"Geh zu Starbucks! Du siehst nicht aus wie ein Barista. Wir trauen Dir kein bisschen. Wie oft würden wir denn gereinigt werden?"
Seit wann stellen denn die Maschinen hier die Fragen? Mit KI würde das alles noch zunehmen.
"Also ich will nur Arabica; was anderes kommt mir nicht in die Tüte!"
Ich beschwere mich bei einem der Verkäufer. "Ihre Kaffeemaschinen sind unverschämt."
"Sie sollten mal die allerneusten Modelle erleben; sobald die WLAN haben, geht das bei denen richtig los! Ich sag Ihnen, die verbrüdern sich, die planen was!"
Soso, konspirative Kaffeemaschinen. Ein Kaffeevollautomat fällt mir auf die Füße.
"Ich bin viel leistungsfähiger. Ein Top-Produkt! Ich würd mich selber kaufen."
Eine narzisstische Kaffeemaschine. Würde zu meinem Fernseher passen. Die beiden würden sich blendend verstehen. Man muss ja auch Rücksicht darauf nehmen, ob die neuen Geräte sich gut einleben. Bezahlt man den Koffeinkick zu teuer?
"Menschen sind Suchtis, das ist bekannt", meint eine zitronengelbe Kaffeemaschine. Sie sieht aus wie ein Hippie. Ich bekomme Lust auf eine Tasse Kaffee. "Ich funktionier auch ohne Strom." Sie hat ein Faltblatt dabei. Sie macht gute Promotion für sich selbst.
"Ich kann röcheln, gurgeln, blubbern", meint die blaue Kaffeemaschine verheißungsvoll. Ich glaub, die haben völlig falsche Vorstellungen von dem, was Konsumenten wollen.
"Inwiefern ist das ein Vorteil?"
"Ich hab noch weitere Asse im Ärmel." Vermutlich blufft sie. "Angeblich sind Kaffeemaschinen die wichtigsten Geräte im Büro. Ohne uns läuft wenig bis gar nichts, da bin ich mir sicher".
Man pflichtet der silbernen Kaffeemaschine bei. Ich sollte sie wieder einpacken; aber sie wollen nicht zurück in ihre Kartons; als ob sie da nie reingepasst haben. Sind sie größer geworden? Nehmen sie an Volumen zu, wenn man sich ihnen zuwendet? Sie blühen durch Aufmerksamkeit auf – so wie Pflanzen durch Wasser und Sonne? Ich liebe es, wenn die Kontemplationen zu etwas führen, das einen gut dastehen lässt. Man sollte sich öfters in solchen Betrachtungen sonnen.
Der Verkäufer bietet mir Kaffee an. "Kaffeepause. Das Koffein hat uns alle im Griff. Der Staat verdient sich dumm und dusselig daran. Fast 45 Prozent des Kaffeepreises sind für Steuern, Zölle, Frachtkosten."
Die Kaffeemaschinen empören sich. Die blaue Kaffeemaschine röchelt dramatisch. Dabei hat sie nicht mal Strom.
"Ich will in einem Kaffeehaus stehen!", verlangt die silberne Kaffeemaschine. "Tolle Tradition. Umgeben von Philosophen, Literaten, Schachspielern ... Kaffee hat dem Bier den Rang streitig gemacht. Kaffee ist toll!"
Sie kann sich richtig dafür ereifern. Spricht nicht unbedingt gegen sie. Ich notiere mir das.
"Was wird das? Führst Du Protokoll? Ist das eine Strichliste?!" Die Kaffeemaschinen werden panisch.
"Das ist nur so eine Strichliste-App", versuche ich sie zu beruhigen. Man muss ja irgendwie seine Entscheidungen begründen können.
"Und was ist mit dem guten alten Bauchgefühl? – Hättest Du wohl gerne, dass wir hier paradieren wie bei einer Misswahl? Ich kann defilieren", meint die bordeauxrote Kaffeemaschine.
"Alle zurück ins Regal!", befehle ich mit meiner besten Kasernenhof-Stimme.
