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Freunde
Das Geschenk
Waldeinsamkeit
Schneemann in Nöten
Der trampende Schneemann
Abflug
Panik-Fachmann
Umschulung
Nicht alles wird durch Diminutive eine Stufe drolliger, goldiger. "Freundchen!" klingt nicht halb so nett wie "Guter Freund". Wobei Du-bist-mir-ein-schöner-Freund sehr viel beißende Kritik in sich trägt. Auch superschlanke Menschen können dicke Freunde sein; bis man jemanden dicke hat. Freundschaft schlingert, schaukelt wie ein Schiff – kommt auf den Seegang an. Aber gute Freunde achten darauf, dass keiner über Bord geht. Auf zu frühe Bekanntschaft mit Freund Hein ist man nicht erpicht. Hölle gilt als verbraucherfeindlich – kein schönes Shopping-Ambiente. Wobei es schon ganz cool wäre, einige Dämonen in seinem Freundeskreis zu haben. Vielleicht führt der Weg zur Seligkeit über die Feindseligkeit?
Ein Geschenk steckt voller Vorfreude; wie wird es ankommen? Macht es was her? Sitzt das Packpapier? Verrät die Form zu viel über den Inhalt? Soll es sich schmal machen? Es hasst Sätze wie "Kannst Du Dir schenken!". Woher kommt die Sitte, Gäule zu verschenken, denen man zu allem Überdruss nicht ins Maul schauen darf? Es wird doch auch genauestens begutachtet, inspiziert. Kann es mit den anderen Geschenken mithalten? Manche sehen schon sehr prächtig aus. Bestimmt "Außen hui und innen pfui". Ja damit kann man sich trösten. Hat man überhaupt "Hui"? Oder ist man nur ein Mitbringsel? Kein lebensveränderndes, repräsentatives Präsent?
Was hat der Wald noch vor? Will er ein Hain sein? Ist ihm poetisch zumute? Sehnt er sich nach mehr Lichtungen – so dass die Sonne ihn besser erreichen kann? Was hält er von den Förstern? Sein Cousin, der Dschungel, muss sich das nicht gefallen lassen. Aber da strolcht auch kein Weihnachts-Freak durch finsteren Tann. Er weiß noch, als Schonung fing's an; keine Baumschule. Ansonsten ist das Leben ja recht schonungslos, wie ihm die Wald-Tiere versichern. Vom Specht hat er es gelernt: Er klopft auf Holz. Ab und zu gilt es, eine Vogelhochzeit auszurichten. Mitunter sehnt er sich nach der Stadt.
Es ist bedenklich warm; der Schneemann sieht sich unsicher um. Soll er fliehen? Die Karotte sitzt schon ganz schief. Er könnte sich vor ein Kühlregal im Supermarkt stellen – fällt bestimmt kaum auf. Mit der Werbetafel in der Hand kommst Du durch das ganz Land. Funktionsträger; ein Amt haben; nicht nur darauf warten, dass das Wetter einem alles zunichtemacht. Als Wartender hat man hier ganz schlechte Karten. Da tänzelt schon die Frühlingsgöttin – guter Dinge – dieses Miststück! Er gibt ihr zu verstehen, dass sie sich verziehen möge. Wo ist der verdammte Mittelfinger, wenn man ihn braucht? Nur die soziale Kälte nimmt zu.
Der Schneemann fühlt sich nicht gut. Ob er mal zum Arzt gehen sollte? Er hat schon ganz weiche Knie. Und er fühlt sich matschig im Gehirn. Er war nie sonderlich wärmebedürftig. Kinder haben ihn gebaut. Auswandern? Nach Kanada? Aber wer nimmt einen trampenden Schneemann mit? Vorher sollte er sich einen Kühlschrank besorgen. Kühlschrank-to-go. Kälte-Asyl. "Kälte suchen" wird sein beherrschender Gedanke. "Ich sollte aus anderem Holz geschnitzt sein. Meine weiteren Überlegungen sollte ich wohl auf Eis legen", witzelt er. "Was gäbe ich für ein paar Schneeflocken." In Gedanken stapft er durch den Schnee – während er dahinschmilzt. "Ich bin Schnee von gestern."
Die Startvorbereitungen sind in vollem Gange; eigentlich müsste es jetzt mal losgehen. Aber der Pilot wirkt unsicher. Es ist von Aviophobie die Rede. Kam in seiner Familie noch nie vor. Sein Vater schämt sich. Aufmunternd kickt er dem jungen Piloten ins Kreuz. "Wird schon! Halb so schlimm." "Mach den Vogel startklar!" Was soll er machen? Irgendwann muss er aus dem Nest. "Flieg, junger Adler, hinaus in die Freiheit", grölt sein Vater. Er wollte nie ein Adler sein. Hier hatte der verantwortliche Reinkarnations-Aufsichtsbeamte sicherlich einen Fehler gemacht. "Wir haben Dich vorsorglich 'Meister' genannt. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen."
Früher war ich Schnäppchenjäger. Jetzt hat sich das etwas verlagert: Ich habe mich auf Panikkäufe spezialisiert. Horten ohne System. Gibt ein schönes Gefühl von Sicherheit. Allerdings entwickle ich jetzt eine Klaustrophobie – ist doch sehr beengt, wenn man sich den Wohnraum mit so vielen Pappkartons teilt. Die wollen mich mittlerweile gar nicht mehr durchlassen. Ist aber kein Grund, jetzt in meinen Bemühungen nachzulassen. Allerdings ergeht's mir so wie den meisten überbeschäftigten Eichhörnchen: Ich weiß nicht immer mit absoluter Sicherheit, wo ich was gelassen habe. Also ist die Ernährung jetzt Glückssache; auf was man so stößt. Manchmal gibt's dann Toilettenpapier mit Flüssigseife.
Ich mache eine Umschulung zum Flugzeugentführer. Eigentlich bin ich Bankräuber und Bankdirektor. Man muss mit der Zeit gehen, die Kinder sollen stolz auf einen sein. Flugzeugentführer – das ist doch echt 'ne krasse Antwort an den gelangweilten Zeitgeist. Ich mache Fortschritte. Heute habe ich schon drei Drohnen entführt und zwei Möwen. Im Kindergarten gibt's den Kurs "Waffenbau mit dem 3D-Drucker". Man kann überall was lernen. Einige der entführten Maschinen könnten in unserem Vorgarten stehen – eine Boeing hat auch nicht jeder. "Think Big" ist immer meine Devise. Und man hat immer ein passendes Geschenk. Das Geschenkpapier ist allerdings dann doch recht teuer.
Cover: Cover-Gemälde von Manuela Schauten - https://www.bookrix.de/-schnief/
Tag der Veröffentlichung: 15.01.2021
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