Als Heiratsschwindler kenne ich mich aus mit Betrug – also gute Voraussetzungen für Fake-Castings. Gelingt der Einstieg in die Porno-Branche? Man darf sich bei meiner Agentur bewerben; vor allem Studentinnen nutzen dies Angebot. Was eine Profi-Kamera alles ermöglicht. Den Schein wahren, auf Professionalität achten. Dann kann man sie alle über den Tisch ziehen. Wahlweise auch über die Couch. Besonders beliebt: die Liebesschaukel. Für den akrobatischen Typ. So heißt auch meine Agentur: "Die Liebesschaukel" – hier werden Sie verschaukelt.
Man kann das auch kombinieren und gleich zwei Anwärterinnen testen; ergibt tolle Kombinationsmöglichkeiten. Zwischendurch falle ich in meine alte Rolle und deute Heiratspläne an; hab ich hier ja gar nicht nötig. Romance Scamming ist zwar sehr lukrativ, aber das hier bringt wesentlich mehr Spaß. Tolle Erfindung. Der Test-Modus ist einfach genial. Als ob das Leben nur aus Probefahrten bestehen würde. Okay, es ist nicht immer ein Lamborghini. Warum sind die alle so leichtgläubig? So schnell hinters Licht zu führen bzw. vor das Licht. Die Beleuchtung ist exzellent. Man muss was investieren ... Und natürlich öfters die Stadt wechseln. Die Anwälte sind manchmal etwas ungeduldig. Ihre Klientinnen wollen Rache. Dabei waren sie vorher so herrlich liebesbedürftig. Vermutlich machen sie sich ihre Naivität zum Vorwurf. Da haben sie doch was gelernt. Ich tue was Gutes. Man geht wacher durchs Leben, wenn man gelinkt wurde. Blöd nur, dass ich mich beim vorigen Casting in das Model verliebt habe. Wie wechselt man auf die ehrliche Spur? Darin fehlt mir die Übung. Habe früher für die Geheimdienste Politikerinnen und die Ehefrauen von wichtigen Politikern verführt. Romeo-Falle – das Übliche eben. Immer blöd, wenn die Liebe dazwischenfunkt. Man verliebt sich viel zu leicht. Sehr unvorsichtig von der Natur.
Wie führt man ein Gespräch auf der Liebesschaukel? "Du, Nathalie, übrigens, ich habe mich in Dich verliebt." Eigentlich wäre jetzt die Nummer auf dem Billardtisch dran; aber Nathalie schaut mich überrascht an. Sie studiert BWL im sechsten Semester. Heute bin ich beides: Kameramann und Akteur.
"Könnten wir das hinterher besprechen? Ich bin grad so gut in Fahrt."
Man will ja ehrlich sein, aber die Frauen machen es einem echt nicht leicht. "Was hältst Du vom Gewerbe des Heiratsschwindlers? Ein völlig unterschätzter Beruf?"
"Wovon redest Du bloß? Ist das so eine abartige Nummer? Soll ich da jetzt voll einsteigen? – Okay, an sich liebe ich diese Rollenspiele. Wer bin ich?"
Okay, versuchen wir es auf dem Umweg eines Rollenspiels. Könnte klappen. "Du wurdest reingelegt. Ein Fake-Studio nutzt Dich schamlos aus. Der Inhaber verlebt mit Dir schöne Stunden bzw. auch mal Minuten; und hat weiter nichts zu bieten als eine fragwürdige Karriere als Heiratsschwindler und Geheimagent."
"Das wäre ein ganz hervorragender Pornofilm! Könnt Ihr mich dafür besetzen? Ich will auch schauspielern; nicht nur rumstöhnen. Ich suche echte Herausforderungen." Nathalie kommt in Fahrt. Tolle Idee, das Körperliche mit beruflicher, künstlerischer Begeisterung zu kombinieren. Wecke die Künstlerin in ihr!
"Ja, Du wirst schamlos ausgenutzt – und bis Du dahinterkommst, vergehen Wochen, Monate – und immer wieder musst Du die abenteuerlichsten erotischen Varianten über Dich ergehen lassen."