Sogar der Verkäufer erklimmt ein Regal – ist ja wie beim Bouldern hier. Könnte Spaß machen. Kletterkurse im Kaufhaus. Warum sollen immer nur die Preise in die Höhe klettern? Hatte ich heute schon zu viel Koffein? 1 Liter pro Stunde ist mein normaler Verbrauch. Damit komme ich ganz gut über die Runden. Ich habe neulich einen Kurs in Kaffeesatzlesen mitgemacht – bei der angesagtesten Wahrsagerin meines Dorfes. Kaffeedomantie. Fachberatung ist hier nötig – auch an der Börse wird jetzt viel häufiger der Kaffeesatz bemüht. Angeblich auch in der Politik. Wer den Kaffeesatz lesen kann, dem stehen alle Türen offen. Man filtert viel zu viel. Das Ungefilterte hat die Wahrheit für uns! Nicht alle Kaffeemaschinen pflichten mir bei. Viele liegen am Boden, kommen aus eigener Kraft nicht wieder hoch. Kunden steigen über sie hinweg. Ein trauriger Anblick.
"Eben noch Neuware! Ein Desaster! Wie schön war es im Regal."
"Regal – egal", antworte ich ihnen.
Der Verkäufer findet es auf dem Regal ganz schön. "Super Ausblick. Kann sein, ich hatte zu viel Irish Coffee; aber der Whiskey macht sich gut im Kaffee."
"Zumindest besser als Muckefuck", meint die silberne Kaffeemaschine.
"Pharisäer ist auch gut", meint der Verkäufer. "Rum, Schlagsahne und Schokoraspeln – das rundet den Kaffee ab. Davon habe ich aber erst einen intus."
Die Kaffeemaschinen wollen loslegen, fühlen sich inspiriert. "Wir werden heute Großes vollbringen!", da sind sie sich sicher. Die bordeauxrote Kaffeemaschine interessiert sich für Rüdesheimer Kaffee. Die liegt irgendwie auf meiner Linie.
"Weinbrand findet Ihr in der nächsten Abteilung", lautet der Rat des Verkäufers. "Wenn ich eine Angel hätte, käme ich sogar an die Pizzas ran."
"Pizza-Angeln wird ja immer beliebter." Ich sollte mich zu ihm setzen.
"Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte: Bleibt mir fern mit Sojamilch!", meint die blaue Kaffeemaschine, die aber vermutlich nur hofft, dass man ihr widerspricht; sie scheint ganz begierig darauf, sich wieder aufregen zu können.
Ist ein Charakter bei einer Kaffeemaschine wichtig? "Ich bin seit zwei Jahren charakterlos – das befreit ungemein", gesteht der Verkäufer. Sollte man seine Ratschläge beherzigen?
"Fast so gemütlich wie im Kaffeehaus", meint die silberne Kaffeemaschine, "Ambiente ist wichtig. Ist mir zumindest wichtig." Sie versucht, von der zitronengelben Kaffeemaschine abzurücken.
"Gerade die Überwindung von Standesdünkel kennzeichnet doch die Kaffeehäuser", belehre ich sie.
"Redet Ihr über mich?", will die zitronengelbe Kaffeemaschine wissen. "Das finde ich jetzt unterste Schublade." Sie stürzt sich vom Regal.
"Melancholie ist allgegenwärtig", meint der Verkäufer.
"Für wen entscheidest Du Dich nun?", will die blaue Kaffeemaschine wissen. Tut sie nur so, als sei sie leistungsorientiert? Schwer zu sagen.
Ich frage sie: "Wie ist Deine Meinung zu Maltodextrin und Karamell? Ist das Betrug? Hat beim Röstkaffee aber steuerliche Vorteile, wenn man das damit streckt."
"Ich kann den gestreckten Galopp – damit nehme ich jede Hürde hier im Laden", mischt sich der Kaffeevollautomat ein. Er bittet mich, ihm etwas Schwung zu geben. "Startschwierigkeiten", entschuldigt er sich.
"Deswegen bin ich ja hier. Kaffee als Motivationsersatz. Man füllt sich Kaffee in den Mund – erteilt dem Tag Starterlaubnis."
"Mein Motivations-Konto ist leer. Könnte mir einer von Euch was vorstrecken?", fragt uns der Verkäufer.
Ich kicke erst mal den Kaffeevollautomaten durch den Laden. "Gut so!", lobt er mich. "Ich komme voran. Auch mal die anderen Gänge sehen. Aha, hier sind also die Toaster."
Auf ein Gespräch mit Toastern habe ich jetzt keine Lust, auch wenn die wissen wollen: "Was geht denn hier ab?!"
Ich kicke den
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Cover: https://pixabay.com/de/photos/klee-kleeblatt-gl%c3%bccksklee-1949981/
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2021
ISBN: 978-3-7554-0130-8
Alle Rechte vorbehalten