Robert Koch hat sich mit den Krankheitserregern angelegt. Früher kämpften die Helden mit Lanze und Schwert – aber das wäre bei so kleinen Gegnern nicht praktikabel. Den Gegner zunächst einmal sichtbar machen; ihn einfärben – ihm seine Tarnung und seinen Tarnumhang nehmen. Mit dem Mikroskop stößt man das Tor auf in die Welt der Mikroorganismen. Was tut sich da so? Vieles, was von dort kommt, ist unschön: Milzbrand, Tuberkulose, Cholera ... Welche Mittel gibt es dagegen?
Robert Koch irrte sich bei seinem Tuberkulin – es verschlimmerte die Sache nur. Es ist eine Sache, das Bakterium zu identifizieren, es bloßzustellen – aber wie macht man ihm den Garaus? Immerhin ist es kein Geist mehr; man hat es benannt, gezeichnet, fotografiert. Es ist aktenkundig.
Früher hieß es, das Miasma sei schuld: übelriechende Gase – die Luft geschwängert von Ungutem; Ausdünstungen von Mutter Natur. Dabei sind die Bakterien und Viren am Werk, fleißig, emsig. Befallen sich gegenseitig – ein Kriegsgetümmel ... spielt sich direkt vor unseren Augen ab; dennoch bleibt das alles unerkannt, bis mal jemand auf die Idee kommt, da genauer hinzuschauen. Einerseits beruhigend, dass da keine Geister am Wirken sind, andererseits haben Mikroben mit Geisterbeschwörung nichts am Hut, sie fühlen sich gar nicht angesprochen.
Manchmal übertreibt man es auch bei ihrer Bekämpfung: Robert Koch verwendete Atoxyl, um die Schlafkrankheit in den Griff zu bekommen. Die Parasiten gingen zwar in die Knie – allerdings auch die Patienten; das Problem der toxischen Nebenwirkungen.
Mikroben sind ja nicht grundsätzlich böse. Die Archaeen beispielsweise gelten nicht als Krankheitserreger; dienstbare Geister. Mikroorganismen machen stattliche 70 Prozent der Biomasse aus.
Robert Koch ist einer der Pioniere – sich bei den Mikroben umsehen. Das bringt ihm 1905 den Nobelpreis ein. Hygiene gilt auf einmal als superwichtig. Seuchen, Epidemien, Pandemien als Bedrohung – ein Hercules käme hier nicht weiter. Man braucht andere Helden. Einerseits werden Forscher von ihrem Ehrgeiz angetrieben, andererseits lässt ein Übermaß an Ruhmsucht sie durchdrehen. Gibt man seiner Ehefrau wie einer Labormaus ein womöglich tödliches Mittel gegen Bakterien? Robert Koch hatte da keine Skrupel. Tuberkulin sollte ihn reich machen; Geldsegen. Er war nicht immun, nicht gefeit gegen seinen Größenwahn. Als Forscher braucht man ein großes Ego.
Aber Kolonien in Afrika umzuwandeln in Testzentren, Laboratorien? Alles Versuchskaninchen? Ohne Einwilligung der Patienten, gegen deren Willen mit einem Arsensäurederivat experimentieren? Seine Typhus-Strategie in Deutschland wird bei Wikipedia so beschrieben: "Gesunde Dauerausscheider wurden zur „inneren Desinfektion“ mit Rizinusöl, Bittersalz oder Natron behandelt, oder ihnen wurde sogar die Gallenblase chirurgisch entfernt, die als „Brutstätte“ der Typhusbazillen galt." Ganz schön rigoros. Man fragt nicht, man handelt. Ziemlich forsch. Aber andere Forscher könnten einem ja voraus sein. Ständiger Konkurrenzkampf mit Louis Pasteur. Das spornt an. Wobei man sich fragt, ob Team-Arbeit nicht doch besser gewesen wäre. Den Bakterien und Viren ist es egal, von wem sie besiegt werden.
Man möchte verantwortlich sein für historische Ereignisse. Gewiss ein schöner Moment für Robert Koch, als er am 24. März 1882 verkünden konnte, dass er den Tuberkelbazillus im 271. Versuchsansatz endlich entdeckt hatte. Ausdauer und eine gewisse Besessenheit muss man als Forscher mitbringen. Es handelt sich eben um außergewöhnliche Widerstände. So schnell gehen Bakterien & Co. nicht k. o.
Nicht die großen Gegner wurden uns zum Verhängnis. Selbst mit Dinosauriern würden wir es aufnehmen; Tyrannosaurus rex eigenhändig vom Evolutionsspielfeld nehmen, ihn rauskicken. Wozu ist man Großwildjäger? Aber die kleinen Gegner machten uns immer zu schaffen. Bis die Mikrobiologen auf den Plan traten – auch wenn sie zunächst keinen Plan hatten. Ganz neuer Typus von Drachenbezwinger. Ein Virus als Antagonist. Unsere Kulturen gegen die Bakterienkulturen. Seltsames Schauspiel. Helden auf der Bühne der Forschung. Helden mit Schattenseiten. Wie viele Irrtümer gesteht man diesen Helden zu? Was nimmt man in Kauf? Nennen sie einem vorher den Preis?
Zum Thema Tuberkulin heißt es bei lindau-nobel.org: "Aus ganz Europa reisten Tbc-Kranke an, Wohnungen wurden in Behelfs-Lazarette umfunktioniert – alle wollten eine Dosis „Tuberkulin“ ergattern. Wer das Mittel bekam, wurde zunächst fürchterlich krank, manche erholten sich wieder, andere starben." Ähnlichkeiten mit heutigen Ereignissen wären rein zufällig. Wundermittel verwundern eben zuweilen.
Robert Koch: ein Laborgenie – mit Akribie. Ein Entdecker auf Erkundungstour in der Welt der Mikroben. In gewissem Sinne ein Kriegsheld. Bei swr.de heißt es über seine Popularität zu jener Zeit: "Man kann Tassen, Uhren und Taschentücher mit seinem Konterfei kaufen." Hätte Hercules auch mal machen sollen. Zu wenig marketingorientiert.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 20.05.2021
Alle Rechte vorbehalten