"Zum Beispiel?" Nathalie wirkt sehr interessiert. So gewinnt man ihr Interesse – ich hatte immer gedacht, dass ein Minimum an Verstellung hilfreich sei, nicht ganz so plump ... Überleitung zu den immer frivoleren Tätigkeiten. Aber Nathalie ist ganz begierig darauf, das alles zu überspringen.
Bianca kommt herein; eigentlich ist das jetzt ihr Termin; aber Nathalie ist überhaupt nicht willens, das jetzt hier zu beenden. "Mach doch mit!", schlägt sie Bianca kollegial vor.
Bianca studiert Kunstgeschichte. Ein Besuch in der Mensa ist immer ganz hilfreich. Da kann man seine Visitenkarten verteilen ... Der Casting-Markt ist sehr erfreulich. "Jetzt kommt die Szene im Whirlpool ..." Man braucht nur Anweisungen zu geben. Das Leben schanzt einem wie von selbst die Rolle als Regisseur zu. Alles fällt einem in den Schoss. An eben demselbigen macht Bianca sich zu schaffen. Nathalie ist ihr dabei behilflich. Hilfreich sei das Model, edel und gut. Oder aber auch versaut ... Ganz, wie sie wollen. Das Appartement ist super luxuriös, man sollte da auch nicht geizen. Umso weniger muss man schauspielern – man verlässt sich auf das Setting. Es ist wie eine passende Uniform – wobei wir meist gänzlich auf Uniformen verzichten, was Nathalie schade findet.
"Ich wäre gerne mal eine ungezogene Politesse."
Glücklicherweise haben wir alles im begehbaren Kleiderschrank. Ich habe vorgesorgt. Fast schon ein bisschen schade, all das gute Filmmaterial nicht wirklich zu senden, zu verwenden. Vielleicht sollte ich deren Träume wahr werden lassen – und zugehörige Drehbücher schreiben? Aber wie soll ich Nathalie glaubhaft meiner Liebe versichern, wenn Bianca gerade so energisch auf mir reitet? Das untergräbt meine Glaubwürdigkeit. Sollte ich Bianca bitten, kurz abzusteigen? Wäre das höflich?
"Ich liebe unsere Casting-Termine!", gesteht mir Nathalie. Immerhin ist von Liebe die Rede. Ist ja doch eine sehr oberflächliche Welt geworden. Ich sehe sie leider momentan nur von hinten – aber auch sehr schön. Ich bitte Bianca, die Kamera zu halten. Besser so, dann hat man beide Hände frei.
"Leider wird ja in der Welt so viel gelogen; man weiß schon gar nicht mehr, wem man trauen kann; das Spiel mit den falschen Hoffnungen – Illusionstheater – alles Fake; und zurück bleibt nur Enttäuschung." Das scheint sie anzutörnen, sie gehen ganz in ihren Rollen auf, Nathalie sitzt da mit verklärtem Gesicht.
"Sex befreit uns!", verkündet sie. Sie improvisiert. Ich lasse sie machen. Bianca filmt eifrig; sie macht das recht gut. Sie darf sich was von dem Sexspielzeug aussuchen. Immer großzügig sein. Zur Erfrischung gibt es etwas Champagner. Wenn es Politikerinnen wären, würden sie mir jetzt vermutlich alles anvertrauen. Aber Nathalie findet die Idee faszinierend, dass sie eine Spitzenpolitikerin sein könnte, die gerade aufs Übelste reingelegt wird.
"Ich vertrau Dir alles an", haucht sie mir ins Ohr. "Mein ganzes Sündenregister. Ich war schon lange nicht mehr zur Beichte. Da kommt was zusammen." Ich darf gespannt sein. Ich kann mich damit trösten, dass Pornofilme normalerweise noch weniger Handlung haben – man könnte da echt was draus machen. Der Künstler ist geweckt – ich sehe das alles jetzt auch aus der Warte des Experten, des Berufenen. Ich schicke den Ganoven von der Bühne; er wird mir fehlen. Ihm verdanke ich die Leichtigkeit ...
Leider rückt Nathalie irgendwann mit der Neuigkeit raus, dass sie eigentlich Anwältin sei – sie ist hier im Auftrage mehrerer Klientinnen. Sie wollte sich den Sachverhalt von Nahem betrachten, sehen, ob alle Vorwürfe, die man mir macht, zustimmen. Sie könne das nur bestätigen. Aber es gefällt ihr. "Aber Anzeige ist raus!", meint sie beinahe entschuldigend. Was soll's? Es gibt so viele Länder. Will Dich ein Land nicht haben, das andere nimmt Dich mit Kusshand – gegen entsprechende Bezahlung versteht sich. Allerdings würde Nathalie mich ungern ziehen lassen. Sie wollte schon immer in die Pornofilm-Industrie einsteigen – und ein Exklusivvertag mit mir wäre nicht das Schlechteste. Wir vereinbaren ein Date – am Set lernt man sich ja kaum kennen. Da kommt einem immer der Sex dazwischen. Small Talk wird völlig unterbewertet. Man muss sich ja auch emotional näherkommen. Bianca will uns gar nicht ziehen lassen. Sie will auch nicht auf ihren nächsten Casting-Termin bei mir verzichten.
"Das ist nur Fake", versuche ich ihr zu erklären. "Aber man könnte was daraus machen." "Unbedingt! Das ist ausbaufähig. Man sollte dranbleiben!", lautet Biancas Empfehlung. Sie ist noch ein wenig verschwitzt. Sie scheint das hier als ein Art Aerobic-Kurs zu betrachten. Nun ja, etliche Kalorien dürfte sie dabei verbrannt haben. Wir haben sie ordentlich rangenommen.
Nathalie würde auch gerne für die Geheimdienste arbeiten – bestens eingearbeitet ist sie ja mittlerweile. Sehr Ekstase-sicher. "Du wärst eine tolle Verführerin. Der Schrecken der Manager." Schon sonderbar, was heutzutage alles als Lob gilt. Aber selbst Bianca bestätigt mir, dass sie bei mir jede Menge gelernt hat. So tut man Gutes, ohne es zu ahnen oder zu beabsichtigen. Einfach ein guter Mensch sein. Liebe Deine Nächste – und dann gleich die danach. Ruckzuck. Der Betrug ist gesellschaftsfähig geworden. Als Ganove ist man willkommen in der Gesellschaft, man findet seinen Platz. Kaum noch Verschleierungs-Taktiken nötig. Ein Charmeur im Dienste des Lukrativen oder der Geheimdienste hat heutzutage ganz andere Möglichkeiten. Aber wenn man das alles in einem Pornofilm unterbringt, überfrachtet man ihn eventuell mit Subtext? Nathalie ist das egal, sie schreibt bereits Drehbuch-Abschnitte, gibt sie mir zu lesen.
"Das könnte man da unterbringen. Und das muss nicht unbedingt gesagt werden!" Sie vermischt die Genres – packt Gesellschaftskritik in Sex-Orgien. Mir soll es recht sein. "Vielleicht kann ich Enthusiasmus nur in Verbindung mit was Verbrecherischem spüren? Das wäre als Anwältin allerdings nicht so vorteilhaft", lauten ihre Überlegungen.
Bianca hat mittlerweile den gesamten Champagner ausgetrunken und benimmt sich dementsprechend unartig. Wird alles gefilmt. Nathalie schreibt dafür schon die entsprechenden Drehbuchszenen. "Gonzo-Technik – man muss viel mehr improvisieren", lautet meine Weisheit des Tages, die sich allerdings vor allem auf meine Gangster-Karriere bezieht.
Wir helfen Bianca aus der Liebesschaukel. Nathalie notiert sich einige Requisiten, die ich uns besorgen soll. Sie denkt mit, sie denkt voraus. Zum ersten Mal im Leben könnte ich es mit einem Heiratsantrag tatsächlich ernst meinen. Verschlungene Wege der Liebe, Irrpfade. Ob Eros selbst aus diesem Labyrinth zuweilen herausfindet? Man weiß es nicht.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2021
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